HITCHCOCK: Getrieben und gequält vom Erfolg des UNSICHTBAREN DRITTEN, möchte der Master of Suspense filmthematisch eine ganz andere Richtung einschlagen, um Vergleichen mit sich selbst aus dem Weg zu gehen. Er entscheidet sich gegen jede Vernunft und dem Ansinnen der Studio-Bosse für Robert Blochs Roman PSYCHO, der widerum vom Serienmörder Ed Gein inspiriert war. Seine Frau Alma Reville fühlt sich bei diesem Projekt allerdings etwas vernachlässigt, hat sie bei ein paar früheren Werken des Meisters doch schon selbst Drehbücher verfasst. Zwar darf sie Joseph Stefanos Skript immer wieder überarbeiten, fühlt sich sonst aber unterfordert. Zudem zeigt sie sich genervt von der unverhohlenen Fixierung ihres Mannes auf die Darstellerinnen Janet Leigh und Vera Miles. Sie beschließt, den glücklosen Whitfield Cook bei einem Drehbuch zu unterstützen, und da er ihr ebenso unverhohlen Avancen macht, fühlt sich Alma in seiner Gegenwart endlich wieder als begehrte Frau. Doch Hitch hat ein großes Problem mit anderen Männern neben »seinen« Frauen. Dies, der ständige Druck durch die Studioleitung, und die Angst vom Versagen der Geschichte stellt die Produktion von PSYCHO auf eine harte Probe.
THE GIRL: Drei Jahre später. Nach dem sensationellen Erfolg von PSYCHO, sieht sich Alfred Hitchcock unverwundbar. Er will die Schockmomente von PSYCHO überbieten und macht Daphne Du Mauriers Buch THE BIRDS zu seinem neuen Projekt. Weil sie die Vorlieben ihres Mannes kennt, macht ihn Alma auf einen Werbespot mit dem Model Tippi Hedren aufmerksam. In Almas Augen das perfekte Hitchcock-Gesicht. Der Regisseur verpflichtet die Unbekannte auch tatsächlich, allerdings kann er sein bisher stets unterdrücktes Verlangen gegenüber den vorangegangenen Hauptdarstellerinnen bei Hedren nicht mehr beherrschen. Für ihre deutliche Zurückweisung muss sie allerdings schmerzhaftes und leidvolles Lehrgeld bezahlen.
HITCHCOCK gelingt ein sehr schöner Einblick in die Herangehens- und Arbeitsweise der Regie-Ikone, der vor allem, aber nicht nur, cinephilen Zuschauern gefallen wird. Und er vermittelt auch einen ungefähren Eindruck, unter welchen Bedingungen der große Studiobetrieb funktioniert. Aber Regisseur Sacha Gervasi lässt seine Figuren agieren, als hätte er sie nicht an die Leine bekommen. Vor allem Anthony Hopkins scheint mehr an eine Parodie gedacht zu haben, als an eine biografische Charakterisierung. Immer wieder scheint der Film aus seiner vorgegebenen Bahn zu gleiten, indem er den Fokus auf die Figuren zu oft wechselt, sich aber auch nicht für das Dramatische oder Ironische in einer Sequenzen entscheiden kann. Dem Produktionsdesign unterlief dann auch noch ein unentschuldbarer Fehler, der jedem Touristen förmlich in den Augen brennt, der sich schon einmal eine herkömmliche Universal-Studio-Tour gegönnt hat. Man sieht Norman Bates’ Haus über dem Motel in mehreren Einstellungen schräg mit Front und rechter Fassade. Auf der Fahrt während der Universal-Studio-Tour lernt man aber, dass das Haus nur eine Kulisse mit zwei Seiten ist, nämlich Front und linker Hauswand.
THE GIRL demonstriert den Filmbetrieb von einer anderen, aber ebenso äußerst interessanten Seite. Es ist die Beziehung und Abhängigkeit unter den Künstlern. Hitchcock glaubt sich überlegen und über alle Fehlbarkeiten erhaben. Hedren hingegen weiß was sie erreichen will, aber auch erreichen könnte. Die Chemie zwischen Miller und Jones ist geradezu perfekt. Es ist nicht etwa die sexuelle Komponente, sondern sie lassen eine eigentlich tief verborgene Verwundbarkeit spürbar werden. Was in einer der eindrucksvollsten Sequenzen des Films gipfelt, wenn sich die Drehzeit für eine Szene von den angesetzten zwei Stunden auf fünf volle Tage ausweitet. Regisseur Julian Jarrold weiß genau um Tempo und Akzente für den Verlauf und zeigt ein intensives und auch spannendes Porträt von zwei unnachgiebigen Seelen. Der größte Wurf dabei ist die Besetzung von Sienna Miller, nicht nur wegen ihres großartigen Talentes. Ihre Schönheit verkörpert das heutige Schönheitsideal, wie Tippi Hedren das Schönheitsideal ihrer Zeit darstellte. So schafft der Film für den jungen, aber erwachsenen Zuschauer ein tieferes Verständnis für die dramatische Beziehung.
