Onleihe nennt sich das Verfahren, mit dem die eBooks auch bei dem Stadtbüchereien angekommen sein sollten. Tatsächlich steht dem allerdings im Weg, dass den Verlagen die Onleihen ein Dorn im Auge sind, da sie der Ansicht sind, dass dadurch ihr Einkommen erheblich gemindert wird. Deswegen hört man aus Richtung der Verlage und des Börsenvereins zu diesem Thema bereits seit Jahren viel »Mimimi«.
Bonnier und Holtzbrinck (und damit auch Droemer Knaur, Fischer, Kiepenheuer & Witsch, Rowohlt, Piper, Ullstein und Carlsen) haben den Büchereien jetzt ein Angebot gemacht, das diese sehr wohl ablehnen können. Auch wenn man heftig herumlobbyisiert hat, um festzustellen, dass eBooks auch ganz normale Bücher im Sinne des Buchpreisbindungsgesetzes sind, möchte man für die Onleihe-eBooks offenbar einen anderen Status inklusive Verfallsdatum.
Denn die Lizenzbedingungen beinhalten zum einen, dass die klassisch klammen Bibliotheken für eBooks den zweieinhalbfachen Endkundenpreis bezahlen sollen. Für den erhöhten Preis haben die dann auch noch ein besonderes Feature: ein Verfallsdatum. Denn die Lizenzen sollen nach zwei vier Jahren oder gerade mal 52 Ausleihvorgängen verfallen.
Der Bibliotheksverband Franken hat es dann in einer Stellungnahme nachvollziehbarerweise auch abgelehnt, eBook-Lizenzen zu diesen Bedingungen zu erwerben. Ich gehe davon aus, dass andere nachziehen werden.
Da sehen wir in meinen Augen wieder einmal, dass großen Verlagen die klingelnde Kasse offenbar deutlich wichtiger ist, als die Unterstützung von Kunst und Kultur bei gemeinnützigen Einrichtungen wie Stadtbüchereien. Diejenigen, die sich selbst immer wieder gern als Kulturhüter und ‑Unterstützer gerieren, sind meiner Ansicht nach längst primär zu Geldhütern geworden. Personen, die auf die Büchereien angewiesen sind, weil sie sich den Buchkauf nicht leisten können (in Deutschland ist inzwischen jeder Fünfte arm oder von Armut bedroht), schauen in die Röhre.
Wenn sich Mitbürger keine Bücher leisten können, dann ist es ja nicht Aufgabe der Autoren und Verlage, an der Stelle einzuspringen. Meines Wissens liefert weder Volkswagen noch Nutella die Produkte an Bedürftige kostenlos. Es ist Aufgabe der Gesellschaft resp. des Staates, die Finanzierung zu übernehmen. So ist das ja auch bei den Bibliotheken geregelt. Wenn nun die Bibliotheken nicht genug Geld haben, notorisch klamm sind, dann sind sie notorisch unterfinanziert. Dann haben wir entweder eine Gesellschaft, die das nicht finanzieren kann oder will, oder einen Staat, der das eigenmächtig nicht tut. Wenn wir dieses Jahr überraschend 16 Mrd. Steuermehreinnahmen haben, dann ist doch in dem Ding irgendwo ein Fehler? Der Fehler liegt darin, dass man versucht die Autoren und Verlage zu nötigen ihre Inhalte möglichst um sonst herzugeben, damit man das Geld sparen und für andere lustige Dinge ausgeben kann. Und wenn die Autoren und Verlage sich wehren, dann wird ihnen Hartherzigkeit oder Kulturlosigkeit vorgeworfen.
Ist der Preis von Bonnier und Holtzbrinck wirklich von Gier bestimmt? Nein. Im Vordergrund steht die Forderung der Autoren, eine angemessene Vergütung für die Nutzung zu bekommen. Ist es angemessen, wenn für ein verkauftes Buch 2 Euro Honorar an den Autor gehen, bei der Onleihe aber für 52 Leser 2 Euro? Auch wenn das gekaufte Buch zwei oder drei mal gelesen wird, die 52 erreicht man nie. Wo also liegt das für den Autor angemessene Honorar? Denn jede Ausleihe sorgt ja für ein verkauftes E‑Book weniger und damit auch für wegfallende Refinanzierung für den Verlag. Bei einem Faktor von 2,5 würde bei dem Beispiel (LP=20 Euro) der Autor also 5 Euro Honorar für 52 Ausleihen bekommen, das wären also nicht einmal 10 Cent im schlechtesten Falle. Im Normalfall liegt der Durchschnitt bei den Ausleihen bei 5, der Autor hätte also 1 Euro Honorar, statt der 2 Euro beim Buch. Das erscheint mir doch insgesamt weder ein gieriges noch ein unfaires Modell, sondern durchaus realistisch. Wenn sich jetzt noch 22 Kommunen in der Frankenonleihe zusammenschließen, dann scheint mir das Risiko gering, dass sie bei den Titeln dieser Bestseller und Publikumsverlage nicht auf einen so hohen Ausleihschnitt kommen, dass das für die zu teuer wird. Hier wird ausschließlich aus Geiz und aus taktischen Gründen geheult, weil man politischen Druck aufbauen will. Wie viel die Autoren verdienen, ob Bücher finanzierbar sind, kurz: ob Kultur dadurch möglich wird, das ist denen total egal.
Mal abgesehen davon, dass das eine Unverfrorenheit sondergleichen ist: In der Stellungnahme der Stadtbibliothek Erlangen/Franken-Onleihe steht was von 4 Jahren statt 2 Jahren.
»[…]Zusätzlich ist die Nutzung einer Lizenz begrenzt auf 4 Jahre und/oder maximal 52 Ausleihen[…]«
Der obige PR-Kommentar stammt (mit einiger Wahrscheinlichkeit) von Matthias Ulmer, dem Vorstand des Verlegerausschusses im Börsenverein (und nicht etwa einem armen, unterbezahlten Autor). Und sollte unter diesem Aspekt auch als pure Propaganda gesehen werden.
Wenn man seinen Namen im Zusammenhang mit »Open Access« googlet, wird man schnell feststellen, wes Geistes Kind er ist.
(siehe zum Beispiel hier: https://www.buchreport.de/2015/10/21/ulmer-erhebt-verfassungsbeschwerde/
oder hier: http://www.boersenblatt.net/artikel-scharfe_kritik_und_ruecktrittsforderung_wegen_verleger-_meinung__zu_open_access.650206.html)
Ich empfehle Herrn Ulmer einen Blick in die einschlägigen Bibliotheksgesetze der Länder. In aller Kürze: Stadtbibliotheken sind gemeinnützige kulturelle Einrichtungen, die Schulen und Universitäten gleichzustellen sind.
