Es beginnt mit kleinen Wortfindungsstörungen, unauffällig und unproblematisch. Dass sie die neue Freundin des Sohnes zweimal hintereinander begrüßt, fällt kaum auf. Später wird sie perplex einen ihrer Vorträge unterbrechen, bis sie unvermittelt ihr Thema wiederfindet. Als schließlich der routinierte Jogging-Weg zu einem vollkommen fremden Ort wird, weiß Alice Howland dass ein Arztbesuch unausweichlich wird.
Fast 15 Millionen Menschen leiden weltweit an Alzheimer, was ungefähr 60 Prozent aller Demenzkrankheiten ausmacht. Bei der Altersgruppe der 65 jährigen sind etwa zwei Prozent von der Krankheit betroffen, um die Siebzig herum, sind es schon drei Prozent an Betroffenen. Alzheimer ist eine Krankheit des Alters, vornehmlich. Deshalb geht Alice mit dem unguten Gefühl zum Arzt, sie könnte einen Tumor oder eine Entzündung haben. Sie ist 50, erfolgreiche Sprachwissenschaftlerin, mit drei erwachsenen Kindern und einem treusorgenden Gatten. Das Leben hat es gut gemeint mit Alice Howland, und deswegen ist sie auch zuversichtlich, einen Tumor ohne weiteres überstehen zu können. Doch es gibt unrühmliche Ausnahmen in welchem Alter die Krankheit ausbricht. Und Alice gehört zu diesen Ausnahmen.
Vincent MacKenna ist laut, ungehobelt und egozentrisch. Vincent hält nicht viel von Hygiene, ignoriert seine Schulden, und lässt bestimmt nicht die Finger vom Alkohol. Und wenn er einen Apfel am Obststand klaut, dann nur, um ihn irgendwo gegen die Wand zu schmeißen. Vincent ist offen und direkt, und nimmt nie ein Blatt vor den Mund. Vincent regt sich nicht auf, sagt dafür was und wie er es denkt. Er ist ein äußerst unangenehmer Mensch. Für seinen kaputten Zaun, den er selbst im Suff überfuhr, macht er gleich seine neue Nachbarin verantwortlich, die von Vincents Charakter so perplex ist, dass sie bereitwillig für den Schaden aufkommt. Wenn man also diese Figur mit dem verheißungsvollen Namen Bill Murray in Zusammenhang bringt, dann ist das eine sichere Wette. Keine Wette die Vincent gefallen würde, weil die Quote sehr niedrig wäre. Früher, da hätte Walter Matthau so eine Rolle treffsicher verkörpert, den Unsympath, den man einfach liebhaben möchte. Und Walter Matthau hat solche Rollen gespielt, sogar meisterlich, wie in EIN REIZENDER FRATZ. Irgendwie muss Filmautor Theodore Melfi genau diese Art von Film und Darsteller im Sinn gehabt haben, als er das Drehbuch verfasste. Und wenn man den Film etwas eingehender betrachtet, dann hat er tatsächlich diese Atmosphäre des altbekannten, nichts, was man nicht schon des Öfteren gesehen hätte.
Die Freiheit ist ein Geschenk, das sich nicht jeder gern machen lässt
Enthält minimale Spuren von Spoilern.
Irgendwann, als neulich der deutsche Filmpreis verliehen wurde, hat auch DAS FINSTERE TAL Preise eingeheimst, wurde sogar als der große Sieger verkauft. Ich muss ehrlich zugeben, dass mich der Deutsche Filmpreis nicht die Bohne interessiert, denn üblicherweise werden irgendwelche Geschichtsbewältigungs-Dramen ausgezeichnet, oder höchst unwitzige Komödien. In dem Bericht, den ich zufällig darüber im Fernsehen sah (unter anderem deswegen ein Zufall, weil ich TV eigentlich nur noch vom Wegsehen kenne), war aber auch ein kurzer Trailer enthalten, mehr ein Teaser. Das sah tatsächlich interessant aus – und dann mehrten sich die Stimmen, die DAS FINSTERE TAL als »Alpenwestern« bezeichneten, gar als »Genre-Film«. Und sowas in deutscher Sprache (es ist eine österreichisch-deutsche Koproduktion)? Ich war nun nicht so heiß darauf, mir den im Kino anzusehen, als der Preis für die BluRay allerdings kürzlich im Angebot unter zehn Euro fiel, wollte ich dann doch mal einen Blick riskieren, um festzustellen, ob die euphorisch klingenden Kritiken gerechtfertigt sind.
