Nachdem Arthur Conan Doyles klassischer Ermittler Sherlock Holmes gemeinfrei wurde (zumindest in den Ländern ohne Extrawürste), gab es eine Schwemme von Büchern und anderen Medien um den genialen Privatdetektiv. Nicht alles davon war originell und auch nicht alles davon war gut, da manche Autor°Innen nicht verstanden haben, den eigentlichen Geist einzufangen und nur einen Abklatsch ablieferten – wobei es allerdings auch wirklich gelungene Adaptionen und Neuinterpretationen gab. Auch in diverse andere Genres wurden Holmes und Watson transplantiert, ebenfalls mit wechselndem Erfolg, mal gut, mal schlecht.
A STUDY IN CYBORGS weist schon durch den Titel darauf hin, dass man eine Geschichte erwarten darf, die sich irgendwie an Holmes orientiert. Erfreulicherweise tut sie genau das: Sie orientiert sich, sie kopiert nicht, sie plagiiert nicht und sie verfügt über einiges an Eigenständigkeit.
A STUDY IN CYBORGS ist ein Science Fiction-Roman, der in einer nicht näher bezeichneten Zukunft spielt, in der es nicht nur notwendig war, Städte auf Stelzen in den Ozean zu bauen (auch wenn es nicht ausdrücklich gsagt wird, dürfte »Victoria City« über dem alten London erbaut worden sein), sondern in der auch der Mars kolonisiert wurde. Übrigens: es handelt sich nicht um eine Dystopie. Die Autorin baut erfreulicherweise nicht Holmes und Watson in dieses Szenario ein, sondern präsentiert zwei ganz neue Protagonistinnen, nämlich die junge fast-Ärztin Hana Moss vom Mars und ihre unerwartete Wohnungsgenossin Hols Keller.
Hols Keller ist in Ausbildung zu einer Ermittlerin. Allerdings einer ganz besondern, nämlich einer Retroduktionistin. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht im Detail darauf eingehen, was das bedeutet, das soll die geneigte Leserin am besten beim Goutieren des Romans selbst herausfinden.
Der Punkt ist, dass das bekannte Holmes-Setting auf derart kreative und frische Weise in eine Zukunft übertragen wurde, dass es zum einen eine reine Lesefreude ist und zum anderen derart viele SF-Aspekte hinzufügt, dass es zu einem völlig eigenständigen Werk wird, statt nur Arthur Conan Doyle zu plagiieren, wie andere es tun.
Gendering-Memmen werden vermutlich damit zu kämpfen haben, dass auch neutrale Geschlechter im Roman vorkommen, das ergibt sich allein bereits aus der Thematik, inklusive der passenden Personalpronomen. Und glaubt mir, liebe Zweifler, es tut gar nicht weh und fügt sich ohne Stolpern und ohne jede Uneleganz in den Lesefluss. (Einschub: Grund dafür ist natürlich unter anderem, dass sich die englische Sprache damit deutlich leichter tut, als die deutsche. They/them lässt sich nun mal nicht ohne Probleme direkt ins Deutsche übersetzen – das ist allerdings meiner Ansicht nach ein lösbares Problem der deutschen Sprache. Die Lösung müsste nur mal jemand finden.)
Erfreulich auch das ausgefeilte Worldbuilding der Autorin, die ein Universum vor der Leserin ausbreitet, das in sich kohärent und vor allem völlig glaubwürdig daher kommt, was die Eigenständigkeit der Story nochmal unterstreicht. Und dennoch kann man ständig die Inspiration durchschimmern sehen, allerdings eben nur als Inspiration, um etwas völlig Neues, Unabhängiges zu erschaffen.
Ja, es geht um einen Kriminalfall. Nein, der ist nicht platt umgesetzt, wie bei manch anderen SF-Autor°Innen, die im Prinzip heutige Fälle relativ unmodifiziert in ein SF-Szenario übertragen. W. R. MacNeill hat nicht nur Worldbuilding drauf, sie vermag es zudem, ihren Kriminalfall auch konsequent, glaubwürdig und mit vielen schönen Facetten in die von ihr geschaffene Zukunft zu integrieren. Wäre der Begriff nicht so ausgelutscht, könne man sagen: Ganzheitlich.
Ich hatte viel Freude an diesem Pageturner und das insbesondere wegen des Worldbuildings und weil er sich so weit vom Vorbild entfernte und man es trotzdem in genau den richtigen Dosen durchschimmern sehen konnte. Die Folgeromane werde ich ganz sicher ebenfalls lesen. Noch erfreulicher ist, dass es sich um einen Selfpublishing-Roman handelt (vermutlich weil das Kleinod mal wieder kein Verlag haben wollte). Da die eBook-Fassung gerade mal 3,30 Euro kostet, gibt es keine Ausrede, das nicht zu lesen.
A STUDY IN CYBORGSW. R. MacNeill
Science Fiction-Krimi
14. Juni 2021
377 Seiten
Selfpublishing
Taschenbuch:
ISBN: 979–8520261537, ca. 12 Euro
eBook:
ASIN: B0976QGPT9, ca. 3,30 Euro
Coverabbildung Copyright W. R. MacNeill