Kommentar: NFTs – die deutsche Verlagsbranche hat (mal wieder) Dollarzeichen in den Augen

Kommentar: NFTs – die deutsche Verlagsbranche hat (mal wieder) Dollarzeichen in den Augen

Die immer noch zutiefst ana­lo­ge deut­sche Ver­lags­bran­che bekommt regel­mä­ßig Dol­lar­zei­chen in den Augen, wenn es um (von ihnen) soge­nann­te »neue Tech­no­lo­gien« geht (die der Rest der Welt zumeist schon seit Jah­ren kennt). Dabei geht es natür­lich immer dar­um, wie man dar­aus irgend­wie Koh­le zie­hen kann. Ob wir über Tik­Tok reden, das als »Book­Tok« genutzt wer­den soll, obwohl die immensen Daten­schutz- und Zen­sur­pro­ble­ma­ti­ken der chi­ne­sisch kon­trol­lier­ten Platt­form bekannt sind (dage­gen ist Face­book ein Kin­der­ge­burts­tag). Aber Pri­va­cy oder unter­drück­te Uigu­ren schei­nen scheiß­egal zu sein, solan­ge man dar­über Geld gene­rie­ren kann, zumin­dest muss man das aus den unkri­ti­schen Lobes­hym­nen ent­neh­men, die immer wie­der auf ein­schlä­gi­gen Bran­chen­platt­for­men wie dem Buch­re­port auf Tik­Tok zele­briert wer­den. Oder Deep Lear­ning-Algo­rith­men, wenn man hier­zu die Bei­trä­ge ver­folgt, dann hat man den Ein­druck, dass man zwar nicht genau weiß, was das eigent­lich ist, nur auf­grund von Medi­en­hy­pes mit­be­kom­men hat, dass das wohl neu, modern und hip sein könn­te und man des­we­gen uuuun­be­dingt mit­ma­chen muss.

Und jetzt schielt man auf Non Fun­gi­ble Tokens, kurz NFTs. Und was ist das jetzt wie­der? Für die Unwis­sen­de­ren unter den Leser°innen eine kur­ze Erläu­te­rung (tat­säch­lich ist das The­ma kom­ple­xer): NFTs basie­ren auf Block­chain-Tech­no­lo­gie, wie Bit­coin oder Ethe­re­um. Es wird eine Rei­he von Daten­sät­zen erzeugt, in der alle Daten­sät­ze unter­ein­an­der veri­fi­zier­bar sind, was die gesam­te Daten­ket­te unver­än­der­bar und die ein­zel­nen Daten­sät­ze unfälsch­bar macht. Es gibt tat­säch­lich Ein­satz­ge­bie­te, wo so etwas sinn­voll erscheint, die aller­meis­ten Anwen­dun­gen sind es aber nicht. Erschwe­rend kommt hin­zu, dass für das Erzeu­gen von Block­chains mit wach­sen­der Kom­ple­xi­tät immer grö­ße­re Rechen­leis­tun­gen not­wen­dig wer­den,  und damit auch immer grö­ße­re Men­gen an dafür ver­brauch­ter Ener­gie, wes­we­gen das Erzeu­gen von Kryp­to­wäh­run­gen wie Bit­coin oder Ethe­re­um auf­grund des enor­men Ener­gie­ver­brauchs an vor­ders­ter Front dafür ver­ant­wort­lich ist, dass Küs­ten­staa­ten im Meer ver­sin­ken wer­den. Im Jahr 2021 lag der Ener­gie­auf­wand für das Erzeu­gen von Bit­coin bei 126 Tera­watt­stun­den pro Jahr. Das ist unge­fähr so viel wie der jähr­li­che Ener­gie­ver­brauch von ganz Paki­stan. 2018 kam eine Bit­coin-Trans­ak­ti­on auf den Ener­gie­ver­brauch von 80000 Kreditkarten-Transaktionen.

Zu den NFTs: Die nut­zen eine Block­chain (in aller Regel Ethe­re­um, auf das diver­se Kryp­to­wäh­run­gen auf­set­zen), um die Echt­heit einer Datei zu garan­tie­ren. Ich erstel­le also ein Bild (mit Bild­da­tei­en ging der Hype 2017 los, NFTs gibt es seit ca. 2014), pfle­ge das Bild in die Block­chain ein und kann damit für die­se Datei eine Echt­heit garan­tie­ren. Es kauft also jemand – für teil­wei­se Mil­lio­nen­prei­se – das allei­ni­ge Besitz­recht an die­ser Datei. Die­ser Besitz­an­spruch kann jeder­zeit über die dahin­ter lie­gen­de Block­chain veri­fi­ziert werden.

