Mit GUARDIANS OF THE GALAXY muss Marvel beweisen, dass ihr Superhelden-Universum noch funktioniert, und weiter funktionieren wird. Zehn Filme, die auf unterschiedlichste Weise ineinander verwoben sind, wurden bisher veröffentlicht. Fünfzehn werden es sein, wenn Phase 3 des Cinematic Universe abgeschlossen wird, aber nicht mit AVENGERS 3, sondern mit GUARDIANS 2. Das zeigt nicht nur Marvels Weitblick, sondern auch unerschütterliches Vertrauen. Die Struktur stand, noch bevor Phase 2 mit IRON MAN 3 richtig angelaufen war, und der erste GUARDIANS-Einsatz noch in weiter Ferne lag. Jetzt sind diese Filme nicht alle wirklich Fortsetzungen, doch ein wackeliges Gerüst kann es dennoch schnell werden. Der Zuschauer bleibt eben ein unberechenbares Objekt der Begierde. Sieht man sich gerade den Kino-Sommer an, in dem sich GUARDIANS nun entfalten darf, hat das Zielpublikum einige als sicher geltende Kassenschlager einfach ignoriert. Nun haben sie sehr wohl Geld eingespielt, viele lagen dabei allerdings weit unter den von den Studios anvisierten Höhen. Weit drunter. Und dann die Retter der Kino-Galaxy mit einem Startwochenende von 94 Millionen Dollar. Damit liegt der Film zwar nur auf Platz 32 in der Rangfolge der Eröffnungswochenenden, doch die Branchenblätter jubelten und zeigten sich gleichzeitig verblüfft. Ein eindeutiges Zeichen, dass die Industrie nicht wirklich mit einem Erfolg in dieser Größenordnung gerechnet hatte. Nur Marvel, die eben bewiesen haben, dass alles noch funktioniert.
Der Plünderer und Hehler Peter Quill soll aus einer Ruinenstadt eine ominöse Metallkugel, Orb genannt, bergen. Ohne zu wissen, dass auch der wahnsinnige Despot Ronan der Ankläger das Objekt in seinen Besitz bringen will. Die erste Begegnung mit Ronans Schergen verläuft für Peter noch glimpflich, doch dabei bringt er mit seiner unkonventionellen, sehr sprunghaften Art seinen Ziehvater Yondu gegen sich auf. Nun kämpft Peter schon gegen zwei Fronten. Doch nach abenteuerlichen Einlagen und einem anschließenden Gefängnisaufenthalt, werden derer Probleme noch zunehmen. Im Gefängnis landet auch die grünhäutige Gamora, die in Ronans Auftrag Peter töten soll. Zudem ist da der minderbemittelte Drax der Zerstörer, der in Peter die Chance sieht, an Ronan heran zu kommen, um den Tod seiner Familie zu rächen. Und dann sind da der Gen- und mit Implantaten manipulierte Waschbär Rocket, mit seinem Kumpel, dem pflanzlichen Humanoiden Groot. Die wollen nur die dicke Kohle und Peter die Metallkugel Orb abspenstig machen.
In der Reihe von bisher zehn kompatiblen Marvel-Filmen, ist GUARDIANS OF THE GALAXY der am wenigste konforme Film im Gefüge. Aber genau das ist es, was den frischen Wind ins Ensemble bläst. Regisseur und Autor Gunn, mit seiner Mitstreiterin Nicole Perlman, haben die erste richtige Komödie in der Reihe geschrieben und inszeniert. Und das sind nicht nur plumpe Einzeiler, sondern richtig eingehende Situationen, welche gegen den Pathos gebürstet sind. Man beachte zum Beispiel Rockets Bemerkungen, wenn die Gruppe beschließt zusammenzuarbeiten. War Downeys Tony Stark durch sein überhebliches Gebaren bisher die witzigste Figur im Cinematic Universe, übernehmen nun die GUARDIANS im Handstreich den Anspruch auf Komödie im Gesamten. Und das auf Marvel-Manier, nämlich gut durchdacht, exzellent geschrieben, und vor allem unerwartet effektiv.
Technisch ist der Film natürlich tadellos, was man für 170 Millionen Dollar auch erwarten dürfte. Die einzelnen Handlungsorte sind abwechslungsreich, aber nicht herausragend gestaltet, wo sehr viel mit Licht- und Farbstimmungen gespielt wird. Wie der friedliche Planet Xandar, der eine helle, pastellfarbene Atmosphäre genießt, und mit Ankunft Ronans diese Farben blass werden und an Helligkeit verlieren. Um die verspielte Härte der Guardians zu unterstreichen setzt man oftmals auf untersichtiges Licht oder setzt bei Kämpfen harte Lichtkanten von hinten. Das Konzept wird allerdings nicht brutal überzogen, sondern setzt eher behutsam unterstreichende Akzente. Ansonsten liefert Ben Davis’ Kamera eigentlich sehr konventionelle Bilder, die nur gelegentlich der nachfolgenden 3D-Konvertierung entgegen kamen. Die Sets selbst sind überzeugend und effektiv, doch fragt man sich ab und an, ob hier nicht ordentlich gespart wurde. Manche Räumlichkeiten wirken so beengt, dass man vermuten möchte, der Kulissenbau sollte verschont bleiben. Größere Sets, wie die Halle der Ruinenstadt, könnten gleichzeitig das Innere von Ronans Raumschiff sein. Grundsätzlich ist das ein ganz gewöhnliches Verfahren bei Filmproduktionen. Was hier allerdings auffällt, dass sich die unterschiedlichen Kulissen zu ähnlich sind, und mit der Ausstattung kaum stärker individualisierte Räume geschaffen wurden. Was an dieser Stelle eben wieder die Lichtkonzeption auszugleichen versucht.
