Travis Baldtree – LEGENDS AND LATTES

Cover Legends And Lattes

Kaf­fee! Kuchen!

Was zur Höl­le ist denn jetzt wie­der »Cozy Fan­ta­sy?«, dach­te ich mir, als ich auf Mastodon über eine Bespre­chung zu Tra­vis Bald­trees Roman LEGENDS AND LATTES stol­per­te. Eine Recher­che zeig­te schnell, dass die Bezeich­nung eher neue­ren Datums ist und und exakt die­ser Roman offen­bar der Aus­lö­ser für das Ent­ste­hen des Begriffs war. Zitat von Camp­fire­wri­ting:

Cozy fan­ta­sy is a term to descri­be ligh­ter fan­ta­sy fic­tion that focu­ses on warm­th, com­fort, and a sen­se of belon­ging. If you’ve ever wan­ted to lose yourself in a magi­cal fan­ta­sy world but weren’t in the mood for dark the­mes and stress­ful, epic quests, cozy fan­ta­sy fic­tion is exact­ly what you need.

Ich hat­te zuerst etwas Sor­ge, ob das zu weich­ge­spül­ter Lan­ge­wei­le füh­ren wür­de. Als Kaf­fee­fan inter­es­sier­te mich das The­ma aller­dings sehr und des­we­gen bekam LEGENDS AND LATTE sei­ne Chan­ce. Und das war auch gut so.

Der Wer­be­text liest sich wie folgt:

High fan­ta­sy, low sta­kes – with a dou­ble-shot of coffee.

After deca­des of adven­tu­ring, Viv the orc bar­ba­ri­an is final­ly han­ging up her sword for good. Now she sets her sights on a new dream – for she plans to open the first cof­fee shop in the city of Thu­ne. Even though no one the­re knows what cof­fee actual­ly is.

If Viv wants to put the past behind her, she can’t go it alo­ne. And help might arri­ve from unex­pec­ted quar­ters. Yet old rivals and new stand in the way of suc­cess. And Thune’s shady under­bel­ly could make it all too easy for Viv to take up the bla­de once more.

But the true reward of the unchar­ted path is the tra­vel­lers you meet along the way. Whe­ther bound by anci­ent magic, deli­cious pas­tries or a fresh­ly bre­wed cup, they may beco­me some­thing deeper than Viv ever could have imagined.

Und das beschreibt eigent­lich auch schon ziem­lich genau, wor­um es in die­sem … nen­nen wir es mal … unbe­schwer­ten Fan­ta­sy-Roman geht. Viv die Orks­öld­ne­rin hat bei den Gno­men ein Getränk namens »Kaf­fee« ken­nen­ge­lernt (wie es sich für  Gno­me gehört natür­lich inklu­si­ve einer ela­bo­rier­ten Kaf­fee­er­zeu­gungs­ma­schi­ne), war begeis­tert, und hat sich ent­schlos­sen, es den Bewoh­nern von Thu­ne nahe­zu­brin­gen indem sie ein Café eröff­net, um fort­an davon zu leben. Und das Söld­ner­le­ben hin­ter sich zu las­sen, bevor es zu spät ist.

Der gan­ze Stil mit sei­nen lie­bens­wer­ten, skur­ri­len Figu­ren, die alle mehr­schich­tig und gegen den übli­chen Fan­ta­sy-Strich gebürs­tet sind, ohne das Gen­re oder sei­ne Kli­schees zu ver­leug­nen, hat mich an das erin­nert, was man frü­her »Fun­ny Fan­ta­sy« nann­te. Bei­spiels­wei­se an die Dämo­nen-Rei­he von Robert Asprin (da pas­sier­te auch nie wirk­lich Schlim­mes und es gab reich­lich Spaß durch Unvor­her­ge­se­he­nes und die Gags, die sich dar­aus ent­wi­ckel­ten, und auch Asprin spiel­te mit Fan­ta­sy-Ver­satz­stü­cken in ganz ähn­li­cher Art wie Bald­tree in LEGENDS AND LATTES). Dazu kommt der die ganz Zeit vor­han­de­ne unter­schwel­li­ge bis offen­sicht­li­che Humor, der glück­li­cher­wei­se nicht schen­kel­klop­fend oder kla­mau­kig daher kommt, son­dern viel von Klei­nig­kei­ten, sze­ni­scher Komik oder Cha­rak­ter­in­ter­ak­ti­on lebt. Der Autor schafft es, das so groß­ar­tig zu beschrei­ben, dass man regel­mä­ßig vor dem inne­ren Auge sieht, wie sich in einer ange­nom­me­nen Fern­seh­se­rie oder einem Film Figu­ren Bli­cke zuwer­fen, oder wie klei­ne Ges­ten Komik erzeu­gen, zumin­dest ging es mir so.

