Miriam Pharo – SEKTION3: HANSEAPOLIS – SCHLANGENFUTTER

»Angst bringt den Men­schen dazu, das Rich­ti­ge zu tun.«
Eli­as Kosloff

SF-Kri­mis sind nicht so häu­fig wie man viel­leicht den­ken könn­te, ins­be­son­de­re, wenn es sich um deut­sche Autoren han­delt. Wenn der Roman dann auch noch von einer Frau ver­fasst wur­de, kann man ihn mit Fug und Recht als Exo­ten ein­stu­fen.

SCHLANGENFUTTER ist der ers­te Band eines Zwei­tei­lers von beim ACA­BUS-Ver­lag erschie­ne­nen Roma­nen, die in der neu ent­stan­de­nen nord­deut­schen Metro­po­le Han­sea­po­lis spie­len. Das Jahr der Hand­lung ist 2066, die Welt ächzt unter glo­ba­ler Erwär­mung, dadurch geflu­te­ten Küs­ten­ge­bie­ten und Umwelt­ver­schmut­zung. Und mit der Mensch­heit ging es in die­sem Umfeld ver­ständ­li­cher­wei­se auch nicht eben berg­auf…

Trotz Miri­am Pha­ros durch­aus anspre­chen­der Lesung auf dem Dort­Con ging ich ein wenig skep­tisch an den Roman her­an, ob die Autorin in der Lage sein wür­de, das in den Vignet­ten gezeig­te Niveau durch­ge­hend hal­ten zu kön­nen. Die­se Skep­sis war glück­li­cher­wei­se nicht ein­mal ansatz­wei­se gerecht­fer­tigt.

Klap­pen­text:

Die Euro­päi­sche Föde­ra­ti­on im Jahr 2066:

Die eins­ti­gen blü­hen­den Han­se­städ­te im Nor­den exis­tie­ren nicht mehr. Ham­burg ist ein Nobel­be­zirk von Han­sea­po­lis – einer Mega­ci­ty mit über 20 Mil­lio­nen Ein­woh­nern, die Lübe­cker Regi­on eine rie­si­ge Indus­trie­zo­ne. Dass die Cops 72 Stun­den und mehr am Stück Dienst tun, ist kei­ne Sel­ten­heit. Denn Han­sea­po­lis schläft nie.

An einem hei­ßen Febru­ar­mor­gen wird im Sumpf außer­halb der Stadt eine ver­stüm­mel­te Lei­che gefun­den. Louann Mari­no, neu im Mord­de­zer­nat von Han­sea­po­lis, und ihr zyni­scher Part­ner Eli­as Kosloff neh­men die Ermitt­lun­gen auf. Die Spu­ren füh­ren das unglei­che Paar in die still­ge­leg­ten U‑Bahn-Schäch­te unter­halb der glit­zern­den Metro­po­le…

… und es geht nach einer kur­zen Ein­füh­rung gleich in die Vol­len mit die­sem Stak­ka­to aus film­ähn­li­chen Sequen­zen und Beschrei­bun­gen einer lei­der viel zu rea­lis­tisch wir­ken­den nahen Zukunft. Miri­am Pha­ro nimmt den Leser zu einer Tour-de-force an die Hand, die stel­len­wei­se nichts für Zart­be­sai­te­te ist, aber mit ziem­li­cher Sicher­heit sowohl den SF- wie auch den Kri­mi­fan mehr als zufrie­den stel­len wird.

Den Sprach­pu­ris­ten wird stö­ren, dass der gesam­te Roman von »künst­li­chen« Fach­aus­drü­cken und ins­be­son­de­re Anglis­men nur so strotzt, mei­ner Ansicht nach ist das aber eine sei­ner Stär­ken, denn betrach­tet man die heu­ti­ge Ent­wick­lung der deut­schen Spra­che, in der mehr und mehr Fach­be­grif­fe eng­li­sche Wur­zeln haben, dann ist es äußerst wahr­schein­lich, dass sich das in Zukunft eher ver­stär­ken wird. In mei­nen Augen ist die Ver­wen­dung der stets erläu­ter­ten oder selbst-ver­ständ­li­chen Fach­be­grif­fe und eng­li­schen Wör­ter und Kunst­wör­ter ein Grund dafür, war­um die­ser Roman so über­aus authen­tisch rüber­kommt.

Immer wie­der gibt es auch gra­fisch abge­ho­be­ne Ein­schü­be, in denen von YIN – dem Yahoog­le Inves­ti­ga­ti­on Net­work (allein für die­sen Begriff soll­te die Autorin schon einen Preis bekom­men) – Begrif­fe und Kon­zep­te des Jah­res 2066 erläu­tert wer­den. Das macht mir eine Men­ge Spaß, kon­ser­va­ti­ve­re Leser könn­ten das viel­leicht als stö­rend emp­fin­den. Ich könn­te mir die­se Ein­schü­be aller­dings per­fekt in einer Hyper­text-gestütz­ten Vari­an­te des Romans vor­stel­len, in der nach dem Tip­pen auf ent­spre­chen­de Links die YIN-Erläu­te­run­gen auf­pop­pen. Aber das nur am Ran­de.

