Pool, Dead (ein spoilerfreies Loblied auf ein grandioses Camp-Movie)

Poster Deadpool

Ende der Acht­zi­ger, als die Zeit der Video­the­ken auf ihrem Höhe­punkt war, gab es ein Äqui­va­lent zu »Net­flix and Chill« und »Bin­ge­wat­ching«. Wir nann­ten es »Video­abend«.

Wir tra­fen uns in der Video­thek, um vier Fil­me zu lei­hen: Drei davon wol­len wir uns anse­hen, der vier­te war die Reser­ve für den Fall, dass einer der drei ande­ren sich als Mist her­aus­stel­len wür­de. Der Anspruch an die Fil­me war, dass sie nicht lang­wei­len sollten.

Nicht lang­wei­len konn­te natür­lich auch Trash und Explo­ita­ti­on, extra mie­se Effek­te, über­trie­be­ne Kos­tü­me und wil­des Over­ac­ting. Es war die Zeit der Camp-Movies. Es gab unend­lich vie­le die­ser frei­wil­li­gen oder unfrei­wil­li­gen »Kult­fil­me«, die ihren Sta­tus nicht erreicht haben, weil sie vom pro­fes­sio­nel­len Stand­punkt kri­ti­scher Cine­as­ten aus eine beson­ders her­aus­ra­gen­de Qua­li­tät erreich­ten. Eher im Gegenteil.

Hoch im Kurs stan­den bei uns kla­re Par­odien wie Angriff der Kil­ler­to­ma­tenTop Secret, Space­ballsHouse oder unfrei­wil­lig komi­sche Direct-to-Video Pro­duk­tio­nen wie Mutant und Stran­ge Inva­ders. Hin und wie­der auch die unzäh­li­gen Action­fil­me, in denen nicht mal Jean Clau­de van Dam­me mit­spie­len woll­te. Auch beliebt bei Jugend­li­chen damals waren natür­lich mög­lichst ekli­ge Hor­ror­fil­me. Die haben uns aber weni­ger inter­es­siert, wir waren Freun­de von Fil­men, die mög­lichst vie­le coo­le oder dum­me Zita­te abwarfen.

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Egal, wel­ches Gen­re am Ende prä­fe­riert wur­de: Was all die­se Video­aben­de gemein­sam hat­ten war, dass sich dabei ein paar Fil­me her­aus­kris­tal­li­sier­ten, die man immer wie­der anschau­te. Bei uns waren das Ken­tu­cky Fried Movie und Buck­aroo Ban­zai. Die kön­nen wir auch nach fast 30 Jah­ren fast voll­stän­dig zitie­ren. Denn wir haben damals bei­de Fil­me sicher an die vier­zig mal gese­hen. Ich bin mir sicher, dass jedem Nerd in mei­nem Alter sofort (neben Star Wars) eine gan­ze Hand voll sol­cher Fil­me ein­fal­len wird, die die­sen Sta­tus bei ihr oder ihm erreicht haben: Die­se ger­ne etwas sper­ri­gen, viel­leicht im ers­ten Moment lächer­li­chen oder ver­wir­ren­den Fil­me, die aber selt­sa­mer­wei­se bes­ser wer­den, wenn man sie immer und immer wie­der ansieht, weil man dar­in eine Meta­ebe­ne ent­deckt (oder sie ent­wi­ckelt), die eine inni­ge Ver­bin­dung schafft.

War­um erzäh­le ich das?

Dead­pool ist genau so ein Film und ich kann mir gut vor­stel­len, dass wir ihn damals locker in unse­ren Video­abend-Kanon auf­ge­nom­men hät­ten. Es ist einer die­ser Fil­me, von dem man über­zeugt ist, dass jeder ihn gese­hen haben soll­te und es dann nur zwei Reak­tio­nen gibt: Der begeis­ter­te Aus­ruf »Was für ein gei­ler Scheiß!« oder ein generv­tes »Wie kommst Du nur dar­auf, dass mir das gefällt?«.

