KOHLRABENSCHWARZ, seit dem 08.06.2023 bei Paramount+
Enthält ein oder zwei winzige Spoiler. Ich habe euch gewarnt.
Nach meiner … hust … euphorischen Besprechung der ersten Episode habe ich mir natürlich auch den Rest von KOHLRABENSCHWARZ angesehen, einer für den Streamingdienst Paramount+ produzierten Mystery-Serie aus deutschen Landen. Showrunner ist Tommy Krappweis.
Und mit dem Begriff »Showrunner« kommen wir auch bereits dazu, dass das offensichtlich anders produziert wurde als andere Projekte im deutschsprachigen Raum. Üblich ist hierzulande, dass bei so einem Projekt jeder und sein Hund reinreden kann, wie aus zahllosen Blogbeiträgen Beteiligter vergangener Jahre zu entnehmen ist. Ganz besonders schlimm ist das dem Vernehmen nach bei Produktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, bei denen auch noch Redakteure anderer ÖR-Sender dazwischengrätschen und intervenieren können. Wenn man diese Possen deutscher Produktionen kennt, dann wundert man sich eher nicht, dass man im Land der (lange vergangenen) Dichter und Denker außer strunzenlangweiligen Tatorten, seichten Schmonzetten und dümmlichen Komödien nichts auf die Reihe bekommt.
Der Showrunner, also quasi der kreative Kopf hinter einer Serie, ist in den USA üblich und etliche davon haben Kultstatus (z.B. Chris Carter (X‑FILES), Tim Kring (HEROES), Eric Kripke (SUPERNATURAL) oder Ron D. Moore (FOR ALL MANKIND)). Sie haben die kreative Kontrolle darüber, wie das Projekt umgesetzt wird und wo es hingeht (ja, es gibt noch weitere Leute, die was zu sagen haben, insbesondere bei Warner möchten auch Studiobosse sich gern mal einmischen, was dabei rauskommen kann, zeigen die elenden DC-Superheldenfilme eindrücklich. Dennoch: Der Showrunner oder die Showrunnerin ist es, der oder die einer Serie einen deutlichen kreativen Stempel aufdrückt).
Zurück zum Thema: Man merkt KOHLRABENSCHWARZ an, dass hier ein Konzept durchgezogen wurde. Es gab einen Showrunner. Und man merkt auch deutlich, dass man hier eine klare Vision über das hatte, was man zeigen wollte und wie man es genau zeigen wollte. Eine deutliche Stringenz hinsichtlich des Hintergrundes zieht sich durch das Projekt, das eben nicht auf irgendwelche neu erfundenen Mythen zurückgreift, sondern auf Sagen und Märchen aus Deutschland, oder genauer gesagt aus Bayern.
Das ist natürlich schon der erste Kunstgriff, denn dadurch hat man einen Bezug zu dem Dargebotenen, man kann sich damit identifizieren, umso mehr, wenn man von den Sagengestalten schonmal gehört hat (bis auf die, die der Herr von Aster »eingeschmuggelt« hat). Und natürlich schafft das eine ganz eigene Identität, die ohne Klischees aus den USA oder England auskommt und dafür ganz eigene Klischees nutzt oder sogar neue erschafft.
Erstmal bekommt man so etwas wie eine halbwegs normale Krimiserie vorgesetzt und für den, der die Hörspielreihe noch nicht goutiert hatte (so wie ich), bleibt es zu Beginn noch offen, ob es sich um herkömmliches Crime oder doch eher um Mystery handelt. Das machte das Ganze von Anfang an spannend. Dass man sich tatsächlich traut, die Mystery-Nummer (oder genauer gesagt: Urban Fantasy-Nummer) dann auch konsequent durchzuziehen und nicht am Ende alles profan zu erklären, hat mich ganz besonders gefreut.
