Als George Miller MAD MAX drehte, hatte er ein Budget von umgerechnet 650.000 US-Dollar zur Verfügung. Ein kleiner, aber extrem feiner Exploitation-Thriller, oder wie man im Oz genannten Australien gerne sagt, ein Ozploitation-Thriller. Miller setzte damit nicht nur neue Standards im Action-Kino, sondern er generierte ein ganz eigenes Sub-Genre. Endzeitszenarios, in der die Skrupellosen die Macht an sich reißen und der Aufrechte die Ordnung wieder herstellen kann. Die meisten dieser Trittbrettfahrer waren italienische Produktion von unsäglicher Art, und kamen die Filme aus Amerika, waren sie dennoch nicht besser. Erst zwei Jahre später überzeugte George Miller die Filmwelt, dass dies sein Genre war, sein Spielplatz. THE ROAD WARRIOR – MAD MAX DER VOLLSTRECKER setzte erneut Standards. Die Stunt-Arbeit und ‑Koordination wurde in den folgenden Jahrzehnten höchstens von SPEED und dem ersten DIE HARD erreicht, allerdings nicht übertroffen. Erst 2015 schaffte es ein Film, noch waghalsigere, noch extremere Action-Sequenzen auf die Leinwand zu zaubern.
War es 1979 und 1981 noch gar nicht möglich mit Hilfe des Computers zu arbeiten, sieht es heute schon ganz anders aus. Gutes Beispiel ist dafür die FAST AND FURIOUS-Reihe, wo der erste Teil noch eine solide echte Stunt-Show präsentierte, in den Nachfolgern die Unterstützung des Computers aber immer unablässiger wurde. Das wollte Miller auf keinen Fall, und mit einem geschätzten, inflationsbereinigten hundertfachen Budget gegenüber dem ersten Teil, konnte er sich das auch herausnehmen. Eine Fortsetzung von MAD MAX war bei Film-Fans das begehrteste Objekt, obgleich Fortsetzungen grundsätzlich keinen großen Stellenwert bei Cineasten und Kritiker haben. Achtzig Prozent aller Effekte in FURY ROAD sind handgemacht, sogenannte Practical Effects. Der Computer wurde lediglich dazu benutzt, die öden Landschaften interessanter zu gestalten, Stunt-Hilfen wie Kabel oder Rigs zu entfernen, oder Charlize Therons amputierten Arm zu retuschieren. Es verwundert also nicht, dass von allen Multi-Millionen-Dollar-Produktionen der letzten Jahre, FURY ROAD die kürzeste Liste von Arbeitern im Bereich der visuellen Effekte im Abspann hat.
Man darf nicht fragen, was Miller eigentlich durch den Kopf ging, eine Welt wie diese zu kreieren. Weiß geschminkte Soldaten, überfrachtet ausgestatte Kampfmobile, geißelnde Gesichtsmasken. Alles muss einen morbiden Charme versprühen. Gerechtigkeit ist zu keinem Zeitpunkt zu erwarten. Getötet wird aus Prinzip, geherrscht wird nur mit Gewalt. Kopiert haben das viele, akzeptiert hat man es nur in der kaputten Welt von Max. Jetzt beklagt man bei Filmen mit wenig Gehalt und Tiefgang immer diesen schlecht schmeckenden Vorwurf von Einfallslosigkeit. Doch genau das ist es was man sich ausgerechnet von diesem Film erhoffte. Einstimmigen Diskussionen zufolge hatte sich Miller in JENSEITS DER DONNERKUPPEL etwas zu sehr gehen lassen, die Sache mit den Kindern war dann doch viel zu weichgespült. Und der Macher schien die Hoffnungen erhört zu haben. FURY ROAD ist eine einzige Jagd von A nach B. Der Film beginnt mit der Flucht der dem Herrscher Immortan Joe untreu gewordenen Imperator Furiosa, die gleich mit fünf seiner Frauen ins gelobte Land fliehen möchte. Und der Film endet, wenn diese Hetzjagd ihr Ende findet. Dazwischen wird der Einzelgänger Max gegen seinen Willen in die Geschehnisse mit hineingezogen, bezieht Stellung, und ab und zu geht etwas zu Bruch.
