Bandit bespricht: CHAOS WALKING

Bun­des­start 17.06.2021

Der Lärm ist der unge­fil­ter­te Gedan­ken des Men­schen. Ohne Fil­ter ist der Mensch nur wan­deln­des Chaos.“

Unter »The Noi­se« ver­steht Autor Patrick Ness die hör- und sicht­ba­ren Gedan­ken sei­ner männ­li­chen Prot­ago­nis­ten auf dem Pla­ne­ten New World. Regis­seur Doug Liman zeigt dies dem Betrach­ter in Form einer wabernd bun­ten Wol­ke um den jewei­li­gen Cha­rak­ter. Je inten­si­ver der Gedan­ke, des­to lau­ter hört man ihn im Wort­laut und der Schlei­er leuch­tet stär­ker, das Objekt des Gedan­ken wird sicht­bar. Kei­ne ein­fa­che Sache, wenn plötz­lich eine Frau vor einem steht und das Blut in Wal­lung kommt. Denn eigent­lich gibt es kei­ne Frau­en mehr in der Sied­lung Pren­tis­town. Bei der Besie­de­lung gab es Krieg gegen die Urein­woh­ner und alle Frau­en wur­den getö­tet. Dass nun die Neu­en auf dem Pla­ne­ten die Urein­woh­ner Ali­ens nen­nen, ist ein der­art offen­sicht­li­cher Kom­men­tar, dass er ein­fach zu auf­dring­lich kommt. Aber das ist das gerings­te Pro­blem an CHAOS WALKING.

Als drei­tei­li­ge Jugend­buch­rei­he waren Patrick Ness’ Bücher nicht ein­fach nur prä­miert, son­dern tat­säch­lich auch beliebt. Der Trend von Ver­fil­mun­gen drei­tei­li­ger Jugend­buch­rei­hen ist aller­dings längst vor­über. Die letz­ten Tei­le von DIVERGENT und MAZE RUNNER haben das Des­in­ter­es­se schmerz­lich erfah­ren müs­sen. Bereits 2011 erwarb Lions­ga­te die Ver­triebs­rech­te an der »New World«-Trilogie. Und der zehn­jäh­ri­ge Lei­dens­weg hat sich nicht aus­ge­zahlt. Dass es für den Betrach­ter sehr schwer ist, in den Film hin­ein­zu­fin­den, weil die Ton-Ebe­ne unun­ter­bro­chen mit über­lap­pen­den, schwer ver­ständ­li­chen Halb­sät­zen auf­war­tet, ist eben­falls ein gerin­ge­res Pro­blem von CHAOS WALKING.

Der Außen­sei­ter Todd ent­deckt Vio­la zufäl­lig im Wald. Ihr Erkun­dungs­boot eines im Orbit lie­gen­den zwei­ten Kolo­nie­schif­fes ist abge­stürzt und sie die ein­zi­ge Über­le­ben­de. Dass bei­de etwa das glei­che Alter haben ver­steht sich von selbst. Dass bei­de sich schnell annä­hern ist selbst­ver­ständ­lich. Und da Frau­en kei­nen »Lärm« ver­ur­sa­chen, stößt das den Män­nern von Pren­tis­town mäch­tig auf. Was kann es für einen Mann schlim­me­res geben, als eine Frau, die ihn so leicht durch­schau­en, sprich hören kann, wäh­rend die Frau alle Gedan­ken für sich behält. Auch die­ser Kon­flikt war zwangs­läu­fig, er ist schließ­lich die Prä­mis­se. Immer vor­her­seh­bar, aber noch lan­ge nicht das größ­te Pro­blem von CHAOS WALKING.