Auch agiert er mit Scheinargumenten. Mag sein, dass »der Staat« 16 Milliarden Steuerüberschüsse hat, die er vielleicht gern in seinen Verlagskassen sehen möchte. Fakt ist aber, dass Leihbüchereien nicht vom »Staat« betrieben und unterhalten werden (tatsächlich meint er ja den Bund), sondern von Städten und Kommunen. Von daher ist diese »Argumentation« reine Augenwischerei.
Auch dass es um Autoren geht, glaube ich keine Sekunde. Wäre das so, würden die Verlage den Autoren von vorneherein ein angemessenes Honorar zahlen. Und weiterhin haben Verlage auf der anderen Seite offenbar keinerlei Probleme damit, zum Teil tausende Kostenlosexemplare an Blogger und Co. zu verteilen. Davon sieht »der Autor« auch keinen Cent.
Die grundsätzliche Frage dabei ist, ob Verlage (und andere Wirtschaftsunternehmen) neben der rein ökonomischen Arbeitsweise, nicht auch eine soziale und kulturelle Verantwortung haben. Ich sehe das so. Herr Ulmer darf das selbstverständlich anders sehen, muss sich aber dann den Vorwurf gefallen lassen, dass es eben nur ums Kohle machen geht.
Übrigens sind weder Volkswagen noch Nutella Kultur- und Bildungsgüter. Aber man kanns ja mal versuchen …
Edit: Anzunehmen, dass jedes ausgeliehene eBook einem verlorenen Kauf entspricht, entbehrt übrigens auch jeder Grundlage.
Lieber Herr Holzhauer,
das ist kein PR-Kommentar, sondern ein Kommentar auf Ihren Kommentar, kurz: eigentlich ein Dialog. Und was auch immer ich zu Open Access vorher schon gesagt habe oder zur Onleihe oder zu anderen Themen, das hat ja wenig mit den Argumenten hier zu tun. Ja, ich bin Verleger und engagiere mich für die Verlagsbranche und die Medien. Daraus wird doch kein Ideologievorwurf, der die Auseinandersetzung mit Argumenten verhindert? Und anderen zu empfehlen, dass sie einen Kommentar nicht ernst nehmen sollen, weil er in Ihren Augen Propaganda ist, ist jetzt auch kein Musterstück aus der aufgeklärten demokratischen Gesellschaft.
Zum Thema Onleihe als Hintergrundinfo: die Beteiligung der großen Verlage unterblieb lange Zeit, weil die von der Onleihe angebotenen Verträge den Verlagen keine angemessene Honorierung und auch keine dem Gesetz entsprechende Information der Autoren ermöglichte. Als Verlegerverband haben wir das oft mit dem Schriftstellerverband diskutiert, es war klar, dass hier Verträge gefunden werden müssen, die eine nutzungsbezogene Honorierung ermöglichen. Das wäre für alle Beteiligten das ideale Modell, wenn für jede Ausleihe ein kleiner Betrag fällig wird. Dann kann eine Bibliothek sich jeden Titel ins Angebot nehmen, weil er erst Gebühren kostet, wenn er genutzt wird. Und man muss keine Limitierung der Laufzeit etc. einbauen. Eine solche Lösung wurde von Bibliotheksseite nicht akzeptiert, so dass es nur möglich ist, die Differenzierung über einen Multiplikator bei den Ladenpreisen einzufügen. Dieses Modell wird in USA und vielen anderen Ländern so gehandhabt, in Deutschland wird es nun auch eingeführt. Aber wie gesagt, es ist sicher nicht das Beste sondern nur eine Notlösung.
Sie haben Recht, ich war unpräzise bei der Trägerschaft der Bibliotheken. Ist mir aber auch egal, ob eine öffentliche Leistung nun vom Bund oder der Gemeinde erbracht wird, genau so wie mir egal ist, ob die Mehrwertsteuer hier oder dort landet. Wenn im System auf Bundesebene Überschüsse, auf kommunaler Ebene Defizite entstehen, dann muss das eben ausgeglichen werden. Ich kann mich aber nicht in der linken Tasche arm fühlen, weil alles Geld in der rechten steckt. Kurz: das Geld ist da für eine anständige Finanzierung, man steckt es aber trotzdem in andere Dinge.
Als Verlag geht es mir immer um den Verlag UND um die Autoren, auch wenn das viele nicht glauben möchten. Die Autoren haben aus dem Verlagsvertrag und dem Gesetz einen Anspruch an ihren Verlag, dem der Verlag bei der Onleihe nicht nachkommen kann. Als Verlag MUSS ich mich also dafür einsetzen, dass die Vertragsbedingungen so verändert werden, dass eine Vertragserfüllung gegenüber dem Autor möglich ist. Und: der Verlag kann nicht für 52 Nutzungen an den Autor ein angemessenes Honorar aus der ihm verbleibenden Marge des einfachen Ladenpreises zahlen.
Zur kulturellen Verantwortung: klar, die haben Verlage genau so wie andere Unternehmen, die gehört traditionell schon immer zu den Aufgaben der Branche.
Zu VW und Nutella: es wäre ja absurd, wenn nur die Kulturwirtschaft weil sie in der Kultur tätig ist die Verpflichtung hätte ihre Leistungen an die Gesellschaft vergünstigt abzugeben. Es müsste ja umgekehrt sein, wenn überhaupt. Aber damit das gerecht geregelt ist, haben wir ein Steuersystem, das die Finanzierungsbeiträge eines jeden für die gesellschaftlichen Leistungen definiert. Ich halte es für unzulässig von einem Teil zu fordern, dass er zu den Steuern noch Zusatzleistungen zu bringen hat.
Und zum letzten Punkt: Es weiß ja niemand, wie viele Ausleihen einen Kauf ersetzen. Beim Buch gab es immer das Verständnis, dass die Leseförderung und die Bewerbung einzelner Titel mehr Anreize setzen als Umsatz durch Ausleihen verloren geht, so dass das immer als positiver Effekt gesehen wurde. Bei der Onleihe ist das umgekehrt. Da gibt es quasi keinen Hinweis, dass sich jemand ein e‑Book, das er »ausgeliehen« hat danach noch kaufte, dafür gibt es massenweise Hinweise, dass Leute erst zu Bibliotheksnutzern geworden sind, seit dem sie dort ihre E‑Books kostenlos bekommen, was ja auch logisch ist. Und: das Wachstum bei der Onleihe geht mit einem Abflachen bis Rückgang beim Verkauf von E‑Books einher.
Ich tausche mich gerne über das Thema weiter aus, weil es interessant ist und wirklich in vielen Aspekten noch unklar.
Herzliche Grüße
Matthias Ulmer
Hallo Herr Ulmer,
ich halte es für durchaus angemessen, bei einem Kommentar wie dem Ihren darauf hinzuweisen, wer dahinter steht und welche Interessen er vertritt, damit die Leser informierter sind, als sie es ohne diese Details wären.
