Heute sind reale Geschäfte für immer mehr Menschen nur noch eine Art Musterausstellung: Man schaut sich die Dinge an, probiert sie aus, entscheidet sich und geht dann nach Hause und bestellt am Computer. Und wer noch einen Schritt weiter ist, der findet gleich im Netz den größten Musterkoffer überhaupt und füllt seinen Warenkorb dort. Das erspart ihm das Wochenendgedränge in der U‑Bahn und im Kaufhaus, und schon nach wenigen Tagen kommen die Sachen mit der Post ins Haus. Es ist kaum übertrieben, wenn man dieses Verhalten als eine Art Diebstahl betrachtet. Der stationäre Handel,egal ob mit Kleidung,Elektronik oder zum Beispiel Büchern, bezahltMiete, Arbeitskraft, Ausbildung und Know-how,um am Ende die richtige, angesagte, verlangte Ware im Geschäft auslegen und anbieten zu können. Dass sich dann Menschen ohne jede Kaufabsicht dieserMöglichkeiten bedienen, ist zwar nicht verboten, aber unanständig ist es doch. Und unklug ist es auch, denn natürlich führt der schrumpfende Umsatz zu abnehmenden Einkünften, und eines Tages wird die Tür an einem Samstagabend geschlossen und am Montagmorgen nicht mehr aufgemacht: Der Musterkoffer bleibt zu.
Da bleibt einem die Luft weg, oder? Wenn ich also die Entscheidung treffe, nicht beim einen, sondern beim anderen Händler meine Waren zu erwerben, dann bin ich in den Augen des einen ein Dieb? Das ist so dermaßen abstrus und weltfremd, dass sogar mir jede sarkastische Bemerkung im Hals stecken bleibt. Sehen wir uns doch mal ein Detail an (fehlende Leerzeichen wurden eingefügt):
Der stationäre Handel,egal ob mit Kleidung, Elektronik oder zum Beispiel Büchern, bezahlt Miete, Arbeitskraft, Ausbildung und Know-how, um am Ende die richtige, angesagte, verlangte Ware im Geschäft auslegen und anbieten zu können.
Arbeitskraft, Ausbildung und Know-How? Jung sollte sich mal aus seinem offenbar schlecht belüfteten Büro heraus begeben und persönlich einkaufen gehen, und das nicht nur beim Juwelier, Schampus- oder Leimhändler; dann würde ihm vielleicht auffallen, dass der Einzelhandel an (zu) vielen Stellen auf 400 Euro-Hilfskräfte umgestellt hat, die einem Gurken in die Hand drücken, wenn man Tomaten haben möchte. In den wenigsten Fällen erhalte ich gerade in Sachen Technik (oder Büchern) eine kompetente Beratung und die Ware, die ich möchte, findet sich in den Regalen gar nicht erst (gerade bei Büchern). Bestellen kann man die auch nicht, oder das dauert Tage, oder das Zeug ist dann dreimal so teuer wie beim Onlineversender (bei Büchern dank des Buchpreiskartells natürlich nicht). Da wird nicht das ausgelegt und angeboten, was verlangt ist, Herr Jung, und beraten werde ich dazu schon mal gar nicht. Oder falsch. Dann kann ich auch gleich online bestellen und bekomme das Zeug nach Hause geliefert. Der gruselige Service tun das seine dazu. Wer mal versucht hat, in der Gewährleistungszeit eine definitiv defekte Ware bei Saturn zurück zu geben, der weiß, wovon ich spreche. Ich lasse mich in Läden nicht mehr von unmotivierten Hilfskräften anmuffeln, weil ich es wage, sie nach etwas zu fragen oder weil ich meine Verbraucherrechte kenne.
Bevor er mich des Diebstahls bezichtigt, weil ich da kaufe, wo es das Angebot gibt, das ich möchte und wo das zudem auch noch deutlich preiswerter ist, sollte der Herr Jung vielleicht mal darüber nachdenken, ob man uralte Geschäftsmodelle nicht endlich mal den Realitäten anpassen sollte. Wer das nicht tut, der muss sich nicht wundern, wenn er Samstags ab- und Montags nicht wieder aufschließt. Vielleicht zeigt er mir mal einen Buchhändler, bei dem ich eBooks bekommen kann. Um genauer zu sein: welche, die ich auch möchte.