Das größ­te Pro­blem von CHAOS WALKING, sind sei­ne vie­len klei­nen Pro­ble­me. Im Gesam­ten wirkt der Film wie ein visua­li­sier­tes Sketch­book. Bei vie­len Sze­nen denkt man an einen bud­get­frei­en Stu­den­ten­film, in ande­ren erschlägt er den Betrach­ter mit opu­lent beein­dru­cken­den Effek­ten. A‑Listen Dar­stel­ler wie Bichir, Mikkel­sen, Oye­lo­wo oder Eri­vo sind voll­kom­men unter­for­dert. Die Struk­tu­ren auf die­ser »neu­en Welt« blei­ben vage, kla­re Ver­hält­nis­se muss man sich als Betrach­ter erar­bei­ten. So wir­ken dann man­che insze­na­to­ri­sche Über­ra­schun­gen, wie aus dem Hut gezau­ber­te Aus­flüch­te, anstel­le von stim­mi­gen Narrativ.

 

Wenn jemand eine Fan­ta­sie­welt ent­wirft, dann soll­te die­se stim­mig sein, durch­dacht und inner­halb ihrer Gren­zen plau­si­bel. Hier hat man die­ses Gefühl nicht. Die ein­zi­ge Beson­der­heit auf New World ist »The Noi­se«. Selbst die Urein­woh­ner machen durch ihre all­zu mensch­li­che Gestalt kei­nen Ein­druck. Dass Patrick Ness New World als eine Alle­go­rie für die Besie­de­lung des us-ame­ri­ka­ni­schen Wes­ten sieht, ist nicht von der Hand zu wei­sen. Der Betrach­ter hät­te es aber auch mit weni­ger Pfer­den und wesent­lich weni­ger Nadel­wäl­dern verstanden.

Und die bes­ten Akteu­re kön­nen kaum dage­gen anspie­len. Vor allem nicht, wenn ihnen kein biss­chen Hin­ter­grund gege­ben ist. Die Figu­ren sind lee­re Hül­sen, die agie­ren und reagie­ren, je nach Hand­lungs­be­darf, aber eine Moti­va­ti­on wird ihnen nicht zuge­stan­den. Dass Todd der auf sich gestell­ten Vio­la wegen ihres Geschlechts und sei­ner für ihn bis dahin unbe­kann­ten Trie­be hilft, ergibt unter­halt­sa­me Stan­dard­si­tua­tio­nen, aber ist als ori­gi­nel­le oder gar dif­fe­ren­zier­te Cha­rak­ter­zeich­nung für bei­de Figu­ren ein­fach nicht interessant.

In die­sem Sin­ne macht die Ermor­dung von wich­ti­gen Figu­ren ein­fach nur wütend. Sie machen nicht betrof­fen, son­dern fas­sungs­los. Es macht wütend, weil deren Tod kei­nen Sinn macht, es nichts zur Hand­lung bei­trägt, und der Ver­lust am Ende für alle Betei­lig­ten ohne Bedeu­tung scheint. Das Spiel mit den Emp­fin­dun­gen geht da ganz gewal­tig nach hin­ten los.

Irgend­wann wird viel­leicht ein­mal ein Pro­du­zent kom­men und sich an Patrick Ness‘ Jugend­buch­tri­lo­gie erin­nern. An die Bücher, nicht an die­sen Film. Und er wird wis­sen, dass da sehr viel mehr ist, als es zuerst den Anschein hat. Und dass Fil­me auch anspruchs­voll sein müs­sen, wenn sie unter dem Deck­man­tel »Jugend« ver­fasst sind. Die­ser Pro­du­zent wird Mit­strei­ter fin­den, die wesent­lich inspi­rier­ter sind. Und dann erle­ben wir auch die gan­ze Geschich­te von New World.

CHAOS WALKING
Dar­stel­ler: Tom Hol­land, Dai­sy Rid­ley, Demián Bichir, Mads Mikkel­sen, Kurt Sut­ter, David Oye­lo­wo, Cyn­thia Eri­vo u.a.
Regie: Doug Liman
Dreh­buch: Patrick Ness (nach sei­nen Büchern) & Chris­to­pher Ford
Kame­ra: Ben Seresin
Bild­schnitt: Doc Crotzer
Musik: Mar­co Bel­tra­mi & Bran­don Roberts
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Dan Weil
Luxem­burg – Hong­kong – Kana­da – USA 2021
109 Minuten

Bild­rech­te: LIONSGATE

AutorIn: Bandit

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