Wer bestimmt eigentlich, ob Bücher eine Seele haben?

Engel holt die Seele eines Sterbenden

In der Online-Ver­si­on der Neu­en Zür­cher Zei­tung fin­det sich heu­te in der Rubrik »Lite­ra­tur« ein recht eso­te­risch ange­hauch­tes Geschwur­bel des St. Gal­le­ner Pro­fes­sors Vin­cent Kauf­mann. Dar­in betrach­tet er wort­reich (und eigent­lich auch äußerst tldr;), war­um »eBooks kei­ne See­le haben«. Eine ech­te Begrün­dung, die über all­zu oft ver­nom­me­ne Vor­ur­tei­le und Kul­tur­chau­vi­nis­mus hin­aus geht, sucht man auch bei mehr­ma­li­gem Lesen lei­der ver­ge­bens.

Und es kommt noch bes­ser: nach der nicht nur leicht nach abge­ho­be­nem Eli­te­kul­tur-Feti­schis­mus klin­gen­den Mei­nung des Ver­fas­sers haben auch Unter­hal­tungs­bü­cher eben­so­we­nig eine See­le, wie bei­spiels­wei­se »Fif­ty Shades Of Grey« – und letz­te­res ver­blüf­fen­der­wei­se des­we­gen, weil es »unan­stän­dig« ist. Er setzt also sei­ne Moral­vor­stel­lun­gen von vor­geb­lich »unan­stän­di­gen« Büchern mit feh­len­der See­le bei die­sen gleich. Wer ent­schei­det eigent­lich, was Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur, was »unan­stän­dig« und was »hoch­ste­hen­de« Lite­ra­tur (die dann ohne Auf­preis inklu­si­ve See­le) ist? St. Gal­le­ner Pro­fes­so­ren? Lite­ra­tur­kri­ti­ker? Aka­de­mi­ker? Lang­wei­ler? Kul­tur­chau­vi­nis­ten? Elfen­bein­turm­ho­cker?

Alles in allem ist es mei­ner Ansicht nach scha­de um den mit die­sem wort­hül­si­gen Schwa­dro­nat ver­geu­de­ten Platz. Die »See­le« eines Wer­kes steckt wahr­lich nicht in der äuße­ren Form, son­dern im Text, egal wie die­ser dar­ge­bo­ten wird. Nie­mand bestimmt dar­über, wel­che Lite­ra­tur­gen­res heut­zu­ta­ge »wer­tig« sind und wel­che nicht. Betrach­ten wir die Geschich­te der Lite­ra­tur, stel­len wir immer wie­der fest, dass Bücher, die heu­te als Klas­si­ker von Kul­ture­li­tis­ten hoch­ge­lobt wer­den, zu ihrer Zeit von den Ahnen der Kri­ti­ker in Grund und Boden ver­dammt wur­den. Als Schund. Noch Fra­gen?

Ach ja: lie­ber Herr Pro­fes­sor Kauf­mann, wenn man schon Har­ry Pot­ter bemüht, dann doch bit­te kor­rekt. Der Begriff lau­tet »Hor­krux« oder Hor­crux« und nicht etwas »Hor­cro­axes«, wie sie es mehr­fach schrei­ben. »Hor­cro­ax« ist ver­mut­lich das, was ein Frosch mit Hals­lei­den ruft. Aber wahr­schein­lich ist HARRY POTTER auch nur so ein see­len­lo­ser Schund und da muss man sich gar nicht erst wegen der Kor­rekt­heit eines Begrif­fes bemü­hen. Wirk­lich pein­lich wird es dann aber, wenn aus FAHRENHEIT 451 zitiert wird und der so erha­be­ne Ver­fas­ser dabei den Namen des Autoren falsch schreibt. Mehr­fach. Der Mann – übri­gens einer der renom­mier­tes­ten und ange­se­hends­ten SF-Autoren über­haupt –  heißt nicht »Brad­bur­ry«, son­dern Brad­bu­ry. Das soll­te ein Pro­fes­sor wis­sen, auch wenn er sich nicht für Sci­ence Fic­tion inter­es­siert. Selbst wenn es sich dabei um see­len­lo­se Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur han­delt …

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Bild: Engel holt die See­le eines Ster­ben­den, Holz­schnitt, 15. Jahr­hun­dert, Public Domain, aus der Wiki­pe­dia

2 Kommentare zu „Wer bestimmt eigentlich, ob Bücher eine Seele haben?“

  1. Dass ein fik­tio­na­ler Schwarz­ma­gi­er aus einem Jugend­buch in der Lage ist, einen Teil sei­ner See­le in eine Vase zu stop­fen, beweist also, dass »Aus dem Leben eines Tau­ge­nichts« nur dann eine See­le hat, wenn man es auf Papier druckt und in die Haut einer toten Kuh hüllt?!
    Das kann Herr Kauf­mann nur sati­risch gemeint haben – ver­mut­lich hat sich die Redak­ti­on geirrt und soll­te den Arti­kel erst am 1. April brin­gen.

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