Da das ziem­lich gehy­ped wur­de, ent­stand schnell Gold­grä­ber­stim­mung und es spros­sen NFT-Ver­kaufs­platt­for­men aus dem Boden, auf denen man sol­che angeb­lich ein­zig­ar­ti­gen Bil­der (und inzwi­schen auch ande­re Datei­en) gegen zum Teil absur­de Sum­men erwer­ben konn­te (und kann).

Dabei ist das im Prin­zip ein gigan­ti­scher Scam, denn selbst­ver­ständ­lich bezieht sich die­ses Echt­heits-Zer­ti­fi­kat in der Block­chain aus­schließ­lich auf die­se eine Datei. Ich kann die­sel­be Bild­da­tei mil­lio­nen­fach ver­viel­fäl­ti­gen und ins Netz streu­en. Die­je­ni­gen die für eine zer­ti­fi­zier­te Datei eine Men­ge Koh­le bezahlt haben, mögen sich damit trös­ten, dass ihre veri­fi­ziert ist, aber objek­tiv gese­hen ist das arger Bull­shit, denn wenn die Datei trotz­dem mil­lio­nen­fach kopiert wer­den kann, ist ihr ech­ter wert, abge­se­hen von dem durch die Block­chain vor­ge­täusch­ten, eben qua­si nonexis­tent. Die­ses Sys­tem kann nur funk­tio­nie­ren, solan­ge die Illu­si­on auf­recht erhal­ten wird, es hand­le sich um ech­te Werte.

Inzwi­schen stei­gen etli­che Bran­chen in den NFT-Hype ein, um damit irgend­wie Koh­le zu schef­feln. Das führt zu Ver­wer­fun­gen, wenn bei­spiels­wei­se Spie­le­ver­kaufs­platt­for­men den Ver­kauf von NFT-basier­ten Games ver­bie­ten (z.B. Steam oder itch.io). In Meta­ver­se-Anwen­dun­gen wie Decen­tra­land (eine Art Second Life 3.0) kann man NFT-basier­te Güter oder vir­tu­el­le Län­de­rei­en erwer­ben, mit Echt­heits­zer­ti­fi­kat durch NFT (Anmer­kung: der Erwerb vir­tu­el­ler Güter in einer vir­tu­el­len Umge­bung ist mei­ner Ansicht nach die ein­zi­ge Anwen­dung, in der NFTs auch nur ansatz­wei­se eine Daseins­be­rech­ti­gung haben).

Aber kurz zusam­men­ge­fasst: NFTs sind ein gigan­ti­scher, umwelt­feind­li­cher Scam-Bullshit.

Im Buch­re­port (und anders­wo) ver­sucht man jetzt den deut­schen Ver­la­gen zu ver­kau­fen, NFTs sei­en der hei­ßes­te Scheiß seit der Erfin­dung des Sup­pen­wür­fels. Dafür wer­den Nut­zungs­sze­na­ri­en skiz­ziert, die man ver­mut­lich nur nach dem has­ti­gen Genuss einer Fla­sche Leber­meis­ter als sinn­voll anse­hen kann. In einem ande­ren Arti­kel ver­sucht man beim Buch­re­port, NFTs als was ganz Tol­les anzu­die­nen, und basiert die Emp­feh­lung auf dem Sam­mel­trieb der Men­schen. Zitat:

Man stel­le sich ein­mal vor, es wäre mög­lich, bei jedem Wei­ter­ver­kauf der Print­ver­si­on eines Best­sel­lers im Anti­qua­ri­at 5% Pro­vi­si­on zu erhalten.

An der Stel­le leh­ne ich mich kurz zurück und bewun­de­re die Biss­spu­ren in mei­ner Tischkante …

Wel­che Pro­ble­me NFTs erzeu­gen, allein durch den immensen Ener­gie­ver­brauch der Block­chains, oder dass es sich eigent­lich um einen groß ange­leg­ten Scam han­delt, scheint nie­man­den zu inter­es­sie­ren, Haupt­sa­che, man kann schnell enor­me Men­gen an Geld pro­du­zie­ren. Scheiß doch auf die Umwelt!

Mein Rat: Wenn euch jemand NFTs andre­hen möch­te, dann macht kehrt und rennt!

Es bleibt zu hof­fen, dass die immer noch hoff­nungs­los ana­lo­ge Bran­che auch die­sen Hype ver­passt (Jah­re ver­spä­tet sind sie dabei ohne­hin bereits – wie immer) und nicht auf das hört, was halb­sei­de­ne »Bera­ter« ihr ein­re­den wol­len. Aus­nahms­wei­se sehe ich in der Rück­stän­dig­keit der Ver­lags­bran­che einen Vorteil.