Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat die Ergebnisse einer Umfrage (dort gibt es eine PDF-Datei) zum Verhalten von Jugendlichen im Zusammenhang mit Filesharing veröffentlicht. Diese Ergebnisse sind natürlich im Sinne des Börsenvereins »alarmierend«, denn »zwei Drittel der Jugendlichen« tauschen Dateien. Wirft man mal einen Blick auf das Pamphlet, dann sieht man schnell, wie haltlos die Äußerungen sind und dass es sich dabei tatsächlich um reine Propaganda handelt, die der Börsenverein in fast schon komisch anmutender Manier großspurig als »Forschungsergebnis« (!) bezeichnet.
Ein paar Punkte, die mir sofort auffielen:
- Die Befragung wurde auf der Leipziger Buchmesse durchgeführt. Aha. Da davon auszugehen ist, dass sich dort Buch-affine Jugendliche aufhalten, ist die Umfrage alles andere als repräsentativ.
- Es wurden gerade mal knapp über 300 Jugendliche befragt. Das reicht für belastbare Zahlen deutlich nicht aus.
- Erste Frage war »Hast Du schonmal Dateien an andere weiter gegeben?«. Äh? Eigentlich sollten hier 100% der Befragten mit »ja« antworten, denn wir geben alle ständig Dateien an andere weiter – völlig legal. Die Frage ist so dumm formuliert, dass es einem weh tut (wahrscheinlicher für die Formulierungsschwäche ist allerdings Absicht).
Aus der Tatsache, dass diese Frage von 62,8% der Befragten mit »ja« beantwortet wurde, leitet der Börsenverein natürlich sofort den Untergang des Abendlandes ab, denn es heißt im Fazit:
- 1. Dateien werden heutzutage ohne nachzudenken weitergegeben.
- Obwohl knapp 87 % der Befragten wissen, dass Filesharing verboten ist, geben knapp zwei Drittel der Befragten Dateien an andere weiter.
Nein, diese Interpretation ist offensichtlich falsch, denn die Frage ist falsch gestellt: sie dreht sich nicht um illegales Filesharing, sondern um den Austausch von Dateien – und das ist was ganz anderes.
Noch ein Fazit:
- 2. Ein Großteil der befragten Jugendlichen weiß zwar, dass Filesharing verboten ist, ein vergleichsweise großer Teil hält es aber nicht für falsch.
- Obwohl 86,8 % der Befragten wissen, dass Filesharing verboten ist, beurteilen nur 55,3 % Filesharing als falsch.
Seit wann ist »Filesharing verboten«? Tatsächlich lautete die Frage »Ist Dir bewusst, dass diese Weitergabe (d.h. Filesharing) unter Umständen verboten ist?«, und das ist etwas völlig anderes als »Weißt Du, dass Filesharing verboten ist?«. Wie man auf diese Interpretation kommen kann, weiss wohl nur die Propaganda-Abteilung des Zentralkommittes des Börsenvereins. Interessant auch das mantraartige Wiederholen des Passus´ »Filesharing ist verboten«. Verboten ist das Herunterladen von »offensichtlich rechtswidrig hergestellten Vorlagen«, um mal konkrete Gesetzestexte zu zitieren.
Das Pamphlet ist weiterhin gespickt mit Polemik und so offensichtlich propagandistisch geprägt ausgesuchten Aussagen der befragten Jugendlichen, dass auch unkritischen Lesern auffallen dürfte, dass die Auswahl nicht ganz zufällig ist, sondern die Befragten in ein besonders schlechtes Licht rücken soll. Auch die paar ausgesuchten Antworten auf die »ergänzenden Interviews« erscheinen deutlich »gesiebt«. Warum werden nicht alle Antworten veröffentlicht, daraus könnte man tatsächlich Stimmungen entnehmen. Nur ein paar davon offen zu legen ist pure Manipulation.
Die geballte Sachkompetenz der Verfasser des Schriftstücks zeigt sich in Sätzen wie
Ob Filesharing, der private Tausch von CDs, Bluetooth, E‑Mail oder USB: Es gibt eine Vielzahl von unkomplizierten und vor allem kostenlosen Möglichkeiten, Musik, Filme und andere Dateien an Dritte weiterzugeben.
Ey, tauschs Du »USB«, Alder? … Und wer hat schonmal einen Film per Email verschickt? Bitte bei mir melden, ich verleihe dann dafür spontan den goldenen Blödmann aus Pappe. (facepalm) Ja, es gibt einen Haufen Möglichkeiten, Dateien »kostenlos« weiterzugeben, was soll uns das aber sagen? Außerdem werden Daten auf alle diese Wege nicht »weiter gegeben« sondern kopiert! Wahrscheinlich wundern sich die Verfasser aber auch immer noch darüber, dass ihr Fax wieder aus demselben Gerät fällt…
Netter Versuch, Börsenverein. Wir halten fest: keine wissenschaftliche Herangehensweise, keine repräsentativen Zahlen, Ergebnisaufbereitung nicht sachneutral sondern soll den Leser mit gezielter Polemik manipulieren. Zudem ist das Tauschen von deutschen Büchern in Tauschbörsen quasi nonexistent, sehen wir mal von ganz wenigen Bestsellern ab. Lange Texte liest niemand auf dem Computer-Bildschirm (schon gar keine Bücher) und eReader sind noch nicht weit verbreitet (behauptet zumindest derselbe Verein, der nämlich so gut wie keine eBooks verkauft). Was soll uns das alles also sagen, außer der Tatsache, dass der Börsenverein potentielle Kunden als Rechtsbrecher brandmarkt? Statt eine ganze Generation zu kriminalisieren, sollte man nach Wegen suchen, die Produkte legal an den Kunden zu bekommen. Mit völlig überhöhten Buch- und eBook-Preisen wird das allerdings nicht gelingen, ebenso wenig wie mit einer untauglichen Verkaufsverhinderungsplattform wie Libreka…
Edit: Dank an Kyr für den Hinweis auf einen Artikel bei Golem vom gestrigen Tage, der darüber berichtet, dass der US-Rechnungshof die Zahlen der Musikindustrie zum Thema »Verluste durch Filesharing« für nicht belastbar hält.
Edit zum Edit: Hier der Link zum Originalartikel auf Zeit Online. Zitat:
Der Rechnungshof weist auch die bisher häufig verwendeten Zahlen zurück. Die Studie, die Verluste von 200 bis 250 Milliarden Dollar jährlich veranschlagt, dürfe aufgrund fehlender Datenlage und Methodologie in offiziellen Regierungsberichten nicht mehr verwendet werden.
und:
Zumal die Regierung in dem Bericht auch darauf hinweist, dass einige Experten der Überzeugung seien, dass Filesahring (sic!) »auch positive Effekte haben könnte, die man ebenfalls berücksichtigen müsse«.
Bild »Buchpiraten«, von mir, unter Verwendung eines Bildes von peacay auf flickr, CC-Lizenz
Witzigerweise hat der US-Rechnungshof auch gerade festgestellt, dass die angeblichen Schäden durch Filesharing viel geringer ausfallen als gerne propagiert.
Man könne keine solide Grundlage für die Zahlen der Branche finden.
http://www.golem.de/1004/74522.html
Times Online (noch ohne Abo zugreifbar):