Wie in fast jedem der letzten Jahre erzählte man erneut von einem »neuen Hallenkonzept«, dieses immer wieder mal neu aufgelegte PR-Sprech hatte sich für mich ein wenig abgenutzt, aber tatsächlich sind die neuen Ideen in der Hinsicht gut, wenn auch nicht komplett konsequent umgesetzt, aber dazu später mehr.
Als allererstes ist anzumerken, dass die Übernahme des früher immer gern etwas rückständig und piefig agierenden Merz-Verlags durch einen anderen Messeanbieter der SPIEL sehr gut getan hat. Denn der gesamte organisatorische Ablauf war im Vergleich zu vergangenen Jahren bemerkenswert reibungslos.
Das beginnt schon damit, dass man keine Presseakkreditierungen mehr als PDF-Email-Anhang bekam, den man dann zurückfaxen (!) musste und dass es auch keine Diskussionen darum gab, ob man als bürgerjournalistischer Newsportal-Betreiber tatsächlich eine Art Presse darstellt (und das auch noch, als Blogger und Content Creators anderswo längst Normalität darstellten und problemlos akkreditiert wurden). Nein, die Akkreditierung funktionierte über ein Onlineformular, wie im 21. Jahrhundert … ;)
Und auch vor Ort war die Organisation um Längen besser als aus Erfahrungen der Vergangenheit. Es gab keine ewig langen Autoschlangen, um auf die Parkplätze zu kommen. Der Presseparkplatz war direkt vor der Halle Ost und man durfte ihn auch tatsächlich benutzen, Einfahrt einfach via QR-Code, keine (langen) Diskussionen mit den Parkplatzwächtern. Wahnsinn.
Und beim Eingang mussten meine Freunde, die noch Karten kaufen wollten, nicht ewig vor Kassenhäuschen warten, bis die Kartenverkäufer, denen man beim Gehen die Schuhe besohlen konnte, die Pappdinger rausrückten, so wie in der Vergangenheit. Auch das war maximal besser organisiert als früher und machte einen erfreulich hochprofessionellen Eindruck. Schön auch, dass man sich von den Papp-Eintrittskarten verabschiedet hat und nun auf deutlich resourcenschonendere und abfallvermeidende Zettel mit QR-Code zurückgreift.
Zum Hallenkonzept schreiben die Veranstalter in einer Pressemitteilung:
Teil dieser Änderungen war die thematische Sortierung der Hallen nach Familienspielen, Kenner- und Expertenspielen sowie Rollen‑, Sammelkarten- und Miniaturspielen. Das neue Hallenkonzept, gepaart mit deutlich breiteren Gängen, half dabei, die Menschenmenge in den Hallen besser zu verteilen. Durch diese Maßnahme waren auch kleine Stände von eher unbekannten Ausstellern in allen Hallen gut zu finden.
Dazu zwei Anmerkungen: Das thematische Hallenkonzept finde ich sehr gut, man sollte es allerdings konsequenter durchziehen, denn manche Austeller waren nicht in der für sie tatsächlich passenden Halle (ich sehe aber ein, dass das vielleicht auf logistische Aspekte zurückzuführen ist). Dass man aber zielgerichtet zu den Nerd-Spielen (wie ich es nenne) durchgehen konnte, war sehr angenehm, insbesondere wenn man ein klein wenig unter Zeitdruck war. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dieses Hallenkonzept noch konsequenter anzuwenden und thematisch passende Aussteller auch tatsächlich in den thematisch korrekten Hallen unterzubringen.
Die »deutlich breiteren Gänge« waren leider nicht überall zu finden, weswegen es immer wieder zu Engpässen kam, insbesondere in den Hallenecken oder wenn Hallenecken auf Durchgänge trafen, kam es zu massiven Stauungen – und das obwohl es am Donnerstag eigentlich noch gar nicht so voll war. Hier sehe ich trotz des wirklich guten Ansatzes, für breitere Gänge zu sorgen, noch Luft nach oben (und manche Gänge waren genauso eng wie in der Vergangenheit – und dort entstanden dann wie gewohnt Engstellen).
Was mir negativ aufgefallen ist, waren die bereits kurz nach Öffnung überquellenden Mülleimer. Die zu leeren hat früher deutlich besser funktioniert und die allenthalben an den Behältern zu sehenden Müllberge waren ein echtes Ärgernis.
Aber um die Meta-Betrachtungen hier mal abzuschließen: Die Organisation dramatisch besser als »früher«, das neue Hallenkonzept sehr gut, aber mit Luft nach oben.
