Internetzensur im Namen des Jugendschutzes

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Zen­sur­su­las Zen­sur­ge­setz wur­de bis­her nicht durch­ge­zo­gen, aber ande­res Unheil dräut. Und dies­mal geht es nicht nur um Zen­sur von Web­sei­ten, die Neu­fas­sung des Jugend­me­di­en­schutz-Staats­ver­tra­ges (JMStV) ent­hält gro­tes­ke For­mu­lie­run­gen, die Pro­vi­der für die Inhal­te ihrer Kun­den ver­ant­wort­lich machen wol­len, oder Foren und Blog­ger ver­pflich­ten wol­len, miss­lie­bi­ge Inhal­te umge­hend zu ent­fer­nen, ansons­ten dro­hen recht­li­che Kon­se­quen­zen. Wei­ter­hin sol­len Web­in­hal­te ähn­lich wie Fil­me oder Com­pu­ter­spie­le  in Alters­klas­si­fi­zie­run­gen ein­ge­teilt wer­den, wer auch nur den Ansatz von Ahnung hat, sieht die Idio­tie sofort und sieht auch, was all das für die Betrei­ber von Foren, Blogs und ähn­li­chen Com­mu­ni­ties bedeu­ten dürf­te: das Aus.

Hier in einer Pres­se­mit­tei­lung die Stel­lung­nah­me des AK Zen­sur, die beleuch­tet ziem­lich deut­lich, was da vor sich geht:

Am kom­men­den Mitt­woch fin­det in der Staats­kanz­lei in Mainz eine nicht­öf­fent­li­che Anhö­rung zum aktu­el­len Ent­wurf des über­ar­bei­te­ten Jugend­me­di­en­schutz-Staats­ver­tra­ges statt.

Dazu haben wir beim AK Zen­sur eine Stel­lung­nah­me ver­fasst, die den Ent­wurf in den meis­ten Punk­ten kritisiert.

Der aktu­el­le Ent­wurf zum Jugend­me­di­en­schutz-Staats­ver­trag (JMStV) ent­hält eine gan­ze Rei­he abzu­leh­nen­der Vorschriften:

  • Es wer­den sowohl Inter­net-Zugangs-Anbie­ter (Access-Pro­vi­der, ISP) als auch Anbie­ter von Web­space (Hos­ting-Pro­vi­der) mit den eigent­li­chen Inhal­te-Anbie­tern gleich gesetzt. Sie wer­den als »Anbie­ter« bezeich­net. Sie alle sind für die Inhal­te ihrer Kun­den verantwortlich.
  • Access-Pro­vi­der wer­den ver­pflich­tet, aus­län­di­sche Web­sei­ten zu blo­ckie­ren, die sich nicht an die in Deutsch­land gel­ten­den Jugend­schutz­be­stim­mun­gen hal­ten. Es muss also eine weit­aus umfang­rei­che­re Inter­net-Zen­sur-Infra­struk­tur auf­ge­baut wer­den, als dies Ursu­la von der Ley­en im Wahl­kampf vor­ge­se­hen hat.
  • Wenn auf einer Web­sei­te die Nut­zer Inhal­te erstel­len kön­nen (also zum Bei­spiel Kom­men­ta­re in Blogs), dann muss der Betrei­ber der Platt­form (also zum Bei­spiel der Blog­ger) nach­wei­sen (!), dass er zeit­nah Inhal­te ent­fernt, »die geeig­net sind, die Ent­wick­lung von jün­ge­ren Per­so­nen zu beein­träch­ti­gen«. Aus­nah­men sind kei­ne vorgesehen.
  • Gene­rell wer­den alle Inhal­te in Kate­go­rien ein­ge­teilt: ab 0 Jah­re, ab 6 Jah­re, ab 12 Jah­re, ab 16 Jah­re, ab 18 Jahre.
  • Alle »Anbie­ter« müs­sen sicher­stel­len, dass Kin­der der ent­spre­chen­den Alters­stu­fe jeweils unge­eig­ne­te Inhal­te nicht wahr­neh­men. Dafür sind meh­re­re (alter­na­ti­ve) Maß­nah­men vorgesehen: 
    • Es wird ein von der Kom­mis­si­on für Jugend­me­di­en­schutz (KJM) zuge­las­se­nes Alters­ve­ri­fi­ka­ti­ons­ver­fah­ren genutzt.
    • Inhal­te wer­den nur zu bestimm­ten Uhr­zei­ten ange­bo­ten. (bei­spiels­wei­se nur zwi­schen 22 und 6 Uhr, wenn ab 16 Jahre)
    • Alle Inhal­te wer­den mit einer ent­spre­chen­den Alters­frei­ga­be gekennzeichnet.
  • Die bestehen­den Rege­lun­gen bezüg­lich schwer jugend­ge­fähr­den­den Inhal­ten (das betrifft u.a. Hard­core-Por­no­gra­phie usw.) blei­ben natür­lich in Kraft.

