Das Wort zum Wochenende: Aus den Schriften des Häretikers

Boticelli-Peitschende-Teufel

Das Buch der Ver­zweif­lung – Psalm eins, Absät­ze eins bis neun

1.1 Oh ihr Göt­ter der bedruck­ten Zel­lu­lo­se, so höret denn mein Kla­gen. Ich bin nur ein Wicht, ein Wurm, unbe­deu­tend und klein, mir dau­ert vor mir selbst. Und selbst wenn der unhei­li­ge Goog­le, Schutz­pa­tron der SEO­li­ken und Men­tor des #neu­lands, mir einen recht guten Leu­mund in Sachen des welt­wei­ten Net­zes zuge­stand, so reich­te dies doch nicht, um in den Augen des hohen Adels der ewi­gen Buch­schöp­fer Gna­de zu finden.

1.2 Und so sit­ze ich hier und weh­kla­ge, ob mei­ner Nich­tig­keit in den Augen des Adels. So ein­fach waren mei­ne Fra­gen und allein schon aus Hoch­ach­tung vor dem hohen Ran­ge und des Wis­sens um ihre schie­re Macht unter­wür­fig und vol­ler Demut for­mu­liert. Doch ach, sehen sie mich nicht als einen Glei­chen, denn ich bin ein Mit­glied des Pöbels und sie baden ihr Licht in der Herr­lich­keit der Buch­bran­che, die, wie alle Gläu­bi­gen wis­sen, das Uni­ver­sum erschuf – und es der­einst wie­der wird erlö­schen lassen.

1.3 Aber viel­leicht war ich zu ket­ze­risch in mei­nen Fra­gen, unbe­dacht daher­ge­stam­melt und selbst­ver­ständ­lich nicht in der Elo­quenz vor­ge­tra­gen, wie sie die Hero­en der bedruck­ten Zel­lu­lo­se beherr­schen. Jene Halb­göt­ter, die mit dem Bekrit­zeln. lee­rer, wei­ßer, recht­ecki­ger – ich sage es ganz pro­fan – Papie­re erst für den Auf­stieg des Adels und sei­ner Alkoho­ly­ten gesorgt hat­ten. Sol­che Hero­en wie Goe­the, Schil­ler, Hit­ler, Heming­way – oder in neu­er Zeit Roche und Pirincci, deren Ergüs­se von den hohen Gewal­ten tole­rant und ohne Arg ver­öf­fent­licht wur­den, um die geis­tig Armen zu erleuch­ten und vor allem das klim­pern­de Metall in den eige­nen Taschen zu mehren.

1.4 Ja, ich habe fehl­ge­tan, als ich mich nur höf­lich an die­je­ni­gen wand­te, die die Macht in den Hän­den hal­ten, die Wer­ke des Kon­zils der Buch­dru­cker an die barm­her­zi­gen Brü­der und Schwes­tern von den wah­ren Klös­tern des Buch­sta­bens, die uns in ihrer uner­mess­li­chen Güte und Weis­heit in ihren Tem­peln der Lite­ra­tur, der Duft­ker­ze und des gelieb­ten Vam­pirs an den Wer­ken teil­ha­ben las­sen, die uns das hei­li­ge Kon­zil der Buch­dru­cker und ‑Ver­le­ger zuteil wer­den las­sen wol­len, auch wenn wir nur ahnungs­lo­se und nich­ti­ge Leser sind.

1.4.1 Sie, die die Macht in Hän­den hal­ten, wür­den von uns unwis­sen­den Nar­ren aus den ande­ren Gil­den viel­leicht »Groß­händ­ler« genannt wer­den, doch wie falsch und gera­de­zu häre­tisch ist die­se Nomen­kla­tur. So wie die Schla­raf­fen ihre eig­ne Spra­che reden, so wie der Waid­mann eine Rede schwingt, die der Pro­fa­ne nicht ver­ste­hen soll, so wie die Kir­chen ihr Latein zele­brie­ren, so füh­ren auch der Ver­ein mit der Fet­ten Bör­se und sei­ne tot­baum­be­dru­cken­den Lakai­en eine eige­ne Spra­che. Und so kniet mit mir und nen­net sie Bar­sor­ti­men­ter und lob­prei­set sie im Ange­sich­te des ewi­gen Buches. Denn sie sind hei­lig und ohne Fehl, und es war nicht an mir, von ihnen eine Ant­wort erwar­ten zu dür­fen, das sehe ich nun in Demut.