Eine Liste aller Filme um den bluttrinkenden Fürsten zu erstellen wäre mühsam, wahrscheinlich nicht komplett, und darüber hinaus von keinem größeren Nährwert. Sieht man sich auch nur ein grobes Gerüst von allen möglichen Dracula-Filmen an, dann fällt sofort die Unsinnigkeit in den meisten von ihnen auf. Waren NOSFERATU 1922 und DRACULA 1931 die erfolgreichen Grundlagen für die cineastische Verwertung der Mythengestalt, hielt er sich im Kino dennoch für länger eher im Dunkeln verborgen. Erst als Hammer mit HORROR OF DRACULA die Leinwand eroberte, begann die inflationäre Ausschlachtung des transsilvanischen Fürsten. War die Produktionsfirma Hammer anfangs noch zögerlich, schob sie nach und nach in immer kürzeren Abständen Futter für das dürstende Publikum nach. Andere Firmen versuchten der Blutspur zu folgen, schließlich war die Figur bereits frei von Rechten. Obskure Crossover gab es, genau wie eine für ein schwarzes Publikum zugeschnittene Blaxploitation-Version.
Als John Badham 1979 mit Frank Langella in der Hauptrolle erstmals eine korrekte Annäherung an den Roman von Bram Stoker versuchte, hatte das Kino dem vermeintlichen Interesse des Publikums längst einen Pfahl durchs Herz getrieben. Die durchaus gelungene Werner Herzog-Verfilmung NOSFERATU erntete nur aufgesetzten Spot, angeblich weil er sich an Murnaus Klassiker vergriff. Selbst als Francis Ford Coppola eine romangetreue Verfilmung ankündigte, lockte das niemanden aus dem Sarg. Das Publikum ließ sich allerdings überzeugen. BRAM STOKERs DRACULA wurde, vollkommen berechtigt, zu einem überragenden Erfolg. Mit dem Nachteil, dass sich erneut eine Welle an Dracula-Filmen aufzubauen begann. Als Universal Pictures ankündigte, für 2014 einen neuen DRACULA zu produzieren, da musste die erste Reaktion einfach nur sein: Warum?
Keine Werbung. Die gibt es nicht beim Sender ARTE, aber auch keine für seine Sendungen. Es mag sein, dass der deutsch-französische Spartenkanal sein Stammpublikum hat, aber das darf nie genug sein. Nicht für öffentlich-rechtlich finanzierte Sender. Diese dürfen nicht einfach nur stur ihrem Auftrag von Bildung, Unterhaltung und Information nachgehen, sondern müssen auch vermitteln das sie diesem Auftrag nachgehen, um wenigstens eine gewisse Akzeptanz beim ohnehin kritischen Zuschauer zu erreichen. In Sachen Unterhaltung wäre das zum Beispiel, dass man der Öffentlichkeit demonstriert, ein Wagnis einzugehen, wo andere Sender eher zurückhaltend reagieren. Immer wieder fällt auf, dass eine außergewöhnliche und auffallende TV-Produktion lange schon ein eigentlich alter Hut ist, weil diese bereits vorweg bei ARTE ausgestrahlt wurde. Andere Sender plakatieren zumindest ordentlich. ARTE tut dies nicht, eventuell um Geld zu sparen. Wäre löblich, aber kontraproduktiv. Wie bei RECTIFY, einer genialen Drama-Serie, die von sich durchaus behaupten kann, etwas wirklich eigenständig Neues auf den Bildschirm zu bringen.
