In der FAZ erschien soeben ein Kommentar der sich in leicht jammerndem Ton damit auseinandersetzt, dass Verlage und Autoren Bücher nicht mehr veröffentlichen, weil sie Angst vor »Cancel Culture« und »Webmobs« haben.
Ich werde der FAZ an dieser Stelle keine zusätzliche Sichtbarkeit durch einen Link schenken, aber ihr dürftet den Text leicht finden, wenn ihr in der Suchmaschine eurer Wahl nach »CANCEL CULTURE: Schriftsteller vor dem Sittengericht« und »FAZ« sucht.
Mein Kommentar zum Kommentar:
Das unerträglich strunzkonservative Blatt FAZ halte ich nicht für ein geeignetes Medium, um sich mit dem Thema objektiv auseinander zu setzen. Wenn irgendwelche Personen oder Verlage irgendwas nicht veröffentlichen, dann ist der Grund dafür auch nicht in irgendeiner angeblichen »Cancel Culture« zu suchen, sondern liegt in der Verantwortung der Personen und Verlagsverantwortlichen. Das dann vorauseilend hypothetischen »Webmobs« anlasten zu wollen, die damit aber auch gar nichts zu tun haben (können), halte ich für eine äußerst armselige Begründung.
Zuletzt möchte ich LeVar Burton zitieren, der kürzlich sagte »Wir haben keine ‘Cancel Culture’, sondern eine ‘Consequence Culture’ «. Also dass Personen neuerdings mit den Konsequenzen ihres Handelns und Redens leben müssen. Auch solche, die das aufgrund ihrer Privilegien bisher nicht mussten. Das passt denen natürlich nicht und dann fangen sie an zu jammern.
p.s.: Es gibt keine »Cancel Culture«. Das ist ein Kampfbegriff von Personen, die weiter diskriminieren möchten.
In der FAZ lässt sich ein Günter Hack länglich, also im tl;dr;-Stil darüber aus, dass wir eine »neue Science Fiction« benötigen. Dieses Traktat wird angereichert mit unerträglichen Schlausprech-Füllwörtern und arbeitet sich an den ach so coolen SF-Werken der 70er und 80er ab (Disclaimer: ich habe nichts gegen die, ganz im Gegenteil, aber es wurde auch danach noch cooles Zeug geschrieben). Die verblüffende Forderung ist, zumindest so wie ich das aus dem Artikel und der Überschrift entnehme, dass die SF-Autoren jetzt endlich mal reinhauen sollen, um Werke zu schaffen, die Kontrapunkte zu den orwellschen Überwachungskonstrukten, die uns alle umgeben, beschreiben.
Ich bekomme spontan tiefe Griffspuren an der Stirn und pflanze größere Mengen an Gesichtspalmen. Und das wird im Laufe des Artikels auch nicht mehr besser, wenn mir beispielsweise ein Bildeinschub verklickern will, dass Philip K. Dick mit BLADE RUNNER das Genre »Cyberpunk« schuf (für Interessierte: Der Titel der Vorlage lautete TRÄUMEN ANDROIDEN VON ELEKTRISCHEN SCHAFEN, weicht deutlich von BLADE RUNNER ab und ist auch nicht wirklich Cyberpunk, wenngleich man davon ausgehen kann, dass Autoren wie Gibson oder Sterling sich davon inspirieren ließen). Jedem, der auch nur ansatzweise Ahnung vom Thema hat, sei es nun SF oder Cyberpunk, muss es an dieser Stelle das Hirn verzwirbeln. Insbesondere, wenn danach ausführlich über Gibson doziert wird. Oder wie damals[tm] die Autoren alles schon vorhergesehen haben.
Jaja, der Börsenverein des deutschen Buchhandels, so ist er. Immer ganz weit vorne dabei, wenn es gegen angebliche Urheberrechtsverletzungen Dritter geht (und meint dabei tatsächlich nicht die Rechte der Urheber, sondern der Verwerter). Da wird gegen Raubmordterrorkopierer gewettert, dass einem die Ohren schlackern. Nur selbst sieht man das mit dem Urheberrechts offensichtlich nicht so eng.
Der Onlinehändler buch.de hatte Rezensionen aus der FAZ ganz oder teilweise abgedruckt, die Zeitung war dagegen gerichtlich vorgegangen. Nun hätte man annehmen können, dass der Fall eindeutig ist: das Urheberrecht liegt beim Autoren, das Verwertungsrecht (vermutlich via total buyout des Urhebers, wie in der Zeitungsbranche üblich) liegt bei der FAZ. Doch beim Branchenverband sah man das anders. Ein Gerichtsurteil trieb dem Börsenverein (mir gegenüber haben Autoren neulich geäußert, dass man ihn spaßeshalber inzwischen auch den »Bösenverein« nennt) seine Flausen aus. Das Urteil ist eindeutig – und auf der Webseite des Börsenblattes zeigt man sich ob des nicht unerwarteten Ergebnisses (Urheberrechtsverstoß, Ordnungsgeldes in Höhe von 250000 Euro, alternativ Haft) maulig. Denn:
Bedauerlich ist, dass das symbiotische Miteinander von Buch- und Presseverlagen bei der Verwendung von Rezensionen nach diesem Urteil faktisch aufgekündigt ist.