1.5 Ja ich habe fehl­ge­tan, als ich ver­zwei­felt frug, war­um nur, war­um, nicht alle Schrif­ten in Gleich­heit und Tole­ranz unter die Tum­ben und Uner­leuch­te­ten ver­brei­tet wer­den. Ich bin nun ein­mal nicht in der Lage, die unend­li­che Weis­heit der Libri­is­ten zu erken­nen, die allein mit weni­gen ande­ren von Gott und sei­nem Ver­tre­ter auf Erden, dem Ski­pis, ermäch­tigt wur­den, zu ent­schei­den, wel­che Wor­te in den Tem­peln der Lite­ra­tur an den Pöbel aus­ge­teilt werden.

1.5.1 Und ich habe ein wei­te­res Mal fehl­ge­tan, als ich mich erdreis­te­te, die uralten Brü­der und Schwes­tern des Klos­ters KNV in auf­müp­fi­ger Spra­che zu befra­gen, ob es nicht bes­ser sei, wenn alle Bücher in Gleich­heit feil­ge­bo­ten wer­den wür­den? Wer bin ich denn, dass ich ermes­sen könn­te, nach wel­chen illu­mi­nier­ten Grund­sät­zen, die mir Unwür­di­gem ewig wer­den ver­schlos­sen blei­ben, sie ihre wei­sen Ent­schei­dun­gen treffen?

1.6 Ach. Es graut mir vor mir selbst.

1.7 Was weiß ich schon, ich armer Tropf? Habe ich doch nicht die Weit­sicht, die Weis­heit und die Erfah­rung, die all ihnen von den Göt­tern der Buch­sta­ben und des Mam­mons ver­lie­hen wur­den. Ich erken­ne nun an, dass ich der­art weit unter die­sen iko­nen­haf­ten Licht­ge­stal­ten ste­he, weiß, dass ich fal­schen Göt­zen die­ne, näm­lich dem unhei­li­gen Goog­le und sei­nen SEO­li­ken, die mei­ne Wor­te in die Welt hin­aus tru­gen, ohne sie von den Libri­is­ten und den Brü­dern und Schwes­tern des Klos­ters von KNV wei­hen zu las­sen. Und dass ich dem Anti­chris­ten Bezos die­ne, der sich die unglaub­li­che Häre­sie erlaubt, gedruck­te Wor­te in die Welt hin­aus zu tra­gen, sie gar dem Pöbel andient, ohne dem Ver­ein mit der Gol­de­nen Bör­se devot zu Diens­ten zu sein.

1.8 Und so will ich mich beschei­den, denn ich sehe ein, dass es selbst­ver­ständ­lich weit unter der Wür­de der gebe­ne­dei­ten Libri­is­ten und der Brü­der und Schwes­tern des uralten Klos­ters KNV ist, mit mir zu par­lie­ren. Ich knie nie­der in Erfurt und sen­ke das Haupt, nun wohl erken­nend, dass nur der buß­fer­ti­ge Mann bestehen kann, und dass ich nur ein Wurm bin im Ange­sicht der Hohen Mäch­te und Gro­ßen Alten der Buch­bran­che. Iäh! Fhtagn! Ver­gebt mir und mei­ner Inso­lenz, und zer­schmet­tert nicht mei­ne müden Kno­chen, denn ich bin eurer Auf­merk­sam­keit nicht wert.

1.9 So will ich denn dahin­schei­den in dem Wis­sen, dass ich gefehlt habe. Und es gesche­he mir Recht.

Hier endet das Buch der Ver­zweif­lung. Den Chro­nis­ten zufol­ge wur­de der Häre­ti­ker, der zuvor als Phan­tast bekannt war, nach dem Ver­fas­sen jener Psal­me vom Cha­os und der Sphä­re berührt, ihm wur­de von Unbe­kann­ten Welt­raum-Met ein­ge­flößt und er eig­ne­te sich in sei­nem dadurch ent­stan­de­nen Wahn­sinn die ver­schie­dens­ten, vom Ver­ein mit der Fet­ten Bör­se ver­teu­fel­ten und beim Tode ver­bo­te­nen Fähig­kei­ten an, sogar das Ver­öf­fent­li­chen von nicht­eu­kli­di­schen Büchern außer­halb der wah­ren Leh­re des Ver­eins mit den Fet­ten Bör­sen – ein zu jener Zeit todes­wür­di­ges Ver­bre­chen. Er fiel dem Wahn­sinn anheim und ward nicht mehr zu ret­ten. Doch zuvor schrieb er sei­ne Pro­phe­zei­hun­gen auf Ver­lags­au­toren­haut nie­der. Die Schrif­ten wur­den im Jahr 2018 gefun­den. In der Nach­schau waren His­to­ri­ker beein­druckt, wie recht der Irre hat­te. Inter­pre­ten strei­ten sich bis heu­te über Wahr­heits­ge­halt und Details.

michelangelo_hoelle

Das Buch der Prophezeihungen

1.1 Ein gro­ßes Heu­len und Weh­kla­gen wird anhe­ben unter den Anhän­gern des Ver­eins mit der Fet­ten Bör­se, denn die Gläu­bi­gen wer­den sich abwen­den. Denn es wird eine neue Zeit ent­ste­hen, eine Zeit, in der ewig Gest­ri­ges ewig gest­rig sein wird. Eine Zeit, in der die uralten und unge­rech­ten Struk­tu­ren zer­fal­len wer­den, wie gechlor­tes Papier. Eine Zeit, in der die einst­mals Mäch­ti­gen in einen Stru­del geris­sen wer­den, den sie in ihrer Über­heb­lich­keit und Ver­blen­dung selbst geschaf­fen hatten.