Die Schuld hierfür den Kunden zuschustern zu wollen, ist insbesondere in dieser dummdreisten Art eine Unverschämtheit – und das ist noch sehr freundlich ausgedrückt. Wenn das irgendwelche Sympathien wecken soll ist es nicht nur gründlich daneben gegangen, sondern dämlich. Vom Kauf irgendwelcher Produkte aus dem Verlag des Herrn Jung werde ich zukünftig jedenfalls absehen. Auch als eBook.
Mannmannmann.
Zum Rest des Artikels muss man sich ebenfalls kaum äußern. Wer die aktuellen Zahlen des Börsenverlags zum Thema eBooks kennt (dazu demnächst mehr), der weiß, dass die gesamte Branche sich verrechnet hat, was die Steigerung der Absatzzahlen angeht. Die sind nämlich deutlich höher als zuvor angenommen. Trotzdem sondert Jung noch solche Worthülsen ab:
Das E‑Book wird es schwer haben, die Konkurrenz zu einem schön gemachten Buch aus Papier, Farbe, Leim und Fantasie zu gewinnen
Nein, wird es nicht. Und darum geht es auch gar nicht, es gibt keinen Zwang zu entweder-oder. Aber lassen wir ihn vielleicht besser weiter in seinem Verlagsbüro am geliebten Leim vom kompetenten Händler schnüffeln. Sonst schreibt er womöglich noch weitere solcher Artikel … wer weiß, was wir außer Dieben noch alles sind …
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Quelle: diepresse.de, gefunden bei Leander via Cynx
Bild: Dieb von Colle »the Goalie« auf flickr, CC BY-NC
Die Wortwahl »Dieb« ist in der Tat einseitig, allerdings kann ich es gut verstehen, dass Einzelhändler sich verarscht fühlen, wenn Kunden sich in aller Ausführlichkeit eine Ware zeigen lassen (Technik z.B.) und dann wegen 5 Euro den Laden verlassen und online bestellen. Lustig wird es vor allem dann, wenn besagte Leute sich dann auf dem Berufsweg über die vielen LKWs ärgern, die ja »immer mehr werden« (wen wundert’s, die ganzen Online-Pakete müssen ja irgendwie von A nach B).
Und was Bücher angeht: Das ist ein unsinniges Beispiel. Deine Buchhandlung kann dir i.d.R. jedes Buch innerhalb 24 Stunden besorgen, heute anrufen, morgen abholen, wenn du z.B. eh in der Stadt bist. Schneller sind Amazon & Co auch nicht, ok, bequemer ist es vielleicht.
Aber dann bitte nicht über City-Verödung mit 1 Euro-Shops ärgern…
Ganz ehrlich: ich kanns nicht mehr hören. Das stimmt einfach nicht. Kleinverlagsware finden sie in ihren Verzeichnissen nicht. Englischsprachige Bücher kennen sie nicht oder wollen sie mir zu horrenden Preisen verkaufen. Wenn ich am Telefon was vorbestellen möchte, um nicht mehrmals in die Buchhandlung zu müssen, wissen sie nicht, welches Buch ich suche und fragen nach der ISBN. Woher soll ich die denn wissen? Das ist deren Aufgabe. Die nicht erfüllt wird. eBooks? Vollständige Fehlanzeige. Von wegen »unsinniges Beispiel«.
Ich habe zudem keine Lust, mich in der Buchhandlung wie einen Schwachsinnigen behandeln zu lassen, nur weil ich Phantastik lesen möchte.
Bin ich nicht. Wird Leuten, die auf dem Land wohnen auch nicht helfen.
Eine Buchhandlung in der ich auch E‑Books kaufen kann? Thalia. :)
Da gehe ich gemütlich in die Filiale, suche mir ein gedrucktes Buch aus, das zu einer Reihe gehört, die ich im Regal stehen haben möchte, setze mich mit einem Kaffee in die Sitzecke, lade mir die E‑Books, die ich suche direkt auf meinen Reader und nehme am Ende noch einen kleinen Schnickschnack zum Verschenken mit.
So muss Buch-Shopping sein, finde ich.
Ansonsten ist der Artikel des Herrn Jung totaler Blödsinn, der nur von fortschreitendem Realitätsverlust zeugt.
Die gleiche Tirade hätte er auch vor einigen Jahrzehnten absondern können, als Kaufhäuser und Ketten die Existenz der kleinen Händler bedrohten.
Letztendlich bestimmt der Kunde und sein Kaufverhalten den Markt und wenn die Anbieter sich dem nicht anpassen können oder wollen, dann verlieren sie ihre Attraktivität bei den Kunden.
Wie heißt es so schön? »Das Bessere ist des Guten Tod«.
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