Was Sie bei dem ganzen Themenkomplex komplett ausblenden, vermutlich mit voller Absicht, ist zudem die Bibliothekstantieme, ausgeschüttet von der VG Wort (ich kenne schon ihr darauf folgendes Argument: Das sind ja nur drei – vier Cent pro Ausleihe!). Da wurde gerade erst höchstrichterlich festgestellt, dass die gesamten Ausschüttungen an die Autoren gehen müssen. Woraufhin in der Branche und bei den Verlagen ein Heulen und Zähneklappern anhob und man Schreckensszenarien von auf den Konkurs zuschlingernden Verlagen malte. Zudem wird seit diesem Urteil massive Lobbyarbeit betrieben, um den Gesetzgeber auf nationaler oder europäischer Ebene dazu zu bringen, Gesetze nach dem Wunsch der Branche zu ändern, damit aus der rechtswidrigen Ausschüttung an die Verlage eine rechtskonforme wird. Wenn es tatsächlich um die Autoren geht, sollte man jenen das ihnen zustehende Geld auch belassen.
Wäre es angesichts Ihrer Ausführungen weiter oben den Autoren gegenüber nicht viel fairer und angemessener, wenn diese Ausschüttung weiterhin vollständig an die Autoren ginge, denen sie zusteht, ohne dass die Verlage mit Hilfe des Börsenvereins auf eine Gesetzesänderung drängen?
Haben Sie belegbare Quellen für die in meinen Augen völlig aus der Luft gegriffene Behauptung es gäbe »massenweise Hinweise, dass Leute erst zu Bibliotheksnutzern geworden sind, seit dem sie dort ihre E‑Books kostenlos bekommen, was ja auch logisch ist« außer des Selbstbeweises im eigenen Satz »dass das logisch ist«? Ist es nämlich nicht. Nutzungszahlen sollten problemlos erhebbar sein, und wenn per Ausleihe abgerechnet wird, gibt es diese Zahlen auch ganz sicher. Weiterhin können Sie sicher auch mit einer Quelle belegen, dass ein Abflachen der Verkaufskurve bei eBooks auf die Onleihe zurückzuführen ist? Auch das halte ich nämlich anhand der in den letzten Jahren vom Börsenverein veröffentlichten Statistiken für unhaltbar. Ich gehe deutlich eher davon aus, dass beispielsweise Amazon mit den Selfpublishern den eBook-Markt vie intensiver kannibalisiert, diese Zahlen gehen nämlich in die Branchenstatistiken gar nicht ein, da Amazon sie nicht veröffentlicht und sie von den Branchenstatistiken nicht erfasst werden (können).
Nein, es ist keineswegs absurd, dass die Kulturbranche Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft hat. Als Gegenleistung hat die Politik ihr ja beispielsweise ein Buchpreisbindungsgesetz geschenkt, oder verringerten MWSt-Satz auf Printbücher (eBooks werden sicher folgen).
Abschließend bin ich sehr gespannt auf Ihre Vorschläge, wie kommunale Defizite aus Bundesmitteln ausgeglichen werden sollen. Ihre Sichtweise, dass hier Geld nur in verschiedenen Taschen steckt ist aufgrund des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik in meinen Augen geradezu grotesk übersimplifiziert.
Sie werden mir deshalb vergeben, wenn ich ihre Ausführungen nach wie vor nur als Verlagspropaganda sehen kann.
Und als einen weiteren gründlich verpatzten Schritt der Branche auf dem Digitalisierungsweg, weil man den neuen Medien immer noch ablehnend gegenüber steht. Anders ist nicht zu erklären, dass man elektronische Bücher ohne echte, faktisch nachvollziehbare Gründe anders behandeln möchte, als Totholz.
Mit freundlichem Gruß,
Holzhauer
Werter Herr Ulmer,
wenn Sie Ebooks in der Stadtbücherei vergleichen wollen, dann doch bitte mit Papierbüchern in diesen Büchereien statt mit Kaufexemplaren an Endkunden. Das ist der einzig sinnvolle Vergleich. Und daraus resultiert auch die Ansicht, dass das Ebook im Verleih unter diesen Bedingungen uninteressant ist für die Bücherei.
Meine persönliche Ansicht ist, dass Freiexemplare in Büchereien in Summe denselben leicht positiven Effekt aufweisen können wie piratierte Ebooks. Denn dass ein geliehenes oder geklautes Buch sonst gekauft worden wäre, stimmt in dieser Pauschalität nicht.
Erschwerend kommen ja noch die Mondpreise hinzu, die namhafte deutsche Verlage für eBooks gern mal ansagen. Beispielsweise eBook-Preis identisch mit Taschenbuchpreis oder geringfügig günstiger als Hardcoverpreis. Bei solchem Wucher würde ich als Bibliothek auch nicht mitspielen, erst recht nicht beim zweieinhalbfachen Preis.
Lieber Herr Holzhauer,
dass Sie darauf hinweisen, dass ich im Börsenverein engagiert bin, das ist ja ok. Ich mache das nicht, damit nicht der Eindruck entsteht, ich würde für »die Verleger« sprechen. Ich hab mich nur an dem Hinweis gestört, man müsse die Argumente deshalb nicht ernst nehmen. Das fand ich unschön. Aber nun zu Ihren Argumenten:
Ja, es gibt für die Buchausleihe eine Bibliothekstantieme. Diese kommt seit dem bekannten Urteil des BGH nicht mehr dem Verlag zugute. Es ist eine komplexe Sachlage, aber weil Sie es ansprechen, will ich kurz die Verlagsposition erläutern. Die Bibliotheksschranke, genau wie die Kopierschranke und die anderen sind Eingriffe ins Eigentum, juristisch Enteignungen, die nach unserem Grundgesetz nicht ohne Entschädigungen der Betroffenen vorgenommen werden dürfen. Deshalb gibt es eine Entschädigung, die bei der Buchausleihe die von Ihnen genannten 3–4 Cent beträgt. Durch das BGH-Urteil, das die Frage der von der Verfassung geforderte Entschädigung gar nicht in Frage stellt, wurde festgestellt, dass nach der Formulierung des Urheberrechts §63a diese nur an Autoren ausgezahlt werden darf. Das hatte der Gesetzgeber nicht gewollt, das wurde im Laufe des Gesetzgebungsprozesses auch mehrfach von Bundestag und Bundesrat so bekräftigt, und inzwischen erneut von der Bundesregierung, im übrigen auch vom Schriftstellerverband, solange aber die Formulierung des 63a nicht korrigiert ist, bleibt es bei der absurden Situation, dass den Verlagen die Entschädigung zusteht, sie aber an sie nicht ausbezahlt werden darf. Der Fehler in der Gesetzesformulierung soll nun korrigiert werden. Würde das nicht erfolgen, dann müssten die Verlage gegen die Urheberrechtsschranken eine Verfassungsklage anstrengen, in deren Folge die Buchausleihe und die Privatkopieschranke als verfassungswidrig erklärt werden könnten, was wohl wirklich niemand will.
