Edit Policy: Lobbyismus und Kampagnen – neues Gezerre um die Urheberrechtsreform
Hinweis: Der nachfolgende Text von Julia Reda (@senficon auf Twitter) erschien ursprünglich gestern auf Heise.de, dort allerdings hinter der brandneuen, unverschämten Paywall, die Tracking erzwingen möchte, wenn man die Heise-Beträge lesen will. Da der Text unter CC-BY 4.0 steht, habe ich ihn hier reproduziert.
Eigentlich schien die Verabschiedung der Urheberrechtsreform durch das Bundeskabinett am vergangenen Mittwoch ausgemachte Sache. Das Justizministerium hatte den Regierungsentwurf bereits der Presse vorgestellt, dann kam der Rückzieher in letzter Minute. Insidern zufolge ist der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet für die Verzögerung des umstrittenen Gesetzes verantwortlich, das die EU-Urheberrechtsrichtlinie mitsamt Uploadfiltern und Leistungsschutzrecht für Presseverleger in deutsches Recht umsetzen soll.
Diese Verzögerung nutzt Mathias Döpfner, Cheflobbyist des Bundesverbands der Zeitungsverleger BDZV und Vorstandsvorsitzender des Axel Springer-Verlags, für eine beispiellose Lobbykampagne, die den Vorschlag zulasten der Informationsrechte der Allgemeinheit an die Wunschvorstellungen der großen Verlage anpassen soll. Die Lobbystrategie basiert darauf, eine Debatte über die Macht von amerikanischen Digitalplattformen vom Zaun zu brechen, um den Anschein zu erwecken, die Forderungen der Presseverlage für die Reform des Urheberrechts dienten der Einhegung der Macht von Google, Facebook und Co. Eine öffentliche Debatte über den Schaden von Uploadfiltern und Leistungsschutzrecht für die Grundrechte der Nutzer:innen soll dadurch vermieden werden. Genau so war es in einer internen Lobbystrategie des BDZV und der Verwertungsgesellschaft VG Media nachzulesen, die Netzpolitik.org kurz nach Verabschiedung der EU-Urheberrechtsreform öffentlich gemacht hat.
Kampagne soll wirtschaftliche Interessen verschleiern
Darin heißt es: »Das Anliegen der Absender und ihrer Rechteinhaber, Komponisten, Musik- und Presseverleger, Autoren sowie der Sendeunternehmen und ihrer jeweiligen Einzelurheber wird unter anderem, aber nicht hervorgehoben, erwähnt. Dieses Problem wird als eines unter vielen, vielleicht auch noch größeren, dargestellt. Nur auf diese Weise vermeiden wir den Hinweis von Kritikern, es gehe uns nur um die wirtschaftlichen Interessen unserer Medienunternehmen, Rechteinhaber und Urheber.«
Genau nach diesem Muster vermischt Döpfner aktuell die Urheberrechtsreform mit sachfremden Themen, etwa einem Streit zwischen Google und Facebook mit einer australischen Wettbewerbsbehörde, der mit dem Urheberrecht gar nichts zu tun hat, und dem Ruf nach einem Verbot personalisierter Werbung auf Online-Plattformen – ein Framing, das selbst in der Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen unkritisch übernommen wurde.
Die Forderung nach der Werberegulierung ist nicht nur deshalb perfide, weil der Verband der Presseverleger, dessen Präsident Döpfner ist, durch Lobbying in Brüssel Seite an Seite mit den Online-Plattformen und Telekomkonzernen seit Jahren jegliche Regulierung des Online-Trackings durch die ePrivacy-Verordnung blockiert. Die Forderung ist auch ein Rückschritt gegenüber den Plänen zahlreicher Europaabgeordneter, die sich für ein allgemeines Verbot von personalisierter Werbung mittels Tracking und Targeting einsetzen, das – anders als von Döpfner gefordert – natürlich auch für Presseverlage wie Axel Springer gelten muss, dessen Onlineangebot Welt.de selbst mit gezielter Manipulation versucht, unsere persönlichen Daten abzugreifen.
