Cory Doctorow: Das Ding mit dem Copyright

Cory Doctorow

Vor­wort zur Neu­ver­öf­fent­li­chung: Die­ser Text erschien ursprüng­lich im April 2010 (also bereits vor sagen­haf­ten sechs Jah­ren) auf dem alten Arti­kel­por­tal von Phan­ta­News. Aus gege­be­nem Anlass habe ich ihn jetzt hier­her über­tra­gen, denn er erscheint ange­sichts der Tat­sa­che, dass die Buch­bran­che nach allen ande­ren die Digi­ta­li­sie­rung ent­deckt hat, in immer grö­ße­res »Mimi­mi« aus­bricht und offen­bar alle Feh­ler der Musik­in­dus­trie wie­der­ho­len möch­te, aktu­el­ler denn je. Aus­lö­ser war kon­kret aller­dings das Erschei­nen eines Arti­kels von Felix Mün­ter bei Teil­zeit­hel­den, bei dem mich allein der pole­mi­sche (und sach­lich fal­sche) Titel bereits schau­dern lässt. Mir hängt die­se Form der Dis­kus­si­on zum Hals raus, denn sie wur­de bereits erschöp­fend geführt und muss wahr­lich nicht erneut ange­fan­gen wer­den, nur weil Buch­bran­che und Autoren etli­che Jah­re nach allen ande­ren die Digi­ta­li­sie­rung ent­deckt haben.

Cory Doc­to­row ist ein kana­di­scher Sci­ence-Fic­tion-Schrift­stel­ler und Akti­vist in Sachen neue Medi­en, Inter­net, Copy­right-Libe­ra­li­sie­rung und Pri­vat­sphä­re. Am letz­ten Wochen­en­de habe ich sein Buch LITTLE BROTHER in Rekord­zeit gele­sen, nach­dem es mir von »fel­low neti­zens« bereits mehr­fach nach­drück­lich ans Herz gelegt wurde.

Das Beson­de­re an die­sem Buch: man kann es nicht nur über die ein­schlä­gi­gen Ver­triebs­ka­nä­le kau­fen, son­dern es auch ein­fach auf sei­ner Web­sei­te kos­ten­los in zahl­rei­chen For­ma­ten her­un­ter laden. Kos­ten­los. Ein­fach so. Legal. Unter einer Crea­ti­ve Com­mons-Lizenz. Trotz die­ser Tat­sa­che ver­kau­fen sich sei­ne Bücher wie geschnit­ten Brot.

Wie kann das sein? Ins­be­son­de­re ange­sichts des Dau­er­ge­jam­mers gewis­ser Ver­le­ger und Ver­la­ge, wie böse kos­ten­lo­se Ange­bo­te sind – sei­en sie nun semi­le­gal oder legal – und dass bei­de den Markt zerstören…

Im Vor­wort zu LITTLE BROTHER befin­det sich der fol­gen­de Text, den ich aus dem Eng­li­schen über­setzt habe, um ihn hier zu ver­öf­fent­li­chen, was ich auf­grund der CC-Lizenz pro­blem­los tun darf, wenn ich den Namen des Autoren nen­ne, auf sei­ne Web­sei­te hin­wei­se und kein Geld damit verdiene.

Cory Doctorow: THE COPYRIGHT THING – Das mit dem Copyright

Die Crea­ti­ve Com­mons-Lizenz am Anfang die­ser Datei hat Dich mög­li­cher­wei­se dar­auf auf­merk­sam gemacht, dass ich eini­ge recht unor­tho­do­xe Ansich­ten zum The­ma Copy­right habe.

Was ich dar­über den­ke, kurz gesagt: ein klei­nes biss­chen reicht völ­lig und mehr ist zuviel.