Ja, man könnte sagen, lass doch den Autoren auch den Verlagsanteil der Tantiemen, die bekommen eh so wenig. Dagegen spricht mindestens folgendes Argument: manche Verlage zahlen eben schäbig geringe Honorare, andere dagegen sehr gute. Das Urheberrecht gibt den Autoren einen Anspruch auf angemessene Vergütung. Der muss vom jeweiligen Verlag erfüllt werden, nicht durch eine Tantieme, die vollkommen anders begründet ist. Eine Pauschalumverteilung durch den Gesetzgeber ist da keinesfalls die richtige Lösung.
Der Anspruch des Autors auf angemessene Vergütung ist auch der Hintergrund für das Thema Onleihe und Bonnier, Holtzbrinck etc. Wenn der Verlag ein E‑Book an die Bibliothek verkauft und dieses 50 mal ausgeliehen wird, dann kann der Autor den Verlag auf angemessene Vergütung verklagen. Der Verlag muss dann ein üppiges Nachhonorar zahlen, das ein Vielfaches des Erlöses aus dem einen E‑Book-Verkauf an die Bibliothek wäre. Damit entsteht ein Risiko, das Verlage wie unserer gering einschätzen, weil unsere Bücher wohl nicht so häufig ausgeliehen werden. Bei einem Verlag, der regelmäßig Bestseller führt, ist das aber anders. Insbesondere, weil sein Verhandlungspartner meist eine Agentur ist, die den Autor vertritt, und die an so einem Punkt eben Druck auf den Verlag macht, wodurch das Risiko sehr konkret wird.
Ja, wenn wir die tatsächlichen Ausleihzahlen kennen würden, dann könnte man auch dieses Risiko einschätzen. Die Onleihe gibt aber keinerlei Nutzungsdaten an Verlage weiter, so dass wir die Autoren nicht informieren können, wie häufig ihre Bücher genutzt werden. Der Autor hat aber einen gesetzlichen Auskunftsanspruch. Diesen durchzusetzen war auch ein Grund für die lange Verhandlungsdauer der Großverlage mit der Onleihe.
Schadet der Verleih von E‑Books dem Verkauf von E‑Books? Zunächst mal die Sachlage: als E‑Book-Leser habe ich die Auswahl zwischen drei Quellen: ich kann das E‑Book für viel Geld kaufen. Ich kann es von einer Piratenseite kostenlos aber illegal herunterladen. Und ich kann es von meiner Stadtbücherei kostenlos aber legal herunterladen. Die Vermutung, dass einigermaßen klar denkende Menschen den dritten Weg wählen, ist ja nicht absurd.
Mein Nachbar, als Bankangestellter nicht auf der Seite des ärmeren Teils der Bevölkerung, hat sich vor einiger Zeit einen Tolino gekauft. Ich hab mich natürlich gefreut, dass er das Buchhandelsgerät gewählt hat und nicht das von Amazon. Sein Argument war aber ganz schnöde: mit dem Tolino kann ich jetzt die E‑Books von der Stadtbücherei beziehen. Er ist Mitglied geworden, was er seit der Schulzeit nicht mehr war.
Bei den meisten Stadtbüchereien steigen die Nutzerzahlen gerade, auch da ist die Begründung: ich mag nicht in die Bibliothek gehen und Bücher abholen und zurück bringen. Aber E‑Books kostenlos und bequem von zu Hause ausleihen, das ist cool.
Die Datenlage zu Verkauf von E‑Books und zur Ausleihe bei der Onleihe ist nicht gerade transparent. Wir bekommen von der Onleihe nur die Zahlen der E‑Book-Verkäufe an die Bibliotheken. Aber wie viele Ausleihen dahinter stecken, das erfährt man nicht. Hochrechnungen mit dem Faktor fünf für die Zahl an Ausleihen pro E‑Book (kumuliert über mehrere Jahre) lassen aber vermuten, dass heute die Zahl der verkauften E‑Books in Deutschland geringer ist, als die Zahl der Ausleihen über die Onleihe. Der E‑Book Markt stagniert, die Onleihe wächst.
Das sind Vermutungen, mangels belastbarer Zahlen. Aber mir erscheint das plausibel. Und wenigstens plausibler als die Annahme, dass die Onleihe keinerlei Auswirkungen auf den E‑Book Verkauf hat.
Zur Frage der Preissetzung bei E‑Books: bei einer korrekten Kalkulation müsste der Preis eines E‑Books sogar über dem eines Buches liegen. Das klingt absurd, hat aber Gründe. Das E‑Book hat 12% höhere MwSt, das Autorenhonorar liegt für E‑Books in der Belletristik deutlich höher, statt bei 10% meist bei 20–25%. Die Auslieferungsgebühren sind bei E‑Books höher (ist absurd, ist aber so). Und auch der Handelsrabatt ist höher. Das bedeutet, dass der prozentuale Erlös des Verlages am Ladenpreis nach Abzug der genannten Kostenblöcke erheblich niedriger ist, als beim Buch. Bleibt die Frage, ob die Herstellkosten das ausgleichen, weil man nicht drucken, binden und Bäume fällen muss. Leider nicht. Die Herstellkosten eines Taschenbuchs belaufen sich vielleicht auf 50 Cent, vielleicht 80 Cent. Bei einem Ladenpreis von 10 Euro gehen aber schon mit 12% 1,07 Euro mehr an den Staat für die MwSt-Differenz zwischen 7 und 19%. Wenn also Verlage die E‑Books im Schnitt 20% billiger anbieten als die Bücher, dann ist das gesamte E‑Book Geschäft eher ein Zuschussgeschäft, das die Verlage machen, weil der Aufbau des digitalen Geschäftsfelds eben Investitionen kostet. Und deshalb schmerzt es, wenn man sieht, dass die Onleihe eben einfach das bessere Geschäftsmodell ist und die Investitionen sich nach aktueller Lage nie amortisieren werden. Die Verhandlungen von Bonnier & Co. sind also das Bemühen, das Geschäftsfeld Onleihe rentabel zu machen, damit das überhaupt Sinn macht.
Und zuletzt noch zum Kulturauftrag: die Preisbindung dient der Sicherung eines dichten Netzes an Buchhandlungen. Die meisten Verlage kämen ohne Preisbindung sehr gut zurecht. Der reduzierte MwSt Satz bringt niemandem etwas. Seine Abschaffung wäre ein Problem, weil man die daraus eigentlich notwendigen Preiserhöhungen kaum wirklich realisieren könnte. Er verbessert heute die Kalkulationsdaten, so dass ein paar Bücher möglich werden, die man sonst unterlassen hätte, oder man ein paar mehr Abbildungen oder einen Bogen mehr Umfang umsetzen kann.
Daraus aber abzuleiten, dass man seine Produkte aus sozialen Gründen billiger abzugeben habe, das halte ich weiterhin für falsch. Fordern Sie das auch bei Blumengeschäften, im Supermarkt und bei McDonalds?
