Wikimedias neuer »Code Of Conduct« für die Wikipedia: Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Wikimedias neuer »Code Of Conduct« für die Wikipedia: Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Auf­grund von hau­fen­wei­se schlech­ter Pres­se (auch auf Phan­ta­News) aus den ver­schie­dens­ten Grün­den, dar­un­ter Mob­bing und Miso­gy­nie, hat man sich bei Wiki­me­dia, der Foun­da­ti­on hin­ter dem Online-Lexi­kon Wiki­pe­dia offen­sicht­lich gedrängt gese­hen, neue Ver­hal­tens­maß­re­geln ver­fas­sen zu las­sen. Die­ser neue »Code Of Con­duct« wur­de wie die Wiki­pe­dia selbst von Frei­wil­li­gen erar­bei­tet, man kann ihn über den vor­ste­hen­den Link einsehen.

Theo­re­tisch klingt das gut. Es geht um Beläs­ti­gung, Mob­bing, respekt­vol­les Ver­hal­ten mit­ein­an­der und was der hoh­len Wor­te mehr zu fin­den sind. Das Pro­blem: Eine sol­che Wiki­pe­dia-Neti­ket­te gab es auch vor­her schon, auch in der deut­schen Aus­ga­be der Wiki­pe­dia – und die nett klin­gen­den und gut gemein­ten Regeln wur­den von den Admi­nis­tra­to­ren und Edi­to­ren in der Wiki­pe­dia täg­lich hun­dert­fach ignoriert.

Das­sel­be wird für den mit viel PR-Tam­tam aus­ge­roll­ten neu­en »Code Of Con­duct« gel­ten. Denn es wer­den weder kon­kre­te Sank­tio­nen für den Fall eines Ver­sto­ßes genannt, noch setzt Wiki­me­dia Kon­troll­in­stan­zen ein, die das Ein­hal­ten des »Code Of Con­duct« über­wa­chen und ggfs. sank­tio­nie­rend ein­grei­fen kön­nen – oder über­haupt wollen.

Schon in der Ver­gan­gen­heit hat­te man in Fäl­len von Mob­bing oder will­kür­li­cher Mode­ra­ti­on sei­tens Wiki­me­dia nur dar­auf hin­ge­wie­sen, das gäbe ja bereits Ver­hal­tens­maß­re­geln und das wür­de völ­lig aus­rei­chen. Doch das tut es nicht, denn solan­ge die­se Regeln nicht auch irgend­wie durch­ge­setzt wer­den, sind sie eben nur inhalt­lo­se Wor­te, egal wie gut sie klin­gen, oder wie lan­ge irgend­wel­che Frei­wil­li­gen dar­um gerun­gen haben. Solan­ge es kei­ne Kon­se­quen­zen für Ver­stö­ße dage­gen gibt war die Arbeit umsonst und Wiki­me­dia ver­sucht sich nach wie vor aus ihrer Ver­ant­wor­tung zu stehlen.

Für mich bedeu­tet das wei­ter­hin: Solan­ge die Misstän­de ins­be­son­de­re bei der deut­schen Wiki­pe­dia nicht kon­se­quent ver­folgt und beho­ben wer­den, erhält Wiki­me­dia von mir auch künf­tig kei­nen Cent an Spen­den­gel­dern und kei­nen Buch­sta­ben Betei­li­gung an der miso­gy­nen Wis­sens­ver­hin­de­r­unglatt­form.

Wem nutzt ein neu­er »Code of Con­duct«, wenn sich nie­mand dar­an hält und kei­ner ihn durchsetzt?

Kommentar von Sven Klöpping: Wikipedia – frauenfreie Zone?

Kommentar von Sven Klöpping: Wikipedia – frauenfreie Zone?

Vor ein paar Mona­ten war das Medi­en­echo groß, als her­aus­kam, dass eine Lis­te mit deutsch­spra­chi­gen SF-Autorin­nen bei Wiki­pe­dia ver­hin­dert wer­den soll­te. Sogar Team Böh­mer­mann berich­te­te im Neo Maga­zin Roya­le (Sen­dung vom 18. April). Statt solch inter­es­san­ter Lis­ten wer­den bei den Wikis z. B. Lis­ten mit Schif­fen namens »Ama­zo­ne« ver­öf­fent­licht (denn alle Frau­en sind Ama­zo­nen). Selt­sa­me Men­schen mit selt­sa­men Ansich­ten beherr­schen schein­bar grö­ße­re Tei­le der Wiki­pe­dia­welt und neh­men dabei Ein­fluss auf das, was gewusst wer­den darf.

