Und die Tücken des Fortschritts setzen der Hoffnung immer und immer wieder zu. Wenn es keine Gesellschaft mehr gibt, welche die selbige aufrecht erhält, dann ist dieser Fortschritt wie einer der wandelnden Toten, die rastlos getrieben werden, aber am Ende doch einfach verwesen und zerfallen. Wenn sich die Toten erheben, bleibt der bestmögliche Ansatz auf Hilfe ganz sicher beim CDC. Er sei sehr dankbar, sagt Rick zu Jenner, dass dieser der kleinen Gruppe Einlass gewähre. »Der Tag wird kommen, an dem Sie es nicht mehr sind«, entgegnet Jenner.
TS-19 ist phänomenaler Brückenschlag zur ersten Episode, wenngleich weniger verstörend und eindringlich. Doch TS-19 bringt mit einem wortwörtlichen Knall diese viel zu kurz geratene erste Staffel zu einem Ende, wie man es erwartete, aber nicht erhoffte. Mit extrem geschickten und verdammt clever gesetzten Werbekampagnen hat sich THE WALKING DEAD schon von der ersten Folge an zu einem Phänomen mit großer Zuschauerpräsenz und treuer Fangemeinde erhoben. Und dieses Phänomen hat sich im Laufe der sechs Wochen nicht etwa relativiert, sondern gefestigt. Man hat von jener ersten Folge an erwartet, dass die Serie den Nagel auf den Kopf treffen würde. Der wahre Fan hatte allerdings gehofft, dass sie weniger spektakulär enden würde. Nur so ein bisschen weniger packend. Denn niemand, der die letzten sechs Wochen vor dem Fernseher zitterte, möchte nun elf Monate warten, bis man zurück in diese Welt entführt wird. Elf sehr lange Monate, die durch diese letzte Folge nicht einfacher gemacht werden, hat sie die Erwartungshaltung doch noch weiter nach oben geschraubt.
Dass Jenner, hervorragend und sehr eindringlich von Noah Emmerich verkörpert, der letzte Überlebende im CDC ist, wirft natürlich Fragen auf. Eine Frage, die ausgerechnet von Shane gestellt wird. »Was ist hier passiert?«, ist die Frage, welche die Folge bestimmt. Im Teaser haben wir erfahren, dass Shane während des Ausbruchs der Apokalypse tatsächlich versucht hat, den Koma-Patienten Rick aus dem Krankenhaus zu retten. Es schmerzt umso mehr, weil man als Zuschauer Shane stets schlechte Eigenschaften in Bezug auf Lori und seine Beziehung zu ihr unterstellt hat. Dass er in einer anderen Episode mit dem Gewehr auf Rick gezielt hat, wird mit einem Mal nicht akzeptabel, aber verständlich. Die Beziehung zu Lori wäre nicht auseinandergegangen, wäre Rick tatsächlich im Krankenhaus gestorben. Und dass Rick der Aufräum-Aktion des Militärs zum Opfer gefallen sein müsste, davon musste Shane einfach ausgehen.
Nun sitzt die kleine Gruppe im Schutz des undurchdringlichen Sicherheitsnetzes des CDC. Party-Laune in jener Institution, die dafür verantwortlich ist, dass Militärtrupps alle Krankenhäuser von vermeintlich Infizierten säuberten. Wobei das Wort säubern im Zusammenhang mit zerfetzten Schädeldecken etwas makaber wirken kann. Party-Laune in jener Institution, die dafür verantwortlich war, dass Shane seinen Kumpel und Kollegen Rick für tot halten musste. Die ausgelassene Stimmung bei etwas Essen, aber viel Wein, wird von Shanes Frage gekippt: »Was ist hier passiert?«
Nicht die Seuche hat das CDC geleert, sondern das Resultat der Seuche. Wissenschaftler, die mangels Erfolg bei der Bekämpfung der Epidemie einfach aufgaben, woanders Schutz suchten, sich das Leben nahmen oder den Verstand verloren. Jenner ist aus einem Versprechen heraus der letzte im CDC. Er kann den Neuankömmlingen anhand einer Computer-Tomographie zeigen, was im Kopf eines Infizierten passiert.
Allerdings fehlt ihm nach wie vor jede Erklärung dafür. Was also ist hier passiert? Man muss nicht lange rätseln, um darauf zu kommen, wen Doktor Jenner als Test-Subjekt Nummer 19 auf dem Tisch liegen hatte, als das CT aufgenommen und mit einem Kopfschuss beendet wurde.
In dieser verdrehten Weltordnung liegen Feiern und Frust eben ganz nah beieinander. Als die Gruppe ins CDC Einlass gewährt bekommt, meint Rick noch, dass sie hier sicher sind. Doch weiß man längst, dass dies nur zu einem gewissen Grad der Wirklichkeit entspricht. Denn es sind die Tücken des Fortschritts, die der Hoffnung immer und immer wieder zusetzen. Oder warum läuft das CDC noch, wo überall sonst die Welt zusammengebrochen ist? Und was passiert, wenn es nicht mehr laufen sollte? Fortschritt kann nur mit Aufwand betrieben werden. Welcher Aufwand ist notwendig, um das CDC am Leben zu erhalten? Einer, der nicht mehr geleistet werden kann.