Zur Finanzierung der öffentlichen Hand: das will ich nicht vertiefen. Wenn eine Kommune zu klamm ist, sich ihre Bibliothek zu leisten, dann muss sie eben über Prioritäten nachdenken und sich mit dieser Entscheidung zur Wahl stellen. Der Gesetzgeber hat ins Preisbindungsgesetz übrigens schon das Privileg eingebaut, dass Bibliotheken 15% weniger bezahlen müssen. Ins Urheberrecht hat er eingebaut, dass Ausleihen für 3–4 Cent möglich sind, dass für Wissenschaft und Bildung weitere kostenlose oder mit Witzbeträgen entschädigte Ausnahmen möglich sind und dass die Verlage von allen Büchern an Landesbibliotheken und Nationalbibliothek kostenlose Exemplare abzuliefern haben. Das erzeugt bei Verlag und Autor irgendwann die Frage, warum man verdammt nochmal eigentlich alles korrekt bezahlt, Autos, Geräte, Personal, Schreibtische in Schulen, Regale in Bibliotheken, nur die Bücher sollen möglichst umsonst geliefert werden?
Ich bekam neulich einen Brief einer Stadtbücherei, die stolz berichtete, man habe einen Neubau realisiert und ein komplett neues Regalsystem, jetzt sei das Budget alle und man bitte um Buchspenden. Ich finde so etwas schlimm, Sie finden das angemessen und einen dagegen protestierenden Verleger als gierig. So unterschiedlich sind eben die Meinungen, das muss man auch respektieren.
Ich bitte um Verzeihung für die Länge der Erläuterungen. Das kostet eben Platz und Anstrengungen, auf die Sachebene zu kommen. Aber es wird am Ende produktiver, hoffe ich.
Herzlichst Ihr
Matthias Ulmer
Herr Ulmer,
ich habe an keiner Stelle geschrieben, man solle »Ihre Argumente nicht ernst nehmen«. Das wäre sogar grundfalsch, weil hier die Verlegereinstellung deutlich zutage tritt.
Die Argumente in Sachen VG Wort kenne ich alle, da ich den Themenkomplex seit Jahren verfolge. Die Aussage »der Gesetzgeber habe sich bei der Formulierung geirrt« halte ich für derart lächerlich, dass sich eine Diskussion darüber erübrigt. Darüber lacht die Netzcommunity seit Monaten.
Desweiteren agieren Sie hier mit unlauteren Mitteln, wenn sie die Autorentantiemen für eBooks unrealistisch hoch benennen, um höhere eBook-Preise zu rechtfertigen. Durch meine Autorenkontakte kenne ich die echten Honorarhöhen abseits von Bestsellerautoren.
Drittens machen Sie bei den eBook-Preisen eine typische Verlegerrechnung auf, die aber nach meinen Informationen durch Brancheninsider so nicht korrekt ist, tatsächlich könnte man eBooks deutlicher anbieten, will sich aber »die Preise nicht kaputt machen lassen« . Die von Ihnen genannten Punkte halte ich ebenfalls für pure Propaganda. Dass der Handelsrabatt höher ist, ist ein Ergebnis der veralteten, klobigen Strukturen der Branche bei denen zu viele an den Büchern verdienen wollen, und bei denen ich keinerlei Ansatzpunkte sehe, das an die neuen Gegebenheiten durch die Digitalisierung anzupassen. Sie lassen komplett aus, dass die gesamten Kosten für Herstellung und Logistik wegfallen. Sie lassen aus, dass die eBook-Produktion quasi ein Abfallprodukt der Printerstellung ist (und allzu oft auch gestalterisch genau so aussieht, schnell exportiert, ist egal, handelt sich ja nur um ein eBook).
Diese eBook-Mondpreise sind meiner Ansicht nach deutlich eher daran schuld, dass die Verkaufskurve abflacht, weil Leser zu günstigeren Alternativen von Selfpublishern greifen, oder sich den Kauf einfach ersparen (persönlich habe ich aus genau diesem Grund in den letzten Monaten diverse deutsche eBooks nicht gekauft, und lieber zu einem englischen Original, einem hier nicht verlegten englischen Buch oder einem KleinverlagseBook gegriffen, ich weiß, dass das in meinem sozialen Umfeld aus Phantastik-Lesern oft ganz genau so ist). Und auch zahllose Kleinverlage sind in der Lage, den Kunden angemessene, attraktive und akzeptable eBook-Preise anzubieten. Wenn große Verlage das nicht können, sollte man darüber nachdenken, was die wahren Gründe dafür sein könnten.
Dass Sie als Beleg für die Aussage »haufenweise Leser haben sich einen eReader gekauft, um die Onleihe zu nutzen« an einem einzigen fall aus Ihrer Bekanntschaft festmachen zu wollen, finde ich allerdings beinahe niedlich. Ein empirischer Beweis ist das nicht, das ist als Nachweis für Ihre Behauptung höchstens albern.
Vermutungen sind keine Belege. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der Anteil an gelesenen eBooks in der Bücherei höher ist, als der Anteil der eBooks am Buchmarkt. Solange Sie keine konkreten Zahlen vorweisen können (und das sollten Sie durch die Tätigkeit beim Börsenverein können), kann ich Ihre Argumente erneut nur als PR einstufen.
Und dann erneuern Sie Ihren schon weiter vorne in der Diskussion als falsch deklassieren Vergleich von Kulturgütern mit McDonalds oder dem »Supermarkt« ohne dem neue Aspekte hinzuzufügen …
Leider argumentieren Sie meiner Ansicht nach hier weiterhin in diversen Punkten unlauter, weil Sie inkorrekte Informationen nennen (eBook-Preise, Autorenhonorare) oder einfach Behauptungen aufstellen, ohne einen Nachweis führen zu können. Deswegen sehe ich ehrlich gesagt keinen Sinn darin, diese Diskussion weiter zu führen. Ihre Äußerungen in den vorangegangenen Kommentaren sind aber in den sozialen Medien sehr interessiert zur Kenntnis genommen und äußerst kritisch kommentiert worden.
Mit freundlichem Gruß,
Holzhauer
Werter Herr Ulmer,
dass sich EIN Bekannter von Ihnen einen Tolino gekauft hat, um Bücher kostenlos zu leihen, ist eine Anekdote. Das plus Ihre »Vermutungen« reicht nicht aus, um ökonomisch sinnvolle Entscheidungen zu treffen, und diese Art fast schon beleidigter Beweisführung im Kreise herum gehört auch zu den Gründen, warum den meisten deutschen Verlagen das Digitalgeschäft so schwer fällt.
