1.1 Oh ihr Götter der bedruckten Zellulose, so höret denn mein Klagen. Ich bin nur ein Wicht, ein Wurm, unbedeutend und klein, mir dauert vor mir selbst. Und selbst wenn der unheilige Google, Schutzpatron der SEOliken und Mentor des #neulands, mir einen recht guten Leumund in Sachen des weltweiten Netzes zugestand, so reichte dies doch nicht, um in den Augen des hohen Adels der ewigen Buchschöpfer Gnade zu finden.
1.2 Und so sitze ich hier und wehklage, ob meiner Nichtigkeit in den Augen des Adels. So einfach waren meine Fragen und allein schon aus Hochachtung vor dem hohen Range und des Wissens um ihre schiere Macht unterwürfig und voller Demut formuliert. Doch ach, sehen sie mich nicht als einen Gleichen, denn ich bin ein Mitglied des Pöbels und sie baden ihr Licht in der Herrlichkeit der Buchbranche, die, wie alle Gläubigen wissen, das Universum erschuf – und es dereinst wieder wird erlöschen lassen.
1.3 Aber vielleicht war ich zu ketzerisch in meinen Fragen, unbedacht dahergestammelt und selbstverständlich nicht in der Eloquenz vorgetragen, wie sie die Heroen der bedruckten Zellulose beherrschen. Jene Halbgötter, die mit dem Bekritzeln. leerer, weißer, rechteckiger – ich sage es ganz profan – Papiere erst für den Aufstieg des Adels und seiner Alkoholyten gesorgt hatten. Solche Heroen wie Goethe, Schiller, Hitler, Hemingway – oder in neuer Zeit Roche und Pirincci, deren Ergüsse von den hohen Gewalten tolerant und ohne Arg veröffentlicht wurden, um die geistig Armen zu erleuchten und vor allem das klimpernde Metall in den eigenen Taschen zu mehren.
1.4 Ja, ich habe fehlgetan, als ich mich nur höflich an diejenigen wandte, die die Macht in den Händen halten, die Werke des Konzils der Buchdrucker an die barmherzigen Brüder und Schwestern von den wahren Klöstern des Buchstabens, die uns in ihrer unermesslichen Güte und Weisheit in ihren Tempeln der Literatur, der Duftkerze und des geliebten Vampirs an den Werken teilhaben lassen, die uns das heilige Konzil der Buchdrucker und ‑Verleger zuteil werden lassen wollen, auch wenn wir nur ahnungslose und nichtige Leser sind.
1.4.1 Sie, die die Macht in Händen halten, würden von uns unwissenden Narren aus den anderen Gilden vielleicht »Großhändler« genannt werden, doch wie falsch und geradezu häretisch ist diese Nomenklatur. So wie die Schlaraffen ihre eigne Sprache reden, so wie der Waidmann eine Rede schwingt, die der Profane nicht verstehen soll, so wie die Kirchen ihr Latein zelebrieren, so führen auch der Verein mit der Fetten Börse und seine totbaumbedruckenden Lakaien eine eigene Sprache. Und so kniet mit mir und nennet sie Barsortimenter und lobpreiset sie im Angesichte des ewigen Buches. Denn sie sind heilig und ohne Fehl, und es war nicht an mir, von ihnen eine Antwort erwarten zu dürfen, das sehe ich nun in Demut.
1.5 Ja ich habe fehlgetan, als ich verzweifelt frug, warum nur, warum, nicht alle Schriften in Gleichheit und Toleranz unter die Tumben und Unerleuchteten verbreitet werden. Ich bin nun einmal nicht in der Lage, die unendliche Weisheit der Libriisten zu erkennen, die allein mit wenigen anderen von Gott und seinem Vertreter auf Erden, dem Skipis, ermächtigt wurden, zu entscheiden, welche Worte in den Tempeln der Literatur an den Pöbel ausgeteilt werden.
1.5.1 Und ich habe ein weiteres Mal fehlgetan, als ich mich erdreistete, die uralten Brüder und Schwestern des Klosters KNV in aufmüpfiger Sprache zu befragen, ob es nicht besser sei, wenn alle Bücher in Gleichheit feilgeboten werden würden? Wer bin ich denn, dass ich ermessen könnte, nach welchen illuminierten Grundsätzen, die mir Unwürdigem ewig werden verschlossen bleiben, sie ihre weisen Entscheidungen treffen?
1.6 Ach. Es graut mir vor mir selbst.
1.7 Was weiß ich schon, ich armer Tropf? Habe ich doch nicht die Weitsicht, die Weisheit und die Erfahrung, die all ihnen von den Göttern der Buchstaben und des Mammons verliehen wurden. Ich erkenne nun an, dass ich derart weit unter diesen ikonenhaften Lichtgestalten stehe, weiß, dass ich falschen Götzen diene, nämlich dem unheiligen Google und seinen SEOliken, die meine Worte in die Welt hinaus trugen, ohne sie von den Libriisten und den Brüdern und Schwestern des Klosters von KNV weihen zu lassen. Und dass ich dem Antichristen Bezos diene, der sich die unglaubliche Häresie erlaubt, gedruckte Worte in die Welt hinaus zu tragen, sie gar dem Pöbel andient, ohne dem Verein mit der Goldenen Börse devot zu Diensten zu sein.