Doch dem Verlangen der Gruppe, das CDC wieder verlassen zu wollen, muss widersprochen werden. Die Schleusen sind nun einmal versiegelt. In einem flammenden Appell muss Jenner seine nach Freiheit schreienden Gäste daran erinnern, wo sie sich befinden. »Ihr wisst, was dies für ein Ort ist. Wir beschützen die Öffentlichkeit vor wirklich üblem Zeug.« Die Zombie-Apokalypse ist sicherlich das schlimmste Ereignis in jüngster Vergangenheit, aber man kann sich dennoch vorstellen, was man unter dem anderen »üblen Zeug« zu verstehen hat. Und man kann sich vorstellen, was mit dem »üblen Zeug« passiert, sollten die Sicherheitsmechanismen nicht mehr greifen. Zum Beispiel bei einem Stromausfall könnte übles Zeug entweichen, das überhaupt nicht gut für die Umwelt ist.
In diesem Fall würden Aerosolbomben den Sauerstoffgehalt der Luft auf bis zu 3000 Grad erhitzen. Die Luft würde brennen und kein sonst wie gearteter Virus entweichen können, geschweige denn, dass überhaupt etwas überleben würde. »Dort draußen wartet ein kurzes, brutales Leben mit einem qualvollen Tod.« Jenner versucht, die Gruppe auf das Sterben vorzubereiten, es schmackhaft zu machen. Ein sehr schneller, schmerzloser Tod, wenn sich die Luft entzündet und das CDC in einem gigantischen Feuerball aufhört zu existieren. Das sind eben Sicherheitsmaßnahmen, die wirklich greifen, denn das Notstromaggregat läuft nur noch 30 Minuten.
In den nur scheinbar sicheren Wänden des CDC gönnt sich jeder der Neuankömmlinge erst einmal eine warme Dusche. Ein Privileg, das schon lange aufgeben werden musste. Damit schließt sich der Kreis zur ersten Episode, als Morgan und sein Sohn von Rick mit auf die Polizeistation genommen wurden, um dort den Luxus einer warmen Dusche zu genießen. Wenn die sozialen Strukturen auseinanderbrechen, dann bleibt eben als letzte Bastion der Normalität einfach nur eine staatliche Einrichtung.
Zumindest verfügen diese Einrichtungen über den größten Vorrat an Treibstoff für die Notstromaggregate. So einfach kann die Welt funktionieren. Und so einfach kann sie letztendlich dann auch auseinanderbrechen.
Die Macher haben, mit leicht zu verschmerzenden Ausnahmen, rundherum überzeugt. Mit dieser intensiv menschlichen und dramaturgisch packenden Folge haben sie die gesamte Staffel zu einer in sich geschlossenen Einheit verschmolzen. Sie haben offene Fragen beantwortet und dabei Wege für die düstere Zukunft aufgezeigt. Aber am wichtigsten war, ein funktionierendes Konzept stimmig zu Ende zu führen. Leider war Merle Dixon scheinbar doch nicht verantwortlich für die Zombie-Attacke aus Episode 4, reine Spekulation, die jetzt die Innereien auch nicht nach außen gestülpt hätte. Und dass Kameramann David Boyd doch noch so stark auf die verwackelten Bilder einer Schulterkamera setzte, die David Tattersall im Pilotfilm noch sehr erfolgreich zu vermeiden wusste, ist am Ende doch nur Kopf- und Haarspalterei.
»Ich bin sehr dankbar«, meint Rick noch am Anfang, und spricht damit im Namen seiner Gruppe. Es sind seine Leute geworden, seine Verantwortung.
Die Uniform zu tragen, ist kein eitles Gehabe, sondern es ist der letzte Versuch, die Normalität im Schatten der Widrigkeiten zu bewahren. Nicht die technischen Fortschritte, keine neuzeitliche Erfindungen, weder großer Spritvorrat noch Unmengen an Munition bewahren die letzten Menschen vor ihrem zu frühen Ende, sondern das Festhalten an Werten, die man in anderen Zeiten für überschätzt und sinnlos erachtet hatte. Ja, es wird der Tag kommen, an dem Rick nicht mehr dankbar sein wird. Denn diese 305 Minuten Exposition einer von Zombies verseuchten Welt hat dem Zuschauer schon zu oft gezeigt, dass wirklich alles möglich und niemand sicher ist. Rick Grimes wird irgendwann nicht mehr dankbar sein, weil seine Wertvorstellung es nicht zulassen kann, aufzugeben. Er wird daran verzweifeln, retten zu wollen, was vielleicht nicht zu retten ist. Diese 305 Minuten in sechs Episoden haben gezeigt, dass sich die Welt aber nur mit Menschen wie Deputy-Sheriff Rick Grimes weiterdrehen kann.
THE WALKING DEAD: TS-19
Darsteller: Andrew Lincoln, Jon Bernthal, Laurie Holden, Sarah Wayne Callies, Jeffrey DeMunn, Noah Emmerich, Steven Yeun, Melissa Suzanne McBride, Chandler Riggs, IroniE Singleton, Norman Reedus u.a.
Regie: Guy Ferland
Teleplay: Adam Fierro & Frank Darabont – nach den Comics von Robert Kirkman
Kamera: David Boyd
Originalmusik: Bear McCreary
Bildschnitt: Hunter M. Via
Produktionsdesign: Alex Hajdu
Special-Makeup-Effects & Consulting Producer: Grec Nicotero
USA 2010 – zirka 45 Minuten
AMC
Bildnachweis Promo-Fotos: TWD Productions / AMC, Fotos von Scott Garfield