Deutscher Spielepreis
Neben dem durch eine Fachjury vergebenen »Spiel des Jahres« wurde hier endlich das durchgeführt, was ich mir seit Jahren gewünscht hatte, es gibt einen Community-Award mit dem Titel »Deutscher Spielepreis«. Hurra!
Den ersten Platz belegte PLANET UNKOWN von Ryan Lambert und Adam Rehberg (Strohmann Games / Adam’s Apple Games). Die offizielle Beschreibung von der Verlagswebseite liest sich wie folgt:Seid gegrüßt, Planetenforscher! Die Ressourcen der Erde sind erschöpft. Im Zuge des Weltraum-Erforschungsprogramms wurdet ihr auserwählt, unbekannte Planeten zu erschließen und so die Zukunft der Menschheit zu sichern.
Sammle die meisten Medaillen, um zu gewinnen. Baue dazu deinen Planeten effizient aus, schreite auf deinen Ressourcenleisten voran, sammle Rettungskapseln ein, beseitige Meteoriten und behaupte dich gegen die Planeten links und rechts von dir.
Die drehbare Raumstation (S.U.S.A.N.) ist ein Alleskönner: Sie lässt euch alle gleichzeitig eure Plättchen wählen und dank ihr ist das Spiel nicht nur schnell aufgebaut, sondern auch aufgeräumt in der Schachtel verstaut.
Die Komplexität wird mit »einfach« angegeben, es können ein bis sechs Spieler ab zehn Jahren teilhaben, ein Spiel dauert ca. 70 Minuten und das Game kostet ca. 70 Euro (Vorsicht: da es im Moment gern mal ausverkauft ist, wird versucht, deutlich höhere Preise anzusagen).
Eine kurze Erläuterung von Juryteilnehmern (allerdings von der Spiel des Jahres-Jury), warum PLANET UNKNOWN dort nominiert war, inklusive Vorstellung der Spielmechanismen gibt es in einem Video:
Auf Platz zwei landete die Computerspieleadaption DORFROMANTIK von Lukas Zach und Michael Palm, illustriert von Paul Riebe, aus dem Hause Pegasus (ein »wir bauen eine Gegend auf-« Legespiel). Die hatte auch bereits den preis »Spiel des Jahres« der Fachjury eingeheimst. Beschreibungstext:Plätschernde Flüsse, rauschende Wälder, sich im Wind wiegende Weizenfelder und hier und da ein schnuckeliges, kleines Örtchen – das ist Dorfromantik! Das Videospiel des kleinen Entwicklerstudios Toukana Interactive begeistert seit dem Early Access im März 2021 die Gaming Community und heimste schon allerlei namhafte Preise ein. Nun verwandeln Michael Palm und Lukas Zach das populäre Aufbaustrategie- und Puzzlespiel in ein Familienspiel für Groß und Klein mit Dorfromantik – Das Brettspiel.
In Dorfromantik – Das Brettspiel legen bis zu sechs Spielende gemeinsam sechseckige Plättchen zu einer wunderschönen Landschaft zusammen und versuchen dabei, die Aufträge der Bevölkerung zu er-füllen, zugleich ein möglichst langes Gleis und einen möglichst langen Fluss zu legen, aber auch die Fahnen zu berücksichtigen, die in abgeschlossenen Arealen für Punkte sorgen. Je besser dies den Spielenden gelingt, umso mehr Punkte können sie am Schluss erreichen. Im Verlauf der wiederspielbaren Kampagne können mit den erzielten Punkten neue Plättchen freigespielt werden, die sich in zunächst verschlossenen Schachteln verbergen. Diese stellen den Spielenden neue, zusätzliche Aufgaben und ermöglichen es, den Highscore immer weiter nach oben zu schrauben.
Geeignet für ein bis sechs Spielende ab acht Jahren, ein Spiel dauert 30 bis 60 Minuten. DORFROMANTIK kostet ca. 40 Euro. Auch hierzu gibt es ein Video der Jury von Spiel des Jahres:
Anmerkung: Überhaupt waren allenthalben Computerspieleadaptionen als Brett- oder Gesellschaftsspiele zu bemerken. Das gab es früher auch bereits, aber in diesem Jahr war es in der festzustellenden Menge besonders auffällig.
Auf dem dritten Platz der Publikumswertung findet man HEAT aus dem Hause Days Of Wonder, vertrieben von Asmodee, ersonnen von Asger Harding Granerud und Daniel Skjold Pedersen. Auf der Asmodee-Webseite kann man dazu lesen:Der Countdown startet, die Motoren heulen auf und schon rasen die Wagen los. Der Grand Prix hat begonnen. Staub weht dir entgegen, als du in die erste Kurve einfährst. Du holst alles aus deiner Maschine raus und gerätst fast ins Schleudern. Aber mit festem Griff am Lenkrad saust du durch den Scheitel der Kurve, immer noch in Führung. An dir kommt so schnell keiner vorbei!