1.8 Und so will ich mich bescheiden, denn ich sehe ein, dass es selbstverständlich weit unter der Würde der gebenedeiten Libriisten und der Brüder und Schwestern des uralten Klosters KNV ist, mit mir zu parlieren. Ich knie nieder in Erfurt und senke das Haupt, nun wohl erkennend, dass nur der bußfertige Mann bestehen kann, und dass ich nur ein Wurm bin im Angesicht der Hohen Mächte und Großen Alten der Buchbranche. Iäh! Fhtagn! Vergebt mir und meiner Insolenz, und zerschmettert nicht meine müden Knochen, denn ich bin eurer Aufmerksamkeit nicht wert.
1.9 So will ich denn dahinscheiden in dem Wissen, dass ich gefehlt habe. Und es geschehe mir Recht.
Hier endet das Buch der Verzweiflung. Den Chronisten zufolge wurde der Häretiker, der zuvor als Phantast bekannt war, nach dem Verfassen jener Psalme vom Chaos und der Sphäre berührt, ihm wurde von Unbekannten Weltraum-Met eingeflößt und er eignete sich in seinem dadurch entstandenen Wahnsinn die verschiedensten, vom Verein mit der Fetten Börse verteufelten und beim Tode verbotenen Fähigkeiten an, sogar das Veröffentlichen von nichteuklidischen Büchern außerhalb der wahren Lehre des Vereins mit den Fetten Börsen – ein zu jener Zeit todeswürdiges Verbrechen. Er fiel dem Wahnsinn anheim und ward nicht mehr zu retten. Doch zuvor schrieb er seine Prophezeihungen auf Verlagsautorenhaut nieder. Die Schriften wurden im Jahr 2018 gefunden. In der Nachschau waren Historiker beeindruckt, wie recht der Irre hatte. Interpreten streiten sich bis heute über Wahrheitsgehalt und Details.
Das Buch der Prophezeihungen
1.1 Ein großes Heulen und Wehklagen wird anheben unter den Anhängern des Vereins mit der Fetten Börse, denn die Gläubigen werden sich abwenden. Denn es wird eine neue Zeit entstehen, eine Zeit, in der ewig Gestriges ewig gestrig sein wird. Eine Zeit, in der die uralten und ungerechten Strukturen zerfallen werden, wie gechlortes Papier. Eine Zeit, in der die einstmals Mächtigen in einen Strudel gerissen werden, den sie in ihrer Überheblichkeit und Verblendung selbst geschaffen hatten.
1.2 Denn siehe: Nicht der gefallene Engel Bezos war das Böse gewesen, nein, es ward allen viel zu spät gewahr, dass die heilige, ewige Kirche der Heiligkeit des Wohlfeilen Papiernen Buches, die da die Buchbranche war, von innen zerfressen war, wie ein von Würmern gehöhlter Apfel, und nur noch nach außen gesund erschien. Aufrechterhalten aus Ignoranz – und Blendwerk in Frankfurt.
1.3 Und ich sage euch: Der Grund wird sein, dass sie sich in ihren Türmen aus Elfenbein in Saus und Braus von dem entfernen, was wir schon immer Realität geheißen haben. Und sie werden nicht hören auf die weisen Worte der zahllosen Auguren, werden sie in ihrer Arroganz fortwischen. Denn sie wussten: Sie sind etwas Besseres. Und sie werden fehlen.
1.4 Sie werden Geschichte sein. Kaum mehr einer wird noch die Namen »Börsenverein« oder »Barsortimenter« kennen. Die Klöster des Buchstabens werden verwaist sein und Spinnen in den Regalen ihre Netze spannen.
1.5 Und keiner wird es bemerken.
1.6 Und das Grauen wird über die Welt kommen.
1.7 Und sie werden es selbst verschuldet haben.
1.9 Und so wird es geschehen. Beim heiligen Bruichladdich.
So endet das Buch der Prophezeihungen.
Wie ein Mitglied des Widerstands 2034 schrieb:
»Ach. Wenn sie nur die Zeichen der Zeit hätten erkennen können. Und ach, hätten sie doch nicht in ihrer Arroganz die Fragen des Häretikers ignoriert. Vielleicht wären sie noch am Leben. Und vielleicht müssten wir deswegen heute nicht unter der Knute des Amazonischen Imperiums in den Buchstabenminen dahinvegetieren … Ich verdamme ihre Augen, ich verdamme ihre Eingeweide. Und ich verdamme ihre Nachkommen!«
ENDE
p.s.: was aus zwei völlig arroganten Nichtantworten von überheblichen Barsortimentern so alles werden kann, wenn man Bock hat. :) Wir sehen uns im Amazonischen Imperium.
Sehr amüsant, wenngleich der Anlass fürwahr betrüblich scheint.