Kurz-Zusam­men­fas­sung unse­rer Stellungnahme

Eine Ver­ant­wort­lich­keit und Sperr-Ver­pflich­tung der Inter­net-Zugangs-Anbie­ter (Access-Pro­vi­der) für in- oder aus­län­di­sche Inhal­te leh­nen wir ab.
Eine sol­che Rege­lung wäre eine Ver­let­zung euro­päi­schen und natio­na­len Rechts und wür­de zu erheb­li­chen Ein­schrän­kun­gen der Mei­nungs- und Infor­ma­ti­ons­frei­heit füh­ren. Dar­über hin­aus wäre auch der eCom­mer­ce in Deutsch­land im inter­na­tio­na­len Wett­be­werb mas­siv beein­träch­tigt, wenn Access-Pro­vi­der aus Haf­tungs­grün­den zu einer inhalt­li­chen Kon­trol­le der von ihnen trans­por­tier­ten Inhal­te gezwun­gen wären.

Eine Aus­wei­tung der Prüf- und Lösch-Pflich­ten für Inhal­te Drit­ter, bei­spiels­wei­se für Kom­men­ta­re in Blogs und Dis­kus­si­ons­fo­ren bzw. sog. »User Gene­ra­ted Con­tent«, leh­nen wir ab.
Eine sol­che unver­hält­nis­mä­ßi­ge Aus­wei­tung von Kon­troll­pflich­ten führt dazu, dass der­ar­ti­ge Ange­bo­te in Deutsch­land nicht oder nur noch extrem ein­ge­schränkt ver­füg­bar wären. Denn Anbie­ter wür­den gänz­lich unkal­ku­lier­ba­ren Haf­tungs­ri­si­ken aus­ge­setzt. Hier­durch wäre nicht nur die Ent­wick­lung inno­va­ti­ver Web‑2.0‑Angebote, son­dern auch der wirt­schaft­li­che Stand­ort Deutsch­land mas­siv gefähr­det. Der­ar­ti­ge Prü­fungs­pflich­ten schrän­ken zudem die Mei­nungs- und Rezi­pi­en­ten­frei­heit (Arti­kel 5 GG) erheb­lich ein.

Eine Ver­pflich­tung zur Kenn­zeich­nung (»Labe­l­ing«) von Inhal­ten im Inter­net leh­nen wir ab.

Sie ist logis­tisch und tech­nisch undurch­führ­bar und welt­weit nicht sinn­voll durch­setz­bar. Zudem ist eine sol­che Kenn­zeich­nung in vie­len Fäl­len auch will­kür­lich, da es kaum greif­ba­re und objek­ti­ve Kri­te­ri­en zur Ein­stu­fung einer Sei­te, gera­de im Alters­be­reich zwi­schen 3 und 16 Jah­ren, gibt.

Eine Ein­füh­rung bzw. Aus­wei­tung von gene­rel­len »Sen­de­zeit­be­gren­zun­gen« im Inter­net leh­nen wir ab.
Sen­de­zeit­be­gren­zun­gen sind in Broad­cast-Medi­en durch­aus sinn­voll. Die­se wer­den aber der Natur eines inter­na­tio­na­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Abruf-Medi­ums nicht gerecht. Zudem wür­de die Ein­füh­rung einer »Sen­de­zeit« für das deut­sche Inter­net nur bereits bestehen­de Ansät­ze ver­stär­ken, nicht jugend­freie Inhal­te in das für den deut­schen Gesetz­ge­ber nicht kon­trol­lier­ba­re Aus­land zu ver­la­gern, so dass über­haupt kein Schutz­ni­veau mehr vor­han­den ist.

Dem Ent­wurf man­gelt es an aus­rei­chen­der Nor­men­klar­heit. Er ist ins­ge­samt nicht ein­deu­tig, zu unbe­stimmt und über­aus interpretationsfähig.
Der Gesetz­ge­ber muss für die wesent­li­chen Punk­te sei­nes Anlie­gens von Ver­fas­sungs wegen kla­re und ein­deu­ti­ge Regeln schaf­fen und nicht sol­che, die durch ande­re Insti­tu­tio­nen nach­träg­lich inter­pre­tiert wer­den müs­sen und einen vie­fäl­ti­gen Spiel­raum zur Aus­le­gung bieten.