Ich lie­be die Tat­sa­che, dass das Urhe­ber­recht mir ermög­licht, mei­ne Rech­te an Ver­le­ger, Film­stu­di­os und ande­re ver­kau­fen zu kön­nen. Es ist wirk­lich pri­ma, dass sie den Kram nicht ein­fach ohne mei­ne Ein­wil­li­gung neh­men und damit reich wer­den kön­nen, ohne mir was abzu­ge­ben. Ich bin in einer ziem­lich guten Posi­ti­on, wenn es dar­um geht mit sol­chen Fir­men zu ver­han­deln: Ich habe einen groß­ar­ti­gen Agen­ten und ein Jahr­zehnt Erfah­rung mit Urhe­ber­rechts­ge­set­zen und Lizen­zie­rung (inklu­si­ve einer Dienst­pe­ri­ode als Dele­gier­ter bei der WIPO, der UN-Agen­tur wel­che die welt­wei­ten Copy­right-Abkom­men aus­ar­bei­tet). Dazu kommt, dass es nicht wirk­lich vie­le die­ser Ver­hand­lun­gen gibt – sogar wenn ich fünf­zig oder hun­dert ver­schie­de­ne Aus­ga­ben von LITTLE BROTHER ver­kau­fen wür­de (das wäre eine Ver­brei­tung von einem Mil­li­ons­tel eines Pro­zents, wenn man die gesam­te Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur betrach­tet), dann wären das gera­de mal hun­dert Ver­hand­lun­gen und die könn­te ich wohl gera­de hin bekommen.

Ich has­se die Tat­sa­che, dass Fans die das tun wol­len, was Leser schon immer getan haben, gezwun­gen sind in dem­sel­ben Sys­tem zu agie­ren wie die­se hoch­be­zahl­ten Agen­ten und Rechts­an­wäl­te. Es ist ein­fach nur Blöd­sinn, dass eine Grund­schul­klas­se bei einem Rechts­an­walt  eines gigan­ti­schen, welt­weit agie­ren­den Ver­lags anfra­gen muss, bevor sie eins mei­ner Bücher als Schau­spiel auf­füh­ren darf. Es ist völ­lig lächer­lich dar­auf zu bestehen, dass Leser, die einem Freund eine elek­tro­ni­sche Kopie mei­nes Buches aus­lei­hen möch­ten, dafür erst­mal eine Lizenz bean­tra­gen müs­sen. Bücher wer­den schon län­ger ver­lie­hen, als es Ver­le­ger auf Erden gibt und Ver­lei­hen ist eine groß­ar­ti­ge Sache.

Neu­lich sah ich Neil Gai­man bei einer Rede und jemand frag­te ihn was er davon hal­te, dass sei­ne Bücher auf Tausch­bör­sen oder anders­wo im Netz als »Pira­ten­ko­pien« ange­bo­ten wer­den. Er sag­te: »Jeder soll mal die Hand heben, der sei­nen Lieb­lings­au­tor kos­ten­los ent­deckt hat – ent­we­der weil Dir jemand ein Buch gelie­hen hat oder oder weil irgend jemand Dir das Buch geschenkt hat? Und jetzt heben die­je­ni­gen die Hand, die ihren Lieb­lings­au­toren ent­deckt haben, weil sie in einem Laden Geld auf die The­ke gewor­fen haben.« Die über­wie­gen­de Mehr­heit der Anwe­sen­den sag­ten, dass sie ihre Lieb­lings­au­toren kos­ten­frei, als Leih­ga­be oder als Geschenk ent­deckt hatten.
Bei mir ist das so: wenn es um mei­ne Lieb­lings­au­toren geht, ken­ne ich kei­ne Gren­zen: Ich kau­fe jedes Buch, dass sie jemals ver­öf­fent­licht haben (manch­mal kau­fe ich sogar zwei oder drei um sie an Freun­de wei­ter­zu­ge­ben, die das unbe­dingt lesen müs­sen). Ich bezah­le, um sie am Leben zu hal­ten. Ich kau­fe T‑Shirts mit ihren Buch­co­vern dar­auf. Ich bin für mein gan­zes Leben ein zah­len­der Kunde.
Neil mach­te wei­ter und sag­te, dass er ein Mit­glied des »Bun­des der Leser« sei, jener klei­nen Mino­ri­tät  auf der Welt, die des Ver­gnü­gens wegen lesen, die Bücher kau­fen, weil sie Bücher lie­ben. Eine Sache die er über jeden, der sei­ne Bücher ohne Erlaub­nis her­un­ter­lädt, defi­ni­tiv weiß ist, dass es sich um Leser han­delt, es han­delt sich um Leu­te, die Bücher lieben.