In diesem Rennen gibt’s keine Kompromisse, also Vollgas, bis die Reifen qualmen!
Heat ist ein schnell gelerntes und intuitives Hand-Management-Spiel, das dich ins Cockpit eines Rennwagens der 1960er-Jahre versetzt. Wähle die richtigen Upgrades für deinen Wagen, um perfekt in der Kurve zu liegen, den Motor kühl zu halten und trotzdem Top-Geschwindigkeiten zu erreichen. Der Schlüssel zum Sieg sind jedoch deine Fahrkünste.
Erlebe den Nervenkitzel eines Einzelrennens oder verwende das Meisterschaftssystem, um eine ganze Saison zu fahren und vor jedem Rennen deinen Wagen weiter zu verbessern. Keine zwei Rennen in Heat werden gleich verlaufen.
HEAT ist für ein bis sechs Spieler ab zehn Jahren gedacht und dauert eine Stunde oder mehr. Der Preis scheint sich derzeit so bei 75 Euro zu bewegen.
Free League Entertainment: ALIEN & BLADE RUNNER
Persönlich habe ich zum einen Geld bei Free League gelassen (die einen bemerkenswerten Stand aufgebaut hatten, nicht riesig groß für einen Anbieter aus dem Special-Interest-Segment Pen&Paper aber gepackt voller Games), dort lockten die Rollenspiele zu BLADE RUNNER und ALIEN, auf die ich schon länger ein Auge geworfen hatte und jetzt war die perfekte Gelegenheit. Zu den Spielen muss man sicherlich nicht viel sagen, wozu ich aber etwas sagen möchte, ist der grandiose Support von Free League.
Ich hatte während des Kaufs der beiden Games nach PDF-Versionen gekauft und die Antwort erhalten, das sei überhaupt kein Problem, da ich mit Karte bezahlt hätte bekäme ich eine Email mit Kontaktinfos, an die könne ich schreiben und dann würde man mir die PDFs zuschicken. Einfach so, ohne zusätzliche Kosten, was ich ohnehin schon mal grandios fand.
In der SumUp-Mail fehlten dann aber die Kontaktinfos, so dass ich mich noch am Messetag per Mail an den Support wandte, die Situation beschrieb und fragte, was zu tun sei. Ich weiß nicht mehr genau, wie schnell die Antwort kam, aber es war definitiv unter einer Stunde. Man schrieb mir, das sei überhaupt kein Problem, man würde mir die PDF-Links zu DriveThru innerhalb von 24 Stunden zusenden. Drei Stunden später waren die Mails bereits da.
Das ist mal ein Top-Support, den ich ausdrücklich hervorheben möchte. Grandios!
Details zu den Spielen folgen möglicherweise später, aber anmerken möchte ich bereits jetzt, dass die Layouts grandios sind.
HE.R.O von Robert Schappacher
Das war eher ein Zufallskauf. Ich kam am Stand von Eely River Games vorbei und da ich Manga- und Animé-affin bin, fiel mir das Cover ins Auge. Als ich zum Spielkarton griff, um einen schnellen Blick zu werfen, war es im Prinzip bereits zu spät, denn die Standbesatzung, darunter der Spielautor Rober Schappacher selbst (plus sein Bruder, laut Aussage »zuständig für die unlustigen Dinge wie Finanzen und Vertrieb«), bewarfen mich sofort auf dermaßen charmante und witzige Art und Weise mit Infos über das Game, dass ich allein schon aus geweckter Sympathie einen zweiten Blick werfen musste.
Im Spiel geht es um die Notaufnahme eines Krankenhauses (deswegen auch die beiden Punkte im Titel: wegen der Abkürzung von »Emergency Room«). Der Waschzettel auf der Rückseite sagt:
In HE.R.O schlüpfen 2 – 4 Spieler in die Rollen junger Ärzte, de ihre erste Nachtschicht überleben müssen. In ihrer Schicht müssen sie Patienten retten, operieren und möglichst viele Heldenpunkte sammeln – und ausreichend schlafen. In diesem rundenbasierten Brettspiel sind Timing und Opportunismus der Schlüssel zur erfolgreichen Meisterung der Nachtschicht.
Wie Robert mir erzählte, hat das Game autobiografische Züge, da er selbst als Jungarzt im Krankenhaus arbeitet und darin wohl seine Notaufnahme-Erlebnisse auf lustige Art verarbeiten möchte.
