lbm18: Die Buchkäufer – Ja wo laufen sie denn hin?
Wie immer gab es zur Eröffnung der Buchmesse Leipzig salbungsvolle Worte vom Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller. Und wie eigentlich immer bekomme ich Griffspuren im Gesicht, wenn ich Teile daraus lese, angesichts der Realitätsferne, beziehungsweise der Evolutionsresistenz, die aus den Worten spricht.
Den Text seiner Rede beim Börsenblatt habe ich oben verlinkt. Ich möchte mal drei Punkte heraus greifen, um darauf einzugehen.
Aussage eins: Zwischen 2013 und 2017 sind der Branche im Publikumsmarkt sechseinhalb Millionen Buchkäufer verloren gegangen, das ist ein Rückgang um 18 Prozent.
Aussage zwei: Dennoch waren die Umsätze in den letzten zehn Jahren stabil (was immer genau »stabil« auch heißen mag ..?).
Aussage drei: Die sozialen Medien sind schuld!!einself!1!
Halten wir mal fest: Der Buchmarkt verliert laut Aussage des Börsenvereins-Chefs fast ein Fünftel seiner Kunden und dennoch bleiben die Umsätze stabil? Und angesichts dessen hört man seit Jahren ein ständiges Heulen und Zähneklappern aus der Branche, wie schlecht doch alles ginge und wie böse die Welt sei? Da bleibt mir die Spucke weg. Andere Branchen hätten so einen Käuferrückgang nicht »mal eben so« verkraftet. Und man muss sich fragen, warum trotz eines derart drastischen Wegbrechens der Kunden die Umsätze stabil bleiben, denn das ist wohl die Kernfrage? Weil Bücher massiv verteuert wurden? Oder weil der Rest viel mehr kauft als vorher? Letzteres halte ich für eher unwahrscheinlich.
Zur Frage »ja wo laufen sie denn hin?« sagt Riethmüller:
Gemeinsam mit Verlagen, Buchhandlungen und Marktforschern untersuchen wir derzeit die Motive der Buchabwanderer. Warum greifen die Menschen heute weniger zum Buch, was machen sie stattdessen?
Ja. Was – zum Teufel – machen die wohl stattdessen?
Ich habe bereits 2010 und 2014 thematisiert, dass sich diese Branche darüber im Klaren sein muss, dass sie in direkter Konkurrenz mit anderen Medien steht, wenn es um die Aufmerksamkeit und Zeit der Kunden geht. Das Internet nimmt immer mehr Raum im Leben der Menschen ein, noch mehr, seit soziale Medien Verbreitung gefunden haben. Zumal »das Internet« ohnehin für eine erhebliche Bandbreite an unterschiedlichen Medienformen steht, für einen Pool aus Angeboten zur Informations- und Interessensbefriedigung, sowie Unterhaltung. Es ist längst nicht mehr so, dass es allein um Webseiten im WWW geht, sondern um viel mehr. Das ist ein Teil dieser ominösen »Digitalisierung«.
Apps bieten ebenso wie Computer- und Videospiele für Centbeträge Unterhaltung für zahllose Stunden, wohingegen man für ein Buch vergleichsweise ein Vermögen ausgeben muss. Die erste Nintendo-Generation hat die 50 überschritten und spielt bis heute wie selbstverständlich weiterhin Computerspiele, ebenfalls eine direkte Konkurrenz – diese Branche hat es zudem geschafft, über Casual Games wie Farmville oder Bubble Witch auch noch ganz neue Personenkreise anzusprechen, die bisher nicht gerade Videospiel-affin waren. Und die Älteren, die damit so gar nichts anfangen können, sind nicht unsterblich …
Und seitdem ich das damals schrieb, kam auch noch das Videostreaming hinzu, das den Konsumenten unabhängig vom Sendeplan linearer Fernsehanbieter oder vom Besitz physischer Videokonserven macht, es stehen Unmengen von Filmen und Fernsehserien jederzeit zur Verfügung – und all das ebenfalls zu vergleichsweise günstigen Preisen, verglichen mit Büchern. Und während man sich früher, wenn es »nichts im Fernsehen gab«, ein Buch gegriffen hat, klickt man sich heute durch Netflix oder Amazon Video, da findet man immer was. Findet man auch da nichts, ist eine Runde Bejeweled auf dem Smartphone oder Tablet nur einen Handgriff entfernt.