Dazu kommt aber auch, dass das Ganze wie aus einem Guss wirkt. Wie aus einem professionellen Guss, der sich technisch und qualitativ nicht hinter internationalen Produktionen verstecken muss. Insbesondere diverse grandiose Kameraeinstellungen, Kamerafahrten und ganz besonders die immer wieder eingesetzten Lichtstimmungen heben KOHLRABENSCHWARZ bereits weit von anderen hiesigen Produktionen ab. Dabei sind diese cinematografischen Effekte nicht beliebig und ebenfalls nicht in einem Überfluss eingesetzt, dass sie nerven. Ganz im Gegenteil, so wie man sich das als von US-Serien verwöhnter Nerd wünscht, werden diese Effekte eingesetzt, um Kontraste zu schaffen. Es gibt auch ganz normal gefilmte und beleuchtete Szenen, aber insbesondere wenn mal wieder etwas Abgefahrenes passieren soll, setzt man auf solche handwerklichen Kunstgriffe, oder auch auf subtil oder drastisch geändertes Colorgrading. Ich halte das in dieser Art für eine deutsche Serie ganz bemerkenswert umgesetzt.
Trotz der deutlich erkennbaren Verneigungen hin zu gewissen großen Vorbildern und Nerd-Favoriten, insbesondere aus dem Serienbereich, behält KOHLRABENSCHWARZ dabei einen ganz eigenen Stil und verhehlt auch nie, dass es eben eine deutsche Produktion ist, man hat die Vorbilder zwar zitiert jedoch keineswegs plagiiert, und gerade dadurch etwas erfreulich Eigenständiges erschaffen – und präsentiert mit einigem Selbstvertrauen, dass man auch auf Mythen mit Lokalkolorit zurückgreifen kann und die gegenüber internationalen Tropes durchaus bestehen können..
Dazu kommt ein bestens aufgelegtes Ensemble, das sichtbar Spaß an der Umsetzung der Hörspiel-Geschichte im Bewegtbild hat. Allen voran natürlich Michael Kessler als Polizeipsychologe Stefan Schwab, der zeigt, dass er deutlich mehr beherrscht, als Comedy. Die von ihm dargebotene Mischung aus Kompetenz und Hilflosigkeit erzeugt einen trotz aller Phantastik (oder gerade deswegen?) glaubwürdigen und sympathischen Charakter. Aber das restliche Team ist ihm dichtauf, Bettina Lamprecht, Bettina Zimmermann und Peter Ketnath, quasi die »Brückencrew« dieser Show, zeigen alle aufs Vortrefflichste was sie können; die Chemie, die beim Dreh zwischen ihnen geherrscht haben muss, um das so hinzubekommen, ist beim Zusehen beinahe greifbar.
Ich hatte bereits in der Besprechung der ersten Folge erfreut festgestellt, dass typisch deutsches Overacting hier vergeblich gesucht wird. Die sprechen alle wie ganz normale Leute und frotzeln sich auch so an, wie es ganz normale Leute tun würden. In anderen Produktionen aus diesem, unserem Land sprechen selbst generische Familienväter gefühlt immer so wie Kang the Konqueror, kurz bevor er mal wieder ein Universum vernichtet. In US-Produktionen wird es gern so gehandhabt, dass etliche Figuren ganz normal sprechen und nur die Oberbösewichte oder andere handlungswichtige Figuren overacten. Das stellt Kontrast her, ist ein Stilmittel. Und ich war äußerst positiv überrascht, als die Macher das hier übernommen haben, die … hust … merkwürdige Figur Erdmann gewinnt sofort dadurch an Kontrast und Charakterschärfe, dass er sich äußerst geschraubt ausdrückt und eben deutlich overacted. Ich habe mich sehr, sehr gefreut, dass dieses Stilmittel hier so eingesetzt wurde.
An der Stelle möchte ich auch gleich Tim Seyfi hervorheben, der den Erdmann gibt, dass es eine helle Freude ist. Völlig drüber und dennoch zurückgenommen nuanciert, das muss man so erstmal hinbekommen.
