Man traut es sich ja kaum noch zu schreiben, weil ständige Wiederholungen eben nerven. Ich schreibe es trotzdem: Es ist erstaunlich, wie man bei Marvel immer noch in der Lage ist, einem Thema neue Facetten zu entlocken.
Das gilt auch wieder für die neue Streamingserie HAWKEYE, die seit gestern bei Disney+ zu sehen ist.
Ging es in den bisherigen Serien um epische Themen, wie parallele, vielleicht subjektive, Realitäten (WANDAVISION), erweitert dann um das Multiversum (LOKI) oder um elementare Themen wie Menschenrechte und People Of Color und deren Stellenwert in der Gesellschaft (THE FALCON AND THE WINTER SOLDIER) ist HAWKEYE thematisch schon wieder eine ganz andere Nummer.
Clint Barton ist einer, der zwar ziemlich gut mit dem Bogen umgehen kann, aber eben streng genommen nicht über Superkräfte verfügt. Und so kommt die neue Show äußerst bodenständig daher, verzichtet auf weltrettende Epik und man hat deswegen das Gefühl, als sei das alles ein paar Gänge zurück geschaltet. Das ist allerdings ein guter Kniff, um sich noch mehr auf die Figuren fokussieren zu können. Barton ist nicht nur von den Kämpfen der letzten Jahre gegen übermächtige Gegner körperlich gezeichnet, sondern zusätzlich offensichtlich traumatisiert durch den Tod von Natasha Romanov. Eigentlich möchte er nur mit seinen Kindern endlich mal ruhige Weihnachten feiern, fernab von allen Superhelden-Themen.
Und dann ist da noch Kate Bishop, die beim Angriff auf New York im Jahr 2012 einschneidende Dinge erleben musste, wodurch sie nicht nur Hawkeye-Fan wurde, sondern auch motiviert, es dem großen Vorbild gleichzutun.
Bemerkenswert finde ich wie Jeremy Renner Barton spielt. Ständig vom Geschehen mindestens leicht angenervt – und er kann vieles von dem was passiert nach seinen überlebensgroßen Erfahrungen im vergangenen Jahrzehnt einfach nicht ernst nehmen. Wer mit Thanos und dessen Armeen fertig geworden ist, für den sind ein paar tumbe russische Mafiosi eben nur mikroskopische Schwierigkeiten. Zum Schießen (excuse the pun) sein Aufeinandertreffen mit LARPern.
Und als direkter Kontrast zum mehr oder weniger desillusionierten (aber immer noch freundlich-hilfsbereiten) Barton die quirlige, eigensinnige Kate Bishop, dargestellt von einer Hailee Steinfeld in Bestform, die sich trotz allem fangirlen nicht die Butter vom Brot nehmen lässt, und die Barton nebenbei noch zeigt, dass auch vermeintlich kleine Probleme der Nicht-Superhelden eben in einem kleineren Fokus immer noch Probleme sind.
Auch hier haben wir also wieder elaborierte Charakterzeichnungen, die es bei DC vermutlich leider nie geben wird.
Im direkten Vergleich zu den Leistungen der beiden auf den Punkt gespielten Hauptfiguren fand ich Tony Daltons Darstellung des Schleimbeutels Jack Duquesne allerdings leider völlig überzogen, overacted und – selbst im Rahmen einer Superheldinnenserie – unglaubwürdig.
Ich kann Marvel nur Hochachtung zollen. Nicht nur, weil – siehe am Anfang – sondern insbesondere auch, weil sie gerade dabei sind, einen nicht geringen Teil der Superhelden-Riege des Marvel Cinematic Universe gegen Superheldinnen auszutauschen. Thors Freundin wird die neue THOR, IRONHEART wird die Erbin von IRON MAN, HAWKEYE wird, so wie es aussieht, Sensei-mäßig seine Nachfolgerin ausbilden. Dazu SHE-HULK, MISS MARVEL als neue Heldinnen. Marvel adaptiert konsequent das in Kino und TV, was sie in den Comics angefangen haben. Großartig.
Promografik Copyright Disney+