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Aus der Sicht eines neu­tra­len Kino­kri­ti­kers ist der Film … ganz okay. Er erzeugt kei­ne Epi­pha­nie, er wird nicht auf der Lis­te der High­lights des Jah­res lan­den, nicht ein­mal ein »Kann man sich anschau­en, macht man nichts falsch« ist wahr­schein­lich. Sein Humor wird durch­aus auch ankom­men, aber viel zu bemüht erschei­nen, wirk­lich mit jedem Satz eine Poin­te zu set­zen. Sei­ne stän­di­gen Wech­sel in unter­schied­li­che Meta­ebe­nen vom völ­lig infor­ma­ti­ons­lo­sen Vor­spann über die stän­di­gen über­i­ro­ni­sier­ten Refe­ren­zen auf Pop‑, Nerd‑, Comic- und Film­kul­tur bis hin zum sech­zehn­fa­chen Bruch der vier­ten Wand (wie es Herr Pool in dem Moment auch kon­sta­tiert) könn­te man auch als anstren­gend emp­fin­den und als einen Grund erken­nen, war­um der Film immer wie­der an Span­nung verliert.

Ein ande­rer Grund für die trä­ge Span­nungs­kur­ve wird in der schon schnell offen­sicht­li­chen Tat­sa­che erkannt, dass Herr Pool qua­si nicht zu töten ist. Oder selbst wenn, dass es ihm egal wäre. Wenn der Held der­art abge­klärt rüber­kommt, dass er eigent­lich nicht mehr lei­den oder Angst haben kann, und es auch sonst nichts gibt, was ihm noch irgend­was bedeu­tet, fällt die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit ihm – zumin­dest im klas­si­schen Sin­ne – schwer.

Aber es sind genau die­sel­ben Din­ge, die den Film zum abso­lu­ten Geek­fest machen.

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Er ist kon­se­quent für »uns ande­ren«, uns Camp-Fans gemacht, die stän­dig an Stel­len lachen und applau­die­ren wer­den, an denen nor­ma­le Kino­be­su­cher sich am Kopf krat­zen, weil sie nicht wis­sen, was sie gera­de ver­passt haben. Er ist in ers­ter Linie das erfüll­te Ver­spre­chen an Dead­pool-Fans, das Ryan Rey­nolds gege­ben hat: »Kei­ne Kom­pro­mis­se. Ihr wollt Dead­pool, wir wol­len Dead­pool, also machen wir Dead­pool und ihr bekommt Deadpool.«

Hier mache ich aller­dings eine klei­ne Ein­schrän­kung: Dead­pool ist in den Comics ein durch und durch hedo­nis­tisch den­ken­der Que­er-Cha­rac­ter. Der Super­held der LGBT, ein ein­deu­tig und offen bise­xu­el­ler, wenn nicht pan­se­xu­el­ler Bad­ass. So ein­deu­tig und kom­pro­miss­los alle Anti­cs und Eigen­schaf­ten der Comics und sei­ner Haupt­fi­gur abge­bil­det wer­den, hier bleibt der Film vage und beschränkt sich auf Andeu­tun­gen. Das ist tat­säch­lich scha­de, denn der Film ist ja schon R‑Rated, da wäre das wirk­lich nicht mehr ins Gewicht gefal­len. Das ist aller­dings Kri­tik auf hohem Niveau, denn wäre der Film in der Dar­stel­lung von krass über­trie­be­ner Gewalt, (straigh­tem) kin­ky Sex, fle­xi­blen Moral­vor­stel­lun­gen und all dem aus­ge­flipp­ten Meta-Geek-Kram zurück­hal­ten­der, wür­den die­se Andeu­tun­gen von Herrn Pools Que­er­ness viel mehr auf­fal­len und die homöo­pa­thisch auf­tre­ten­den Hints auf even­tu­ell nicht hete­ro­nor­ma­ti­ve Cha­rak­te­re in ande­ren Super­hel­den­film der letz­ten Jah­re in ihrer ver­klemm­ten Keusch­heit entlarven.