Es geschah am 11. April 2025. Die Geburts­stun­de von Han­sea­po­lis schlug mor­gens um 4.35 Uhr MEZ, als der Orkan Kuma­ni, was auf afri­ka­nisch Schick­sal bedeu­tet, die Nord­see zu noch nie da gewe­se­nen Höhen auf­peitsch­te. Was Kata­stro­phen-Exper­ten bis dahin für unmög­lich gehal­ten hat­ten, trat ein: In der Deut­schen Bucht türm­te sich eine 30 Meter hohe Freak Wave auf und begrub das fla­che Land west­lich der dama­li­gen Stadt Ham­burg unter sich. Sied­lun­gen wie Cux­ha­ven oder Sta­de wur­den dem Erd­bo­den gleich gemacht. Mit 500 Kilo­me­tern in der Stun­de zer­malm­te die Mons­ter­wel­le alles, was sich ihr in den Weg stell­te. Sie ver­puff­te erst kurz vor Alto­na. Der Scha­den war immens! Salz­was­ser und gif­ti­ger Elb­schlamm ver­seuch­ten hun­der­te Qua­drat­ki­lo­me­ter Land und kapp­ten die Ver­bin­dung zur Nord­see. Allein in Ham­burg star­ben über 250.000 Men­schen; ein Zehn­tel der dama­li­gen Bevöl­ke­rung! Die Han­se­stadt erlitt einen schwe­ren wirt­schaft­li­chen Scha­den und bat Lübeck um Unter­stüt­zung. Infol­ge von Fehl­spe­ku­la­tio­nen stand die Stadt im Nord­os­ten kurz vor dem Bank­rott, besaß aber direk­ten Zugang zur ruhi­ge­ren Ost­see und damit zu den lebens­not­wen­di­gen Was­ser­vor­rä­ten. Um über­le­ben zu kön­nen, gin­gen bei­de Städ­te ein Bünd­nis ein. Sie ver­schmol­zen zu Han­sea­po­lis …

Dem Leser wer­den in die­sem Roman also »Fach­be­grif­fe« und Akro­ny­me wie bei­spiels­wei­se »Dura-Liquid«, »Nano­rouge«, »MEC«, »Wall Flax«, »NIP« und noch zahl­lo­se mehr um die Ohren gehau­en, OHNE, dass das aber den Lese­fluss stört oder über­trie­ben wirkt, da die­se gan­zen Kolo­rit-Begrif­fe so flie­ßend in den Text ein­ge­baut sind, dass man sie als gege­ben akzep­tiert und der Lese­fluss nicht gehemmt wird. Das mag bei weni­ger Tech­nik­af­fi­nen als mir anders sein, aber das hier ist mei­ne Rezen­si­on und ich fand das toll! :o)

Und ganz ehr­lich: hät­te ich nicht gewusst, dass es sich um eine Autorin han­delt, wäre ich auf­grund der zum Teil akri­bisch beschrie­be­nen Tech­nik aber ins­be­son­de­re auf­grund der rea­lis­tisch wir­ken­den Nomen­kla­tur ganz sicher davon aus­ge­gan­gen, dass ein Mann die­sen Roman geschrie­ben hat. Und bevor jetzt jemand ob eines ein­ge­bil­de­ten Chau­vi­nis­mus lamen­tiert: ich mei­ne das sehr posi­tiv und manch ande­re deut­sche Schrift­stel­le­rin­nen soll­ten sich pla­ne­ten­di­cke Schei­ben von Miri­ams Schrei­be abschnei­den. Wenn ich da an eini­ge in die­ser Hin­sicht grus­li­ge SHADOWRUN-Roma­ne hie­si­ger Autorin­nen den­ke…

Die Cha­rak­te­re – ins­be­son­de­re die bei­den Haupt­per­so­nen, der undurch­sich­ti­ge Zyni­ker Eli­as Kosloff und die Poli­zei-New­co­me­rin Louann Mari­no – sind im Gro­ßen und Gan­zen glaub­wür­dig, auch wenn manch eine der Neben­fi­gu­ren ein wenig sche­ren­schnitt-artig daher kommt, denen schenkt man selbst­ver­ständ­lich nicht soviel Auf­merk­sam­keit, wie den Prot­ago­nis­ten selbst, von daher geht das in Ord­nung. Der Fall an sich ist mei­ner Mei­nung nach strin­gent und logisch auf­ge­baut, aber da ich bei Kri­mis selbst in Erman­ge­lung der detek­ti­vi­schen Fähig­kei­ten eines Sher­lock Hol­mes meis­tens nur lese und mich über­ra­schen las­se, mag es sein, dass ande­re das ande­res sehen… Ja, man fin­det auch reich­lich Kli­schees, die einem aus US-gepräg­ten Fil­men und Fern­seh­se­ri­en bekannt vor­kom­men dürf­ten, aber da steh ich nun­mal drauf.