Es gibt Per­so­nen die erfor­schen die Ver­hal­tens­wei­sen von Musik­käu­fern und die haben etwas Selt­sa­mes ent­deckt: die größ­ten Musik­pi­ra­ten sind auch die­je­ni­gen, die am meis­ten Geld für Musik aus­ge­ben. Falls Du also die gan­ze Nacht Musik aus dem Netz lädst, dann ist die Chan­ce groß, dass Du einer der weni­gen übrig Geblie­be­nen bist, die tags­über in einen Musik­la­den (kann sich noch einer an die erin­nern?) gehen. Du gehst wahr­schein­lich am Wochen­en­de auf Kon­zer­te und eben­so wahr­schein­lich leihst Du Dir auch Musik in der Stadt­bü­che­rei. Und wenn Du als ein Mit­glied des Stam­mes der Musik­fans so rich­tig Feu­er und Flam­me bist, dann machst Du eine Men­ge Sachen, die mit Musik zu tun haben, vom Sin­gen unter der Dusche bis zum Kauf von Schwarz­markt-Vinyl-Boot­legs sel­te­ner ost­eu­ro­päi­scher Cover­ver­sio­nen dei­ner Lieblings-Death-Metal-Band.

Mit Büchern ist es das­sel­be. Ich habe in Buch­lä­den für neue und gebrauch­te Bücher und in Leih­bü­che­rei­en gear­bei­tet. Ich habe online auf Sei­ten für pira­ten­ko­pier­te-eBooks (»book­wa­rez«) her­um­ge­han­gen. Ich bin ein Gebraucht­buch­hand­lungs-Jun­kie und ich gehe zum Spaß auf Buch­mes­sen. Und wisst ihr was? An all die­sen Orten sind die­sel­ben Leu­te: Büch­er­fans, die so ziem­lich alles tun, was mit Büchern zu tun hat. Ich kau­fe in Chi­na abge­fah­re­ne, pott­häss­li­che Pira­ten­aus­ga­ben mei­ner Lieb­lings­bü­cher weil sie abge­fah­ren und pott­häss­lich sind und im Regal neben den acht oder neun ande­ren voll bezahl­ten Aus­ga­ben des­sel­ben Buches ziem­lich groß­ar­tig aus­se­hen. Ich lei­he mir Bücher in der Büche­rei, goog­le nach ihnen, wenn ich ein Zitat benö­ti­ge, schlep­pe dut­zen­de auf mei­nem Mobil­te­le­fon und hun­der­te auf mei­nem Lap­top mit mir her­um und habe (in dem Moment, da ich dies schrei­be) mehr als 10000 davon in Schrän­ken in Lon­don, Los Ange­les und Toronto.

Wenn ich mei­ne Bücher ver­lei­hen könn­te, ohne sie dafür aus der Hand zu geben, wür­de ich das tun. Die Tat­sa­che, dass ich das mit elek­tro­ni­schen Datei­en tun kann, ist kein Feh­ler son­dern ein Fea­ture und ein ver­dammt gutes Fea­ture noch dazu. Es ist befremd­lich zu sehen, dass alle die­se Schrift­stel­ler und Musi­ker und Künst­ler bekla­gen, dass die Kunst die­ses coo­le neue Fea­ture bekom­men hat: die Mög­lich­keit etwas zu tei­len, ohne es selbst zu ver­lie­ren. Das ist, als wür­de man einen Restau­rant­be­sit­zer beob­ach­ten, wie er sich das Hemd nass heult, weil die­se neue »Frei­es-Mit­tag­essen-Maschi­ne« die Ver­hun­gern­den in der Welt mit Nah­rung ver­sorgt, und er sein Geschäfts­mo­dell über­den­ken muss. Ja, das wird nicht ganz ein­fach wer­den, aber wir wol­len die Haupt­at­trak­ti­on mal nicht aus den Augen ver­lie­ren: Frei­es Mittagessen.

All­ge­mei­ner und uni­ver­sel­ler Zugang zum Wis­sen der Mensch­heit ist in unse­rer Reich­wei­te – zum ers­ten Mal in der Geschich­te der Mensch­heit. Das ist nichts Böses!

