VG Wort-Rückzahlungen: Karen Köhler versteht unser Rechtssystem nicht
In einem Kommentar auf der Webseite der Zeit wirft Autorin Karen Köhler Martin Vogel ernsthaft vor, dass er durch seinen Rechtsstreit Verlage zerstören wird. Ich muss es ganz offen sagen: Bei so einem Rechtsverständnis wird mir schlecht. Vogel hat einen Rechtsverstoß gesehen, von dem er persönlich betroffen ist, und hat den korrekten Weg gewählt: Den durch die Instanzen der Gerichte. Und die haben Recht gesprochen, und höchstrichterlich festgestellt, dass die Praxis der VG Wort-Ausschüttung an Verlage rechtswidrig ist.
Rechtswidrig. Höchstrichterlich.
Das sind Vokabeln, die einem zu denken geben sollten, bevor man sich als Autorin vor den Karren von Börsenverein und Co. spannen lässt und einen Kommentar veröffentlicht, der inhaltlich dermaßen daneben ist und das Opfer zum Täter machen soll.
Grund für den Artikel dürfte sein, dass die VG Wort jetzt Rückzahlungen der rechtswidrig ausgeschütteten Beträge einfordert. Und das tun sie in kompromissloser Weise, die für mich absolut nicht nachvollziehbar ist. Selbst kleinste Verlage sollen sofort den gesamten, über Jahre aufgelaufenen, Betrag überweisen.
Man muss sich hier mehrere Fragen stellen:
An erster Stelle natürlich, warum sich die Verwertungsgesellschaft so vehement weigert, Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarungen anzubieten (Update: siehe unten – verantwortlich ist die Autorenversammlung, bitte den Rest des Artikels unter dieser für mich neuen Voraussetzung sehen). Man könnte fast den Eindruck gewinnen, als wolle man in voller Absicht ein paar kleine Verlage über die Klinge springen lassen, um zu zeigen: »seht ihr, wir haben es doch gesagt!«. Die Gerichtsurteile geben in letzter Konsequenz nicht her, dass es keine Flexibilität bei der Rückzahlung geben könnte, es wurde allein die Auszahlungspraxis für rechtswidrig erklärt. Deswegen wiederhole ich meine Frage: Warum zeigt die VG Wort keinerlei Entgegenkommen bei den Rückforderungen? Warum gibt es keine Härtefallregelungen? Weil es ihnen zuviel Arbeit ist? Weil sie konkrete Ziele mit der starren Haltung verfolgen (siehe oben)? Meiner Ansicht nach könnte man das Verhalten der VG Wort beinahe als mafiös bezeichnen.
Eine weitere Frage ist: Warum hat man seitens des Börsenvereins und der VG Wort jahrelang so getan, als sei das alles überhaupt kein Problem und werde am Ende irgendwie weggehen, statt sich und die Verlage auf den absehbar kommenden Ernstfall vorzubereiten? Es hätte konkrete Warnungen geben müssen, sich durch Rücklagen auf Rückzahlungen einzustellen, das hätte über all die Jahre, die das Verfahren läuft, bereits geschehen können. Stattdessen hat man medienwirksam und propagandaartig die ganze Zeit kolportiert, dass Vogel am Ende eh verlieren wird. Das war hoch gepokert und der Bluff ist am Ende geplatzt. Hätten VG Wort und Börsenverein statt »Hurra-Wir-Gewinnen!«-Tamtam nicht die Aufgabe gehabt, die Verlage realistisch auf das vorzubereiten, was kommt? Warum ist das weitestgehend unterblieben? Was ist von einem Verein zu halten, der seine Mitglieder derart falsch berät?
Nein, Martin Vogel hat hier nicht mal einen Ansatz von Schuld, denn der hat das Rechtssystem genutzt, und dieses hat ihm durch alle Instanzen das ihm zustehende Recht auch zugebilligt. Wenn Verlagen und auch manchen Autoren das nicht passt, kann ich das nachvollziehen, aber auch Verlage stehen nicht außerhalb des Rechtssystems. Sie haben die Möglichkeit, auf den Gesetzgeber Einfluss zu nehmen, oder es zumindest zu versuchen, um Änderungen herbeizuführen. Wenn Autoren weiter wollen, dass Verlage mehr Geld bekommen, steht es ihnen sogar ohne Gesetzesänderungen frei, entsprechende Verträge mit ihren Verlagen abzuschließen.
An der nun konkret entstandenen Misere vieler Kleinverlage hat in erster Linie die VG Wort Schuld, indem sie keine Möglichkeit zur Stundung oder Ratenzahlung einräumt – aus Gründen, die nur die Verantwortlichen bei der Verwertungsgesellschaft kennen. Die verständliche Wut sollte sich gegen den diejenigen richten, die die Zahlungen nun kompromisslos einfordern, und die sitzen bei der VG Wort. Und man könnte auch einen Groll gegen den Börsenverein hegen, der wider besseren Wissens jahrelang behauptet hat, dass Vogel niemals erfolgreich sein wird.
Aber bitte versucht nicht, mit Propagandamaßnahmen das Opfer zum Täter zu machen.
Ich habe großes Verständnis für die zum Teil prekäre Situation der Klein- und Kleinstverlage. Und bin dafür, dass die Verantwortlichen für diese Situation deutlich benannt werden: diese sitzen in meinen Augen im Vorstand der VG Wort und verweigern ohne Ansehen von Härtefällen jegliche Stundungen und Ratenzahlungen. Das ist der eigentliche Skandal. Wenn jemand gegen irgendwas protestieren möchte, dann sollte er überlegen, ob dieser Protest bei der VG Wort nicht erheblich besser aufgehoben ist, als gegen Martin Vogel.
[Update:] Holger Kliemannel kommentiert auf Facebook:
Zu Deiner Frage: »An erster Stelle natürlich, warum sich die Verwertungsgesellschaft so vehement weigert, Stundungs- oder Ratenzahlungsvereinbarungen anzubieten.« Das hatten sie gemacht, wurde jedoch auf der Hauptversammlung von den anwesenden Autoren blockiert (müsste jetzt mal die Unterlagen durchforsten, irgendwo im Brief der VG Wort steht »Stundungsmöglichkeiten, die die Leitung der VG Wort vorgeschlagen hat, wurden abgelehnt.«). Vogel hatte ja dazu aufgerufen, dass Autoren Mitglied werden um bei der Versammlung diese Pläne zu verhindern.
Ich korrigiere mich demnach insofern, dass nicht der Vorstand der VG Wort verantwortlich ist, sondern die Autorenversammlung der VG Wort.