Rant: Hallo Buchhandel, wie viele Wörter sollen wir denn bitte noch entfernen?

Lang­sam wird es wirk­lich klein­ka­riert und gar nicht mehr komisch. Alber­ne Aktio­nen von Tei­len des deut­schen Buch­han­dels im Zusam­men­hang mit dem (nicht so) neu­en Erz­feind Ama­zon gab es bekann­ter­ma­ßen in letz­ter Zeit zuhauf. Dazu auch wei­ter unten mehr. Zuerst ein­mal möch­te ich aber auf den gar graus­li­chen Fall von Con­ni ein­ge­hen. Con­ni ist ein jun­ges Mäd­chen und wohnt in einer Bücher­rei­he des Carlsen-Ver­lags für Her­an­wach­sen­de (Link zu Ama­zon. Ja, das ist Absicht, vol­le Absicht). Man soll­te den­ken, dass es äußerst sinn­voll ist, wenn das in den Büchern beschrie­be­ne Leben die Rea­li­tät der jun­gen Leu­te wider­spie­gelt und nicht irgend­wel­che über­kom­me­nen All­ge­mein­plät­ze aus dem letz­ten Jahr­tau­send, wie sie in den Köp­fen der ver­staub­ten Kli­schee-Buch­händ­le­rin im maus­grau­en Gewand viel­leicht noch pro­mi­nent vor­han­den sind. Falls es die gibt. Denn wie alle, die durch das Real Lifetm lau­fen, statt in Buch­hand­lun­gen lang­sam vor sich hin zu modern, wis­sen, hat sich das Leben nicht nur der Jugend durch das Inter­net zum Teil dras­tisch geän­dert. Spie­gelt sich das nicht in moder­nen Jugend­ro­ma­nen wie­der, dann könn­te die Kli­en­tel auf den Gedan­ken kom­men, dass man einen sol­chen alt­mo­di­schen Scheiß nicht lesen möch­te.  Und mit was? Mit Recht! Nun hat doch die­se Con­ni in ihrem ers­ten Buch tat­säch­lich einen Ama­zon-Gut­schein geschenkt bekom­men. Jeder, der halb­wegs kla­ren Geis­tes ist, weiß wie her­um er eine Maus hal­ten muss und dass man das Inter­net nicht aus­dru­cken kann, wür­de die­ses Detail ver­mut­lich schlicht­weg über­se­hen, weil: ein­fach viel zu nor­mal. Wie Goog­le nut­zen. Oder Twit­ter.

Nicht so jedoch Tei­le des deut­schen Buch­han­dels, die ein Zeter und Mor­dio anho­ben, wie man es ver­mut­lich nicht mehr ver­nahm, seit Guten­berg den Buch­druck erfand und die Kopis­ten in den Klös­tern aufs Bier brau­en umschu­len muss­ten, weil ihr Gekra­kel kei­ner mehr benö­tig­te. Was hier an Gift ver­spritzt wird, will man kaum glau­ben, zumin­dest wenn man halb­wegs klar im Kopf ist:

»Wir kön­nen hier in der Buch­hand­lung nur den Kopf schüt­teln« mei­nen etwa die Sor­ti­men­te­rin­nen Anne­ma­rie Schnei­der und Jut­ta Bum­mel von Eulen­spie­gel in Hoch­heim. »Wir gehen mit viel Enga­ge­ment in Kin­der­gär­ten und Schu­len, haben in die­ser Woche mehr als zehn Klas­sen­be­su­che hier im Laden, um Kin­der und Jugend­li­che für das Lesen zu begeis­tern und bekom­men jetzt so etwas zu lesen. Was hat sich das Carlsen-Lek­to­rat dabei gedacht?« Sie und wei­te­re Buch­händ­ler wol­len die­sen Band nun nicht mehr ver­kau­fen.

Und: man fasst es kaum, der Carlsen-Ver­lag kuscht vor die­ser dreis­ten Anma­ßung, über Inhal­te von Büchern bestim­men zu wol­len und wird den Pas­sus in Neu­auf­la­gen ent­fer­nen. Wir kön­nen hier bei Phan­ta­News nur den Kopf schüt­teln.