Vor allem versucht Döpfners Kampagne durch plumpe Verknüpfung des Themas Werberegulierung mit der Urheberrechtsreform den Anschein zu erwecken, dass alle, die sich angesichts des ausufernden Werbetrackings um ihre Grundrechte sorgen, logischerweise auch für Verschärfungen des Gesetzesentwurfs über Uploadfilter und Leistungsschutzrecht sein müssten. Dabei geht von den Forderungen der Verlage bei der Urheberrechtsreform im Gegenteil eine große Gefahr für die Grundrechte der Nutzer:innen aus.
Bundesregierung will Presseverlagen Zugriff auf Uploadfilter geben
Tatsächlich hat die Bundesregierung den Presseverlagen bei der Urheberrechtsreform bereits enorme Zugeständnisse gemacht – bis an die Grenze der europarechtlichen Zulässigkeit. Anders als durch die EU-Richtlinie vorgesehen sollen Presseverleger nach dem deutschen Entwurf nämlich ihr Leistungsschutzrecht auch mittels Uploadfiltern durchsetzen können. Das ist eine enorme Gefahr für die Informationsfreiheit, weil Presseartikel noch viel häufiger als jede andere Medienform legale Zitate fremder Werke enthalten. Werden Presseartikel in einen Uploadfilter eingespeist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass fälschlicherweise andere Texte gesperrt werden, die dasselbe Zitat enthalten – beispielsweise wenn viele Medien unabhängig voneinander dasselbe Zitat aus einer Rede der Bundeskanzlerin wiedergeben. Die Sperrung legaler Inhalte, so lauten die Vorgaben aus Artikel 17 der EU-Richtlinie, muss der deutsche Gesetzgeber bei seiner Umsetzung in nationales Recht aber verhindern.
Man könnte nun erwarten, die Verlegerverbände würden sich aus der Debatte um die Umsetzung von Artikel 17 heraushalten, damit niemand ihren Coup bemerkt, dass sie laut Regierungsentwurf von den Uploadfiltern profitieren sollen, die für sie durch den europäischen Gesetzgeber gar nicht vorgesehen waren. Doch das Selbstbewusstsein des BDZV, politische Forderungen an die Bundesregierung diktieren zu können, kennt offenbar keine Grenzen. Den Verlegern ist insbesondere eine Regelung des Gesetzesentwurfs ein Dorn im Auge, die die automatische Sperrung legaler Inhalte verhindern soll. Ein erster Diskussionsentwurf aus dem Sommer sah noch vor, dass geringfügige Nutzungen geschützter Werke, etwa die Wiedergabe von weniger als 1000 Zeichen eines Textes, pauschal legalisiert werden sollten. Plattformen sollten dafür eine Vergütung zahlen. Prompt wurden die Print-Zeitungen mit empörten Meinungsbeiträgen aus der Verlagsbranche geflutet, die von Enteignung oder gar der »Tausend-Zeichen-Enthauptung« sprachen, weil die Bundesregierung es wagte, Ausnahmen von einer Regelung vorzusehen, von der Presseverlage laut Europarecht eigentlich überhaupt nicht profitieren dürften.
Die 160-Zeichen-Farce
Die Bundesregierung hat auf diese Kampagne bereits reagiert und hat die Ausnahme inzwischen radikal zusammengekürzt: Nach dem Regierungsentwurf sollen nur noch solche Inhalte vor einer automatischen Sperrung bewahrt werden, die weniger als die Hälfte eines fremden Werks enthalten und diesen Ausschnitt mit anderen Inhalten kombinieren, wobei der Ausschnitt nicht mehr als 160 Zeichen umfassen darf. Von einer Legalisierung dieser Nutzungen ist überhaupt nicht mehr die Rede, die Uploads gelten nach dem aktuellen Entwurf nur noch als »mutmaßlich erlaubt« und dürfen deshalb nicht vollautomatisch ohne menschliche Prüfung gesperrt werden. Einer nachträglichen Entfernung, sollte es sich bei einer solchen Nutzung doch um eine Urheberrechtsverletzung handeln, steht dagegen nichts im Wege.
160 Zeichen sind so lachhaft wenig, dass damit nicht nur Zitate durchschnittlicher Länge (rund 300 Zeichen) oder die Wiedergabe eines einzelnen Tweets (280 Zeichen) unmöglich gemacht würden. Selbst der Name der EU-Urheberrechtsrichtlinie, voll ausgeschrieben, umfasst 220 Zeichen – wir können uns also auf die automatische Sperrung von Uploads gefasst machen, die überhaupt nicht aus fremden Artikeln zitieren, sondern einfach den Namen eines Gesetzes erwähnen, der ebenfalls in geschützten Presseartikeln auftauchen könnte. Wer die automatische Sperrung von Texten bei einer so geringen Übereinstimmung erlaubt, riskiert massive Kollateralschäden für die Informationsfreiheit und ein unüberschaubares Uploadfilter-Chaos.
