THE WITCHES – Bundesstart 29.10.2020
Vorerst nur noch bis 01.11.2020 in deutschen Kinos.
Von dem Gedanken, dass wir hier ein Remake vorgesetzt bekommen, sollte man sich schleunigst verabschieden. Schon seit Jahren war es für Guillermo del Toro eine Herzensangelegenheit HEXEN HEXEN von Roald Dahl zu verfilmen. Wer noch PANS LABYRINTH in Erinnerung hat, der ja auch als Jugendfilm gehandelt wurde, dem dürfte es eiskalt den Rücken hinunterlaufen, was er mit diesem Kinderbuch veranstaltet hätte. Wegen Terminproblemen hat sich del Toro also mit Robert Zemeckis und Kenya Barris zusammengesetzt und wenigstens am Drehbuch mitgearbeitet. Und eigenartigerweise macht HEXEN HEXEN jetzt den Eindruck, als wären durch die drei Autoren drei verschiedene Filme gleichzeitig zu sehen.
Der Film will kein Remake oder Neuinterpretation von Nicholas Roegs Film aus 1990 sein. Die Macher berufen sich klar auf die Buchvorlage, was natürlich eine logische Ausrede ist, weil sich niemand unbedingt mit einem Kult-Klassiker anlegen möchte, ein Status dem THE WITCHES – HEXEN HEXEN über die Jahre zuteil wurde. Nun ist Dahls Roman nach 37 Jahren noch immer vom Hauch des Skandalösen umgeben. Stichworte: Frauenfeindlichkeit und Anstiftung zum Selbstmord. Aber Dahl hat eben geschrieben wie ihm die Finger gewachsen waren – und das war die bitterböse Lust darauf, Kindern keine Schonfrist zu gewähren.
Auch wenn Zemeckis, Barris und del Toro das alles etwas gesittet angehen, bleibt in manchen Sequenzen so einigen der Kloß im Halse stecken. Und genau hier schafft es THE WITCHES nicht, die zwei verschiedenen Zuschauergruppen zusammen zu bringen. Für Erwachsene ist er nicht attraktiv und spannend genug und für Kinder ist es mitunter zu starker Tobak. Zu stark deswegen, weil die meisten Szenen inszeniert sind, als wären Sechsjährige das Zielpublikum, aber diese Szenen thematisch für Jugendliche ausgelegt sind.
Ein Junge (Hero Boy benannt) wird Waise als seine Eltern bei einem Verkehrsunfall sterben. Er kommt bei seiner Großmutter unter. Eines Tages glaubt der Junge einer Hexe begegnet zu sein. Seine Großmutter bestätigt ihm seinen Verdacht, und schildert ihre eigenen Erfahrungen aus früheren Jahren. Bei einem Aufenthalt in einem Hotel, ist der Junge mit Wissen gewappnet, als er Zeuge einer Konferenz von getarnten Hexen wird. Was ihn aber nicht davor schützt in eine Maus verwandelt zu werden. Mit Hilfe eines anderen verwandelten Gast des Hotels und seiner Haustier-Maus muss er nun gegen den teuflischen Plan der Hexen angehen.
Was Zemeckis Haus-und-Hof-Kameramann Don Burgess wirklich ausgezeichnet versteht, ist die bestmögliche Einstellung zu finden, um die Kombination von Computereffekten und Realaufnahmen als natürliche Einheit noch intensiver zu gestalten. Und er hat das Gespür für das Verhältnis von Leinwand zu Publikum, was den Film im Gesamten zu einem optischen Erlebnis macht, das fast schon majestätisch elegant anmutet. Hero Boys Ankunft in Alabama, das Interieur des Hotels, die Größenverhältnisse der Mäuse zu der realen Umgebung. THE WITCHES ist zweifellos ein Beispiel dafür, was man gerne als großes Kino bezeichnet.
Womit sich der Film allerdings schwer tut – und immerhin ist dies ein Film von Robert Zemeckis – das sind seine visuellen Effekte. Zugegeben sind animierte Mäuse immer süß, aber viel Mühe scheint man nicht investiert zu haben. Als realistische Abbilder, die sich auch glaubwürdig in die reale Szenerie einfügen, sind die animierten Figuren weit hinter dem aktuellen Effektstandard. Aber wirklich übel ist im Showdown die Verwandlung einer Hauptfigur in ein Etwas, das den Eindruck einer handgenähten Stoffpuppe in Stop-Motion ähnelt und nichts von dem feinen Grusel hat, welches es auslösen soll.
Dafür muss man die Arbeiten an den Hexen selbst wirklich hervorheben. Wenn sich ihre normalen Münder immer wieder unvermittelt aufreißen bis zu den Ohren, dann hinterlässt das einen wirklich eindringlich schaurigen Eindruck. Da der Effekt mit den Fratzen sehr dezent und nicht vordergründig inszeniert ist, verstärkt das noch den schauerlichen Moment. Aber dies sind nicht die gruseligsten Momente, die den Kleinen unter die Haut fahren werden. Es sind die nebensächlich scheinenden Details, wie der Anfangs gezeigt Unfall. Oder der perfide Plan der Hexen, alle Kinder in Mäuse zu verwandeln, damit sie von ihren Lehrern und Eltern erschlagen werden.
Was man als Erwachsener eventuell als bitterbösen Humor empfinden würde, nehmen andere Zuschauer vielleicht etwas anders auf. Wenn man zum Beispiel auch nicht sieht was mit einer der Mäuse passiert, sieht man ihr zumindest einen Kater folgen. Jedes Kind weiß, was Katzen mit Nagern tun und wenn das so opulent auf der großen Leinwand präsentiert wird, könnte es emotional schon sehr eng werden. Dafür entwickelt sich der Film durchweg an seinen Möglichkeiten vorbei. So schön er optisch anzusehen ist, bleibt er vollkommen ohne Substanz.
(Spoilerei) Der Tod der Eltern bleibt einfach irrelevant. Dass Hero Boy und seine Großmutter die einzigen schwarzen Gäste im Hotel sind, die anderen nur Bedienstete, fällt einem Erwachsene vielleicht auf, es bleibt aber ohne jede Bedeutung. Dass überhaupt aus den Norwegern des Romans Schwarze in Alabama des Jahres 1960 gemacht wurden, wäre für eine subtilere Auseinandersetzung gerade bei einem Kinder- und Jugendfilm ideal gewesen. Auch das verpufft ohne substanziellen Eindruck.
Vieles sieht einfach nach Robert Zemeckis aus, und man spürt den Biss von Guillermo del Toro, etwas zurückhaltender ist Kenya (SHAFT, BLACK-ISH) Barris präsent. Aber es will einfach nicht homogen zusammen gehen. THE WITCHES hangelt sich von Stückwerk zu Stückwerk, bleibt aber ohne Biss, weil ihm die Kontinuität der komplexen Geschichte abhanden gekommen ist. Ansehnlicher Zeitvertreib, ja, aber kein großartiges Kinovergnügen. (Demnächst bestimmt im Streaming).
HEXEN HEXEN – THE WITCHES
Darsteller: Anne Hathaway, Octavia Spencer, Stanley Tucci, Jahzir Kadeem Bruno, Kristin Chenoweth, Chris Rock, Codie-Lei Eastick u.a.
Regie: Robert Zemeckis
Drehbuch: Robert Zemeckis, Kenya Barris, Guillermo del Toro
Kamera: Don Burgess
Bildschnitt: Ryan Chan, Jeremiah O’Driscoll
Musik: Alan Silvestri
Produktionsdesign: Gary Freeman
106 Minuten
Mexiko – USA 2020
Bildrechte: WARNER BROS.