Bandit bespricht: STOWAWAY

STOWAWAY – Bun­des­start 24.06.2021 & Netflix

Für Zoe war es eigent­lich nur ein splee­ni­ger Gedan­ke, in ihrem Lebens­lauf eine Absa­ge für die Mars-Mis­si­on ste­hen zu haben. Doch sie wur­de ange­nom­men und erst jetzt erkennt sie, dass es etwas wirk­lich Bedeu­ten­des sein wird. Etwas, das ihrem Leben einen tie­fe­ren Sinn geben könnte.
Dies ist das Nar­ra­tiv von Sto­wa­way, dass jeder ent­ge­gen sei­nes eige­nen Lebens­ent­wurfs vom Leben her­aus­ge­for­dert wird. Und das gelingt den Autoren Joe Pen­na und Ryan Mor­ri­son anfäng­lich aus­ge­spro­chen gut und sehr ein­dring­lich. Das Welt­all ist eben kein Ort, der für Men­schen gemacht ist. Umso inten­si­ver gestal­ten sich hier mensch­li­che Dra­men. Autor Pen­na hat auch Regie geführt und insze­niert viel mehr ein Kam­mer­spiel anstel­le einer gro­ßen Space-Opera.

Jetzt sind zum Schei­tern ver­ur­teil­te Mars-Mis­si­on nur noch sehr sel­ten ori­gi­nell oder inspi­riert. Des­we­gen muss man den Mut von Pen­na und Mor­ri­son bewun­dern, sich gera­de­wegs den Fall­stri­cken die­ses nie müde wer­den­den The­mas aus­zu­set­zen. Und tat­säch­lich sind da diver­se Ele­men­te, die nicht nur neu sind, son­dern auch über­zeu­gen. Frag­lich bleibt aller­dings bis zuletzt, ob es dafür eines Welt­raum-Set­tings bedarf.

Die Macher haben sich auf das Mis­si­ons­em­blem geschrie­ben ein wis­sen­schaft­lich kor­rek­tes Sze­na­rio zu schaf­fen. Erb­sen­zäh­ler brau­chen nur weni­ge Minu­ten mit der Such­ma­schi­ne ihres Ver­trau­ens ver­brin­gen. Der extrem unge­müt­li­che Start bis zur Über­win­dung der Erd­an­zie­hung oder die Sau­er­stoff­ge­win­nung mit Algen. Und ganz vor­ne dran: das Rota­ti­ons­prin­zip des Raum­schif­fes, wel­ches eine Umkehr oder Mis­si­ons­ab­bruch unmög­lich macht.

Eine Umkehr wäre zwin­gend not­wen­dig, als ein unschul­dig in den Rumpf ein­ge­schlos­se­ner blin­der Pas­sa­gier ent­deckt wird. Bei sei­ner Ber­gung wird auch noch die Luft­fil­ter­an­la­ge beschä­digt. Eine vier­te Per­son an Bord wäre unter nor­ma­len Umstän­den ver­tret­bar. Aber die stark dezi­mier­te Sau­er­stoff­ver­sor­gung schafft ein kata­stro­phen­ar­ti­ges Dilem­ma. Um uns Zuschau­er rich­tig emo­tio­nal ein­zu­bin­den, ver­dich­tet der Film die gesam­te Hand­lung auf vier Personen.

Was sonst als auf­wüh­len­des, meist über­zeich­ne­tes Dra­ma insze­niert ist, lässt Joe Pen­na sehr prag­ma­tisch auf­füh­ren. Dani­el Dae Kim ist der Bio­lo­ge Kim, der eine Lösung des Pro­blems auf nüch­ter­ne Art her­un­ter­bricht. Mit Anna Kendrick wird die Medi­zi­ne­rin Zoe zum ethi­schen Gewis­sen in der Geschich­te. Als Kom­man­dan­tin Mari­na Bar­nett muss Toni Col­let­te alle Fra­gen, Blick­win­kel und Aspek­te abwägen.

 

Kon­tak­te zu Mis­si­on-Con­trol oder eine Pres­se-Kon­fe­renz sind akus­tisch und optisch auf die Haupt­dar­stel­ler redu­ziert. Wir hören weder Fra­gen noch Anwei­sun­gen. Beson­ders Col­let­te meis­tert dies gran­di­os, wenn sie das dar­stel­len muss, was wir Zuschau­er nicht hören. Das wird umso beein­dru­cken­der, weil die Dia­lo­ge nie die­sen typisch erklä­ren­den Cha­rak­ter haben. Nicht gehör­te Tex­te wer­den auch nicht in den hör­ba­ren Dia­lo­gen auf­ge­nom­men oder wiederholt.

Eine eben­so raf­fi­nier­te Ent­schei­dung ist die Beset­zung mit Shamier Ander­son als blin­dem Pas­sa­gier Micha­el. Wäh­rend die für die Mis­si­on rele­van­ten Mit­glie­der von für das Publi­kum bekann­ten Gesich­tern ver­kör­pert wer­den, wird mit Ander­son ein weni­ger bekann­ter Dar­stel­ler zum unlieb­sa­men Gast. Die Absicht, eine mora­li­sche Insta­bi­li­tät auf­zu­bau­en funk­tio­niert mit die­sem Mit­tel sehr gut.