Bemerkenswert auch die Performances von vermeintlichen Nebenfiguren, die nur kurze Auftritte haben, dabei aber alles geben. In erster Linie möchte ich an dieser Stelle Alexander Schubert nennen. Den kennt man sonst hauptsächlich aus seiner Rolle als ein wenig depperter Albrecht Humboldt in der HEUTE SHOW, so dass man ihn leicht unterschätzen mag. Was der hier abliefert ist herausragend intensiv gespielt, dass man sich wünschte, er könnte nochmal auftreten. Mehr sage ich dazu allerdings wegen großer Spoilergefahr nicht.
Ebenfalls bemerkenswert der (sehr) kurze Gastauftritt von Christian Tramitz, der in einer biestig-lässigen Art abböst, die ich ihm so nie zugetraut hätte und die ich arg grandios fand. Schön, wenn man Schauspieler°Innen gegen die Erwartungen besetzt und das hier Gesehene dabei heraus kommt. Überhaupt waren die diversen kurzen »Gastauftritte« verschiedener Mimen und Miminnen sehr, sehr sehenswert.
Insbesondere exponieren möchte ich noch Sogol Faghani und Alexander Prince Osei als Nadjia Saleh und Chris Oberreuther, die beiden jungen Polizist°innen, die halt dummerweise irgendwie in die ganze Mysterynummer reinrutschen. Gerade Faghani ist für einige der besten sarkastischen Oneliner der Serie verantwortlich. Die beiden zeigen, was man unter »supporting character« eigentlich versteht. Obwohl sie nur vergleichsweise selten in Erscheinung treten, hinterlassen sie bleibenden Eindruck.
Und da sind wir auch schon beim Humor. Der ist bei dieser Mystery-Serie trotz allen Horrors und aller Splatterszenen (keine Angst, sparsam eingesetzt) definitiv vorhanden und zieht sich durch alle sechs Folgen. Und zwar auf eine eher zurückgenommene Art, es gibt keine aus deutschen Produktionen zur Genüge ausgelutschen brachialen Schenkelklopfer und dümmlichen Gags, der Humor ist ein feiner. Er entsteht aus Dialogen ebenso wie aus sich immer wiederholenden Running Gags oder auch daraus, wie sich Szenen entwickeln. Der Beweis, dass man eine spannende Mystery-Serie mit solchem Humor durchsetzen kann, wurde in meinen Augen mit Bravour erbracht, insbesondere auch dadurch, dass nichts davon aufgesetzt wirkt (stilistisch erinnerte mich das stellenweise ein wenig an die X‑Akten, bei denen Mulder und Scully die dramatischen Szenen ebenfalls immer gerne mal durch kleine Gags auflockerten). Etliche Sprüche, die sich die Protagonisten drücken, kamen mir wie aus dem Leben gegriffen vor, wie man sie sich unter Freunden eben bisweilen drückt und das macht mir die Serie noch sympathischer.
Ein paar Mal rutscht man knapp am Klamauk vorbei, aber man weicht ihm glücklicherweise gerade noch gekonnt aus.
Dazu kommen zahllose liebevoll platzierte Globuli … äh … Kleinigkeiten, die immer wieder auftauchen, oder die der Zuschauerin, die mal genauer hinsieht, am Rande auffallen, (und damit meine ich nicht mal nur den Hitchcock-artigen Gastauftritt von Tommy Krappweis als klampfender Zausel im Hintergrund).
Im späteren Verlauf bekommt man dann auch noch mit, dass man sich bei den Schrullen der Hauptfiguren tatsächlich etwas gedacht hat, denn es kommen Dinge zutage, mit denen man so sicher nicht gerechnet hatte, das Gesamtkonzept ist durchkonstruierter als man anfangs vielleicht gedacht hatte.