Falls Dir das alles noch nicht rei­chen soll­te, hier noch mei­ne Ansicht dazu, war­um es gera­de zu die­ser Zeit und an die­sem Ort Sinn macht, sei­ne Bücher zu verschenken:

Das Ver­schen­ken von eBooks gibt mir künst­le­ri­sche, mora­li­sche und finan­zi­el­le Befrie­di­gung. Die Fra­ge nach dem Kom­merz ist die­je­ni­ge, die am häu­figs­ten auf­taucht: wie kannst Du kos­ten­lo­se eBooks ver­schen­ken und trotz­dem Geld verdienen?

Für mich – für so ziem­lich jeden Schrift­stel­ler – ist nicht Pira­te­rie das Pro­blem, das Pro­blem ist unbe­kannt zu sein (dan­ke an Tim O’Reil­ly für die­sen groß­ar­ti­gen Apho­ris­mus). Von all den Leu­ten, die die­ses Buch heu­te nicht gekauft haben, haben die aller­meis­ten das des­we­gen nicht getan, weil sie noch nie davon gehört haben, nicht weil ich ihnen eine kos­ten­lo­se Kopie geschenkt habe. Mega­hit-Best­sel­ler im Bereich Sci­ence Fic­tion ver­kau­fen eine hal­be Mil­li­on Kopien – in einer Welt in der 175000 Leu­te am Comic Con in San Die­go teil­neh­men, muss man sich dar­über klar wer­den, dass der größ­te Teil der Leu­te, die »Sci­ence Fic­tion mögen« (und ähn­li­chen geeki­gen Kram wie Comics, Spie­le, Linux und so wei­ter) ein­fach kei­ne Bücher kau­fen. Ich bin deut­lich mehr dar­an inter­es­siert, mehr von die­sem grö­ße­ren Publi­kum in mein Zelt zu bekom­men, als sicher zu stel­len, dass jeder, der sich in dem Zelt befin­det auch eine Ein­tritts­kar­te gekauft hat, um dort sein zu dürfen.

eBooks sind Ver­ben, kei­ne Wor­te. Du kopierst sie, das ist ihre Natur. Und vie­le die­ser Kopien haben ein Ziel, eine Per­son für die sie gedacht sind, eine Hand zu Hand-Wei­ter­ga­be von einer Per­son an eine ande­re mit einer per­sön­li­chen Emp­feh­lung zwi­schen zwei Men­schen die sich so weit ver­trau­en, sol­che Din­ge mit­ein­an­der zu tei­len. Das ist eine Sache von der Autoren träu­men (soll­ten): das sprich­wört­li­che Besie­geln eines Han­dels per Hand­schlag. Dadurch, dass ich mei­ne Bücher zur Wei­ter­ga­be frei­ge­be, mache ich es den Lesern die die­se Bücher lie­ben sehr ein­fach, ande­ren dabei zu hel­fen, sie eben­falls zu lieben.

Wei­ter­hin: ich sehe eBooks nicht als Ersatz für Papier­bü­cher, zumin­dest nicht für den Groß­teil der Leser. Es ist nicht so, dass die Bild­schir­me nicht gut genug wären: wenn Du auch nur halb­wegs so bist wie ich, dann ver­bringst Du ohne­hin jede Stun­de die Du kannst vor dem Bild­schirm, um Tex­te zu lesen. Aber je mehr Ahnung Du von Com­pu­tern hast, des­to gerin­ger ist die Chan­ce, dass Du lan­ge Tex­te auf die­sen Bild­schir­men liest. Wir haben IM, wir haben Email und wir nut­zen den Brow­ser auf Mil­lio­nen ver­schie­de­ne Arten und Wei­sen. Wir haben Spie­le im Hin­ter­grund lau­fen und end­lo­se Mög­lich­kei­ten mit unse­ren Musik­samm­lun­gen her­um­zu­spie­len. Je mehr man mit dem Com­pu­ter macht, des­to grö­ßer ist die Wahr­schein­lich­keit, dass Du nach fünf bis sie­ben Minu­ten unter­bro­chen wirst, um was ande­res zu tun. Das führt dazu, dass ein Com­pu­ter sehr schlecht dafür geeig­net ist, lan­ge Tex­te zu lesen, es sei denn, Du hast die eiser­ne Selbst­dis­zi­plin eines Mönchs.