Die Stärke von GUARDIANS liegt immer noch in der Dramaturgie des Drehbuchs, welches gar nicht so oberflächlich ist, wie es aufgrund der extrem geradlinigen Handlung den Anschein hat. Dass Peter Quill am Anfang ausgerechnet in dem Moment von einem Raumschiff entführt wird, als seine Mutter gestorben ist, entpuppt sich als alles andere als ein Genre-Klischee. Vom Humor ganz abgesehen überzeugt die Geschichte durch ihre paradoxe Struktur. Denn nur weil die sich später als Guardians bezeichnenden Killer und Gangster gegenseitig an den Kragen wollen, jeder dem anderen nicht im Geringsten vertraut, macht es sie stark gegen die die bösen Mächte von außen. Man mag gegenhalten, dass auch dies nichts Seltenes in der Kinowelt ist, wie zum Beispiel Filme wie MIDNIGHT RUN erfolgreich demonstrierten. Allerdings sind es hier gleich mehrere Fronten, die gegeneinander stehen, aber gegen die äußeren Einflüsse so weit zusammen halten müssen, dass die jeweiligen eigenen Interessen gewahrt bleiben. Das schafft Platz für sehr aufregende, sehr unterhaltsame Action-Sequenzen, von denen es nicht wenige gibt bei GUARDIANS OF THE GALAXY. Immer unterstützt von diesem unaufdringlichem Humor, der stimmig zu der Inszenierung steht.
Manchmal kann die Werbung auch halten, was sie verspricht. Als der erste Trailer auf den Markt kam, unterlegt mit Blue Swedes »Hooked On A Feeling«, da sah das wirklich spaßig und sehr originell aus. Obwohl Fangirls und ‑boys nicht so sehr daran glauben wollten, blieb es dann doch dabei, und hier liegt die wahre Stärke von GUARDIANS, der Musikauswahl. Eine Cassette mit einem Musik-Mix von zwölf 70er-Jahre-Hits, ist alles was Peter Quill noch von seiner verstorbenen Mutter hat. Die Musik zu Peters Leben wird zur Begleitung für den Zuschauer durch den Film, womit er zweifellos sein größtes Potential ausspielt. Die reine Science Fiction-Welt wird durch diese Musik nicht etwa konterkariert, sondern schafft eine vollkommen eigene, aber wirkungsvolle Atmosphäre. Da tummeln sich 10CC, The Raspberries, aber auch David Bowie, oder Elvin Bishop. Und jeder Song scheint exakt für die jeweilige Szene geschrieben zu sein.
Während John C. Reilly und Glenn Close leider gegen ihre eigentlichen Möglichkeiten eingesetzt wurden, ist der Rest des Ensembles wunderbar besetzt. In einen Film, welcher bisher der riskanteste in Marvels Reihe war, das bisher selten aufgefallene Gesicht von Chris Pratt zu setzen, ist erstaunlich. Hat sich allerdings ausgezahlt. Tief im Herzen hat Pratt diesen absolut überheblichen, aber auch oft verlierenden Gauner verinnerlicht, der mit einem verschmitzten Lächeln auch das letzte bisschen Ehrgefühl über Bord zu schmeißen versteht. Zoe Saldana ist ja im Action-Kino keine Unbekannte mehr. Bedenken, sie könnte neben Scarlett Johannson nun zur überbeanspruchten Action-Ikone ausgenutzt werden, kann man getrost bei Seite wischen. Als Gamora ist sie stets der harte Killer, aber immer mit dieser leichten Unsicherheit, ohne dass sich Abnutzungserscheinungen in ihrem Spiel zeigen. Saldana hat aber auch ein Wesen, welches von der Kamera geliebt wird, und ihre Ausstrahlung weiter verstärkt. Nur Dave Bautista braucht einige Zeit, was auch seinem naiv dümmlichen Charakter geschuldet ist, bis er beim Publikum angekommen ist. Dass der Wrestling-Star in erster Linie wegen seines Köperbaus besetzt wurde, ist offensichtlich. Und dann sind da natürlich Rocket und Groot, ganz ausgezeichnet entwickelte Figuren, die sich animiert so homogen in die Szenerie einfügen, dass jeder Zweifel an Authentizität sofort verschwindet. Dass es die FFS GmbH in Berlin nicht zustande brachte, wenigstens die regulären Synchronsprecher von Bradley Cooper und Vin Diesel für Rocket und Groot zu arrangieren, zeugt von großer Ignoranz.
Viele kleine Schwächen, viele große Lacher. GUARDIANS OF THE GALAXY wirkt in seinem Umfang und der Inszenierung wie der kleine dreckige Bruder von THE AVENGERS, auch wenn man beide Filme nicht direkt vergleichen kann. Marvels riskante Rechnung ging gegen jede Erwartung auf. Auch diese Superhelden-Gruppe wird den Zuschauern zunehmend ans Herz wachsen, gerade weil sie einen ganz anderen Schwung in dieses Universum einfließen lassen. Da hat sich Peter Quill seinen durch den ganzen Film erwünschten, aber ignorierten Namen Star-Lord redlich verdient.
GUARDIANS OF THE GALAXY
Darsteller: Chris Pratt, Zoe Saldana, Dave Bautista, Lee Pace, Michael Rooker, Karen Gillan, John C. Reilly, Glenn Close, Benicio Del Toro, und die Stimmen von Bradley Cooper / Fahri Yardim und Vin Diesel
Regie: James Gunn
Drehbuch: James Gunn, Nicole Perlman
Kamera: Ben Davis
Bildschnitt: Fred Raskin, Hughes Winborne, Craig Wood
Musik: Tyler Bates
Produktionsdesign: Charles Wood
121 Minuten
USA 2014
Promofotos Copyright Walt Disney Studios Motion Pictures