Und bei all diesen zu konsumierenden Medien haben wir noch nicht einmal betrachtet, dass es immer mehr Menschen gibt, die in ihrer Freizeit selbst Dinge gestalten oder Werke erschaffen, die ihre Hobbies durch eigene Seiten im Web verbreiten. Ebenfalls haben wir nicht betrachtet, dass die Armut in Deutschland dramatisch ansteigt – wenn das Geld komplett für Nahrungsmittel und Wohnung drauf geht, bleibt nun mal nichts mehr für Bücher übrig, aber eine App für 99 Cent geht vielleicht.
Statt sich darüber klar zu werden, dass es längst einen intensiven Krieg vieler verschiedener Anbieter um die Aufmerksamkeit der Menschen gibt, ist das einzige Sinnen und Trachten dieser Branche, Bücher noch teurer zu machen, um noch mehr Umsätze zu generieren (wir erinnern uns an weiter oben, ich frage nochmals: Wie sonst sollte man erklären, dass die Umsätze angesichts des dramatischen Käuferrückgangs »stabil« bleiben?). Statt ihr Medium attraktiver zu machen, auf welchem Weg auch immer? Dass es diesen Krieg um die Aufmerksamkeit gibt, hätte man in den vergangenen Jahren mitbekommen könnten, denn der ist alles andere als okkult, und wer sich mit Medien befasst, dem sollte er eigentlich längst bewusst sein. Stattdessen möchte Riethmüller jetzt erst einmal »mit Marktforschern untersuchen« wohin die Kunden gewandert sind. Bis es aus der Richtung Ergebnisse gibt, die außer ihm eh jeder bereits kennt, beschuldigt er mal schnell die Sozialen Medien?
Das ist mit »Realitätsferne« noch sehr freundlich umschrieben, und die Marktforschung gab es bereits, denn vor einem ganz ähnlichen Problem stehen auch die Fernsehsender.
Die Sozialen Medien? Riethmüller hat natürlich, auch ohne auf die Ergebnisse aus der »Marktforschung« zu warten, bereits einen Feind im Visier, den man für all die Unbill mit unwilligen Buchkäufern verantwortlich machen kann:
Erste Ergebnisse von Befragungen zeigen zweierlei. Zum einen bestätigen die Befragten, was wir alle wohl vermuten. Fast unisono berichten sie von einer großen Zeitknappheit und Überforderung im Alltag, nicht zuletzt durch Social Media.
Hier völlig unreflektiert die Social Media-Sau durchs Dorf zu treiben, wie es derzeit zu etlichen Problemen bei Ahnungslosen beliebt zu sein scheint, ist der einfache Weg. Und er ist in dieser Konsequenz falsch. Ja, selbstverständlich erfordern auch Soziale Medien Aufmerksamkeit, die woanders fehlt, aber das ist nur ein Punkt in einer langen Liste, die ich weiter oben angedeutet habe (durch Job und die Notwendigkeit der ständigen Erreichbarkeit gestresste Menschen suchen zudem möglicherweise auch leichtere, schnellere Ablenkung als ausgerechnet ein Buch …). Die Schlussfolgerung, dass die Menschen hauptsächlich durch Social Media derart massiv überfordert werden, dass sie deswegen keine Bücher mehr lesen – entschuldigung – kaufen, kann eigentlich nur Personen einfallen, die sich mit modernen Medien- und Unterhaltungsformen nicht wirklich auseinandersetzen, sondern stattdessen nur schnell einen Buhmann suchen. Und den in den Sozialen Medien finden, die man in der Branche ohnehin nicht versteht und für eine simple, unidirektionale Werbefläche hält, was zahllose Auftritte von Verlagen auf Facebook und Co. immer wieder vor Augen führen. Da wird nur Werbung rausgepumpt, echte Kommunikation mit den Followern über Allgemeinplätze und Worthülsen hinaus findet nicht statt. Das macht jeder Selfpublisher besser.
Und es ist leider meiner Ansicht nach exemplarisch für eine rückwärtsgewandte, technik-unaffine, analoge, – eben evolutionsresistente – Branche, die ihre Kunden mit einer untauglichen Verkaufs-Plattform nach der anderen vergrault oder in Amazons Arme treibt, und mit feuchten Träumen über Preiserhöhungen für Bücher den Ast auf dem sie sitzt schon weit durchgesägt hat.
Die Buchbranche hat den Aufmerksamkeitskrieg bereits verloren, bevor sie überhaupt bemerkt hat, dass es einen gibt.
Bild: stockunlimited.com