Als ich vor einigen Wochen über ein geplantes virtuelles Nightwish-Konzert las, hörte sich das gut an: Ein Konzert der finnischen Epicmetal-Band in einer virtuellen Umgebung, mit virtueller Bühne und Interaktion zwischen den Fans. Als jemand der Nightwishs Musik sehr mag und als jemand, der an virtuellen Realitäten und Umsetzungen seit jeher sehr interessiert ist, investierte ich die 25 Euro für ein Ticket. Ich weiß, das ist jetzt schon einige Zeit her und ich habe auch lange überlegt, ob ich einen Konzertbericht schreiben sollte, denn das Event ließ mich ziemlich frustriert zurück.
Die Anbieter nehmen – wie bereits beschrieben – den Mund sehr voll, auch auf ihrer Webseite, wo sie die Dienstleistung an andere Musiker verticken wollen. Da klingt das wie eine echte virtuelle Veranstaltung in einer virtuellen Umgebung inklusive direkter Interaktion mit anderen Fans und mit den Musikern.
Bekommen hat man im Prinzip ein Musikvideo.
Ich möchte vorausschicken, dass ich natürlich die Probleme sehe, die Bands zu Zeiten einer Pandemie haben und dass ich virtuelle Konzerte grundsätzlich für eine grandiose Idee halte, so eine Zeit zu überbrücken. Allerdings sollte das dann zum einen bitte auf einem derzeit möglichen technischen Stand sein und zum anderen sollte auch tatsächlich zumindest der Anschein erweckt werden, dass es sich tatsächlich um ein Livekonzert handelt, beispielsweise durch Ansprachen der Band an die Fans. Die fehlten komplett, es wurde einfach nur das Set runtergespielt, was den Eindruck eines Musikvideos nur noch verstärkte. Unter einem virtuellen Konzert stelle ich mir etwas anderes und durchaus »mehr« vor – und das wäre auch technisch umsetzbar.
Das »Livekonzert« lief als Stream im Browser, ich habe es mir auf den Beamer geworfen und den Ton über die Surround-Anlage wiedergegeben. Leider … ich formuliere es mal vorsichtig … blieb die Tonqualität hinter den Erwartungen zurück. Ich weiß nicht, mit welchen Bitraten da gestreamt wurde, aber wie HiFi hörte sich das nicht gerade an, insbesondere war der Ton sehr mittenlastig und erst längere Einstellungen an der Musikanlage machten ihn halbwegs erträglich. Ich habe zwischendurch sogar nochmal mit einem Kopfhörer hantiert, um herauszufinden, ob es an den Einstellungen meiner Anlage lag: Lag es nicht. Zudem gewann ich den Eindruck, dass sich die Tonqualität im weiteren Verlauf leicht verbesserte, aber das kann auch subjektive Wahrnehmung sein. Ich musste die Anlage schon ordentlich verstellen, bis es halbwegs anhörbar war. Dass gerade bei einem Onlinekonzert die Tonqualität verbockt wird, ist in meinen Augen schon bemerkenswert, und es zeugt von einiger Missachtung der Fans. Gerade Audiostreaming in guter bis sehr guter Qualität ist doch heute überhaupt kein Problem mehr (wir haben schon vor über 20 Jahren privates Radio mit Chat-Anschluss in CD-Qualität gemacht, dann sollten das Profis 2021 doch viel besser hinbekommen).
Die angepriesene Interaktivität zwischen den Fans fand de facto nicht statt, die einzige Möglichkeit sich mit anderen auszutauschen bestand während des Wartens auf den Stream in einem popligen Chat. Während des Konzerts selbst gab es keinerlei Interaktivität zwischen Fans, oder ich habe die Option nicht gefunden.
Auch zwischen Band und Fans gab es keinerlei Interaktivität, noch nicht einmal die auf Konzerten üblichen Ansprachen, gerade das Fehlen der letzteren verstärkte das Gefühl, sich ein überteuertes Musikvideo anzusehen. Dabei wären heutzutage so dermaßen viele Optionen denkbar, beispielsweise hätte eine Regie Webcam-Bilder von abfeiernden Fans live einspielen können. Das würde aber tatsächlich nur dann funktionieren, wenn es sich auch tatsächlich um ein Live-Konzert handelte, das kann man als Nutzer tatsächlich nicht nachvollziehen, es kann sich genauso gut um eine Auszeichnung gehandelt haben. Angeblich gab es irgendwelche VIP-Live-Sessions mit NIGHTWISH, wenn man einen höheren Ticketpreis bezahlt hatte, aber dazu kann ich nichts sagen.