Hat jeder Film der Reihe seinen ganz eigenen Look, ist dies auch bei FURY ROAD gelungen. Entgegen dem Trend bei Endzeit-Szenarien auf Farben und Kontraste zu verzichten, um die Trostlosigkeit zu unterstreichen, lässt Miller seinen Film in den möglichst kräftigsten Farben leuchten, und setzt die Kontraste ziemlich hoch. Dadurch erreicht er schon wieder eine ganz eigene Optik, weil er der Harmonie für das gewohnte Sehen entgegen wirkt. 3500 Storyboard-Bilder ließ Miller in der Vorproduktion fertigen, um daraus ein Drehbuch entwickeln zu können, welches auf erklärende Dialoge weitgehendst verzichten kann. Immerhin bedeutet das eine Zeichnung für gerade zwei Sekunden. Allerdings macht sich das in der Inszenierung auch bemerkbar. Die Action-Sequenzen kommen ohne störende Dialoge aus, und Miller schafft es Zusammenhänge und Abfolgen durch perfekten Bildaufbau und Schnittfolge zu erklären. Auffallend dabei ist John Seales Bildgestaltung, der die für eine Szene notwendige Figur immer ins Zentrum des Bildes setzt. Bei schnelleren Schnittraten hat der Zuschauer umgehend die wichtigsten Informationen im Blick, der Bildaufbau richtet sich also nicht nach einem künstlerischen Anspruch, sondern nach dem Gehalt der Szene.
Überhaupt sind die einzelnen Actionpassagen außergewöhnlich beherrscht und ausgefeilt inszeniert. Egal was, oder wieviel passiert, und egal wie schnell und intensiv etwas geschieht, kann der Zuschauer dem Geschehen sehr genau folgen. Jason Ballantine und Margaret Sixel haben FURY ROAD geschnitten, und sie haben sehr akribisch darauf geachtet, dass es nicht einfach nur spektakulär aussieht, sondern dass eine Sequenz auch verständlich und schlüssig für den Zuschauer bleibt. Spektakulär ist FURY ROAD ohnehin. Es gibt einige, wenige, Dialogszenen, die eigentlich jeder Beschreibung spotten. Aber diese Szenen sind in erster Linie Inseln, um das Publikum zuerst einmal wieder atmen zu lassen. Denn die Welt des verrückten Max ist keine Welt, die durch gut gemeinte Gespräche zu einem besseren Ort wird.
Reboot und gleichzeitig Sequel, kann MAD MAX: FURY ROAD den Action-Freund sowie den Fan der ersten Trilogie überzeugen. Viel ist über die Besetzung spekuliert worden. Und wenn der Film tatsächlich wie geplant produziert worden wäre, dann hätte es vielleicht wirklich anders ausgesehen. So ist jetzt Tom Hardy in die ikonische Lederjacke geschlüpft, was durchaus zu begrüßen ist. Hatte Mel Gibson als Max stets diesen leeren, gequälten Blick, brennt bei Hardy unablässig dieses Feuer der Vergeltung in den Augen. Und das ist gut so. Für vier Teile wurde Tom Hardy optioniert, und man fragt sich nach diesem furios spektakulären Auftakt, was in folgenden drei Teilen denn noch passieren soll, oder wie man das Spektakel steigern kann. Blickt man ein wenig unter die Oberfläche, ist FURY ROAD auch nicht die Geschichte von Max, sondern von Therons Imperator Furiosa. In dieser ausgebrannten, von Gott verlassenen Welt, gibt es bestimmt sehr viele Geschichten von Courage und vom Überleben. Und all diese Geschichten könnten etwas Hilfe gebrauchen, von jemanden der verrückt genug ist, das Leben genauso wenig zu akzeptieren, wie den Tod selbst.
MAD MAX: FURY ROAD
Darsteller: Tom Hardy, Charlize Theron, Nicholas Hoult, Rosie Huntington-Whitley, Riley Keogh, Nathan Jones, Hugh Keays-Byrne u.a.
Regie: George Miller
Drehbuch: George Miller, Brendan McCarthy, Nick Lathouris
Kamera: John Seale
Bildschnitt: Jason Ballantine, Margaret Sixel
Musik: Junkie XL
Stunt-Koordinator: Keir Beck
Produktionsdesign: Colin Gibson
120 Minuten
USA – Australien 2015
Bildrechte: Warner Bros.