Um mal mit Kosh zu spre­chen: Und so beginnt es …

Denn: wie weit soll das noch füh­ren? Wel­che uner­wünsch­ten Wör­ter wer­den imper­ti­nen­te Buch­händ­ler, die offen­bar end­gül­tig weit jen­seits jeg­li­cher Rea­li­tät ange­kom­men sind, in Zukunft aus Büchern her­aus zwin­gen wol­len? (Ver­la­ge sind da übri­gens nicht außen vor, gera­de erst wur­den Otfried Preuß­lers Bücher »gerei­nigt«. Was wird als nächs­tes als »untrag­bar« oder »ver­al­tet« ent­stellt?) Mit wel­chem Recht führt man sich so auf? Mit wel­chem Recht will man Autoren und Ver­la­gen ein eige­nes ver­korks­tes und zutiefst ego­ma­nes Welt­bild auf­zwin­gen? Mit wel­chem Recht ent­schei­den Buch­händ­ler, was in Büchern ste­hen darf und was nicht? Es ist jedem frei­ge­stellt zu kau­fen, wo man möch­te. Ama­zon ist ein wei­te­rer Anbie­ter, der deut­lich kun­den­freund­li­cher und kom­pe­te­ner agiert, als der gesam­te Buch­han­del zusam­men, dar­an ändert auch ein ARD-Bericht nichts, der auf erfun­de­nen Emails und mani­pu­la­tiv zusam­men­ge­schnit­te­nen Sze­nen basiert. Wie kann eine pop­li­ge Buch­han­dels­bran­che sich erdreis­ten, sol­che Num­mern abzu­zie­hen und sich auch noch mora­lisch im Recht zu füh­len?

Doch der »Fall Con­ni« ist nur die Spit­ze des Eis­bergs. Autoren, die Kind­les über ihre Web­sei­te ver­lo­sen wol­len, wer­den mit dem Boy­kott ihrer Bücher bedroht. Man muss sich in so einem Fall ganz deut­lich dar­über im Kla­ren sein: so etwas kann exis­tenz­be­dro­hend wer­den. Wer sol­che Aktio­nen durch­führt, hat kei­ner­lei mora­li­sche Berech­ti­gung, sich über Ama­zon auf­zu­re­gen, ganz im Gegen­teil.

Oder ähn­li­che Fäl­le, in denen die­se in mei­nen Augen dubio­se »Buy Local«-Initiative gegen Spar­kas­sen gei­fert, weil … genau: die­se teuf­li­sche »Kind­les« an ihre Kun­den ver­lo­sen woll­ten. Seht es ein: die Kun­den wol­len das Ding haben, und wenn ihr es noch so oft zu unter­bin­den ver­sucht.

In mei­nen Augen sind das alles gera­de­zu als mafi­ös zu bezeich­nen­de Ver­hal­ten. Was kommt als nächs­tes? Müs­sen Ama­zon-Kun­den wie ich als aus­sät­zi­ge Pari­as zukünf­tig eine oran­ge­far­be­ne Arm­bin­de mit einem gro­ßen »A« dar­auf tra­gen, damit man als Feind des buch­han­deln­den Gut­men­schen­tums sofort erkenn­bar ist und des Geschäfts ver­wie­sen wer­den kann, ver­mut­lich mit Stock­hie­ben, wenn nicht schlim­me­rem?

Wo kom­men wir hin, wenn das mit die­sen arro­gan­ten Spin­nern so wei­ter geht? Und: wol­len wir uns so etwas als Kun­den gefal­len las­sen? Glaubt man beim Buch­han­del wirk­lich, dass man mit sol­chen Scheiß­haus­ak­tio­nen Sym­pa­thien weckt? Bei mir: im Gegen­teil! Die Buch­han­dels­bran­che ist ein gro­ßes Kar­tell, dar­über soll­te man sich im Kla­ren sein. Was anders­wo als Preis­ab­spra­che straf­bar ist, wur­de dank guter Lob­by­ar­beit in ein Preis­bin­dungs­ge­setz gegos­sen, wel­ches das Kar­tell mit sei­nen Ein­heits­prei­sen lega­li­siert – und es soll mir bloß kei­ner mit der übli­chen Aus­re­de »kul­tu­rel­le Viel­falt« kom­men. Und seit­dem Ama­zon ihnen zeigt, wo es lang geht (und das trotz der auch beim Onlin­ever­sen­der glei­chen Buch­prei­se), zeigt die­ses Kar­tell, das sich nie­mals mit den Geset­zen von Ange­bot und Nach­fra­ge oder mit Preis­kämp­fen aus­ein­an­der set­zen muss­te, immer öfter sein häß­li­ches Gesicht um nichts ande­res als sei­ne Inter­es­sen durch­zu­set­zen, zur Not auch mit Nöti­gung. Denn nichts ande­res sind Boy­kott­an­dro­hun­gen in mei­nen Augen. Glaubt irgend jemand, dass das bes­ser ist, als Ama­zon? Ich nicht. Im Gegen­teil.