So liegt der Fokus aber auf der Action im hyper­vio­lence-Style von Kick Ass und King­s­man, der Ori­gin-Sto­ry in – von Herrn Pool stän­dig in unpas­sen­den Situa­tio­nen erzähl­ten – Rück­blen­den, den durch­ge­hend irr­sin­nig schnel­len Dia­lo­gen (bei denen ich mir abso­lut nicht vor­stel­len kann, wie die unfall­frei in die deut­sche Spra­che über­tra­gen wer­den kön­nen) in denen auch alle Neben­fi­gu­ren min­des­tens genau so smart­as­sig sind wie Herr Pool selbst und den stän­di­gen Meta-Kom­men­ta­ren auf Pop‑, Geek- und Filmklischees.

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Das alles macht den Film tat­säch­lich zum bes­ten Mar­vel-Film, den Fox je zustan­de gebracht hat. Er ist eine in sich stim­mi­ge, irr­sin­nig detail­ver­lieb­te und zum Bers­ten mit Fan­ser­vice voll­ge­pack­te Lie­bes­er­klä­rung, die sei­ne Prot­ago­nis­ten bis hin zur kleins­ten Neben­fi­gu­ren so sehr mag und durch­fei­ert, dass man zwar kei­nen Moment Angst um sie hat, aber weil man sie genau­so gern hat, sogar froh dar­über ist.

Er sprüht von der ers­ten bis zur letz­ten Sekun­de nach dem Abspann(!) unend­li­che Liter von Blut, Regen­bö­gen, Schweiß, Ein­hör­nern und Herz­chen ins Publi­kum. Wir haben am Ende alle lieb. Sei es der unglück­lich ver­knall­te indi­sche Taxi­fah­rer, Herrn Pools kras­se Freun­din Vanes­sa die ihm in Bad­as­sig­keit in nichts nach­steht (rie­sen Shou­tout an More­na Bac­ca­rin, von der ich jetzt unbe­dingt mehr sehen will!) und die hof­fent­lich in der Fort­set­zung als »Copy­cat« auch in den Super­hel­den­sta­tus auf­stei­gen wird, die bei­den X‑Men – der zum Knud­deln recht­schaf­fe­ne Colos­sus und das göttl­lich generv­te Goth­mä­del Negaso­nic Teenage War­head – oh Gott, die­se Sze­ne an der Tür zum Xavier Insti­tu­te!), der lako­ni­sche aber 100% loya­le Wea­sel, die blin­de Ver­mie­te­rin Al, … selbst die Böse­wich­te bekom­men ihre Momen­te, in denen sie cool und läs­sig sein dürfen.

Ich glau­be, ich stei­ge­re mich gera­de ein biss­chen rein. Aber genau das ist, was ich damit mein­te, als ich sag­te es gibt die­se Fil­me, die immer bes­ser wer­den, je län­ger man über sie redet und je öfter man sie sich ansieht.

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DEADPOOL
Beset­zung: Ryan Rey­nolds, More­na Bac­ca­rin, Gina Cara­no, T.J. Mil­ler, Ed Skrein, Ste­fan Kapi­cic, Rachel Sheen, Bri­an­na Hil­de­brand, Stan LeeTay­lor Hick­son u.a.
Regie: Tim Mil­ler
Dreh­buch: Rhett Ree­se, Paul Wer­nick
Pro­du­zen­ten: Simon Kin­berg, Ryan Rey­nolds, Lau­ren Shul­er Donner
Aus­füh­ren­de Pro­du­zen­ten: Stan Lee, Jona­thon Komack Mar­tin, Rhett Ree­se, Adi­tya Sood, Paul Wer­nick
Kame­ra: Ken Seng
Schnitt: Juli­an Clarke
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Sean Haworth
Musik: Jun­kie XL
116 Minuten
USA 2016

Pro­mo­fo­tos Copy­right 20th Cen­tu­ry Fox

1 Kommentar zu „Pool, Dead (ein spoilerfreies Loblied auf ein grandioses Camp-Movie)“

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