SHANG CHI – Deutschlandstart am 09.09.2021
Man muss sich schon wundern, wie Marvel es schafft, seinem Cinematic Universe immer wieder neue Facetten abzugewinnen und das in einer Weise, dass es einfach nie langweilig wird. Erst kürzlich mischten sie mit WANDAVISION, THE FALCON AND THE WINTER SOLDIER und nicht zuletzt LOKI die Fernseh- oder vielmehr Streaminglandschaft auf, nachdem sie dasselbe zuvor mit dem Kino getan hatten. Und die Ausflüge auf den kleinen Bildschirm waren nicht weniger erfolgreich als die Kinofilme und führten zu teils heftigen Eruptionen im Web, als die Fans versuchten sich darin zu übertreffen, die meisten Ostereier zu finden und das Gesehene zu interpretieren oder in Zusammenhang mit irgendwelchen Comics zu bringen. Zuletzt erweiterten sie das MCU sogar noch in eine Animationsserie.
Mit SHANG-CHI startet die nächste Phase des MCU nun ernsthaft. SPIDER-MAN: FAR FROM HOME war eigentlich noch ein Nachgeplänkel von ENDGAME und BLACK WIDOW hätte zum einen bereits im vergangenen Jahr kommen sollen und war zudem eine (dringend notwendige) Rückschau auf den Charakter. SHANG-CHI stellt nicht nur einen neuen Helden vor, ab jetzt geht es wieder rund. Als nächstes stehen die ETERNALS an und im Dezember treffen wir dann erneut auf SPIDER-MAN (und DOCTOR STRANGE in SPIDER-MAN: NO WAY HOME).
Wie schlägt sich SHANG-CHI denn so, hier holt Marvel ja mal wieder einen seiner eigentlich obskureren Helden aus der Mottenkiste?
Wie so viele Marvel-Filme ist SHANG SHI eine Origin-Story, eben um den Helden gleichen Namens. Der ist chinesischstämmig und lebt mit seiner Freundin in den USA, wo die beiden sich als Auto-Parker verdingen, obwohl sie eigentlich mehr drauf hätten. Alles ist ganz groovy und unepisch, bis eine Truppe merkwürdiger Henchmen Shang-Chi, entschuldigung Shaun, im Bus auflauern, um an den Anhänger zu kommen, den seine tote Mutter ihm einst vermacht hat. Und da dreht der, völlig überraschend für seine Freundin, plötzlich mächtig auf und zeigt epische Kung Fu-Moves.
Von hier an geht’s stetig bergauf.
Man darf mit Fug und Recht sagen, dass SHANG-CHI für Asiaten vermutlich einen ganz ähnlichen Stellenwert haben dürfte, wie BLACK PANTHER für Afrikaner und Schwarze. Man geht hier äußerst respektvoll mit den chinesischen Tropes um und integriert sie in geradezu brillianter Weise ins Marvel-Universum. Dazu gehört übrigens auch, dass etliche Dialoge in chinesischer Sprache stattfinden und untertitelt wurden, statt einfach platt alles zu übersetzen. Erfreulicherweise hat der deutsche Verleiher nicht wie so oft in der Vergangenheit den Fehler gemacht, das zu ignorieren und alles zu übersetzen, denn das wäre ein ziemlich grober Patzer gewesen.
Und: Ja, natürlich spielt Michelle Yeoh mit, wie es sich für einen Film um asiatische Kampfkunst gehört.
Das beginnt mit nicht nur atemberaubenden, perfekt durchchoreographierten Kampfsequenzen, nein, man hat bei klassischen chinesischen Martial Arts-Filmen sehr genau hingesehen und deren Kampfchoreografie in einer Art und Weise übernommen, die man nur als Hommage werten kann. Gleichzeitig haben sie sie aber zusätzlich noch mit so viel Kreativität beim Einweben ins MCU versehen, dass man nur hochachtungsvoll nicken kann. Wenn der Bösewicht am Anfang mit einer mysteriösen Frau einen Kampf ausfechtet, dann ist das nicht zufällig inszeniert wie eine Mischung aus Martial Arts-Klassiker und Tanz (wobei Schlauberger jetzt einwerfen werden, dass asiatische Kampfkunst ohnehin ein Tanz sei. Ja. Weiß ich. Seht euch die Szene an und ihr werdet wissen, was ich meine).
