Man kann es Pioniergeist nennen. Doch eigentlich ist es Wahnsinn. Der Westen will bezwungen werden, und dies war auch immer ein zentrales Thema im Western-Genre. Doch was der Mensch dafür auf sich nahm, die Strapazen, die Unsicherheit, die Gefahren, das hat alles auch etwas Wahnsinniges. Und genau das nutzt die Geschichte von THE HOMESMAN als zentrales Thema. Als der Roman 1988 erschien, erwarb Paul Newman umgehend die Rechte für seine nächste Regiearbeit. Und wer die Geschichte von HOMESMAN kennt, kann sich auch vorstellen, warum Newman das wollte. Aber es gab nie eine zufriedenstellende Adaption für ein Drehbuch. Und wer den jetzigen Film sieht, kann sich ebenfalls vorstellen warum. Tommy Lee Jones hat eine Adaption bald 25 Jahre später erneut in Angriff genommen und einen Western auf die Leinwand gebracht, der dem Genre tatsächlich noch einmal etwas ganz Neues abzuringen versteht.
Es ist ein harter, unerbittlicher Winter im Nebraska-Territorium. Eine kleine Gemeinde aus Siedlern verschiedener Nationalitäten muss schwer gegen die unwirkliche Witterung ankämpfen und dabei das eigene Leben sichern. Drei Frauen der Siedlerfamilien verlieren darüber den Verstand. Hier verkehrt sich der Pioniergeist in den Wahnsinn.
Mary Bee Cuddy ist eine junge, resolute Frau. Eigenständig, dominant und alleinstehend. Ihre großzügige Farm bewirtschaftet sie ohne Hilfe. Was Mary Bee im Herzen fehlt, ist ein Mann. Als der Gemeindepfarrer einen Ort ausfindig macht, wo die drei dem Wahnsinn verfallenen Frauen Heilung finden könnten, lehnen sogar deren Männer ab, die Verantwortung für die lange und sehr gefährliche Reise zu übernehmen. Letztendlich ist es Mary Bee, welche sich freiwillig meldet, um die Frauen nach Osten zu bringen. Nicht dass sie wirklich so selbstlos wäre, sondern Mary Bee fällt auf, dass dieses Siedlerleben in dieser unendlichen Ödnis und Einsamkeit auch an ihren Nerven zehrt. Zudem sie an diesem Ort nicht einmal einen Mann finden kann, wo mögliche Aspiranten ihre Heiratsangebote wegen ihrer direkten und selbstbewussten, aber auch herrischen Art unverhohlen ablehnen. Gerade als sie sich für die Reise vorbereitet, findet sie den Gauner George Briggs an einem Baum geknüpft, der nur deswegen nicht hängt, weil sein Gaul unter seinem Hintern sehr lange still gestanden hat. Mary Bee rettet George unter der Bedingung, dass er sie und die drei Frauen zum Schutz auf der fünfwöchigen Reise begleiten muss.
Während Rodrigo Prieto die Szenerie in wunderbar photographierten Bildern umsetzt, die jedem Western von John Ford zur Ehre gereichen würden, vermittelt Marco Beltramis Musik eine gegenläufige Atmosphäre. Die Faszination für die Ursprünglichkeit und Weite dieses Landes, wird zu einer unterschwelligen Bedrohung. Prieto bedient geschickt das Klischee, welches die Geschichte schließlich konterkariert. Tommy Lee Jones hat einen Western inszeniert, der genau diese Klischee kräftig gegen den Strich bürstet. Mag sich die Geschichte nach einer üblichen Heldenreise anhören, während derer sich zwei sehr unterschiedliche Charaktere durch die widrigen Umstände annähern, überrascht der Film schnell mit einer eigenen Atmosphäre. Sehr eigen. Denn die Handlung besticht mit äußerst düsteren und oftmals absurden Szenen. Der Wahnsinn hört tatsächlich nicht bei den drei Frauen auf. Der Trick des Films, ob von Tommy Lee Jones beabsichtigt oder unfreiwillig inszeniert, ist sein dramaturgischer Aufbau. Grundsätzlich ist die Handlung locker und unbeschwert umgesetzt. Und genau da schlagen dem Zuschauer die verstörenden Szenen umso härter in die Magengrube. Wer an Miranda Otto denkt, und wie sie als Theoline ihr Baby stillend durch den Schnee läuft, um es …, ja, das zeichnet tatsächlich ein ganz anderes Bild über den Pioniergeist. Dennoch macht die Inszenierung hier noch lange nicht halt.
Später wird noch James Spader auftauchen, der inmitten einer kargen Prärie Investoren für eine Stadt sucht. Eine Gruppe von marodierenden Pawnees lässt sich überaus leicht von einem Pferd ablenken. Oder der unerwartete Tanz um das Lagerfeuer. Teilweise wirken einzelnen Sequenzen so surreal, dass man sich als Zuschauer nur verblüfft in den Kinosessel werfen kann. Doch zu keinem Zeitpunkt wirkt es überzogen, oder gar falsch. Mary Bees Odyssee geht von Nebraska nach Iowa. Es dürfte also der erste, oder zumindest einer der ganz wenigen Western sein, wo die Reise von den westlichen Territorien zurück in den zivilisierte Osten geht. Mit jedem Aspekt ist THE HOMESMAN ein Western, den man in dieser Form, thematisch und inszenatorisch, noch nicht gesehen hat. Ob es dem Film von Tommy Lee Jones hilft, sei einmal dahin gestellt. Western ist längst kein Genre mehr, welches sich durch sich selbst beim Zuschauer rechtfertigt, sondern das eher skeptisch aufgenommen wird.
Trotzdem bleibt Tommy Lee Jones´ vierte Regiearbeit ein sehr einnehmender, wirklich überraschender Film, der sein Publikum überzeugen wird. Und die Schauspieler sind allesamt grandios. Manchmal hat es doch seine Vorteile, wenn sich Regisseure als Darsteller selbst inszenieren können. Ein sehr ungewöhnlicher Film, der gleichermaßen unterhält, aber auch zu tiefst bewegt.
THE HOMESMAN
Darsteller: Tommy Lee Jones, Hilary Swank, Hailee Steinfeld, Meryl Streep, Grace Gummer, Miranda Otto, Barry Corbin, William Fichtner, John Lithgow, James Spader u.a.
Regie: Tommy Lee Jones
Drehbuch: Tommy Lee Jones, ieran Fitzgerald, Wesley A. Oliver
Kamera: Rodrigo Prieto
Bildschnitt: Roberto Silvi
Musik: Marco Beltrami
Produktionsdesign: Merideth Boswell
122 Minuten
Frankreich-USA / 2014
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