Was ist eigentlich das Fediverse?
Ich möchte an dieser Stelle nochmal darüber berichten, was dieses ominöse Fediverse eigentlich ist, von dem die meisten Social Media-Nutzer°Innen vermutlich noch nie etwas gehört haben. Anlass ist wieder einmal, dass die bisherigen sogenannten Sozialen Medien seit der Trump-Anuskriecherei von Musk und Zuckerberg nicht nur inakzeptabel geworden sind, weil sie Hass, Hetze und Diskriminierung unreguliert zulassen, sondern auch, weil dort Datensammlungen unermesslichen Ausmaßes angelegt werden, nach denen sich jede Fascho-Regierung die Finger leckt.
Dazu kommt die kürzliche Aussage eines Meta-Mitarbeiters, dass alle Opt-Out-Optionen die eingerichtet wurden, um europäischem Datenschutzrecht zu genügen, reine Makulatur sind und exakt nichts bewirken, die Daten werden dennoch gesammelt, was klare Rechtsverstöße darstellt. Offensichtlich fühlt Zuckerberg sich sicher, damit durchzukommen.
Es bleibt eigentlich nur noch, die Plattformen Facebook, instagram, Tiktok und Xitter zu verlassen (tiktok sowieso, denn wenn man seine Daten irgendwo garantiert nicht haben möchte, dann in China, mal ganz davon abgesehen, dass tiktok Posts von Rechten präferiert und besonders gern anzeigt). Bei Xitter (also X, früher Twitter) passiert das schon lange, seit Elon Musk es zu einer rechten Propaganda-Plattform umgebaut hat, die Nutzer flüchten in Scharen; dasselbe passiert gerade bei Meta, nachdem Zuckerberg dasselbe für Facebook und instagram angekündigt hat.
Bluesky ist keine Alternative, denn auch Bluesky ist ein Walled Garden unter Firmen- und Investorenkontrolle, da kann die Überwachung und die Enshittification genauso schnell starten wie bei den anderen. Cory Doctorow schrieb, Bluesky sei »eine coole Party in einem brennenden Haus ohne Ausgänge«.
Aber kommen wir endlich zum Fediverse, der Begriff ist ein Kofferwort aus Federation und Universe. Gemeint ist damit eine Anzahl von social Media-artigen Plattformen wie beispielsweise Mastodon (die bekannteste), Pixelfed (der instagram-Alternative die seit Zuckerbergs Ankündigungen durch die Decke geht), Friendica oder Misskey. Diese Plattformen unterscheiden sich durch die Darreichungsform und auch durch die Optionen, die den Nutzer°innen zur Verfügung stehen. Bei Misskey beispielsweise hat man viel mehr Optionen, um sein Onlineleben zu organisieren als bei Mastodon, dafür ist das dann natürlich auch etwas komplizierter in der Bedienung.
Der ganz große Vorteil des Fediverse ist aber, dass im Gegensatz zu den plattformkapitalistischen Sozialen Medien, hier alle Plattformen miteinender »reden« können.
Oder anders: Es ist egal, für welche Plattform im Fediverse ich mich entscheide, ich kann Menschen auf anderen Plattformen folgen und mit ihnen interagieren. Und das ohne jeglichen Algorithmus und vor allem ohne Überwachung und ohne bezahlte Werbung. Und wer auf Apps steht: Entweder sind schon die Webseiten uneingeschränkt mobiltauglich und ergonomisch, oder man kann sich unter einer Vielzahl vorhandener Apps eine aussuchen, die einem gefällt.
Man muss also nicht ein Konto bei Mastodon, eins bei Pixelfed und eins bei Friendica anlegen, um unterschiedliche Zielgruppen zu bedienen. Alles ist interoperabel, kann miteinander reden und Nachrichten austauschen. Aber selbstverständlich steht es einem offen, verschiedene Personas auf unterschiedlichen Plattformen anzulegen, beispielsweise einen Ego-Account bei Mastodon und einen weiteren fürs Fotografie-Hobby bei Pixelfed.
Das Fediverse ist dezentral, das bedeutet, es ist ein Verbund aus ganz vielen Servern mit den eben genannten Applikationen, die alle miteinander vernetzt sind. Es gibt keinen zentralen Anbieter, jede und jeder kann theoretisch einen Fediverse-Server in Betrieb nehmen. Damit ist das Fediverse nicht in der Hand eines einzelnen Milliardärs, sondern erinnert durch die Dezentralisierung an das »alte« Internet, bevor uns skrupellose, faschistische Plattformkapitalisten in ihren Plattformen gefangen genommen haben.
Das Fediverse gehört allen.