1.2 Denn sie­he: Nicht der gefal­le­ne Engel Bezos war das Böse gewe­sen, nein, es ward allen viel zu spät gewahr, dass die hei­li­ge, ewi­ge Kir­che der Hei­lig­keit des Wohl­fei­len Papier­nen Buches, die da die Buch­bran­che war, von innen zer­fres­sen war, wie ein von Wür­mern gehöhl­ter Apfel, und nur noch nach außen gesund erschien. Auf­recht­erhal­ten aus Igno­ranz – und Blend­werk in Frankfurt.

1.3 Und ich sage euch: Der Grund wird sein, dass sie sich in ihren Tür­men aus Elfen­bein in Saus und Braus von dem ent­fer­nen, was wir schon immer Rea­li­tät gehei­ßen haben. Und sie wer­den nicht hören auf die wei­sen Wor­te der zahl­lo­sen Augu­ren, wer­den sie in ihrer Arro­ganz fort­wi­schen. Denn sie wuss­ten: Sie sind etwas Bes­se­res. Und sie wer­den fehlen.

1.4 Sie wer­den Geschich­te sein. Kaum mehr einer wird noch die Namen »Bör­sen­ver­ein« oder »Bar­sor­ti­men­ter« ken­nen. Die Klös­ter des Buch­sta­bens wer­den ver­waist sein und Spin­nen in den Rega­len ihre Net­ze spannen.

1.5 Und kei­ner wird es bemerken.

1.6 Und das Grau­en wird über die Welt kommen.

1.7 Und sie wer­den es selbst ver­schul­det haben.

1.9 Und so wird es gesche­hen. Beim hei­li­gen Bruichladdich.

So endet das Buch der Prophezeihungen.

Wie ein Mit­glied des Wider­stands 2034 schrieb:

»Ach. Wenn sie nur die Zei­chen der Zeit hät­ten erken­nen kön­nen. Und ach, hät­ten sie doch nicht in ihrer Arro­ganz die Fra­gen des Häre­ti­kers igno­riert. Viel­leicht wären sie noch am Leben. Und viel­leicht müss­ten wir des­we­gen heu­te nicht unter der Knu­te des Ama­zo­ni­schen Impe­ri­ums in den Buch­sta­ben­mi­nen dahin­ve­ge­tie­ren … Ich ver­dam­me ihre Augen, ich ver­dam­me ihre Ein­ge­wei­de. Und ich ver­dam­me ihre Nachkommen!«

ENDE

p.s.: was aus zwei völ­lig arro­gan­ten Nicht­ant­wor­ten von über­heb­li­chen Bar­sor­ti­men­tern so alles wer­den kann, wenn man Bock hat. :) Wir sehen uns im Ama­zo­ni­schen Imperium.

Views: 0

1 Kommentar zu „Das Wort zum Wochenende: Aus den Schriften des Häretikers“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies und von eingebundenen Skripten Dritter zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest (Navigation) oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst Du Dich damit einverstanden. Dann können auch Cookies von Drittanbietern wie Amazon, Youtube oder Google gesetzt werden. Wenn Du das nicht willst, solltest Du entweder nicht auf "Akzeptieren" klicken und die Seite nicht weiter nutzen, oder Deinen Browser im Inkognito-Modus betreiben, und/oder Anti-Tracking- und Scriptblocker-Plugins nutzen.

Mit einem Klick auf "Akzeptieren" werden zudem extern gehostete Javascripte freigeschaltet, die weitere Informationen, wie beispielsweise die IP-Adresse an Dritte weitergeben können. Welche Informationen das genau sind liegt nicht im Einflussbereich des Betreibers dieser Seite, das bitte bei den Anbietern (jQuery, Google, Youtube, Amazon, Twitter *) erfragen. Wer das nicht möchte, klickt nicht auf "akzeptieren" und verlässt die Seite.

Wer wer seine Identität im Web schützen will, nutzt Browser-Erweiterungen wie beispielsweise uBlock Origin oder ScriptBlock und kann dann Skripte und Tracking gezielt zulassen oder eben unterbinden.

* genauer: eingebettete Tweets, eingebundene jQuery-Bibliotheken, Amazon Artikel-Widgets, Youtube-Videos, Vimeo-Videos

Schließen