Richtig populär geworden ist das Fantasy Filmfest bei Genrefreunden, wegen des unerschütterlichen Eifers, besser zu sein als andere Filmfeste. An der steigenden Begeisterung für das Fest kamen schließlich auch die Verleiher nicht vorbei. Das Fantasy Filmfest wurde zu einer unbedingt förderungswürdigen Institution. Weltpremieren wurden gefeiert, Testvorführungen veranstaltet, Previews lange vor Kinostart. Der Veranstalter Rosebud Entertainment ließ von nicht wenigen Filmen, die überhaupt keinen Verleiher gefunden hatten, extra für das Filmfest 35mm-Kopien anfertigen. Das sorgte nicht nur für Aufsehen bei Horror- und Thrillerfans, sondern auch für größtmögliche Akzeptanz.
Von den über sechzig Filmen in diesem Jahr konnte ich persönlich nur sechzehn Vorstellungen besuchen. Die Auswahl fiel entsprechend schwer, und terminlich verpasste man bisweilen die ein oder andere Perle. Vielleicht. Denn gab es in den letzten Jahren immer wieder diese sogenannten Perlen, sehr überdrehte, sehr blutige oder sehr begehrte Filme, hatte man 2014 irgendwie das Gefühl, dass Besonderheiten außen vor blieben.
Acht Freunde sitzen gemütlich bei ein paar Gläsern Wein. Die Stimmung ist gelöst, es wird geplaudert, es wird gelacht. Das alles überspannende Thema ist natürlich der Komet, der so nah an der Erde vorbei zieht, wie kein Komet zuvor. Hat dieser Komet Auswirkungen auf irgend etwas? Wer kann das schon sagen. Es wird weiter getrunken und gelacht. Dass ohne erfindlichen Grund plötzlich ein Smartphone kaputt geht, sorgt noch eher für Erheiterung. Doch als nach einem kurzem Stromausfall nur ein einziges weiteres Haus in der Straße Strom zu haben scheint, werden die Freunde argwöhnisch. Die Telefone sind tot. Um die Bewohner des anderes Hauses nicht zu erschrecken oder zu verunsichern, schreibt man einen Zettel, mit der Bitte ihr Telefon benützen zu dürfen. Als die Boten aufbrechen wollen, hängt exakt dieser Zettel an der eigenen Haustür.
Was James Ward Byrkit hier entworfen hat, geht weit über das hinaus, was Science Fiction in den letzten Jahren seinem Publikum zugemutet hat. Wenn man von Science Fiction sprechen kann. Modern geworden ist ja das Wort
Mindfuck. Sollte dieses Wort jemals eine Rechtfertigung benötigen, dann findet es diese in COHERENCE. Es ist kein Film für einen sinnbefreiten Abend oder einfach mal zum abschalten. Byrkit verlangt die volle Aufmerksamkeit seiner Zuschauer, und die ist ihm auch gegeben. Denn das sich entwickelnde Szenario ist derart spannend, dass sein Publikum unwillkürlich in jeder Minute versucht, das Rätsel selbst zu entschlüsseln. Aber es wird den wenigsten gelingen. Denn glaubt man die Geschichte endlich durchschaut zu haben, schiebt Byrkit immer eine weitere, noch wildere Ebene von Gedankenspiel hinterher.
Dass BREAKING BAD nicht zu wiederholen sein dürfte, ist den Obersten bei AMC durchaus bewusst. Doch etwas einfallen lassen müssen sie sich. Der Sender, der früher nur American Movie Classics spielte, hat sich mit waghalsiger Energie zu einem der führenden US-Serien-Produzenten gemausert. Nicht zum erfolgreichsten, aber sicherlich zum beliebtesten Sender.