Ich habe zwei klei­ne Kri­tik­punk­te, nein eigent­lich drei. Punkt eins sind die durch einen ande­ren Zei­chen­satz abge­ho­be­nen Ein­schü­be mit Gedan­ken der Cha­rak­te­re, mir denen es der Leser bis­wei­len zu tun bekommt. Die stö­ren das Gesamt­bild und Lay­out erheb­lich und wir­ken deplat­ziert. Hier wür­de ich mir weni­ger Unter­schied zum rest­li­chen Lay­out wün­schen. Punkt zwei sind die offen­bar com­pu­ter­ge­nerier­ten Illus­tra­tio­nen von denen ich die meis­ten für über­flüs­sig hal­te, ledig­lich die Stadt­sze­ne und das Tac-Suit-Lay­out haben mir sehr gut gefal­len. Davon bit­te in Zukunft mehr und weni­ger ver­gleichs­wei­se unin­ter­es­san­te Bil­der von Kugeln und Sta­tu­en…

Der drit­te Punkt? Ach ja: der Roman endet mit einem Cliff­han­ger und der Fall wird erst in Band zwei (mit dem Titel SCHATTENSPIELE) voll­stän­dig auf­ge­löst wer­den. Vom Knall­ef­fekt am Ende des Romans mal ganz abge­se­hen. Das kann man mir doch nicht antun! Seufz!

Es macht ein wenig den Ein­druck, als ob hier ein ein­zel­ner Roman in zwei Bücher auf­ge­teilt wur­de, kann mich aber natür­lich täu­schen…

Als Fazit möch­te ich SCHLANGENFUTTER jedem SF- und Kri­mi­fan nach­drück­lich ans Herz legen; die film­rei­fe Rei­se durch die nord­deut­sche Mega­lo­po­lis macht Spaß, Lust auf mehr und hebt sich ob ihrer Inten­si­tät, aber auch ob des pri­ma kon­su­mier­ba­ren Lese­flus­ses wohl­tu­end und höchst posi­tiv von ande­ren oft so ver­geb­lich bemüht »wert­voll geschrie­be­nen« deut­schen SF-Roma­nen ab. Der zwei­te Teil steht defi­ni­tiv auf mei­ner Lese­lis­te und ich freue mich dar­auf. Mehr davon! Schnell! Sofort!

Wie bit­te? Ich habe kaum etwas zum Inhalt selbst geschrie­ben? Na sowas… :o)

 

Miri­am Pha­ro, 1966 im anda­lu­si­schen Cór­do­ba gebo­ren, ver­bringt ihre Kind­heit auf der Ile d‘Oléron, west­lich von La Rochel­le. Mit 9 Jah­ren kommt sie nach Deutsch­land, wo sie ihre Lie­be zu Lite­ra­tur und Kino ent­deckt. Sie stu­diert in Mainz und Hei­del­berg Sla­wis­tik, Roma­nis­tik und Poli­tik­wis­sen­schaf­ten. Seit 1993 arbei­tet sie als Wer­be­tex­te­rin für diver­se Agen­tu­ren und Unter­neh­men.

 

 

 

SCHLANGENFUTTER
Miri­am Pha­ro
Roman, SF-Thril­ler
ers­te Auf­la­ge: 2009
Taschen­buch, 239 Sei­ten
12,95 Euro
ACA­BUS-Ver­lag

Bestell­bar direkt beim Ver­lag oder bei Ama­zon (sie­he unten)

Cover­ab­bil­dung und Klap­pen­text Copy­right ACA­BUS-Ver­lag
Text­aus­zug Copy­right ACA­BUS-Ver­lag und Miri­am Pha­ro
Kurz­bio­gra­fie und Bild aus der Pres­se­map­pe der Autorin

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3 Kommentare zu „Miriam Pharo – SEKTION3: HANSEAPOLIS – SCHLANGENFUTTER“

  1. End­lich mal eine aus­führ­li­che Rezen­si­on zu dem Buch. Habe es im Inter­net gegoo­gelt und bin auf dei­ne Rezen­si­on bzw. Blog gestos­sen. Fin­de, dass die­se sehr gelun­gen ist. Dann wer­de ich mir eben direkt zwei Bücher Schlan­gen­fut­ter bestellen..ich mag nicht wenn es am span­nen­dens auf­hört. Wenn ich etwas anfan­ge dann bis zum Ende.

    Da ich nun über dein Blog und tol­le Rezen­si­on gestos­sen bin wer­de ich dich dem­nächst öfters besu­chen… soll­te kei­ne Dro­hung sein ;-)

    Lie­be Grü­ße

    Mar­co

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