Es war einmal: Viele, viele Varianten, Auslegungen und Interpretationen hat die Geschichte schon erfahren. Das mag alles seine Berechtigung gehabt haben. Mit drei Variationen des Grimm-Klassikers allein in 2012, wirkt es allerdings schon etwas inflationär. DANTES PEAK gegen VOLCANO und ARMAGGEDON gegen DEEP IMPACT haben den Wahnsinn verdeutlicht, wenn kein großes Studios bei gleich gearteten Projekten gewillt ist, entweder zurückzutreten, oder den Start zu schieben. Zwei der drei Verfilmungen von 2012 sind welche dieser großen, ambitionierten Werke, die um ein Massenpublikum werben und kämpfen mussten.
Der Kampf ist nicht entschieden, weil – zum Glück für den alles konsumierenden Mainstream-Gast – diese Filme kaum unterschiedlicher sein könnten. Aber die Gruselvariante hat man ebenso schon erleben dürfen, ebenso die humorgeprägte Nacherzählung. Hinzu kommt das Jakob und Wilhelms übermittelte Geschichte, wie jedes gute Märchen, grundsätzlich schon einmal von Fantasy-Elementen durchzogen ist, und auf diese richtet sich SNOW WHITE AND THE HUNTSMAN letztendlich aus.
Die Geschichte: Männermordend, oder eigentlich königsmordend, zieht Ravenna durch die Welt und reißt ganze Königreiche in den Abgrund. Mit schwarzer Magie und einem magischen Spiegel bewahrt sie sich ewige Schönheit. Nach ihrem jüngsten Coup allerdings, steht ihr Show White, die Tochter des zuletzt ermordeten Königs im Weg. Eingekerkert, verbringt Snow White ihre Jugend in einer Zelle, bis ihr mit List und Tücke die Flucht gelingt. Die manische Ravenna findet in einem abgehalfterten Jägersmann den einzigen, der Snow Whites Spur durch den magischen Wald zu folgend versteht, dort soll er sie dann endgültig der Ewigkeit überantworten. Doch dieser Wald hat es in sich. Nicht nur das er mit großartigen Pilz-Halluzigenen überrascht, sondern auch mit dringend notwendigen Charakter-Veränderungen, welche die Prinzessin und ihren vermeintlichen Mörder etwas enger zusammen rücken lässt. Auf ihrer Odyssee den Schergen der Königin nun gemeinsam zu entkommen, lernt die Prinzessin viel über das Reich ihres Vaters, und die schmerzvolle Unterdrückung ihrer Stiefmutter. Mit Hilfe von acht von der Natur benachteiligten Kämpfern, bereitet sich das unterdrückte Volk darauf vor, von der rechtmäßigen Thronfolgerin in die Freiheit geführt zu werden. Acht?! Jawohl, es sind Acht. Und für den bereits genehmigten zweiten Teil, scheint dies auch Sinn zu ergeben. Kryptisch, aber nur für die, die den Film noch nicht gesehen haben.
Die Hauptdarsteller: Man muss nicht viele Worte über Chris Hemsworth verlieren, der sich vom abgewrackten Trinker zur beistehenden Heldenfigur wandelt. Er hat einfach die nötige Physis und darstellerische Präsenz, um als gern gesehener Mix von überheblichem Macho, wandelbarem Charakter und überzeugenden Held nicht viel tun zu müssen. Aber dann ist da Charlize Therons Ravenna, die ihrem Charakter durchaus gerecht werden kann, aber von Regisseur Sanders schlichtweg zu überzogen dargestellt wird und auch zu oft ihre bösartigen Züge wiederholen muss. Theron ist großartig. Sie vereint die Schöne und das Biest, und macht daraus einen hassenswerten Charakter, den man einfach ins Herz schließen muss. Die große Überraschung allerdings ist Kristen Stewart. Kein Lippen beißen oder schläfriger Valium-Blick. Sie hat nicht nur das Aussehen, sondern vor allem das Charisma, einen Film wirklich zu tragen. In dieser Verfilmung ist Schneewittchen kein unschuldiges, lustige Lieder säuselndes Mädchen. Sie ist eine entschlossene Person, die während ihrer Kindheit mit den notwendigen Charaktereigenschaften geprägt wurde, um für die Interessen eines leidenden Königsreiches einzutreten. Kristen Stewart ist eine überzeugend, umwerfende Snow White, die als Schauspielerin ihrer Figur voll und ganz gerecht wird. Mit dieser Rolle erinnert sie an ihr Talent für tiefergehende Rollen und überbrückt damit die Bürde der Vampir-Saga, noch bevor diese endgültig beendet wird.