Die gute Nach­richt (für den Schrift­stel­ler) ist, dass eBooks auf Com­pu­tern sehr viel wahr­schein­li­cher eine Wer­be­maß­nah­me für ein gedruck­tes Buch sind (denn das ist schließ­lich bil­lig, ein­fach zu bekom­men und ein­fach zu benut­zen) als ein Ersatz. Man kann wahr­schein­lich genau so viel von dem Buch auf einem Bild­schirm lesen, um zu rea­li­sie­ren, dass man es auf Papier lesen möchte.

Des­we­gen ver­kau­fen eBooks Bücher. Jeder Autor den ich ken­ne, der mal aus­pro­biert hat, eBooks kos­ten­los als Wer­be­maß­nah­me abzu­ge­ben, hat es wie­der getan. Das ist der kom­mer­zi­el­le Grund für kos­ten­lo­se eBooks.

Und jetzt zum künst­le­ri­schen Grund: Wir haben das 21. Jahr­hun­dert. Din­ge zu kopie­ren wird nie­mals mehr schwie­ri­ger wer­den, als es heu­te ist (oder wenn doch, dann des­we­gen, weil unse­re Zivi­li­sa­ti­on zusam­men gebro­chen ist und an dem Punkt hät­ten wir ganz ande­re Pro­ble­me). Fest­plat­ten wer­den nicht mehr sper­ri­ger und Netz­wer­ke wer­den nicht mehr lang­sa­mer oder schwe­rer zu nut­zen sein. Wenn Du Kunst nicht mit der Inten­ti­on erschaffst, dass sie kopiert wird, dann erschaffst Du kei­ne Kunst für das 21. Jahr­hun­dert. Es hat natür­lich einen gewis­sen Charme, etwas zu erschaf­fen, das nicht kopiert wer­den soll, unge­fähr so als wür­dest Du in ein Muse­ums­dorf gehen und dort dem alter­tüm­li­chen Huf­schmied dabei zuse­hen, wie er einem Pferd in sei­ner tra­di­tio­nel­len Schmie­de ein Huf­ei­sen anlegt. Aber das ist – und das weißt Du – nicht mehr zeit­ge­mäß. Ich bin ein Sci­ence-Fic­tion-Autor. Es ist mein Job über die Zukunft zu schrei­ben (an einem guten Tag), oder wenigs­tens über die Gegen­wart. Kunst die nicht kopiert wer­den kann ist aus der Vergangenheit.

Und zum Abschluss wer­fen wir noch einen Blick auf die mora­li­sche Sei­te. Zeug zu kopie­ren ist völ­lig nor­mal. So ler­nen wir (wir kopie­ren unse­re Eltern und die Per­so­nen um uns her­um). Mei­ne ers­te Geschich­te habe ich mit sechs Jah­ren geschrie­ben, es war eine begeis­ter­te Nach­er­zäh­lung von STAR WARS, das ich gera­de im Kino gese­hen hat­te. Jetzt, da das Inter­net – die effi­zi­en­tes­te Kopier­ma­schi­ne der Welt – so ziem­lich über­all ist, wird unser Kopier­in­stinkt stär­ker und stär­ker wer­den. Es gibt abso­lut kei­nen Weg, mei­ne Leser dar­an zu hin­dern und wenn ich es ver­su­chen wür­de, wäre ich ein Heuch­ler: als ich 17 war, habe ich Mix­tapes zusam­men gestellt, Sto­ries foto­ko­piert und grund­sätz­lich so ziem­lich alles kopiert, das ich mir vor­stel­len konn­te. Wenn es das Inter­net damals schon gege­ben hät­te, dann hät­te ich es benutzt, um soviel zu kopie­ren wie nur irgend möglich.

Es gibt kei­nen Weg das zu stop­pen und die Leu­te die das ver­su­chen, rich­ten weit mehr Scha­den an, als Pira­te­rie es jemals tun könn­te. Der lächer­li­che hei­li­ge Krieg der Musik­in­dus­trie gegen die File­sha­rer (mehr als 20000 Musik­fans ver­klagt und wir zäh­len wei­ter!) ist ein Bei­spiel für die Absur­di­tät, ver­su­chen zu wol­len, die Wür­mer wie­der in die Dose zu bekom­men. Wenn die Wahl dar­in besteht, ent­we­der das Kopie­ren zuzu­las­sen oder zu einem wut­gei­fern­den Tyran­nen zu wer­den, der auf alles ein­schlägt, was er errei­chen kann, dann wäh­le ich Ersteres.

