Es kann alles passieren! (Alles kann passieren!)
Tatort meets Fantasy in beschaulichen Rosenheim. Wer sich auf KOHLRABENSCHWARZ von Tommy Krappweis und Christian von Aster einlässt, sollte alle Erwartungen an bekannte Genres fahren lassen und sich mit einem offenen Geist auf etwas Neues einstellen.
Am Anfang glaubt man noch, dass sich, wie man es aus anderen Krimis gewohnt ist, die unheimlichen und mystischen Fälle doch noch irgendwie erklären lassen. Doch schließlich stellt man fest, dass die Geschichten diesen Pfad verlassen haben und man es mit echten Trollen und Zauberern zu tun bekommt.
Ein altes Märchenbuch, ein geheimnisvoller Mentor, magische Zeichen, die mit Blut an die Wand gemalt werden und jede Menge Sagengestalten auf der einen und ein mundanes Ermittlerteam auf der anderen Seite. Das ist der Stoff, aus dem normalerweise amerikanische Urban-Fantasy ist. Aber funktioniert das auch in einem deutschen, einem bayerischen, Städtchen? Ich sage: ja, das tut es.
Die Charaktere zieren sich zwar zunächst, ein wenig, das Unglaubliche zu glauben, akzeptieren aber bald das Übernatürliche und stellen sich, teilweise sehr pragmatisch, seinen Herausforderungen.
»Und?« fragt Erdmann, »glauben Sie es jetzt?« Und Schwab antwortet: »Ja, mit dem Erdwurm hatten Sie mich.«Polizeipsychologe Schwab, Polizistin Anna, Schwabs Exfrau Susanne und deren neuer Freund Franz wachsen von Fall zu Fall zu einem Ermittlerquartett zusammen, in dem jeder seine Rolle spielt. Besonders großartig ist der evangelische Pfarrer Franz, der im katholischen Bayern sicher auch sein Päckchen zu tragen hat und mit seiner Knarre überraschend das eine oder andere Mal den Tag rettet.
Dabei bleiben die Charaktere authentisch und werden selbst nicht zu mythischen Helden, die das Schwert aus dem Stein ziehen. Und doch ist auch Polizeipsychologe Schwab ein klassischer Held wider Willen, der einerseits eigentlich seine Ruhe haben will, den die Fälle aber andererseits nicht loslassen.
Die rasanten und schlagfertigen Dialoge zwischen Schwab und seiner Exfrau, Pfarrer Franz und Anna sind unterhaltsam und lustig, ohne klamaukig zu werden. Mir persönlich hat daran gefallen, dass nicht dadurch Unterhaltung generiert wird, dass schmutzige Wäsche gewaschen wird, sondern dass alle Protagonisten versuchen humorvoll miteinander zurechtzukommen. Das bis hin zu unerwarteten Freundschaften.
Die Stories entwickeln die Geschichte kontinuierlich weiter und drehen von Mal zu Mal mehr auf. Dabei sind es nicht nur seichte kleine Verbrechen, sondern handfeste und teils blutige Morde und Entführungen, mit denen man es zu tun bekommt. Über alles spannt sich ein großer Handlungsbogen, der am Ende die Option auf mehr Geschichten offen lässt.
Auch das Genre Hörspiel funktioniert für KOHLRABENSCHWARZ sehr gut. Schon das Intro, das an Psycho erinnert, aber auf der Zither gespielt wird, ist genial und macht Lust aufs Hören. Die Wechsel zwischen Spielszenen und Sprechersequenzen sind gut gesetzt und bringen die Geschichte voran, sodass keine Längen entstehen. Zugegeben sind die Personen hin und wieder etwas überdreht, dadurch gelingt es aber auch besser, sie voneinander abzugrenzen. Die Gespräche zwischen den Personen wirken wie aus einem Guss, ein Wort gibt das andere. Es ist ein Genuss, die witzigen und ironischen Konter zu hören, die einem selbst nie im richtigen Moment einfallen. Dabei wurde für meinen Geschmack auch nicht überzogen, sondern aufgehört, wenn es am besten war.
Selten sind Personen etwas schlecht zu verstehen, zum Beispiel ganz am Anfang die Jugendlichen. Und warum man sich als Polizeipsychologe nicht mal für eine Nacht ein Hotel leisten kann und deshalb bei seiner Exfrau schlafen muss, konnte ich nicht wirklich nachvollziehen. Aber das sind kleine Anfangshürden, die die Geschichte später wirklich wettmacht. Die namhaften und aus dem TV bekannten Sprecher tragen mit ihrer Professionalität wesentlich dazu bei.
Bleibt die Frage, darf ich als Fantasy-Leser dieses Crossover mögen – die Vorabendserien meiner Eltern vermischt mit den fantastischen Charakteren meiner Bücher und Filme? Meine Antwort ist ein klares JA!
KOHLRABENSCHWARZ
Hörspiel
Tommy Krappweis und Christian von Aster
Mit den Stimmen u.a. von:
Michael Kessler, Bettina Zimmermann, Bettina Lamprecht, Jürgen Tonkel und Götz Otto
Laufzeit: 8 Stunden & 26 Minuten
23,23 Euro, oder im Aubible Abonnement
Audible Studios & Bumm Film GmbH
November 2020
Klappentext:
Im beschaulichen Rosenheim will der Polizeiseelsorger Stefan Schwab (Michael Kessler) Ruhe und Abstand zum Job finden. Stattdessen zweifelt der Psychologe bald an seinem sonst so analytischen Verstand: Kinder verschwinden, sagenumwobene Gegenstände tauchen auf und uralte Ammenmärchen bekommen plötzlich eine blutige Brisanz. Bald zieht sich eine Spur an Gräueltaten durchs Voralpenland.
Während die Polizei die offensichtlichen Zusammenhänge nach Kräften ignoriert, bekommt Schwab überraschend – und eher unfreiwillig – Unterstützung. Seine resolute Kollegin Anna Leitner (Bettina Lamprecht) schlägt sich auf seine Seite, ebenso seine geliebt-gehasste Exfrau Susanne (Bettina Zimmermann). Schließlich komplettiert Susannes neuer Freund das ungewöhnliche Ermittler-Quartett: der hünenhafte (und nicht nur mit seinem Glauben bewaffnete) Pfarrer Franz Hartl (Jürgen Tonkel). Doch erst, als ein geheimnisvoller Informant ihm ein Märchenbuch zuspielt, begreift Schwab, dass hinter den mysteriösen Verbrechen ein perfider Plan steckt. Zu perfide, um einem menschlichen Gehirn entsprungen zu sein?
Transparenzinformation: Für die Besprechung wurde das Hörspiel von den Machern kostenlos zur Verfügung gestellt. Auf die Wertung nimmt das keinen Einfluss.
Coverabbildung Copyright Audible Studios & Bumm Film GmbH