Spoilerfrei. Es sei denn, man hätte die Trailer noch nicht gesehen. Dann: Spoiler.
STAR TREK PICARD: Seit heute bei Amazon Prime Video
Die Vorfreude war groß, als bekannt wurde, dass CBS eine neue Serie um Jean Luc Picard machen würde, der möglicherweise Kirk inzwischen die Rolle als ikonischster Starfleet-Captain abgelaufen hat. Zumindest war er ein integrer, zutiefst humanistischer Captain, der immer alle Seiten zu hören versuchte, und der dann auf Seiten der Gerechtigkeit stand. Das zu reaktivieren und erneut einzufangen ist nicht eben leicht – und man hätte tief ins Klo greifen können, bei dem Versuch, die Figur erneut auf den Bildschirm zu bekommen. Und auch Patrick Stewart ging nach eigener Aussage mit dem festen Vorsatz zum Pitch, sich das anzuhören und dann abzusagen.
Doch man gab ihm die Möglichkeit nach sieben Staffeln und mehreren Filmen, etwas Neues mit der Figur zu machen. Und man gab ihm umfangreiche Möglichkeit, selbst mitzugestalten. Daraufhin – und weil er vom Plot überzeugt war – hat er dann doch zugesagt. Da konnte man schon ahnen, dass das was werden könnte.
Und so bekommen wir mit PICARD zum ersten Mal seit langer Zeit eine STAR TREK-Serie, die das verspricht, was Gene Roddenberry sich mal gedacht hat. Auch wenn das Universum sich nicht mehr so darstellt, wie wir es kennen und offensichtlich etwas düsterer geworden ist. Picard hat zwar mit Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen, aber er ist der Alte. Eine empathische, faire, integre Vaterfigur mit hoher Ethik und Prinzipien, agierend aufgrund von Fakten, also geradezu die Antithese zu den alten, weißen Männern, die uns in der Realität derzeit das Leben schwer machen. Genau so etwas können wir gerade gut gebrauchen – und er ist verblüffenderweise dennoch in der Serie der ruhende Pol in einer veränderten Welt. Das ist natürlich ein genialer Kniff der Geschichte: Wir erleben gemeinsam mit der bekannten Figur, wie sich die Welt verändert hat, sie ist für den Zuschauer der Bezugspunkt im Unbekannten, Neuen.
Die Inszenierung verzichtet in der ersten Episode auf überbordende Effekte und Lensflare-Overload wie bei STAR TREK DISCOVERY, was allerdings nicht bedeutet, dass diese altbacken daher kommt. REMEMBRANCE ist eine moderne Fernsehepisode, mit modernen Mitteln realisiert und in Szene gesetzt. Und dennoch fühlt man sich insbesondere als Fan irgendwie zuhause, denn da ist eben Stewart, das das Ganze als ruhender Pol erdet. Ich gehe mal davon aus, dass man VFX und Dramatik in den kommenden Folgen noch steigern wird, aber wenn Episode eins ein Hinweis ist, dann müssen wir uns vermutlich um den Rest der Serie keine Sorgen machen.
Gewöhnen muss man sich im Zusammenhang mit der Figur wohl auch daran, dass man einen durchgehenden Handlungsbogen zu sehen bekommt, der natürlich nach der ersten Folge mehr Fragen offen lässt, als beantwortet werden. Das ist keine TNG-Episode, die nach 45 Minuten vorbei ist. Und fraglos werden einem in REMEMBRANCE mehr als genug alte Häppchen vorgeworfen und neue Appetizer präsentiert, die Bekanntes weiterführen oder ganz frisch sind, dass man unbedingt wissen will, wie es weiter geht.
Zwei Dinge haben mich ein klein wenig gestört, mindern allerdings meinen überaus positiven Eindruck nicht wirklich. Zum einen hätte man Brent Spiner als Data elektronisch überarbeiten sollen, man sieht ihm sein Alter trotz dicker Schminke leider an – und sogar die Kontaktlinsen haben in den 80ern und frühen 90ern besser ausgesehen. Mit minimaler VFX Überarbeitung hätte das deutlich besser und vermutlich auch glaubwürdiger gewirkt, dass das geht zeigen zahllose andere aktuelle Produktionen auf beeindruckende Weise.
Der andere Kritikpunkt: Warum – zum Geier – fliegen die bei Starfleet Command und beim Daystom Institute immer noch mit den Shuttles aus STAR TREK DISCOVERY herum? Wir schreiben das Ende des 24. Jahrhundert und die Shuttles sind schon seit mindestens 2257 im Einsatz. Wer glaubt denn, dass die so lange in Verwendung bleiben, insbesondere wenn man sich ansieht, wie oft bei den Serien und Filmen das Shuttle-Design gewechselt wurde? ich hätte mit einer Weiterentwicklung von VOYAGER-Shuttles deutlich besser leben könne, als damit. Vor allem ist es so sinnlos und irgendwie ein typischer, völlig überflüssiger Patzer der neuen Generation von STAR TREK-Machern. Insbesondere letzteres ist allerdings tatsächlich eher eine Kleinigkeit am Rande, aber Datas unglaubwürdiges Aussehen haut einen leider schon ein wenig aus der Immersion.
Nachvollziehbarerweise ist es schwer, PICARD – REMEMBRANCE zu besprechen, ohne zu spoilern, deswegen rede ich hier so um den heißen Brei herum. Ich kann aber ganz sicher sagen, dass das, was man hätte befürchten können, nicht eingetreten ist: Sie haben es nicht verbockt. Ganz im Gegenteil. Bisher grandios, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass das anders werden könnte.
Wer allerdings eine STAR TREK-Serie üblicher Machart mit einer Crew an Bord eines Sternenflottenschiffs erwartet, der wird ganz sicher enttäuscht werden. Aber das wäre angesichts der Figur und deren Alter der völlig falsche Weg gewesen. Dieser ist der richtige.
Picard is back. STAR TREK is back.
STAR TREK: PICARD – REMEMBRANCE
Darsteller: Patrick Stewart, Alison Pill, Isa Briones, Harry Treadaway, Brent Spiner, Orla Brady u.a.
Regie: Hanelle M. Culpepper
Drehbuch: Akiva Goldsman und James Duff, nach einer Story von Goldsman, Duff, Michael Chabon, Kirsten Beyer und Alex Kurtzman. Basierend auf STAR TREK – THE NEXT GENERATION von Gene Roddenberry
Showrunner: Akiva Goldsman, Michael Chabon, Kirsten Beyer, Alex Kurtzman
Kamera: Philip Lanyon
Schnitt: Andrew Coutts
Musik: Jeff Russo
Produktionsdesign: Todd Cherniawsky
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