Ach so. Was sie anderswo als (Sarkasmus on) unerträgliches, geradezu todeswürdiges Verbrechen verdammen (Sarkasmus off) – nämlich das nichtlizensierte Kopieren von Inhalten – ist wenn es ihre Mitglieder tun auf einmal ein »symbiotisches Miteinander«. Ich komme aus dem Lachen heute gar nicht mehr raus …
Besonders interessant finde ich die Argumentation der Börsenvereins-Rechtsverdreher-Juristen:
[…] Im Übrigen entspreche die Verwendung von Rezensionsauszügen und Rezensionen – unabhängig von ihrer prinzipiellen urheberrechtlichen Schutzwürdigkeit – einer »langjährigen, bisher von allen Beteiligten akzeptierten oder zumindest geduldeten und infolgedessen zum Gewohnheitsrecht erstarkten Branchenübung.«[…]
Verstehe. Weil man das seit Jahrzehnten so handhabt, ist es also quasi gottgegebenes Recht. Na denn, ich kopiere auch schon mein ganzes Leben Dinge …
Wer heute die Webseite der FAZ aufsucht, der konnte dort einen Feuilleton-Artikel mit dem Titel »Fehlt nur noch eine Hüpfburg« finden, der von pseudo-intellektueller Arroganz nur so strotzt. Schon der Teaser haut dem Leser die Meinung des Verfassers in deutlichen Worten um die Ohren:
Die Buchmesse wird langsam, aber sicher zur Spielzeugmesse: In Frankfurt sah man ein Fanal dessen, was passiert, wenn eine markthörige Branche ihren Kern verleugnet und sich infantilisiert.
»Infantilisiert« – ah ja … In diesem Tenor geht es weiter, wenn sich der Autor des Artikels über jüngere Fans und bunthaarige Cosplayer auslässt, als seien die der Untergang des literarischen Abendlandes. Wem das noch nicht genug ist, der kann im weiteren Verlauf des Traktats in herablassend wirkenden Worten erfahren, dass es auch eine Neuauflage zum HOBBIT gibt, um dessen Präsentation sich die oben genannten Bunthaarigen und zudem Kinder mit Zauberumhängen sammeln. Shocking! »Es fehlt nur noch eine Hüpfburg« lautet eine Quintessenz Ralf Jan Wieles, bevor er dann beginnt, sich in Vorurteilen über Selfpublisher und deren vorgebliche Amateurhaftigkeit zu ergehen, am Rande werden fast versteckt eReader als »Spielkonsolen« abgekanzelt.
Diese Erdenmenschen lassen sich den letzten Mist andrehen
Der gesamte Artikel atmet einen angestaubten Kulturchauvinismus und eine Arroganz von vermeintlichen und vor allem selbsternannten Kulturwächtern in den Feuilletons und ähnlichen Ghettos, beschwört den Irrglauben, dass Literatur gefälligst eine elitäre Beschäftigung für studierte Ahnunghaber zu bleiben hat, statt sich einem jungen Publikum zu öffnen und auch Popkultur nicht nur zuzulassen, sondern sich ihr mit offenen Armen zu nähern, um nicht in einer verlassenen, längst vergessenen Ecke stillschweigend und unbeachtet zu verscheiden. Dabei wird der Branche in pampigem Ton vorgehalten, dass sie sich an populäre Medien hängt, gar Crossmediales zulässt, statt sich, wie es sich laut der Meinung des Verfassers offenbar gehört, auf das Verlegen von untotem Holz mit toten Wörtern zu beschränken. Und da selbstverständlich nur literarisch vorgeblich »Hochwertiges« und Anspruchsvolles, wie den fünfhundertsten Roman über irgendeinen politischen motivierten Exodus oder eine Abhandlung über die Verfolgung lesbischer usbekischer Nonnen. Ohne geistige Hüpfburgen.
Von Sachkenntnis ist der Artikel übrigens nicht wirklich getrübt, weder kennt sich der Autor mit grundlegenden Fakten zum HOBBIT oder dem HERR DER RINGE aus, noch weiß er, dass Droemer – und damit neobooks, das nennt er fälschlich »Neo Book« – wie ePubli zur Holtzbrinck-Gruppe gehört. @cynx und @nothorse schreiben dazu auf Twitter:
@Cynx Je dicker die intellektuelle Hose, desto kleiner der Wissensschwanz.