Dank Goog­le & Co. haben sie gute Aus­sicht auf Erfolg. Denn Wiki­pe­dia ist rele­van­ter Teil vie­ler Algo­rith­men des Sili­con Val­ley. Schließ­lich wis­sen die Her­ren bei Wiki­pe­dia – wie jeder gute Zen­sor -, dass öffent­li­che Mei­nung nur gebil­det wer­den kann, wenn die Men­schen Zugang zu Infor­ma­tio­nen erhal­ten. Wer nicht weiß, dass deutsch­spra­chi­ge SF-Autorin­nen exis­tie­ren, möch­te auch nichts von ihnen lesen. Oder über sie.

Als Argu­ment füh­ren sie dabei immer wie­der »Rele­vanz« an. Es sei nicht rele­vant, eine Lis­te mit Ama­zo­nen, Frau­en zu füh­ren, die nur in Klein­ver­la­gen publi­zie­ren. Schon beim ers­ten Blick auf die Lis­te ent­deckt man jedoch Namen wie Sibyl­le Berg, Zoë Beck oder Myra Çakan. Alles gestan­de­ne Autorin­nen, die bei bekann­ten Ver­la­gen publi­zie­ren. Die Fra­ge »was ein Ver­lag sei« wur­de in den inter­nen Dis­kus­sio­nen bei Wiki­pe­dia daher offen­bar nur mit dem Hin­ter­ge­dan­ken gestellt, die Klein­ver­lags­sze­ne zu dis­kre­di­tie­ren. Man­che Her­ren mein­ten näm­lich, ein Klein­ver­lag sei nun über­haupt kein Ver­lag. Aha. Und war­um heißt er dann Ver­lag? Und war­um macht er genau das, was ein Ver­lag machen soll­te, näm­lich Bücher her­aus­brin­gen? Doch vor die­ser Dis­kus­si­on fürch­te­ten sich die tap­fe­ren Rit­ter des männ­li­chen Wis­sens, wichen aus, flüch­te­ten sich in Relevanz.

»Rele­vanz (lat./ital.: re-leva­re »[den Waa­ge­bal­ken, eine Sache] wie­der bzw. erneut in die Höhe heben«) ist eine Bezeich­nung für die Bedeut­sam­keit und damit sekun­där auch eine situa­ti­ons­be­zo­ge­ne Wich­tig­keit, die jemand etwas in einem bestimm­ten Zusam­men­hang bei­misst« (Quel­le: Wikipedia).

Datei:Adminpedia.png

Für die Ersteller(innen) der Lis­te war es offen­sicht­lich von Rele­vanz, einen Ein­blick in die Schaf­fens­kraft deutsch­spra­chi­ger Sci­ence­fic­tion-Autorin­nen zu geben. Für eini­ge Wiki­pe­dia-Her­ren schien es dage­gen nur zu rele­vant, dies zu ver­hin­dern. Die Fra­ge ist: Wel­che Sei­te besaß mehr Rele­vanz? Nun muss ich die Her­ren lei­der ent­täu­schen, denn etwas zu ver­hin­dern ist lei­der nicht rele­vant, denn es hebt kei­ne Sache in die Höhe, wie es oben so schön heißt, son­dern reißt sie in die Tiefe.

Man darf also mit Recht fra­gen, was das alles soll. Soll­te Wiki­pe­dia nicht eine freie Enzy­klo­pä­die sein, in der Wis­sen zu allen Berei­chen der Gesell­schaft jeder­mann und jeder Frau zur Ver­fü­gung steht? Soll­te es nicht von Rele­vanz sein, die­sen Leit­satz zu ver­fol­gen und jede/n ein­zu­bin­den, der/die mit­ma­chen möch­te? Die Rea­li­tät schiebt lei­der auch hier so man­chen Rie­gel vor (man ist fast geneigt zu den­ken, die Rea­li­tät habe etwas Männliches).

Lan­ge Rede, kur­zer Sinn:

Es bleibt zu hof­fen, dass ein Umden­ken statt­fin­det; dass eine Schar von intel­lek­tu­el­len Ama­zo­nen sich den Weg zur Wiki­pe­dia-Macht frei­kämpft und dort Arti­kel publi­ziert, Ideen anstößt, Din­ge ver­än­dert. Denn so, wie es jetzt ist, kann es ja wohl nicht bleiben.

Lasst uns daher gemein­sam dafür sor­gen, dass wir von frei­en Frau­en mit Insi­der­wis­sen ver­sorgt wer­den, statt eine nahe­zu frau­en­freie Zone zum gesell­schaft­li­chen Online-Stan­dard zu erklären.

(Die­ser Text erschien ursprüng­lich auf Sven Klöp­pings Sei­te sternwerk.net)

 

Bild »Admin­pe­dia« von Ver­wüs­tung, aus der Wiki­pe­dia, CC BY-SA