[Spiel 2012] Gestern war ich auf der Pressekonferenz zur Spiel 2012 alias »Internationale Spieltage« mit angeschlossener Neuheitenshow, bekanntermaßen die größte internationale Messe für Brett- und Gesellschaftsspiele. Ein paar der Eckdaten möchte ich an dieser Stelle zusammen fassen, bevor ich mich dann morgen ins Geschehen vor Ort stürzen werde. Aus diesem Grund wird sich hier auf PhantaNews morgen vermutlich nichts tun.
In diesem Jahr wird die Spiel zum 30. Mal ausgerichtet. Trotz dieses Jubiläums gibt es allerdings keine besonderen Events. Erstmalig gab es die Spiel im Jahr 1983, da fand sie in der Volkshochschule Essen statt. 12 selektiv angesprochene Anbieter waren vor Ort – allerdings kamen statt der angemeldeten 700 Spieler dann dank eines Berichts im Morgenmagazin des WDR 5000. Im Jahr darauf rechnete man bereits mit mehr Zulauf, aber auch diesmal sprengten die 15000 Interessierten die Veranstaltung. Ein neuer Ort musste her und der wurde mit dem Messegelände Essen gefunden. seit 1985 finden die »Internationalen Spieltage« dort statt (und ich möchte anmerken: seitdem war ich persönlich in jedem Jahr dort).
In diesem Jahr findet man 827 Aussteller aus 37 Nationen, das ist ein neuer Ausstellerrekord. Neben den bereits bekannten Spielen gibt es ca. 800 Neuvorstellungen.
Im Trend sind in diesem Jahr laut den Veranstaltern zum einen Spiele mit Würfeln – vielen Würfeln wie in WÜRFELMANIA!, da sind es 133 Stück. Zum anderen sind kooperative Spiele trendy, bei denen die Spieler nichtz gegeneinander sondern zusammen arbeiten müssen, um das Spielziel zu erreichen. Damit hängt sich die Spielebranche erneut an einen Trend, der im Bereich der Genre-Spiele aus den USA und England schon seit Längerem zu beobachten ist, ich nenne als Beispiel nur mal ARKHAM HORROR. Aktuelle Beispiele sind DIE LEGENDEN VON ANDOR von Kosmos oder Queen Games’ ESCAPE – FLUCH DES TEMPELS.
Interessante Begebenheiten am Rande: Hermann Hutter ist der Vorsitzende der »Fachgruppe Spiel«, der diverse namhafte Spielefirmen angehören. Der sagte, dass der Buchhandel »angesichts sinkender Umsätze unter anderem durch eBooks« offenbar daran interessiert ist, verstärkt Spiele zu vertreiben«. Das wird dem stationären, klassischen Spielehandel wahrscheinlich nicht gefallen – allerdings sind die Umsätze mit eBooks derzeit noch so gering, dass ich das eher als präventive Maßnahme sehen würde, denn als aktuelle.
Fragwürdig in meinen Augen die folgende Aussage:
»Immer mehr Kinder sind motorisch zurückgeblieben. Sie können zwar mit Handy und PC umgehen, aber keine Schleife binden.«
Wie bitte? Zum einen kann ich nicht nachvollziehen, wie man auf die potentielle künftige Zielgruppe derart verbal einprügeln kann. Zum anderen werden hier in der Aussage pädagogische Klischees aus der untersten Schublade bedient, die sich vermutlich empirisch nicht belegen lassen. Der Medienwandel findet statt und man wird Kindern eher Medienkompetenz beibringen können, wenn man ihnen erlaubt, sich auch frühzeitig mit den heute notwendigen Medien zu umgeben und deren Nutzung zu lernen. Den Kunden der Zukunft unterschwellig mitzuteilen, dass sie mal lieber die Finger von der bösen Elektronik lassen und lieber die guten Brettspiele spielen sollen, halte ich für keinen geschickten Schachzug. Zumal die Einstufung von Computer, Handy und Co. als »das Böse« einfach zu kurz greift, denn es ist zu vermuten, dass das soziale Umfeld und die Bedingungen im Elternhaus mehr Einfluss auf die Entwicklung der Kinder haben dürften, als Handies. Weiterhin wird meiner Ansicht nach völlig außer Acht gelassen, dass Spiele nicht erst mit der Euro-Einführung zum Teil aasgeierig teuer geworden sind – und wie inzwischen jeder aus den Medien erfahren haben dürfte, klafft die Schere zwischen Arm und reich auseinander und die Armen sind deutlich mehr geworden. Die werden ihr Geld eher in Nahrungsmittel umsetzen müssen, als ein Gesellschaftsspiel für 35 Euro zu kaufen.