Cory Doc­to­row – The Copy­right Thing, geschrie­ben 2007
Die­se deut­sche Über­set­zung: Ste­fan Holz­hau­er April 2010

Nach­trag zur Neu­ver­öf­fent­li­chung des Tex­tes: Nein, es soll mir jetzt kei­ner damit kom­men, dass sich die Situa­ti­on seit 2007 grund­le­gend geän­dert hat, weil jetzt auf eRea­dern gele­sen wird, das ist näm­lich kom­plet­ter Blödsinn.


Cory Doc­to­row
gebo­ren am 17. Juli 1971, ist ein kana­di­scher Blog­ger, Jour­na­list und Sci­ence Fic­tion-Autor. Er ist einer der Autoren des Blogs Boing Boing. Er bezeich­net sich selbst als Akti­vis­ten in Sachen Libe­ra­li­sie­rung der Urhe­ber­rechts­ge­set­ze und ist ein Befür­wor­ter der Crea­ti­ve Com­mons-Orga­ni­sa­ti­on, deren Lizen­zen er auch für sei­ne Bücher nutzt. Die The­men sei­ner Wer­ke sind unter ande­rem digi­ta­les Rech­tema­nage­ment (Digi­tal Rights Manage­ment, DRM), file sharing, und »Post-Scarcity«-Ökonomie (also eine Öko­no­mie jen­seits der künst­li­chen und ver­teu­ern­den Ver­knap­pung von Gütern und Werken).

Links

Cory Doc­to­rows Web­sei­te craphound.com
Boing­Bo­ing
Cory Doc­to­row in der deut­schen Wikipedia
Cory Doc­to­row in der eng­li­schen Wiki­pe­dia (deut­lich ausführlicher)

Bild: von Jona­than Worth, aus der Wiki­pe­dia, CC BY-SA

Werke

Roma­ne

* 2003 Down and Out in the Magic King­dom, Tor Books, ver­öf­fent­licht unter einer Crea­ti­ve Com­mons License
o dt. Ausg. Back­up Hey­ne 2007, ISBN 3–453-52297–4
* 2004 Eas­tern Stan­dard Tri­be, Tor Books, ver­öf­fent­licht unter einer Crea­ti­ve Com­mons License
o dt. Ausg. Upload Hey­ne 2008, ISBN 978–3‑453–52413‑2
* 2005 Someo­ne Comes to Town, Someo­ne Lea­ves Town, Roman, Tor Books
* 2008 Litt­le Bro­ther, Tor Books, ver­öf­fent­licht unter einer Crea­ti­ve Com­mons License
o dt. Über­set­zung: Litt­le Bro­ther – Frei­heit ist etwas, das du dir neh­men musst.
+ div. E‑Book-For­ma­te der dt. Über­set­zung: Archive.org
+ Hör­buch: Down­load. (ZIP-Datei; 600 MB)
* 2009 Makers, Roman, Tor Books, ISBN 978–0765312792
* 2010 For the Win. Tor Books. ISBN 0–7653-2216–1.
* 2012 The Rap­tu­re of the Nerds. Tor Books. ISBN 0–765-32910–7. (mit Charles Stross)
* 2012 Pira­te Cine­ma. Tor Books. ISBN 0–7653-2908–5.
* 2013 Home­land. Tor Books. ISBN 978–0‑7653–3369‑8.

Kurz­ge­schich­ten­samm­lun­gen

* 2003 A Place So For­eign and Eight More, Four Walls Eight Windows
* 2007 Over­clo­cked: Sto­ries of the Future Pre­sent, Thunder’s Mouth Press, ISBN 1–56025-981–7
* 2008 Cory Doctorow’s Futu­ris­tic Tales of the Here and Now (eng­lisch). 6 Kurz­ge­schich­ten, ver­öf­fent­licht unter einer Crea­ti­ve Com­mons Licen­se. Comi­c­ad­ap­ti­on auf Ourmedia.