Muss man diese verzweifelt intellektuell wirkende Weltfernheit in ihrer unerträglichen Arroganz eigentlich ernst nehmen? Wohl kaum. Lassen wir die Feuilletonisten in ihren Elfenbeintürmen mit den literarischen Spinnweben und dem Anspruchsschimmel kämpfen, während sie von da oben einen einsamen Blick auf das bunte Treiben zu Füßen ihres modrigen Habitats werfen. Und freuen wir uns darüber, dass man sich als moderner, vielfältig interessierter Mensch von solchen Engstirnigkeiten nicht beeinflussen lassen muss – und es in den Weiten des Webs deutlich interessantere, buntere und progressivere Orte gibt, als die verdorrten und weitestgehend verwaisten Reservate der Feuilletons. Werfen wir ihnen hin und wieder ein wenig Popkultur-Futter hoch, in das sie sich verbeißen können, damit wir ansonsten Ruhe vor den Anspruchs-Fetischisten haben.
Und wenn sie sich dereinst gelangweilt oder vereinsamt aus ihren Elfenbeintürmen stürzen, ziehen wir die Hüpfburg weg, okay? :o)
[cc]
Bild »Hüpfburg« von Peter Gugerell, aus der Wikipedia, gemeinfrei
Ich hatte vor Monaten schon einmal prophezeiht bzw. mir gewünscht, dass es dazu kommen würde: erwirbt man ein physikalisches Buch, bekommt man als Dreingabe das eBook gleich dazu. Über zwei Verlage, die das bald so handhaben, berichtet die FAZ am 5.12. – und man könnte in den Artikel Unglauben hinein interpretieren, ebenso Zweifel, ob das funktionieren kann.
Für die restlichen Verlage dürfte diese Ankündigung einen Schock und eine Kampfansage bedeuten, denn die spekulieren trotz der nebulösen und unbegründeten Angst vor Tauschbörsen (untermauert durch vorsätzlich falsch genannte Zahlen) immer noch auf den ganz dicken Reibach mit dem elektronischen Buch. Und verlangen Mondpreise, die sich aufgrund deutlich geringeren Aufwands in Sachen Druck oder Logistik geradezu grotesk ausnehmen.
Bei Haffmans & Tolkemitt und Rogner & Bernhard erhält man an ab dem Frühjahr das eBook als kostenlose Dreingabe dazu, wenn man das Hardcover erwirbt. Da das eBook laut FAZ auf »allen Lesegeräten« genutzt werden kann, ist davon auszugehen, dass es DRM-frei ist. Dabei ist der Preis des Hardcovers samt Zugabe nicht teurer als bei anderen Verlagen das physikalische Buch alleine. Warum sollte es auch? Gängige Satzprogramme (sogar solche für Laien) exportieren heutzutage auf einen Mausklick auch gleich die eBook-Version mit, der angebliche »Mehraufwand« für die Erstellung der elektronischen Varianten ist tatsächlich minimal.
Die FAZ schreibt:
Wie der stationäre Buchhandel Hardcover Plus aufnimmt und ob weitere Verlage dem für sie wenig profitablen Beispiel folgen werden, bleibt abzuwarten.
Ich frage mich: was soll diese Anmerkung uns ohne weiteren Kommentar sagen? Außer, dass der Autor mit dem Thema offensichtlich überfordert scheint? Für den Buchhandel ist das positiv zu werten, denn es ist für den Kunden ein überaus attraktiver Zusatznutzen, dass er sich das eBook durch einen Code im Buch einfach zusätzlich herunter laden und damit beide Buchvarianten je nach Anlass nutzen kann; die Bücher der Verlage werden dadurch für Freunde beider Medien deutlich interessanter und es lohnt sich dann auch wieder, mal ein gedrucktes Exemplar im Laden zu kaufen.
Ob weitere Verlage dem »wenig profitablen Beispiel« folgen? Das werden sie wohl müssen, denn ich bin sicher der Ansicht, dass es sich durchsetzen wird, weil es kundenfreundlich ist und vom Verbraucher angenommen werden wird. Na gut, von Kundenfreundlichkeit verstehen die weitaus meisten »Publikums«-Verlage in Deutschland insbesondere in Sachen eBooks momentan leider gar nichts.
Auch wenn man es bei der FAZ als Totholzmedium nicht einsehen möchte (weil das selbstverständlich am eigenen Geschäftsmodell knabbert): der gezeigte Weg ist genau der richtige. Und wenn jetzt sogar schon Libri melden muss, dass sie mehr Bücher absetzen als Hardcover oder Taschenbücher (nicht zusammen), dann bedeutet das meiner Ansicht nach entweder, dass sie insgesamt besch…eidene Verkaufszahlen haben, oder dass das eBook auch im Mainstream schon näher ist, als viele denken (wollen).
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