Warum die Presseverleger überhaupt auf das äußerst gefährliche Instrument der Uploadfilter zurückgreifen können sollen, ist dabei völlig unverständlich, hatten die Verfechter:innen des Leistungsschutzrechts doch stets beteuert, es gehe ihnen nicht um eine Behinderung des Informationsflusses, sondern um die Einholung von Lizenzen von Plattformen – allen voran Google, dessen Such- und Nachrichtenfunktionen von der Uploadfilter-Regelung aber ohnehin ausgenommen sind. Das Lobbying der Presseverlage gegen die Bagatellgrenzen ist auch deshalb völlig fehl am Platze, weil diese nur für Uploads gelten, die nichtkommerziell sind oder nur geringe Einnahmen erzielen. Solche privaten oder nichtkommerziellen Nutzungen durch Einzelpersonen sind aber ohnehin vom Geltungsbereich des Leistungsschutzrechts für Presseverleger ausgenommen.
CDU macht sich von Lobbyinteressen der Verlage abhängig
Angesichts der aktuellen Medienkampagne von Mathias Döpfner ist nicht damit zu rechnen, dass die Presseverlage an einem fairen Kompromiss beim Urheberrecht interessiert sind. Selbst der Vorschlag der lächerlich niedrigen 160-Zeichen-Grenze wurde im Springer-Blatt BILD bereits als zu großzügig kritisiert, unter dem irreführenden Titel: »Streit um Urheberrechte: Google und Facebook drohen mit Netz-Sperre«. Bei der angeblichen Drohung einer »Netz-Sperre« handelt es sich tatsächlich um die Ankündigung von Google, seinen Suchdienst in Australien nicht mehr anbieten zu wollen, wenn dort ein Wettbewerbsgesetz verabschiedet wird, das Urheber- oder Leistungsschutzrechte mit keinem einzigen Wort erwähnt. Diese gezielte Desinformation der Öffentlichkeit hat bei Springer Methode. Ziel ist, den falschen Eindruck zu erwecken, bei der deutschen Urheberrechtsreform ginge die Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit von den Plattformen aus, nicht etwa von Leistungsschutzrecht und Uploadfiltern.
Es verheißt nichts Gutes, wenn sich die CDU unter neuer Parteiführung derart vor Döpfners Karren spannen lässt. Die Gunst der Boulevardblätter mag für Laschet überlebenswichtig erscheinen – trennen ihn doch nur noch seine schwächelnden Beliebtheitswerte von der Kanzlerkandidatur für die Union. Doch die CDU hat schon einmal den Fehler gemacht, die öffentliche Meinungsbildung im Netz zu ignorieren, als sie kurz vor der Europawahl 2019 vom Video »die Zerstörung der CDU« des YouTubers Rezo überrascht wurde und ein historisch schlechtes Wahlergebnis einfuhr.
Rezo hat sich gemeinsam mit anderen Influencer:innen, deren Millionenpublikum die Auflage der BILD bei Weitem übersteigt, mit konstruktiven Vorschlägen in die Debatte um die Urheberrechtsreform eingebracht. Im Streitgespräch mit FAZ-Herausgeber Knop um die Urheberrechtsreform lässt Rezo diesen alt aussehen.
Es ist jetzt an Laschet zu beweisen, ob er als neuer Parteivorsitzender die gescheiterte einseitige Urheberrechtspolitik zu Gunsten der Presseverlage fortsetzen will, oder ob er sich an das Wahlversprechen seiner Partei erinnert, das lautete: »Meinungsfreiheit stärken und Nutzer besserstellen, Urheber fair und effektiv vergüten, Plattformen einbinden und verpflichten – aber alles ohne Upload-Filter«. Sonst könnte die Union erneut davon überrascht werden, wie viele der Millionen Menschen, die Uploadfilter und Leistungsschutzrecht kritisiert haben, bei der Bundestagswahl im Herbst wählen dürfen.
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