Letztendlich erscheint mir die Aussage zudem als nicht glaubwürdig, wenn Mattel nebenan in der Neuheitenshow eine dümmliche App vorstellt, die man mit einer käuflich zu erwerbenden Spielfigur für 14,99 Euro spielen kann (dazu an anderer Stelle mehr). Dort war übrigens auch Sony mit dem »Wonderbook« zu finden, das Bücher mit der Playstation3-Konsole und dem Move-Controller verbindet, auch kein klassisches Brettspiel, oder?
Es gibt die neuen Medien und es gibt auch Alternativen zum klassischen Spiel. Die Branche würde gut daran tun, diese nicht als kinderverdummendes Teufelswerk abzutun, sondern sich neuen Arten des Hobbies und neuen Kombinationen aus klassischem und multimedialem Hobby zu öffnen (und wenn man sich die Angebote ansieht, dann ist das auch trotz des eröffnenden Satzes eigentlich so, was ihn noch fragwürdiger macht). Abschließend möchte ich noch anmerken, dass es definitiv ein Gesellschaftsspiel ist, wenn sich eine ganze Familie oder eine Clique aus Freunden vor der Wii versammelt, um zusammen zu spielen … :)
Das ist übrigens auch der Grund, warum ich hier auf PhantaNews mit voller Absicht nicht zwischen Gesellschafts- und Computerspiel unterscheide und es nur eine Kategorie dafür gibt: Spiel ist Spiel, egal in welchem Medium.
Abgesehen davon habe ich auf der Neuheitenshow das ein oder andere interessante Produkt entdeckt, das ich mir näher ansehen und darüber berichten werde.
In Sachen Rollenspiel und LARP sah es auf der Pressekonferenz genau so aus, wie im letzten Jahr: diese Themen fanden nicht statt, traurig genug angesichts der Tatsache, dass sie eine ganze Halle füllen und in Ablegerform in weiteren zu finden sind. Bei einem Rundgang durch die Hallen, in denen geschäftig aufgebaut und geräumt wurde, sah der übliche Rollenspielbereich auf den ersten Blick ähnlich traurig aus wie im letzen Jahr. Das mag aber im Bautrubel täuschen, mehr weiß ich sicher morgen.
Dass der P&P- und LARP-Bereich derart stiefmütterlich behandelt wird, ist insbesondere deswegen nicht nachzuvollziehen, weil der Fantasy-Anteil bei den klassischen Spielen massiv wächst. Viele große Anbieter haben die verschiedensten Games mit deutlichem Fantasy- oder SF-Einschlag im Gepäck, das Genre an sich ist meiner Ansicht nach überproportional vertreten. Warum das nicht für Synergien mit dem Angebot in Halle sechs genutzt wird, ist mir völlig schleierhaft. Elitäres Denken der Gesellschaftsspiel-Branche?
Mehr in den nächsten Tagen.
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Logo Spiel und ComicAction Copyright Merz Verlag, die beiden anderen bilder von mir, CC BY-NC-SA
»Immer mehr Kinder sind motorisch zurückgeblieben. Sie können zwar mit Handy und PC umgehen, aber keine Schleife binden.«
Komisch, meins kann beides – einen PC bedienen und sich eine Schleife binden. Da müssen wir wohl irgendwas falsch gemacht haben … ;-)
Abgesehen davon: wie Motorik-fördernd sind denn alte Brettspielklassiker wie z.B. »Mensch ärgere Dich nicht«?
»Zum anderen sind kooperative Spiele trendy, bei denen die Spieler nichtz gegeneinander sondern zusammen arbeiten müssen, um das Spielziel zu erreichen.«
Bei dem Satz mußte ich spontan an die guten alten Pen & Paper Rollenspiele denken, denn auf diese trifft das mit der notwendigen Zusammenarbeit der Spieler hundertprozentig zu. Schade, daß da noch keiner drauf gekommen ist … ;-)