In einer Folge von HALT AND CATCH FIRE sagt jemand zu der Hauptfigur Joe MacMillan, »das Ding, das du durchziehst, macht die Leute neugierig, aber du kannst sie damit nicht halten«. Ein Satz, der den Bossen von AMC wie eine Warnung erschienen sein mag, wenn sie zum Entsetzen des Publikums ihre Serien immer wieder der Gefahr aussetzen, an Qualität drastisch zu verlieren. WALKING DEADs Frank Darabont war der erste Showrunner, der nach der ersten Staffel die Segel strich, weil sich AMC mit ihm überworfen hatte. Und tatsächlich war es der zweiten Staffel auch anzumerken. Ohne daraus zu lernen, legten sie sich schließlich mit Matthew Weiner an, der MAD MEN erfunden und produziert hat, eines der Zugpferde neben BREAKING BAD und WALKING DEAD. Weiner war geblieben und führt nun seine Serie erfolgreich zu ihrem dramatischen Ende. Doch was dann? BREAKING BAD bekommt mit BETTER CALL SAUL ein Spin-Off, welches vom Konzept her sehr vielversprechend ist. Für MAD MEN sollte nun HALT AND CATCH FIRE die zu erwartende Lücke füllen.
THE YOUNG AND PRODIGIOUS T.S. SPIVET – Bundesstart 10.07.2014
Im Schnitt macht Jean-Pierre Jeunet alle vier Jahre einen Film. Bunte Filme, abstrakt, märchenhaft, aber immer mit einem düsteren Schuss. In seinem siebten Langfilm mit dem irreführenden Titel DIE KARTE MEINER TRÄUME, ist das düstere Moment der Tod des Zwillingsbruders vom zehnjährigen T.S..
Die Verschrobenheit von T.S. ist seine Intelligenz, alles muss er kartographieren, oder er arbeitet an wissenschaftlichen Experimenten. Eigentlich wäre da T.S. bei seiner Familie auf der Copperpot Ranch in Montana bestens aufgehoben. Seine Schwester ist lediglich an Schauspielunterricht und an Miss America-Wettbewerben interessiert. Die Mutter hat sich in ihrer Insektenforschung verloren. Der Vater ist ein Cowboy ganz alter Schule, der, so meint T.S. in seinen Off-Kommentaren, 100 Jahre zu spät geboren wurde. Und dann ist da natürlich noch der Familienhund, der die meisten Macken auf sich vereint, zum Beispiel Blecheimer fressen. Aber T.S. Spivet ist trotz seiner überragenden Auffassungsgabe ein zehnjähriger Junge, und so fühlt er sich von allen missverstanden und ungeliebt, zudem er selbst die Welt noch nicht wirklich versteht. Dann erfindet T.S. auch noch das Perpetuum Mobile und soll vom Smithsonian Institute einen renommierten Preis überreicht bekommen. Ohne seine Familie zu informieren, beginnt T.S. kurzerhand eine abenteuerliche Reise nach Washington.
Es gibt Filme, die unterfliegen einfach den Radar, obwohl der Name Tom Hardy mittlerweile kein unbekannter mehr ist. Waren seine bisherigen Filme von wechselnder Qualität, war es sein Schauspiel nie. Und die Ausgangssituation von NO TURNING BACK verlangt nach einem Charakterdarsteller mit der notwendigen Präsenz. Schon Hitchcock verließ über einen gesamten Film nicht das Rettungsboot, Colin Farrell konnte nicht aus einer Telefonzelle, und Ryan Reynolds zeigte seine bisher beste Leistung allein in einem Sarg. Regisseur und Autor Steven Knight setzt Tom Hardy in einen BMW und schickt in auf den Weg von Birmingham nach London. Der Routenplaner gibt an, dass für die Strecke Birmingham / London 85 Minuten von Nöten wäre. NO TURNING BACK hat deswegen nicht von ungefähr eine Laufzeit von 85 Minuten.
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