Ja, das ist weder ein Dra­ma noch eine epi­sche Fan­ta­sy­sto­ry, aber genau die­ser Gegen­satz zu dem, was man bis­her so kennt, macht auch genau den Reiz aus. Es wer­den eben kei­ne Orks geköpft und es geht auch nicht um das Wei­ter­be­stehen der Welt. Es geht ganz klein um eine Ork-Söld­ne­rin, die sich ein neu­es Leben wünscht und das auch umsetzt, Trotz aller Zwei­fel von außen und auch trotz gewis­ser Selbst­zwei­fel. Manch einer mag sich dar­über echauf­fie­ren, dass so wenig Kon­flikt­po­ten­ti­al herrscht, aber ich bin der Ansicht, dass wir so etwas genau jetzt in die­ser Zeit vol­ler Hass und Het­ze pri­ma brau­chen kön­nen, eben­so wie der Grund­te­nor, dass man ein­fach tun soll, wor­an man Spaß hat und dass ver­meint­li­che Außen­sei­ter tat­säch­lich gar kei­ne sind und es sich bei ent­spre­chen­den Ein­schät­zun­gen nur um über­kom­me­ne gesell­schaft­li­che Tra­di­tio­nen han­delt. Die übli­chen strunz­kon­ser­va­ti­ven Pöb­ler wer­den die­sen Roman für »woke« hal­ten, was ihn noch viel emp­feh­lens­wer­ter macht – und man könn­te auf die Idee ver­fal­len, ihn schon allein des­we­gen zu kau­fen, um die zu ärgern.

Lang­wei­lig ist das trotz feh­len­der Action an kei­ner Stel­le, es macht ein­fach zu viel Spaß, mit den so unter­schied­li­chen Prot­ago­nis­ten die­ses Fan­ta­sy-Café aufzubauen.

Die eine Kri­tik die ich habe ist, dass im letz­ten Teil des Buches wie aus dem US-ame­ri­ka­ni­schen Lehr­buch für Roman- oder Dreh­buch­schrei­ben­de der gro­ße Rück­schlag kommt, den ich in die­ser Form ein wenig auf­ge­setzt fand und der anders bes­ser hät­te gelöst wer­den können.

Dem Lese­spaß all­ge­mein tut das aller­dings kei­nen Abbruch, erst recht nicht, weil der Rest eben durch sei­ne sym­pa­thi­schen Cha­rak­te­re, Umge­bun­gen, Gags und far­bi­gen Beschrei­bun­gen hoch­gra­dig unter­halt­sam ist (das sahen auch ande­re so, denn LEGENDS AND LATTES wur­de als »bes­ter Roman« für Nebu­la und Hugo nomi­niert). Ich wünsch­te mir als Leser, ich könn­te die­ses Fan­ta­sy-Café mal besu­chen und den Kaf­fee testen.

Wer Bock auf einen leich­ten Fan­ta­sy-Keks zum Kaf­fee hat, dem emp­feh­le ich unbe­dingt, sich mal an die­sem Ama­ret­ti­ni zu ver­su­chen. Wer Sword & Sorce­ry, GAME OF THRONES oder ählich episch-blüt­rüns­ti­ges Stan­dard-Gen­re-Zeugs sucht, der ist hier defi­nit falsch. Dafür kann man den Roman auch sei­nen Kin­dern pro­blem­los in die Hän­de drücken.

Es exis­tiert eine deut­sche Über­set­zung mit dem Titel MAGIE UND MILCHSCHAUM (erschie­nen bei dtv, 12,99 EUR als eBook, 16,95 EUR als Paper­back), auf­grund zahl­lo­ser unüber­setz­ba­rer For­mu­lie­run­gen und wegen sprach­li­cher Eigen­hei­ten gewis­ser Cha­rak­te­re emp­feh­le ich drin­gend das Original.

Eigent­lich ist also völ­lig egal, was »Cozy Fan­ta­sy« ist. Lesen. Ins­be­son­de­re Kaffee-Fans.

p.s.: Ich habe kei­ne Ahnung was sich Tor Books bei dem eher unkrea­ti­ven Cover­bild ihrer Aus­ga­be gedacht hat, das Ori­gi­nal­ti­tel­bild von Cryp­tid Press (oben über der Bespre­chung) ist viel pas­sen­der (und erin­nert auch noch an die Cover von Asprins Dämonen-Romanen).

Cover Legends And Lattes

LEGENDS AND LATTES
Tra­vis Baldtree
Kaffee-Fantasy-Roman
Taschen­buch:
ISBN-13: 978–1035007325
320 Sei­ten, ca. 9,20 EUR
(erscheint erst im Okto­ber 2023)
Hard­co­ver:
ISBN-13:? 978–1035007301
320 Sei­ten, ca. 21 EUR
eBook:
ASIN: B0B426VJL7
ca. 9,00 EUR
Tor Books Novem­ber 2022
Cryp­tid Press Febru­ar 2022

AutorIn: Stefan Holzhauer

Meist harm­lo­ser Nerd mit natür­li­cher Affi­ni­tät zu Pixeln, Bytes, Buch­sta­ben und Zahn­rä­dern. Kon­su­miert zuviel SF und Fan­ta­sy und schreibt seit 1999 online darüber.

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