Die groß angekündigten virtuellen Bühnen war eine computergenerierte Umgebung im Steampunk-Stil, gespielt wurde in einer Art Taverne. Zu Beginn fliegt ein Zeppelin, den ich als günstig erwerbbares 3D-Asset aus einem Asswetstore kenne und sogar selbst besitze, auf eine Insel an der Oberseite eines gigantischen Wasserfalls zu und dockte dort an. Auf der Insel stand das Gebäude in dem die Band aufspielte.
Beeindruckend mochte das vielleicht für Personen sein, die die letzten 20 Jahre abseits von Computern verbracht haben. Die Qualität der 3D-Renderings war auf dem Niveau von 15 Jahre alten Computerspielen. Die ebenfalls computeranimierte »Bühnenshow« beschränkte sich auf ein paar billige Leucht- und unspektakuläre Partikeleffekte. Ich habe Live-Bühnenshows gesehen die erheblich beeindruckender waren. Was für eine Verschwendung des Potentials, wenn man sich ausmalt, was da alles an spektakulärer Epik möglich gewesen WÄRE, sogar mit der gebotenen veralteten Computergrafik.
Übrigens war die verwendete Chroma-Keying-Technik (Green- oder Bluescreen) so schlecht, dass man bei den Locken der Musiker Aussetzer und flimmernde Ränder deutlich erkennen konnte. Das habe ich in dermaßen schlechter Qualität bei professionellen Produktionen schon lange nicht mehr gesehen.
Zwischen den Songs gab es vollständige Stille und währenddessen irgendwelche sinnlosen Kameraflüge über die Landschaft oder über das Interior der Steampunk-Kneipe. Der drastische Unterschied zwischen Nightwish-Powermetal und plötzlich eintretender Stille mit Renderbildern war beinahe verstörend.
Das Set bestand ausschließlich aus Stücken des neuen Albums »Human. :II: Nature.«, das in der Art eines Konzeptalbums runtergespielt wurde (ich kann das tatsächlich leider kaum anders sagen, die Musiker wirkten auch arg … uninspiriert). Irgendwelche der bekannten NIGHTWISH-Hits fehlten komplett. ich kann nachvollziehen, dass man ein Konzeptalbum in dieser Form präsentieren möchte. Musikalisch gefielt mir das eher durchschnittlich, NIGHTWISH haben meiner Ansicht nach in der Vergangenheit deutlich bessere Alben vorgelegt. Wirklich gut wurden die Stücke, wenn sie auf Bagpipe oder Flöte zurückgriffen und folkige Töne in die Songs einbauten. Musikgeschmack ist höchst subjektiv, deswegen kann ich hier natürlich keine allgemeingültige Einschätzung liefern, andere Metal-Fans werden das vielleicht völlig anders sehen.
Nach knapp zwei Stunden war dann Schluss, immer noch ohne Grußwort oder Verabschiedung und der Zeppelin legte unter völliger Stille wieder ab. Abspann. Das war’s.
Abschließend möchte ich sagen, dass das kein virtuelles, interaktives Konzert mit den Möglichkeiten des Jahres 2021 war, sondern ein Musikvideo. Ich ärgere mich nicht über die 25 Euro, da es sich ja tatsächlich um eine Première handelte, aber die fehlende Interaktivität, die ausbleibende Ansprache der Band an die Fans, die technisch veralteten Computergrafiken, die quasi nonexistente Bühnenshow und die … vorsichtig ausgedrückt … durchschnittliche Tonqualität lassen bei mir nicht den Wunsch aufkommen, nochmal ein virtuelles Konzert dieses Anbieters (Fullsteam Agency, Zoan, letztere verantwortlich für die technische Umsetzung, wie sehr die angeben kann man sich mal auf ihrer Webseite ansehen und das dann mal in Relation zu dem stellen, was ich hier berichte) zu besuchen. Das geht heutzutage viel besser und es muss auch viel besser gehen, insbesondere wenn ich von »sechs Monaten Vorbereitungszeit« lese. Die technischen Möglichkeiten sind längst da. Genutzt wurden sie nicht.