STOWAWAY ist ganz star­kes Schau­spiel­ki­no. Der Film gewinnt sei­ne fes­seln­de Atmo­sphä­re mit sei­nem außer­ge­wöhn­lich ein­neh­men­den Ensem­ble. Wobei die Cha­rak­ter­zeich­nun­gen noch ein­mal das gan­ze extrem inten­si­vie­ren. Es wird nicht geschrien, es wird nicht geflucht, es kommt zu kei­nen hit­zi­gen, aus­ufern­den Debat­ten. Die­se Men­schen sind für außer­ge­wöhn­li­che Not­si­tua­tio­nen aus­ge­bil­det. Ein­drucks­voll wird dies in einer Sze­ne demons­triert, die fast neben­her läuft und die wir in ihrer Rele­vanz kaum wahr neh­men. Da erklärt Zoe dem Neu­zu­gang zum Ein­stieg Ver­hal­tens­re­geln und Bedien­ele­men­te für Notfälle.

Schnell stei­gern sich die nüch­ter­nen Abwä­gun­gen in mora­li­sche Debat­ten. Ein Aus­weg ist nicht gege­ben, nur drei Men­schen kön­nen bis zum Mars über­le­ben. Aber Micha­el kann arbei­ten, kann Auf­ga­be zur volls­ten Zufrie­den­heit erfül­len, wäre unter nor­ma­len Umstän­den ein gleich­wer­ti­ges Mit­glied der Besat­zung. Könn­te also ein ande­rer aus der Mann­schaft an sei­ne Stel­le des Schick­sals tre­ten? Die Mise­re wird zur psy­cho­lo­gi­schen Kon­tro­ver­se, in die wir als Betrach­ter von außen mit ein­be­zo­gen wer­den. Pen­na nimmt uns aber nicht an der Hand, son­dern er stößt uns hin­ein. Anfangs wägen wir selbst noch ab und ste­hen spä­ter den Figu­ren gleich. Wir sind kei­ne Spiel­bäl­le, son­dern gleich­be­rech­tig­te Teil­neh­mer im emo­tio­na­len Dis­kurs. Und auf manch­mal unan­ge­neh­me Wei­se ist das extrem span­nend, und immer wie­der auch selbstreflektierend.

Wäre da nicht das letz­te Drit­tel. Der Film über­nimmt plötz­lich Kon­ven­tio­nen, die er zuvor her­vor­ra­gend aus­ge­he­belt hat. Wo Stan­dards gegen die Erwar­tung insze­niert waren, ver­su­chen sich die Macher plötz­lich in einer ganz ande­ren Art des Span­nungs­ki­nos. Auch die kennt man aus jedem belie­bi­gen Film mit Mars-Mis­si­on, oder in Welt­raum-Aben­teu­ern. Doch hier unter­nimmt weder Buch noch Insze­nie­rung irgend­wel­che Ver­su­che, mit der Erwar­tungs­hal­tung zu bre­chen, so wie man es zu Beginn der Geschich­te über­ra­schend erle­ben durf­te. Das auf­kei­men­de Gebil­de einer meta­phy­si­schen Betrach­tung über die Rela­ti­on von Spi­ri­tua­li­tät und Wis­sen­schaft fällt in sich zusammen.

Dass man aus dem Kor­sett des Kam­mer­spie­les aus­bre­chen woll­te, ist nach­voll­zieh­bar und macht in vie­ler­lei Hin­sicht auch Sinn. Doch man hät­te an der Auf­lö­sung wesent­lich inten­si­ver arbei­ten müs­sen, um die­se deut­sche Sci­ence Fic­tion-Pro­duk­ti­on als ganz­heit­lich gelun­gen genie­ßen zu kön­nen. So wird ein ein­dring­lich fes­seln­der Anfang mit einer unglück­li­chen Blau­pau­sen-Situa­ti­on ins All gebla­sen. Obwohl alle wis­sen­schaft­li­che Aspek­te kor­rekt dar­ge­stellt sind und der phi­lo­so­phi­sche Ansatz per­fekt war.

STOWAWAY
Dar­stel­ler: Anna Kendrick, Dani­el Dae Kim, Toni Colet­te, Shamir Anderson
Regie: Joe Penna
Dreh­buch: Joe Pen­na, Ryan Morrison
Kame­ra: Kle­mens Becker
Bild­schnitt: Ryan Morrison
Musik: Vol­ker Bertelmann
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Mar­co Bitt­ner Rosser
117 Minuten
Deutsch­land – USA 2021

Bild­rech­te: WILD BUNCH Germany

Views: 0

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies und von eingebundenen Skripten Dritter zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest (Navigation) oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst Du Dich damit einverstanden. Dann können auch Cookies von Drittanbietern wie Amazon, Youtube oder Google gesetzt werden. Wenn Du das nicht willst, solltest Du entweder nicht auf "Akzeptieren" klicken und die Seite nicht weiter nutzen, oder Deinen Browser im Inkognito-Modus betreiben, und/oder Anti-Tracking- und Scriptblocker-Plugins nutzen.

Mit einem Klick auf "Akzeptieren" werden zudem extern gehostete Javascripte freigeschaltet, die weitere Informationen, wie beispielsweise die IP-Adresse an Dritte weitergeben können. Welche Informationen das genau sind liegt nicht im Einflussbereich des Betreibers dieser Seite, das bitte bei den Anbietern (jQuery, Google, Youtube, Amazon, Twitter *) erfragen. Wer das nicht möchte, klickt nicht auf "akzeptieren" und verlässt die Seite.

Wer wer seine Identität im Web schützen will, nutzt Browser-Erweiterungen wie beispielsweise uBlock Origin oder ScriptBlock und kann dann Skripte und Tracking gezielt zulassen oder eben unterbinden.

* genauer: eingebettete Tweets, eingebundene jQuery-Bibliotheken, Amazon Artikel-Widgets, Youtube-Videos, Vimeo-Videos

Schließen