Kurz­ge­schich­te (Aus­wahl)

* 2005 i, robot, Hugo-nomi­nier­te Kurz­ge­schich­te, InfiniteMatrix.net,

Sach­bü­cher

* 2000 The Com­ple­te Idiot’s Gui­de to Publi­shing Sci­ence Fic­tion, Alpha Books
* 2003 Essen­ti­al Blog­ging, O’Reil­ly and Associates
* 2008 Con­tent: Selec­ted Essays on Tech­no­lo­gy, Crea­ti­vi­ty, Copy­right, and the Future of the Future, Tach­yon Publi­shing, ISBN 978–1892391810

Essays (Aus­wahl)

* 2004 Ebooks: Neit­her E Nor Books, San Diego
* 2005 Wiki­pe­dia: A Genui­ne H2G2-Minus the Edi­tors, in: Glenn Yef­feth (Hrsg.): The Antho­lo­gy at the End of the Uni­ver­se?, Ben­bel­la Books, ISBN 1–932100-56–3


Die­ser Arti­kel steht unter einer Crea­ti­ve Com­mons Lizenz:

Creative Commons License


»Das mit dem Copy­right« von Ste­fan Holz­hau­er steht unter einer Crea­ti­ve Com­mons Namens­nen­nung-Kei­ne kom­mer­zi­el­le Nut­zung-Wei­ter­ga­be unter glei­chen Bedin­gun­gen 3.0 Deutsch­land Lizenz.
Beruht auf einem Inhalt von Cory Doc­to­row auf craphound.com, eben­falls unter CC BY-NC-SA

AutorIn: Stefan Holzhauer

Meist harm­lo­ser Nerd mit natür­li­cher Affi­ni­tät zu Pixeln, Bytes, Buch­sta­ben und Zahn­rä­dern. Kon­su­miert zuviel SF und Fan­ta­sy und schreibt seit 1999 online darüber.

4 Kommentare for “Cory Doctorow: Das Ding mit dem Copyright”

sagt:

Dass Cory Doc­to­row Akti­vist in der EFF ist (und wäh­rend sei­ner Zeit in Lon­don deren Euro­pa-Koor­di­na­tor war) und Mit­be­grün­der der Open Rights Group dürf­te dann nicht wirk­lich überraschen.

Sein aktu­el­les Jugend­buch »Pira­te Cine­ma« behan­delt das The­ma sehr gut les­bar als Jugenbuch in einem Near-Future-Szenario.

sagt:

Unter der Prä­mis­se, durch das kos­ten­lo­se eBuch mehr Taschen­bü­cher zu ver­kau­fen, fin­de ich die Idee durch­aus ver­lo­ckend, nur fürch­te ich, dass ein kos­ten­pflich­ti­ges eBuch im Ama­zon-Shop noch immer eine höhe­re Reichweite/Sichtbarkeit als ein kos­ten­lo­ses eBuch auf mei­ner eige­nen Web­sei­te hat – oder täu­sche ich mich?

Vor allem wür­de mich inter­es­sie­ren, ob es Leu­te (in DE) gibt, die dies schon mal aus­pro­biert haben und über ihre Erfah­run­gen berich­ten können.

(Es gab da mal eine ziem­lich hef­ti­ge Dis­kus­si­on bei den Qin­die-Leu­ten: Ein paar von denen woll­ten mal Pira­ten­bör­sen »aus­pro­bie­ren«. Wür­de mich schon inter­es­sie­ren, was dar­aus gewor­den ist.)

Was mir dabei gera­de ein­fällt: Ein eBuch unter CC zu ver­öf­fent­li­chen bedeu­tet doch nicht unbe­dingt, dass ich dies kos­ten­los machen muss, oder?
Gera­te ich dann aber nicht mit der Buch­preis­bin­dung in Kon­flikt, wenn ich ein eBuch unter CC-Lizenz für 10 Euro bei Ama­zon rein­stel­le, die­ses Werk aber kos­ten­frei wei­ter­ver­brei­tet wer­den darf?

sagt:

Ein Buch unter CC nicht kos­ten­los zu machen, macht abso­lut kei­nen Sinn, weil es ja gera­de von jeder­mann unter der jewei­li­gen CC-Lizenz kos­ten­los wei­ter­ge­ge­ben wer­den kann. Es kann aber durch­aus – genau wie bei Doc­to­row – kos­ten­pflich­ti­ge und kos­ten­lo­se Ver­sio­nen neben­ein­an­der geben. Ich habe das Pro­blem mit der Buch­preis­bin­dung umgan­gen (sie­he wei­ter unten), indem sich die CC- und die Ama­zon-Ver­sio­nen der eBooks inhalt­lich von­ein­an­der unter­schei­den. Auf der ande­ren sei­te gibt es kein Gesetz, das mich dar­an hin­dern kann, mei­ne Bücher zu ver­schen­ken, das ist ja auch gera­de noch­mal rich­ter­lich im Zusam­men­hang mit der Dan Brown-Ver­schen­kak­ti­on von Ama­zon und Bas­tei Lueb­be fest­ge­stellt worden.