Die meisten Ebook-Leser kaufen bei Amazon, einfach, weil es da am bequemsten funktioniert. Sie kaufen besonders gern US-Bücher, weil deren Preise als fair empfungen werden. Das ist im Übrigen der basalste Grundstein der Preisgestaltung überhaupt. Es interessiert keine Sau, ob einen verkrusteten Verlag ein Ebook durch seine veralteten Strukturen mehr kostet als der Papiervertrieb (meistens ohnehin eine Phantasierechnung). Es interessiert nur, was ein Kunde zu zahlen bereit ist. Hier hätte man den großen Vorteil, aus den Märkten US und UK zu lernen, welche Preise zu welchen Terminen am besten angenommen werden. Das passiert in Deutschland nur langsam und nur unter dem Druck der Existenzangst. Schade.
Lieber Herr Holzhauer,
dass Sie keine Lust mehr auf einen weiteren Dialog haben, das ist spürbar. Ich finde, das bringt uns auf Dauer nicht weiter, wenn man die Argumente des anderen einfach ablehnt.
Ich bemühe mich zu Ihren Aussagen Argumente zu bringen, die helfen könnten, die Position des Anderen besser zu verstehen. Aber statt sich damit auseinander zusetzen, führen Sie nur Gründe auf, warum es sich nicht lohnt, die überhaupt mal zu durchdenken. Ich finde das schade.
Die Hintergründe zum Gesetzgebungsprozess zu 63a sind ja leicht nachlesbar. In der Gesetzesbegründung für die Verbesserung des §63a von 2006 heißt es: »§ 63a hat in der Praxis zu Schwierigkeiten geführt. So wurde in der VG Wort von Vertretern der Autoren vorgetragen, dass sie seit Inkrafttreten des Gesetzes ihre gesetzlichen Vergütungsansprüche nicht mehr an ihre Verleger abtreten könnten. Folglich könnten die Verleger auch nicht mehr im bisherigen Maße bei der Verteilung der pauschalen Vergütung berücksichtigt werden.
Diese Auslegung, der von verlegerischer Seite widersprochen wurde, entspricht nicht der Intention des Gesetzgebers, der lediglich den Schutz der Urheber im Vertragsverhältnis im Sinn hatte. Ein Ausschluss der Verleger von der pauschalen Vergütung wäre angesichts der von ihnen erbrachten erheblichen Leistung auch sachlich nicht hinnehmbar. Dies gilt um so mehr, als den Verlegern im Gegensatz zu anderen Verwertern vom Gesetzgeber bisher keine eigenen Leistungsschutzrechte zugesprochen worden sind.
Der neue Satz 2 soll gewährleisten, dass die Verleger auch in Zukunft an den Erträgen der VG Wort angemessen zu beteiligen sind.«
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/018/1601828.pdf
Dann hat der BGH die Ergänzung des 63a seiner Auslegung unterzogen und eben anders entschieden, als es der Gesetzgeber gewollt hat. Die Formulierung hat offensichtlich nicht das bewirkt, was intendiert war. Das nenne ich einen handwerklichen Fehler. Schön für die Autoren, die jetzt einen Haufen Geld bekommen. Aber doch auch verständlich, dass der Gesetzgeber diesen Lapsus jetzt korrigieren will.
Zur Honorarhöhe bei E‑Books. Ja, auch bei uns sind die Honorare von Buch und E‑Book identisch. Aber es ging ja nicht um irgendeinen Fachverlag, sondern um Bonnier und Holtzbrinck. Und die Honorare in der Belletristik liegen bei diesen Verlagen bei 20–25% für E‑Book-Umsätze.
Zur Kalkulation von E‑Books: Ich nehme Ihnen ab, dass Sie die E‑Book-Preise anders kalkulieren. Das ist ja auch keine Frage, die betriebswirtschaftlich schon eindeutig geklärt wäre. Soll man das E‑Book als Abfallprodukt behandeln? Dann hat man keine Gestehungskosten außer der Datenerstellung und den variablen Vertriebskosten, dann kann ich locker auf 3,99 gehen. Bei Unterhaltungsliteratur liegt der E‑Book Anteil an den Verkäufen aber oft bei 25%, und das kommt nicht oben drauf, sondern das ist eine Substitution der Buchverkäufe. Da kommt in einem großen Verlag der Controller und erklärt ihnen, dass das mit dem Abfallprodukt nicht mehr geht, dass die Gestehungskosten anteilig getragen werden müssen, sonst werden mit wachsenden E‑Book-Verkäufen zu 3,99 die Preise des gedruckten Ursprungsbuches immer höher, bis es nichts mehr gibt, von dem ein Abfallprodukt abfallen könnte.
Und es stimmt nicht, dass ich die Herstellkosten unterschlagen habe, die hab ich ja mit 50–80 Cent ziemlich exakt angegeben. Und bei der Logistik liegen meine Erfahrungswerte wahrscheinlich auch nicht komplett daneben, dass wir für die Buchlogistik (Lagerhaltung, Fakturierung, Packen und Versand) etwa 8% vom Umsatz zahlen, bei E‑Books aber 12%. Das ist verständlich, weil die Auslieferungen aktuell für die E‑Book-Logistik hohe Fixkosten bei noch sehr geringen Umsätzen haben und die Zahl der E‑Books gigantisch ist, aber nur ein kleiner Teil davon auf Stückzahlen über 500 pro Jahr kommt. Bei gedruckten Büchern nehmen wir unrentable Titel aus dem Vertrieb, bei E‑Books lässt man auch die ganz alten stehen, daher die unterschiedlichen Werte.
Nehmen wir also mal an, es gibt nachvollziehbare Gründe, warum die Verlage Bonner und Holtzbrinck ihre E‑Books so kalkulieren, wie sie es tun (auch die Autoren und ihre Agenten machen da Druck, dass der Preis vom E‑Book nicht zu niedrig ist). Dann ist das ja ein Wettbewerbsvorteil für andere Verlage, ob Selfpublisher oder Kleinverleger, mit anderen Preisen Marktanteile zu gewinnen. Das findet statt und tut der Vielfalt und der Branche gut. Ein fairer Wettbewerb, den die großen wachsam beobachte und ja mit eigenen Selfpublishing-Plattformen begleiten. Sollte das Wachstum da so groß sein, dass es die Marktanteile der »konventionellen« Verlage wirklich tangiert, dann werden die sich schnell ändern. Bezogen auf die Diskussion um die Onleihe wäre dann das Problem ja auch vom Tisch. Dann würden die Bibliotheken auf diese Werke verzichten und stattdessen billigere einkaufen. Dann wäre aber das ganze Geschrei um die Preise der beiden Verlage überflüssig. Offensichtlich will man genau deren Titel, aber eben zu anderen Preisen.
Zur Frage ob ein ausgeliehenes E‑Book den Kauf eines E‑Books substituiert: ich habe Ihnen eine Hypothese angeboten und hätte gerne über die Plausibilität diskutiert. Konkrete Zahlen gibt es wirklich nicht. Es gibt eine E‑Book-Studie des Börsenvereins in Zusammenarbeit mit der GfK, die von 2015 ist und auf Daten von 2014 basiert. DAS ist PR. Als Arbeitsgrundlage würde ich die nicht nehmen. Und es gab Zahlen von der Divibib, soweit ich das mitbekommen habe ebenfalls letztmalig von 2014. Es gibt Vermutungen, warum da keine neueren Zahlen auf den Tisch kommen. Aber eben nicht mehr als Vermutungen.