Der MASTER OF SUSPENSE scheint mit Anthony Hopkins ideal besetzt. Seine Wandlungsfähigkeit wird dabei allerdings überschätzt. Schon als Richard Nixon wirkte er einfach nur wie ein schlecht geschminkter Darsteller. Für die Darstellung der Regie-Ikone macht er keine andere schlecht geschminkte Figur. Seine Sprache und die Manierismen mögen tadellos sein, aber schlechte Maske bleibt schlechte Maske. Was auf Fotos und Poster wie eine perfekte Kopie des Meisters aussieht, wirkt im bewegten Bild wie eine übertriebene Parodie. Was leider auch auf Hopkins Spiel zutrifft. Der Zuschauer kann nicht einschätzen, ob Hopkins eine ehrliche Wiedergabe des durchaus skurrilen Charakters Hitchcocks ist, oder eine parodistische Überspitzung, die mitunter albern wirkt. Das hat bei Toby Jones eine ganz andere Klasse. Sein Makeup ist auf das Notwendigste reduziert, was ihn weit mehr Authentizität verleiht. Aussprache und Gestik sind, wie bei Hopkins, über alle Zweifel erhaben. Was ihn aber zu einem ehrlicheren Hitchcock macht, ist sein Verständnis für die einzelnen Szenen, und wie er diese ausspielen muss. Zudem hat man bei HBO-Films erkannt, das man nicht Eins-zu-eins wie die zu darstellende Person aussehen muss, um einen skurrilen Charakter glaubhaft zu machen.
EINWÄNDE gegen Donald Spotos Auslegung der Geschichte um die Dreharbeiten von THE BIRDS mögen berechtigt sein. Sein Buch wird sehr kontrovers diskutiert. Das Andenken an Alfred Hitchcock ist eben viel zu wertvoll, als das man es mit seinen nachweisbaren Fetischen kaputt machen würde. Dass der Regisseur vielleicht doch ein notgeiles Opfer seiner Triebe sein konnte, will niemand wahrhaben. Tatsächlich spielt es für beide Produktionen, und hier speziell für die HBO-Fassung, überhaupt keine Rolle. Jeder Film muss bei einer filmischen Umsetzung dramaturgische Freiheiten zugestanden bekommen. Letztendlich geht es doch nicht um die exakte Rekonstruierung von Alfred Hitchcocks Wirken, sondern um eine dramaturgisch nachvollziehbare Ableitung seines Charakters.
Sollten die Verantwortlichen bei Fox in der Vorproduktion tatsächlich auf die Fernsehproduktion reagiert, und dabei den Fokus über die Dreharbeiten zu PSYCHO auf die Beziehung zwischen Alma und Alfred gelenkt zu haben, dann war das eine weise Entscheidung. Der Kinofilm wird damit zu einem launigen ersten Teil, der in einer fulminanten Fernsehproduktion seine Auflösung findet. Von beiden ist THE GIRL letztendlich doch der weit bessere und viel interessantere Film. Zusammen allerdings, ergänzen sie sich, in der richtigen Reihenfolge gesehen, hervorragend. Alfred Hitchcock war nicht nur ein begnadeter Geschichtenerzähler, er war eben auch eine Geschichte für sich selbst.
THE GIRL ist zurzeit nur über England auf DVD/Blu-Ray erhältlich
HITCHCOCK
Darsteller: Anthony Hopkins, Helen Mirren, Scarlett Johansson, Danny Huston, Toni Colette, Jessica Biel, Michael Stuhlbarg u.v.a.
Regie: Sacha Gervasi
Drehbuch: John J. McLaughlin, nach dem Buch von Stephen Rebello
Kamera: Jeff Cronenweth
Bildschnitt: Pamela Martin
Musik: Danny Elfman
Produktionsdesign: Judy Becker
zirka 98 Minuten
USA 2012
THE GIRL
Darsteller: Sienna Miller, Toby Jones, Imelda Staunton, Conrad Kemp, Penelope Wilton u.v.a.
Regie: Julian Jarrold
Drehbuch: Gwyneth Hughes nach dem Buch von Donald Spoto
Kamera: John Pardue
Bildschnitt: Andrew Hulme
Musik: Philip Miller
Produktionsdesign: Darryl Hammer
zirka 91 Minuten
Großbritannien 2012
Promofotos HITCHCOCK Copyright Fox Searchlight, 20th Century Fox
Promofotos THE GIRL Coypright HBO