Ich höre immer wieder »das ist mir zu kompliziert«. Das ist es nicht. Für den Anfang würde ich es mal mit einem Mastodon-Konto auf mastodon.social, mastodon.online oder beispielsweise nrw.social probieren. Einfach die Adresse aufrufen und ein Konto anlegen. Fertig. Das ist nicht komplizierter als Bluesky oder Facebook.
Dort fängt man dann an, Profilen zu folgen, die man kennt. Man findet die über die Suche und durch Kommunikation eben auch auf den »alten« sozialen Medien, denn die, die dort weggehen, tun das in aller Regel kund. Bis man ein paar Profilen folgt, ist die Timeline natürlich noch leer, da man eben nicht mit Inhalten zugeballert wird, die einen nicht interessieren.
Wenn jeder einen Server betreiben kann, können das nicht auch Rechte? Ja, das können sie und das tun sie. Jede Server-Betreiberin kann aber eine Blockliste anlegen, die verhindert, dass bestimmte andere Server auf den eigenen Server föderiert werden. Es gibt Community-gepflegte Blocklisten mit Servern, die rechtswidrige Inhalte teilen und die kann man auf dem eigenen Server einbinden.
Und wenn mein Serverbetreiber fragwürdig agiert, Overblocking betreibt oder seinen Dienst einstellt? Dann zieht man sein Konto um. Es gibt eine vergleichsweise einfache Möglichkeit, sein Profil zu einem anderen Server zu migrieren. Die Profile denen man folgt und die einem folgen ziehen dabei einfach mit um.
Was man wissen sollte: Im Fediverse wird großer Wert auf sogenannte Alt-Texte gelegt. Was das ist? Einfach: Wenn man ein Bild hochlädt, dann beschreibt man den Inhalt dieses Bildes in einem Text für Blinde oder sehbehindert Personen. Ja, das ist ein wenig Aufwand, aber hilft diesen Personen enorm. Und es gibt erste Lösungen von Bots, die dabei helfen und KI-basierte Inhaltsbeschreibungen automatisiert an die Bilder anhängen können. ich erwähne das nur, weil immer wieder Personen, die neu ins Fediverse kommen, vergrätzt sind, wenn sie darauf hingewiesen werden, doch bitte Alt-Texte zu verfassen.
Was ebenfalls wichtig ist, weil es Neue verwirren kann: Wenn man anfängt, Profilen zu folgen, dann kann es durch die Föderation und aus anderen technischen Gründen, die für diesen Artikel zu kompliziert sind, schon mal etwas dauern, bis man Posts angezeigt bekommt. Also mal entspannt zurücklehnen und eine halbe Stunde oder eine Stunde warten.
Neben den Micro- und Macroblogging-Plattformen gibt es noch einen Haufen weitere Applikationen im Fediverse, wie Lemmy als Reddit-Klon, Bookwyrm als Alternative zu Goodreads und Lovelybooks, forenartige Angebote wie Yuforium, Event-Ankündigungen via Mobilizon, Musik via Funkwhale, Langvideos via Peertube, Kurzvideos über Loops (brandneu) und vieles, vieles mehr. Und alles, aber wirklich alles kann »miteinander reden«.
Gibt es Nachteile? Ja sicher. Erstens sind auch im Fediverse Menschen. Der Umgang dort ist um Längen besser als auf den alten Sozialen Medien, aber auch hier gibt es natürlich Trottel (männliche Form mit voller Absicht). Besserwisserische Linux-Bros, arrogante Entwickler oder politische Dumpfbacken, um nur mal ein paar zu nennen. Das ist aber alles um Längen weniger schlimm als anderswo, im Allgemeinen hat sich ein eher respektvoller Umgang miteinander entwickelt. Das könnte sich natürlich ändern, je mehr Leute ins Fediverse kommen, aber es bleiben auch immer noch die Optionen, nervige Profile stummzuschalten oder zu blockieren.
Was im Moment noch nicht plattformübergreifend funktioniert, sind private Gruppen. Misskey und dessen Forks beherrschen das ebenso wie Friendica, Mastodon allerdings noch nicht, das ist der große Hemmschuh. Allerdings steht das für Mastodon auf der Roadmap und ist dort als »bereits in Arbeit« gekennzeichnet.
Weitere Informationen beispielsweise im joinfediverse-Wiki (englisch) oder bei Digitalcourage (deutsch). Eine Suche in der Suchmaschine der eigenen Wahl kann ebenfalls eine Menge zutage fördern (vielleicht nicht Google, denn auch bei Google sitzen Trump-Fans und Google bestimmt, was man im Internet zu sehen bekommt …).
Geht weg von den skrupellosen Faschisten. Kommt ins Fediverse. Wir haben Kekse.
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Headerbild: Kiwi, die joinfediverse.wiki-Eule von David Revoy, CC-BY