Der AK Zen­sur lehnt den Ent­wurf zur Novel­lie­rung des Jugend­me­di­en­schutz-Staats­ver­tra­ges (JMStV‑E) in der vor­lie­gen­den Form ab, weil er die Mei­nungs- und Rezi­pi­en­ten­frei­heit der Bevöl­ke­rung über­mä­ßig ein­schränkt, die Ent­wick­lung von moder­nen Inter­net-Anwen­dun­gen behin­dert, die wirt­schaft­li­che und sozia­le Wei­ter­ent­wick­lung des Inter­nets hemmt und gleich­zei­tig kein höhe­res Jugend­schutz­ni­veau bietet.

Im Bereich der Por­no­gra­phie dient er nicht dem Schutz von Jugend­li­chen, son­dern dient der Markt­ab­schot­tung der inlän­di­schen Por­no-Indus­trie vor aus­län­di­scher Kon­kur­renz. Der Bei­fall der deut­schen Por­no-Pro­du­zen­ten ist ihm daher sicher.

In ande­ren Berei­chen dient der JMStV‑E der Durch­set­zung mora­li­scher und sitt­li­cher Vor­stel­lun­gen unter dem Deck­man­tel des Jugend­schut­zes, da auch Erwach­se­nen der Zugriff auf und die Dis­kus­si­on über Inhal­te deut­lich erschwert wird, die poten­ti­ell »geeig­net sind, die Ent­wick­lung von Kin­dern oder Jugend­li­chen zu einer eigen­ver­ant­wort­li­chen und gemein­schafts­fä­hi­gen Per­sön­lich­keit zu beeinträchtigen«.

Unse­rer Ansicht nach wider­spricht der vor­lie­gen­de Ent­wurf in zen­tra­len Punk­ten Arti­kel 19 der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rech­te, Arti­kel 10 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und Arti­kel 5 des Grundgesetzes.

Es ist nicht Auf­ga­be des Gesetz­ge­bers, einem Unter­neh­men wie der jugendschutz.net GmbH neue Geschäfts­fel­der zu erschlie­ßen. Aber eben die­sen Ein­druck kann man bei der Lek­tü­re des Ent­wurfs zur Novel­lie­rung des Jugend­me­di­en-Staats­ver­trags bekom­men: Die Aus­wei­tung der Arbeit für die nächs­ten Jah­re wäre gesichert.

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2 Kommentare zu „Internetzensur im Namen des Jugendschutzes“

  1. Nie­mand hat die Absicht, eine Mau­er zu errich­ten.” – W. Ulb­richt 15. Juni 1961

    »Nie­mand hat die Absicht einen Über­wa­chungs­staat zu errich­ten.« Wolf­gang Bos­bach (CDU)

    Und 2010 steht uns mit DE-Mail und ande­rem noch eini­ges ins Haus… dazu fol­gen­de Pres­se­mit­tei­lung:

    [Anmer­kung des Sei­ten­be­trei­bers: Der Link war falsch, ich war so frei ihn zu kor­ri­gie­ren, wei­ter­hin benutzt die ver­link­te sei­te ein ungül­ti­ges Sicher­heits­zer­ti­fi­kat]

  2. Stefan Holzhauer

    DE-Mail ist doch super? Will ich sofort haben!

    Im Ernst: das soll unter ande­rem von der Post gestemmt wer­den, wie kom­pe­tent die in der Hin­sicht sind, haben wir bei ihrer »lebens­lan­gen« ePost-Email­adres­se gesehen…
    Davon abge­se­hen wür­de ich sofort mit der Ein­füh­rung sämt­li­chen Behör­den­schrift­ver­kehr nur noch per Mail füh­ren, denn die ist ja dann ein rechts­gül­ti­ges Doku­ment. Das bekom­men die weder tech­nisch noch per­so­nell gere­gelt und wird zu einem rie­si­gen Desas­ter füh­ren. Je schnell das ein­ge­führt wird, des­to bes­ser, denn umso schnell kann man das dann auch durch kon­se­quen­te Benut­zung ad absur­dum führen.

    Es zwingt mich ansons­ten kei­ner, mei­nen her­kömm­li­chen Mail­ver­kehr auch eben­falls DE-Mail zu füh­ren… Noch nicht… Ver­schlüs­seln und zer­ti­fi­zie­ren kann ich auch ohne DE-Mail.

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