Habe ich denn wirklich nix zu meckern? Fast gar nichts. Eigentlich störte es mich zuerst ein wenig, dass die Protagonisten mit dem immer abgefahreneren Zeugs zu schnell zurecht kommen, bis ich mich erinnerte, dass das in US-Serien auch immer so ist. Sei es SLEEPY HOLLOW oder BUFFY, die in den übernatürlichen Kram verwickelten Figuren kommen immer erstaunlich schnell klar, statt verzweifelt in die nächste erreichbare Kreissäge zu springen. Deswegen geht das schon in Ordnung, umso mehr, wenn es später Eröffnungen über die Figuren gibt, dass die … öh … passende Hintergründe haben. Das ist also nach ein wenig Nachdenken kein Kritikpunkt für mich.
Ebenso sind die meisten VFX für eine deutsche Produktion ziemlich gut bis okay. Was mich ein wenig befremdet hat, war die Latexmaske von Erdmann in seiner … hm … »anderen« Gestalt. Da würde ich mir ein mehr Aufwand wünschen, denn hier war der Unterschied zu internationalen Produktionen krass. Ich gehe davon aus, dass das den Machern auch klar war und das deswegen so sparsam eingesetzt wurde. Das ist aber Gemecker auf hohem Niveau und ich gehe mal davon aus, dass Ottonormalfernsehgucker das gar nicht auffallen wird. Vielleicht, hoffentlich, kann man das auch in Zukunft noch verbessern.
Ich will mal zu einem Ende kommen. Ich bin wirklich sehr, sehr erfreut über diese Serie, denn sie zeigt, dass es weit entfernt von Tatort-Schlafmitteln und Rosamunde Pilcher-Zuckerschock tatsächlich intelligentes, kreatives Leben im deutschen Fernsehen gibt. Die jahrzehntelange elende Durststrecke der Phantastik auf schlandischen Filmmerkisten, mit unerträglichem Mist oder handwerklich schlecht gemachten Produktionen, hat ein Ende. Endlich.
Ich wünsche mir wirklich sehr, dass das ein großer Erfolg werden wird, erstens haben Cast & Crew das mehr als verdient und zweitens würde das vielleicht (bittebitte!) dazu führen, dass es mehr solcher Produktionen geben kann, weil es bei anderen Produzenten ein Einsehen gibt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch andere hiesige Kreativteams sowas können, wenn ihnen keine konservativen Produzenten- oder Senderredakteurs-Honks reinreden.
Danke Tommy Krappweis, Du bist mein Held! (Die anderen vom Team natürlich auch!) Ihr habt bewiesen, dass eine nicht peinliche, äußerst spannende, witzige, deutsche Phantastik-Serie eben doch möglich ist!
p.s.: Aber das Ende … Ey, das kann doch nicht euer Ernst sein! ;) Wenn das nicht weiter geht, muss ich leider vor dem Paramount-Hauptquartier in den Hungerstreik treten! Oder mich da ankleben.
p.p.s: Es gibt eine 7‑tägige kostenlose Probephase von Paramount+, mit ein wenig Glück kann man die mit einem der folgenden Gutscheincodes auf vier Wochen verlängern: FATALATTRACTION, STALLONE, PINKLADIES oder THALIA. Im Prinzip kann man KOHLRABENSCHWARZ also für lau gucken, es gibt somit keine Ausrede. Viel Glück!
KOHLRABENSCHWARZ
Mystery-Serie, Staffel eins, sechs Episoden
Besetzung: Michael Kessler, Bettina Lamprecht, Bettina Zimmermann, Sogol Faghani, Axel Milberg, Peter Ketnath, Alexander Prince Osei, Jürgen Tonkel, Götz Otto, Tim Seyfi, Alexander Schubert und andere.
Regie: Erik Haffner
Autor°Innen: Michael Kessler, Sophia Krappweis, Tommy Krappweis, Matthias Thönnissen, Christian von Aster
Produzentin: Melanie Graf
Ausführender Produzent: Nico Krappweis
Kamera: Tom Holzhauser
Schnitt: Jochen Donauer
Musik: Andreas Lenz v. Ungern Sternberg
Produktionsdesign: Albert Jupé
Casting: Melanie Graf
Deutschland 2023
Promofotos Copyright Paramount+