Man muss fai­rer­wei­se sagen, dass unter dem oben ver­link­ten Bör­sen­blatt-Arti­kel hau­fen­wei­se Kom­men­ta­re von Buch­händ­lern zu lesen sind – etli­che davon las­sen hof­fen, dass nicht alle so den­ken. Ein Licht­blick. Aber nur ein klei­ner, zumin­dest solan­ge es mög­lich ist, dass ein paar Fana­ti­ker so agie­ren kön­nen, wie sie agie­ren und damit in der Lage sind, ande­ren ihren Wil­len auf­zu­zwin­gen. Lie­be »nor­ma­le« Buch­händ­ler: Ich möch­te nicht, dass ihr aus­sterbt. Aber ein paar von euch set­zen alles dar­an.

Erbärm­lich.

Wer Zynis­mus fin­det, darf ihn sich aus­dru­cken und ver­bren­nen.

[Update 17:10 Uhr:] Auch Law­blog­ger Udo Vet­ter äußert sich auf sei­nem Blog deut­lich zur Far­ce »Con­ni«

[cc]

Zitat von der Web­sei­te des Bör­sen­ver­eins. Ver­bren­nungs­bild von Die­bold Schil­ling dem Älte­ren, auch schon seit dem 15. Jahr­hun­dert tot und des­we­gen gemein­frei. Ama­zon-Logo Copy­right Ama­zon. Bild »Face­palm« von Alex E. Pro­imos, aus der Wiki­pe­dia, CC BY

7 Kommentare zu „Rant: Hallo Buchhandel, wie viele Wörter sollen wir denn bitte noch entfernen?“

  1. Wäre es nicht sinn­vol­ler die Autorin anzu­schrei­ben und zu ani­mie­ren, ihre Hel­din im nächs­ten Buch eine ech­te Buch­hand­lung besu­chen zu las­sen und dabei viel Spaß zu haben?

  2. wie steht´s eigent­lich mit der Frei­heit der Kunst ? mit der Frei­heit, das zu schrei­ben, was man will, wenn man denn ein Buch schreibt ? mit der Beschrei­bung von rea­lem Leben ? wenn Ver­la­ge + Buch­hand­lun­gen begin­nen Bücher zu zen­sie­ren, ist das Ver­bren­nen von nicht geneh­men Büchern auch nicht mehr weit.…

  3. Vie­len Dank für den Link zum Boer­sen­blatt. Sel­ten habe ich mich über die Kom­men­ta­re zu Was-auch-immer so amü­siert.

    Nach­dem das ein­schlä­gig bekann­te Blog Phan­ta­news einen Arti­kel über Was-auch-immer brach­te zeig­te B. Lei­digt aus W. ent­rüs­tet: »Wäh­rend hier Was-du-hier-ein­set­zen willst ver­tre­ten wird, kommt jetzt die­ses Was-auch-immer. Wir wer­den Phan­ta­news nicht mehr lesen und auch nicht mehr kurz in der Hand hal­ten.«

  4. Eine klei­ne Anmer­kung zur Buch­preis­bin­dung. Die kann auch nach hin­ten los­ge­hen:

    Vor 17 Mona­ten bekam ich zum Geburts­tag einen Gut­schein für ein E‑Book-Lese­ge­rät mei­ner Wahl geschenkt. Obwohl ich es grund­sätz­lich nicht schät­ze, an einen Anbie­ter gebun­den zu sein (wie beim Kind­le), fiel mei­ne Wahl trotz­dem auf das Ama­zon-Pro­dukt. Gera­de WEGEN der Buch­preis­bin­dung. Mir war klar, dass ich die (deut­schen) E‑Books sowie­so nicht güns­ti­ger bei ande­ren Anbie­tern bekom­men kann, da auch E‑Books der Preis­bin­dung unter­lie­gen. Also konn­te ich guten Gewis­sens das Ama­zon-Lese­ge­rät wäh­len.

    In die­sem Fall: Eigen­tor, deut­scher Buch­han­del.

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