Äußerst erfreulich finde ich, dass man HE.R.O sowohl kompetitiv als auch kooperativ spielen kann. Bemerkenswert ist die äußert üppige Ausstattung und das Gewicht der Schachtel und dass das tatsächlich trotzdem nur 55 Euro kosten soll.
HE.R.O ist ein für zwei bis vier Spieler ab 14 Jahren gedacht, eine Partie dauert ca. 60 Minuten, wie mir von den Machern mitgeteilt wurde, kann das bei entsprechend »motivierten« Spieler°Innen auch deutlich länger dauern. ;) Obwohl es von einem kleinen Indie-Verlag ist, liegt es in Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch und Spanisch vor.
Ich habe das schon für eine Testrunde mit »motivierten« Spieler°Innen vorgesehen und werde danach ausführlich berichten. Eine Videorehe mit Erläuterungen wie HE.R.O funktioniert findet man auf dem Youtube-Kanal von Eely River Games:
Und sonst so?
Äußerst positiv fiel mir auf, dass der Anteil an Games, die ich als »Nerd-Spiele« bezeichnen würde – der Veranstalter nennt sie vermutlich »Kenner-Spiele«, da sie in Thema oder Komplexität über den Mainstream deutscher Publikumsverlage deutlich hinausgehen – mir erheblich höher erschien als bei vergangenen Veranstaltungen. Das kann aber auch daran gelegen haben, dass man im Rahmen des neuen »Hallenkonzepts« diese Games in einer Halle konzentrierte. Sollte dem so sein, ging das neue Hallenkonzept für mich zumindest in dieser Hinsicht auf.
Gut wäre, wenn es an den Eingängen Hinweise darauf gäbe, welche Themen in welchen Hallen zu finden sind, beispielsweise mittels übersichtlicher Plakate (ja, ich weiß, es gibt eine App, aber ich habe schon mehr als genug Apps installiert, Plakate (oder Infobildschirme) wären eine einfache, schnelle und benutzerfreundliche Lösung, um sich direkt nach dem Betreten des Messegeländes informieren zu können).
Nach wie vor finde ich äußert schade, dass die SPIEL in Essen zwar reichlich Aspekte des Hobbies abbildet, aber leider irgendwann LARP und verwandte Gebiete aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen rausgefallen sind (verschiedene Aussteller erzählten mir in der Vergangenheit unter der Hand, dass man beim Merz-Verlag lieber »ernsthafte« Gesellschaftsspiele präsentieren wollte, und »die Verrückten« nicht in das gewollt seriöse Bild passen würden – das ist natürlich nur Hörensagen und ich kann mich für die Korrektheit nicht verbürgen, klingt aber plausibel). Das ist umso bitterer, als mit dem Untergang der RolePlay Convention in Köln die einzige größere Veranstaltung, die auch dieses Thema abdeckte, Geschichte ist. Es wäre in meinen Augen überaus wünschenswert, wenn man die Abkehr von diesem Hobby beim Merz-Verlag und den neuen Veranstaltern nochmal überdenkt und es ebenfalls wieder auf der SPIEL ansiedeln würde. Die Überschneidungsmenge mit den an ohnehin präsentierten Produkten aus den Bereichen Rollenspiel und Tabletop Interessierten ist groß. Zum einen würde das zu mehr Besuchern führen, weiterhin zu haufenweise presse- und publikumswirksamen Gewandeten – und es würde an frühere Glanzzeiten dieser Messe anknüpfen, an die man sich nur noch wehmütig erinnern kann. Platz dafür wäre auf der SPIEL mehr als reichlich vorhanden.
Zum Schluss sei noch meine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass mit der Aufnahme der Stadt Essen ins offizielle neue Logo alle Spekulationen, dass man die Messe vielleicht aus der Ruhrgebietsstadt wegverlegen möchte, ein für alle mal widerlegt wurden. Und ebenfalls freue ich mich darüber, dass mit dem neuen Inhaber nicht nur Professionalität und Modernität beim Merz-Verlag eingezogen ist, sondern auch, dass die Spiel Essen 23 wieder viel mehr an »alte Zeiten« erinnerte, als die letzten Merz-Veranstaltungen, die gefühlt auf einem absteigenden Ast waren, was die Nerd-Zielgruppe (also mich) anging. Wenn das konsequent so weiter geführt wird, könnte ich mich auf der Spielemesse Essen vielleicht in Zukunft wieder so zuhause fühlen, wie früher.
Abschließend noch eine Bildergalerie mit Impressionen.
Coverabbildung PLANET UNKNOWN Copyright Strohmann Games, Coverabbildung DORFROMANTIK Copyright Pegasus Spiele, Coverabbildung HEAT Copyright Asmodee/Days Of Wonder, Coverabbildung HE.R.O Copyright Eely River Games