Ob das schon­mal jeman­dem »was gebracht hat« ist genau­so­we­nig in Zah­len zu mes­sen, wie der angeb­li­che Ver­lust durch Raub­ko­pie­rer. In Deutsch­land haben wir meh­re­re Pro­ble­me damit:

1. das Publi­kum ist men­gen­mä­ßig im Ver­gleich zum eng­lisch­spra­chi­gen Publi­kum viel zu klein
2. Lei­der ste­hen zu vie­le auf dem Stand­punkt »wat nix kost dat is nix«
oder
3. Haben das Prin­zip »Lies es und wenn es Dir gefällt kau­fe es oder spen­de was dafür« nicht ver­stan­den (»spen­de was« oder »zahl was Du willst« wer­den zudem durch die unsäg­li­che Buch­preis­bin­dung bei­na­he unmög­lich gemacht).

Genau­so wie noch nie­mand nach­wei­sen konn­te, dass ein Buch in einer Tausch­bör­se tat­säch­lich finan­zi­el­le Ein­bu­ßen bedeu­tet, kann man nach­wei­sen, dass das einen Wer­be­wert hat­te. Das funk­tio­niert bei Doc­to­row oder Pau­lo Coel­ho ein­fach des­we­gen so gut, weil sie eh bekannt sind.

Dar­um geht es aber nicht im Kern. Im Kern steht die Aus­sa­ge: Stell Dich nicht so an, der Scha­den ist weit­aus gerin­ger als Du oder ein ande­rer (Ver­lag) Dir ein­re­den möchte(st). Der Scha­den könn­te sogar gar nicht exis­tent sein, son­dern statt­des­sen eine Wer­bung. Des­we­gen ein­fach mit dem Heu­len und Zäh­ne­klap­pern auf­hö­ren, wenn man das eige­ne Buch in Tausch­bör­sen fin­det. Es ist näm­lich nicht bewie­sen, dass Du dadurch auch nur ein Buch weni­ger ver­kaufst. Es deu­tet aber alles dar­auf hin, dass man dadurch (Wer­be­ef­fekt, Mund zu Mund) even­tu­ell mehr ver­kau­fen könn­te. Denn – und dazu gibt es tat­säch­lich nach­voll­zieh­ba­re Sta­tis­ti­ken: Wie Doc­to­row sagt, sind die, die run­ter­la­den auch genau die, die viel Geld für Medi­en ausgeben.

Es muss sich in Deutsch­land aber erst­mal rum­spre­chen, dass es alter­na­ti­ve Erlös­mo­del­le zur bis­he­ri­gen künst­li­chen Ver­knap­pung geben wer­den muss, die den Urhe­ber direkt unter­stüt­zen. Solan­ge sich zu vie­le nur über ein kos­ten­lo­ses Buch unter CC-Lizenz freu­en, ohne das dann auch nach dem Lesen hono­rie­ren zu wol­len, bleibt es schwie­rig. Das ist aber ein Ent­wick­lungs­pro­zess und irgend­je­mand muss halt mal damit anfan­gen. Des­we­gen gibts die Bücher mei­nes Pro­jekts »Steam­punk-Chro­ni­ken« kos­ten­los unter CC-Lizenz, aber auch kos­ten­pflich­tig als eBook oder Print bei Ama­zon. Reich wird man damit nicht. Es deckt nicht mal die Kos­ten. Aber ich sag­te bereits: Man muss ein­fach mal damit anfan­gen, dass es Wege abseits des rein kom­mer­zi­ell und auf Gewinn­ma­xi­mie­rung aus­ge­rich­te­ten Den­kens der Ver­la­ge gibt.

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