Dann drehen wir das doch mal um: Sie sagen, dass die Ausleihe von E‑Books keine Auswirkungen auf den Verkauf von E‑Books hat. Haben Sie denn dafür belastbare Daten (oder eine plausible Hypothese, mir würde die für die Diskussion reichen).
Lieber Herr Gleich, ich bekomme ja immer wieder den Vorwurf zu hören, dass die Verlage in der Digitalisierung so ziemlich alles falsch machen, verschlafen, verweigern etc. Ich glaube, das ist nicht richtig. Sicher sind Verlage nicht immer die dynamischste Branche. Aber das hat ja auch Vorteile. Wir haben im Verband sehr viel Schulungen, Projekte, Arbeitskreise gemacht. Und ich glaube, dass der Vorwurf nicht haltbar ist. Ich würde Sie (und natürlich auch Herrn Holzhauer oder wer immer dazukommen möchte) ja gerne mal zu einem Gespräch in einen Verlag, bei uns, bei Holtzbrinck, bei Thieme, nach Ihrem Gusto, einladen, damit wir uns dort das digitale Portfolio, die Investitionen, die Szenarien, auf denen die Planungen basieren zeigen lassen. Ich bekomme gerade mit, wie Bosch oder Daimler sich mit dem Thema Industrie 4.0 abmühen. Das kommt mir vor wie Diskussionen in unserer Branche vor 8 Jahren. Und das Beispiel USA oder UK ist uns auch vor Augen, gerade etwa Holtzbrinck gehört zu den führenden amerikanischen Verlagen, da können Sie sicher sein, dass die wöchentlich zwischen der amerikanischen und der deutschen Verlagsleitung genau diese Fragen diskutieren.
Herzliche Grüße
Ihr Matthias Ulmer
Ach Herr Ulmer,
jetzt kommen Sie doch bitte nicht mit Holzhammer-Rhetorik. Ich habe ihre »Argumente« nicht abgelehnt, sondern um Belege gebeten oder darauf hingewiesen, wenn diese inhaltlich irrelevant oder falsch sind. Weiterhin: Ich habe keinen Zugriff auf konkrete Zahlen für Deutschland, Sie aber über den Börsenverein durchaus. Ob diese Zahlen dann – wie so oft – frei erfunden sind, steht auf einem anderen Blatt, aber man hätte zumindest mal eine echte Diskussionsgrundlage neben »Mein Nachbar hat sich einen Tolino gekauft«.
Gerichte haben übrigens exakt die Aufgabe bei Gesetzen als Korrektiv zu wirken und diese zu interpretieren. Das als Fehler bezeichnen zu wollen, ist ein meinen Augen eine äußerst fragwürdige Sicht auf die Demokratie und das Rechtssystem.
Dass der überbordende Verwaltungsoverhead bei den Verlagen ebenso wie die fossilen Strikturen der Branche dazu führen, dass es zu geradezu kafkaesken Preisen kommt, dann sollte man über eine Reform nachdenken, statt das veraltete, ruinöse Spiel weiter mitzuspielen, meinen Sie nicht? Da das aber nicht passiert …
Wenn Sie zudem der Ansicht sind, dass die Umsätze von Selfpublishern und Kleinverlagen die der Großen der Branche derzeit nicht tangieren, dann ist das in einem Maße weltfremd, das ich nicht nachvollziehen kann und sogar erschreckend finde. Erklärt allerdings etliche Ihrer Sichten, die im Gestern verharren, statt sich den Realitäten der Digitalisierung zu stellen.
Ansonsten spiele ich Ihr Spiel nicht mit, immer dieselben Argumente oder Nicht-Argumente neu zu verpacken. Wir drehen uns im Kreis.
Deswegen ziehe ich hier das Fazit: Den Verlagen geht es weder um Kultur, noch um Leser, noch um Autoren, sondern ausschließlich darum, möglich viel Geld zu generieren, weil es sich um Wirtschaftsbetriebe handelt, die wirtschaftlich agieren müssen. Verstanden.
In dem Fall sollten allerdings sämliche Vergünstigungen in Sachen Kulturbetrieb gestrichen werden. Als da wären: vergünstigte MWSt auf Bücher und Buchpreisbindung (die übrigens entgegen Ihrer Aussage nicht in erster Linie dafür da ist, Buchhandlungen zu sponsorn, sondern um kulturelle Vielfalt zu ermöglichen, also die Produktion von Büchern, die sich erwartbar weniger verkaufen. Die werden allerdings heutzutage von den großen Verlagen ohnehin nicht mehr verlegt, die müssen ja Geld verdienen).
MfG,
Holzhauer
Werter Herr Ulmer,
die von Ihnen beschriebenen Mechanismen des Marktes haben überhaupt erst Preise erzwungen, die der Markt annimmt. Vorher lagen diese Preise im Bereich »bitte kauft das nicht«. Anekdotische (!) Belege: Das haben mir damals mehrere Verlage bestätigt: Mit Papier verdienten sie Geld, den Ebook-Scheiß wollten sie nicht, weil es sich für sie nicht lohnte. Es wurde also gebremst, wo es nur ging.
Jetzt gibt es ein Ebook-Ökosystem der kleinen Anbieter, und erst jetzt findet man von unseren großen Verlagen Angebote, die man kaufen möchte. Die kleinen Anbieter trieben die großen also vor sich her. Statt früh einen Markt zu machen, haben sie den verhindern wollen. Jetzt rennen die Großen den Kleinen hinterher, technisch und marktgestalterisch. Das ist meine Kritik. Wir können gern über so etwas sprechen, dann tun wir es aber sinnvollerweise zu einem Anlass, wo beide am selben Ort sind.
Zu den Kosten eines Ebooks: Nehmen wir als Extrembeispiel ein Ebook, das NUR als Ebook vertrieben wird und vergleichen es mit einem Titel, der NUR im Papiervertrieb erscheint. Es fallen beim Ebook folgende Kosten weg:
- Umbruch (wg. Autoumbruch auf dem Gerät)
– Seitenlayout (Seitengröße ist dynamisch)
– Buchrückengestaltung
– Gestaltung 4.U (Buchrückseite)
– die von Ihnen genannten Druckkosten von 50–80 ct pro Exemplar
– Vorhaltekosten (übernehmen die Vertriebsplattformen)
– Papiertransport zu/von den Händlern und zum Endkunden
Getauscht wird die Händlermarge gegen den Anteil, den die Vertriebsplattform nimmt. Selbst Selbstverleger bieten oft auch Direktverkauf auf ihrer Website an, um sich einen Teil dieser Kosten zu sparen.