Die Effekte: Mit einem 170 Millionen Dollar-Budget möchte man meinen, dass es die Filmemacher richtig krachen lassen. Aber angenehmerweise nimmt sich SNOW WHITE sehr zurück und konzentriert sich bei den Effekten auf das Wesentliche. Keine unnötig aufgeblasenen Armeen, kein visueller Schnick-Schnack. Dafür ist der der Kampf gegen den Troll umso überzeugender. Die Aufnahmen des in die Finsternis gefallenen Schlosses wirken naturalistisch realistisch. Und das Spiel mit dem berüchtigten Spiegel ist sehr unaufgeregt auf das Notwendigste inszeniert. Lediglich bei der Szene mit dem weißen Pferd und später bei der Hochzeit haben die Trickkünstler auffallend geschlampt.
Die Inszenierung: Warum man einen absoluten Neuling wie Rupert Sanders an das Ruder eines derartigen Projektes ließ, darüber kann man nur spekulieren. Auf alle Fälle war es eine gute Wahl. Sanders hat seinen Stoff im Griff, und erliegt nicht der Versuchung vom übermäßigen Einsatz moderner Stilmittel. Die Inszenierung ist eher klassisch, in dem sich der Film auch sehr viele ruhige Szenen gönnt. Der Verzicht auf ein Feuerwerk endloser künstlich gepushter Dramatik und einem übertriebenen Klangteppich, ist seine eigentliche Stärke. SNOW WHITE wird zum Ideal einer Mischung von klassischer Inszenierung und modernem Kino. Das dabei der märchenhafte und dabei moralisierende Aspekt weitgehend wegfällt, kommt dem Zuschauer ebenso entgegen. Aber der Film verkommt dabei nicht zum reinen Fantasy-Spektakel, sondern lässt ob der kleinen, perfekt gesetzten Dosen selbst den unbedarftesten Zuschauer genießen.
Nur zu langsam ist der Film. Sanders hätte gut getan, die herrschsüchtige Ravenna zwei- dreimal weniger in die Kamera zischen und drohen zu lassen. Die Figur ist so gut eingeführt, dass ihre steten Anfälle nur als bloße Wiederholung wahrgenommen werden. Genauso geht es mit den Expositionen der einzelnen Handlungsstränge, die sich einfach zu viel Zeit lassen, wenn Snow White immer wieder eine neue Welt in ihrem Reich erkundet. Das nimmt immer Tempo aus dem Film, der nichtsdestotrotz ein wunderbar geradliniges und unverschnörkeltes Fantasy-Abenteuer ist.
Und die Moral von der Geschicht´: Auch wenn auch SNOW WHITE nicht um die obligatorischen Herr-der-Ringe-Kameraüberflüge vorbeikommt, ist er doch ein sehr selbstständiger Film mit eigenem visuellem Flair und eigenständigen Ideen. Außerdem ist er nicht in 3‑D, was ihn fast schon zu einem Muss macht. Im Nürnberger Cinecitta 3 wurde der Film in Dolby 7.1 präsentiert, und, ihr Freunde der gepflegten Unterhaltung, das hat THX auf die Plätze ganz hinten verwiesen. Kein muss, wenn man SNOW WHITE sehen will, der Film lohnt auch in älteren Lichtspielen. Unaufdringlich und doch einehmend, das sind genau die richtigen Abenteuer bei denen sich die meisten extrovertierten Effektespektakel eine dicke Scheibe abschneiden sollten.
SNOW WHITE AND THE HUNTSMAN
Darsteller: Kristen Stewart, Charlize Theron, Chris Hemsworth, Ian McShane, Sam Claflin, Sam Spruell, Bob Hoskins, Ray Winston, Toby Jones, Brian Gleeson u.v.a.
Regie: Rubert Sanders
Drehbuch: Evam Daugherty, John Lee Hancock, Hossein Amini
Kamera: Greig Fraser
Bildschnitt: Conrad Buff IV, Neil Smith
Musik: James Newton Howard
Produktionsdesign: Dominic Watkins
zirka 124 Minuten
USA 2012
Promofotos Copyright Universal Pictures