Wobei Kameraführung und Schnitt im späteren Verlauf auch bei noch so abgefahrenen und over the top inszenierten Kampfsequenzen genau wissen wo sie sind und was sie tun – und vor allem, was die Kämpfer gerade tun – dass nie Verwirrung oder Schwindel aufkommt, weil Schnittfolgen und Einstellungen zwar stellenweise stakkatoartig auf die Kinobesucherin einprasseln, aber immer stringent bleiben. Überhaupt: Ja, es ist ein Martial Arts-Superheldenfilm und ja, fernöstliche Kampfkunst mit Super-Overdrive ist ein zentraler Handlungspunkt, aber übertrieben haben sie es damit wahrlich auch nicht.
Da wir gerade über den Bösewicht der Story geredet hatten: Erneut zieht Marvel eine Karte, die sie immer wieder erfolgreich ausspielen – auch hier ist der Antagonist weder platt noch sein eigenes Klischee, denn die Figur ist sauber durchmotiviert und seine Handlungen werden dadurch für die Zuschauerin verständlich. Auch das ist einer der Faktoren, die Marvels MCU über ähnliche Themen heraus heben: sie gehen mit ihren Bösewichten (echten wie vermeintlichen) immer sehr respektvoll um und stellen sie nicht zwingend als Irre oder Clowns dar, selbst dann nicht, wen sie das eigentlich sogar sind. In diesem Film klappt das mit dem Respekt sogar noch ein wenig besser als bei anderen Ausprägungen des Marvel Cinematic Universe.
Ein weiterer Punkt ist der Umgang mit Sidekicks oder Comic Relief-Figuren. Ja, auch die gibt es (Einschub: Und ja: es gibt auch bei SHANG-CHI eine Menge zu kichern und zu Lachen, wie es sich fürs MCU gehört), allerdings wird auch diesen Figuren Respekt entgegen gebracht und sie dürfen handlungswichtige Dinge tun und werden eben nicht nur als Gaglieferanten verschlissen.
Später im Film schöpft man dann noch tief aus chinesischen Mythen und Ikonografie, man bekommt Fabelwesen zu sehen, die man schon zigmal gesehen hat, aber eben nicht so präsentiert. Und sie dann mit etwas völlig Neuem mischt.
Wenn SHANG-CHI ein Hinweis darauf ist, was uns mit der nächsten Phase des MCU ins Haus steht, dann kann das nur grandios werden. Es handelt sich im Vergleich zu INFINITY WAR und ENDGAME um einen angenehm zurückgenommenen aber höchst unterhaltsamen Origin-Film, der beinahe vollständig auf Hinweise auf das nächste große Ding im MCU (ich spoilere sicher nichts, wenn ich »Multiversum« schreibe) verzichtet. Dafür bekommt man einen äußerst unterhaltsamen Martial Arts-Superhelden-Film mit viel chinesischem Flair, der zu keiner seiner 132 Minuten auch nur einen Anflug von Langeweile aufkommen lässt, obwohl es durchaus auch ruhigere Sequenzen gibt.
p.s.: Und vermutlich kann es auch nur Marvel einfallen, ein potentielles Plüschtier ohne große Augen zu erschaffen. Das sieht fast schon wie Trollen in Richtung Disney und deren Merchandise-Abteilungen aus … :)
p.p.s.: Ich nehme an, Hinweise zu Nachspännen erübrigen sich.
SHANG-CHI AND THE LEGEND OF THE TEN RINGS
Besetzung: Simu Liu, Tony Chiu-Wai Leung, Awkwafina, Meng’er Zhang, Fala Chen, Michelle Yeoh, Wah Yuen, Florian Munteanu, Andy Le, Paul W. He, Jayden Zhang u.v.a.m.
Regie: Destin Daniel Cretton
Drehbuch: Dave Callaham, Destin Daniel Cretton, Andrew Lanham nach einer Story von Callahan & Cretton
Produzenten: Kevin Feige, Jonathan Schwartz
Ausführende Produzenten: Victoria Alonso, Louis D’Esposito, Charles Newirth
Kamera: Bill Pope
Schnitt: Elísabet Ronaldsdóttir, Nat Sanders, Harry Yoon
Musik: Joel P West
Produktionsdesign: Sue Chan
Casting: Sarah Finn
132 Minuten
USA 2021
Promofotos Copyright Walt Disney Pictures & Marvel Studios
Moin moin.
habe ihn im Original gesehen. Einfach nur klasse und sehr unterhaltsam!