An Mehrkosten fällt mir die höhere Mehrwertsteuer ein. Wenn das beschriebene virtuelle Ebook in einem Verlag in der Herstellung also mehr kostet als der virtuell beschriebene Papiervertrieb, dann liegt das vermutlich an den Strukturen.
Meine Vermutungen zu Verkauf vs. Verleih stammen wie gesagt aus den Erfahrungen mit Piraterie. Hierzu haben viele Verlage und Autoren Experimentaldaten und Erfahrungen gesammelt. Das war mir ähnlich genug, um sie mit einem Verleih zu vergleichen. Da fehlen ja wirklich Daten, dass sie krass anders aussehen als bei geklauten Büchern, glaube ich nicht.
Beim Rest soll der Markt entscheiden. Dann will ich aber identische Steuersätze für Ebooks und Papierbücher, vorher ist das nicht derselbe Markt.
Lieber Herr Holzhauer,
Sie haben ein Feindbild, das Sie pflegen. Und nun kommt die Personifizierung Ihres Feindbilds auf Ihren Blog und sucht den Dialog. Und Ihr Bemühen ist, dass der da so schnell wie möglich wieder verschwinden soll. Ich mache Ihnen die Freude.
Aber zum Nachdenken lasse ich Ihnen noch was da. Der revolutionäre Reflex, dass die digitalen Selfpublisher den Sauriern der Old Economy zeigen wo es lang geht und diese aus Verkrustung ihre ruinösen Praktiken nicht ablegen können und so zwingend dem Untergang entgegen gehen, der ist jetzt mindestens zehn Jahre alt. Und wenn Sie etwas interessierter wären und sich bemühen würden, hinzuschauen, dann würden Sie feststellen, dass sich die Verlagswelt rasend ändert und die Großen von gestern da ganz vorne sind und wohl auch die Großen von morgen sein werden.
Es ist ein gutes Gefühl zu glauben, dass man es kapiert hat und die anderen nicht. Wenn Sie die Leute in den großen Konzernen kennen würden, dann würden Sie angemessen respektvoll werden. Die haben nämlich nicht nur eine gute Ausbildung und sind intelligent, die haben auch mehr Informationen und einen besseren Blick auf die internationalen Entwicklungen.
Und die Nummer mit Kultur versus Kommerz ist nun auch gefühlt hundert Jahre alt und hat im Jahr eins schon nicht gepasst sondern war ein Kampfbegriff.
So wird das nichts. Produktiver wäre es, die Erfahrungen von Kleinverlagen und großen, von Newcomer und arrivierten, von Vorreitern des Digitalen und erfolgreichen Verfechtern des Gedruckten auszutauschen, nicht mit dem Impetus im Streitgespräch den anderen zu besiegen, sondern mit dem Ziel seine Position zu verstehen und aus der Differenz zur eigenen etwas zu lernen.
Sollten Sie darauf je Lust bekommen, dann steht mein Angebot, mal mit einer Runde von Kollegen ein gemeinsames Gespräch zu machen, Herrn Gleich und andere eingeschlossen. Dann könnte das Ziel sein, gemeinsam nach Verbesserungen der Verlagsbranche zu suchen, die ja die Aufgabe hat, zwischen Autor und Leser optimal zu vermitteln.
Herzliche Grüße
Ihr Matthias Ulmer
Eigentlich ist es ganz einfach.
Kauft niemand oder zuwenige ist das Produkt zu teuer und damit nicht wettbewerbsfähig.
Andere Verlage, da fällt mir der Atlantisverlag ein, welche Nischen bedienen, haben offenkundig weniger Probleme mit der Kostenstruktur bei Ebooks.
Ich habe schon darauf gewartet, dass Herr Ulmer irgendwann mit dem Totschlagargument »Sie haben ja keine Ahnung!!!« kommen würde, dieser Diskreditierungsversuch war leider abzusehen. Zudem noch mit einem Kommentar, bei dem aus jeder einzelnen Zeile Arroganz trieft. Ich überlasse es den Lesern, ihre Schlüsse daraus zu ziehen und spiele das Spielchen nicht mehr mit. Finde es allerdings niedlich, dass er mir Interessenlosigkeit vorwirft. Hätte er Interesse gezeigt, wäre ihm sicher aufgefallen, wie lange ich mich auf diesem Newsportal bereits mit den Themengebieten befasse.
Nachtrag: Wäre »es mein Bemühen gewesen, dafür zu sorgen, dass ‘der da’ sofort wieder verschwindet« hätte ich seine Beiträge einfach nicht freigeschaltet. Nun ist es aber eben nicht so, dass hier alle seine Traktate unwidersprochen und unkritisiert gelassen werden, wie er es offenbar gern hätte. Deswegen möchte er auch, dass ich in seine Arena komme, wo er Heimspielvorteil hätte.
Ich habe über die Jahre immer wieder aufgezeigt, wo sich Verlage meiner Ansicht nach falsch oder mittelalterlich verhalten, ohne dass das ihn oder irgend jemanden anderen aus der Branche interessiert hätte. Und ich habe bei etlichen meiner Punkte hinterher Recht behalten. Das kann man natürlich als »der interessiert sich nicht« abkanzeln, man könnte es allerdings auch als Zeichen dafür nehmen, sich mal an die eigene Verlagsnase zu fassen, und die Vorgehensweisen zu überdenken. In der Hinsicht sehe ich allerdings keinen Willen seitens der Branche. Fehler werden in aller Regel immer noch jahrelang ignoriert und weiter fortgeführt. Dazu gehört auch das irrsinnige Pricingmodell auf Bücher und eBooks, die teurer werden, als der Markt es hergibt. Und wenn dann die Umsätze zurück gehen, sind selbstverständlich die Raubkopierer schuld, und nicht die Mondpreise. Wenn die Bücher so teuer werden müssen, weil sich sonst die Verlage nicht tragen, ist der große Verlag in der Form offensichtlich ein Auslaufmodell, weil das Geschäftskonzept unwirtschaftlich geworden ist (man muss sich dann natürlich noch fragen, inwieweit die deutschen Verlage für ihre weltweit agierenden Mutterkonzerne tatsächlich nur noch als Steuerabschreibungsmodelle fungieren).
Kleinverlage können das tatsächlich besser, auch wenn der Buchhandel alles gibt, deren Werke nicht verkaufen zu müssen. Würde man nicht ständig »das Buch kann ich nicht bestellen« hören, ginge es zum einen dem Handel besser und würden zum anderen dort auch mehr Umsätze getätigt werden, statt über amazon, die eben einfach alles verkaufen, und sich nicht zieren, ihrem Job nachzukommen. Und trotz dieser Schierigkeiten, über die ich bereits mehrfach ausführlich in verschiedenen Artikeln berichtet habe, sind die Kleinverlage im Gegensatz zu »den Großen« trotzdem noch in der Lage, angemessene Preise anzusagen. Woher mag das kommen?