Ein Konzert in dieser Art würde ich mir sicherlich nochmal ansehen, aber in dieser nichtvirtuellen, noninteraktiven Form darf das nicht mehr als ’nen Zehner kosten. Für echte Technik des 21. Jahrhunderts, echte Interaktivität und zeitgemäße Computergrafik würde ich aber auch gern mehr ausgeben.
Konzertfotos (Screenshots von mir) Copyright Fullsteam, Zoan und Nightwish
Öh, hast Du das gleiche Konzert angeschaut wie ich? 28. Mai?
Hier sind die Setlisten der beiden Konzerte:
28. Mai (EU): https://www.setlist.fm/setlist/nightwish/2021/valova-vantaa-finland-7b8e3a4c.html
29. Mai (Americas): https://www.setlist.fm/setlist/nightwish/2021/valova-vantaa-finland-4b8e376e.html
Bei beiden Setlists waren Nemo, Ghost Love Score, Storytime, I Want My Tears Back und sogar Greatest Show on Earth dabei, dazu noch weitere, die sich teilweise zwischen den beiden Sets unterschieden.
Insgesamt waren beim ersten Konzert 5 und beim zweiten 4 von jeweils 16 Stücken plus das Outro »Ad Astra« vom Album »Human:||:Nature«, der Rest war von anderen Alben. Allein GLS und GSoE waren zusammen 30 Minuten lang.
Beim Sound gebe ich Dir recht, der war bei der EU-Show nicht so gut. Das haben sie bei der US-Show dann besser hinbekommen. Auch ich fand den Kontrast zwischen Musik und Stille dazwischen eher unangenehm, aber den Effekt hatte ich ein paar Monate davor schon bei der aufgezeichneten Liveshow »Portals« der Band TesseracT. Da haben sie aber die ganze Show plus Filmsequenzen an zwei Tagen in Ruhe aufgenommen, statt live zu übertragen. War eine tolle Performance, aber ohne Publikum kommt einfach kein Live-Gefühl rüber.
Den Chat hatte ich in einem Musik-Discord, wo ich die meisten Leute schon ziemlich lange kenne, das war sehr schön. Den Chat auf der Konzert-Website hatte ich mir gar nicht erst angetan. War wahrscheinlich kein großer Verlust.
Bei der VIP-Session hast Du übrigens nichts verpasst. Das war nur ein gut halbstündiges Interview mit dem Sessionbassisten Jukka Koskinen (Wintersun), der Marko Hietala vertritt. (Der Aufpreis für das VIP-Ticket ließ sich meiner Meinung nach allerhöchstens durch das limitierte T‑Shirt und das gedruckte Konzertticket rechtfertigen, aber das habe ich mir verkniffen.)
A propos Marko Hietala: Der hat mir am meisten gefehlt. Troy hat zwar besser denn je gesungen, aber an Markos Stimme kommt er leider nicht ran. Den Bass-Part hat Yukka Koskinen prima ausgefüllt, aber er hat nicht gesungen (obwohl er’s kann) und sich eher im Hintergrund gehalten. Markos Auszeit (oder eventuell sogar kompletter Ausstieg aus Nightwish, wollen wir’s nicht hoffen) hinterlässt da eine große Lücke.
Ich fand die beiden Konzerte insgesamt schön, vor allem hatte ich nicht damit gerechnet, »Shoemaker« jemals live zu hören zu bekommen (überhaupt, Floors Vocals!), aber natürlich ist das Ganze mit einem richtigen Livekonzert nicht zu vergleichen.
Ja, ich habe das Konzert am 28. Mai gesehen. Offenbar kenne ich mich mit den neueren Stücken weniger gut aus – mir fehlten alle »alten« Klassiker … ;)
Aber ich bleibe dabei: ein uninspiriertes Livevideo ohne Interaktion und ohne Fan-Ansprache ist kein »virtuelles Konzert«, sondern bestenfalls ein Livestream, schlechtestenfalls ein zu teures Musikvideo.
Die Vocals …naja, am Anfang hatte ich den Eindruck als müsse sie sich noch einsingen und alles in allem kommt Floor an Tarja Turunen stimmlich und auch vom Ausdruck her nicht annähernd ran.