DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT

Poster Entdeckung

THE THEORY OF EVERYTHING – Bun­des­start 25.12.2014

Amyo­tro­phe Late­ral­skle­ro­se ist eine dege­ne­ra­ti­ve Erkran­kung des moto­ri­schen Ner­ven­sys­tems, soweit die Wiki­pe­dia. Der Base­ball­spie­ler Lou Geh­rig war eines der bekann­tes­ten Opfer die­ser Krank­heit, wes­halb ALS in Ame­ri­ka auch ein­fach als Lou-Geh­rig-Syn­drom benannt ist. Auf die Welt gese­hen hin­ge­gen ist ein ande­rer Mann nicht nur das Sym­bol für ALS, son­dern auch das mensch­li­che Zei­chen, für die unbän­di­ge Kraft über­haupt mit Krank­hei­ten umzu­ge­hen. Bei Ste­phen Haw­king wur­de 1963 Amyo­tro­phe Late­ral­skle­ro­se dia­gnos­ti­ziert, mit einer Lebens­er­war­tung von zwei Jah­ren. Das wäre vor fünf­zig Jah­ren gewe­sen. Bei Haw­king kam wohl ein Cha­rak­ter­zug hin­zu, der im Unter­be­wuss­ten mit gehol­fen hat, die Krank­heit ledig­lich als bei­läu­fi­ges Pro­blem des Lebens bestehen zu las­sen. Und das ist sein aus­ge­bil­de­ter Starr­sinn. Die­ser wie­der­um ist in der Bio­gra­fie DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT weni­ger aus­ge­prägt. Die beginnt, als Ste­phen Haw­king 1963 in Cam­bridge Jane Wil­der ken­nen und lie­ben lernt. Zu die­ser Zeit zeig­ten sich schon ers­te Sym­pto­me von ALS. Jane glaubt an die­se Lie­be, auch wenn zu die­sem Zeit­punkt Ste­phens Lebens­er­war­tung nur noch zwei Jah­re betrug. Von ihrem zukünf­ti­gen Schwie­ger­va­ter wird sie gewarnt, dass dies kein Kampf wer­den wird, son­dern das War­ten auf das Unaus­weich­li­che. 1965 hei­ra­ten Jane und Ste­phen, das Jahr in dem er mit sei­ner Dok­tor­ar­beit beginnt. Drei Jah­re spä­ter kann er sich nur noch mit einem Roll­stuhl fortbewegen.

Es ist eine erstaun­li­ches Leben und es ist eine erstaun­li­che Lie­be. Über Jah­re muss­te Dreh­buch­au­tor Antho­ny McCar­ten auf Jane Haw­king ein­re­den, bis er das Recht für eine Adap­ti­on erhielt. Dass sich die Hand­lung dabei ein klein wenig mehr auf Jane ver­la­gert, tut dem Film sehr gut. Schließ­lich hat sie die Initia­ti­ve für die­se Bezie­hung über­nom­men, zudem kommt aus ihrer Sicht mehr das Zwi­schen­mensch­li­che zur Gel­tung, wäh­rend auf Ste­phens Sei­te sei­ne Arbeit im Vor­der­grund gestan­den hät­te. Wobei auf der ande­ren Sei­te sei­ne Arbei­ten im Bereich der theo­re­ti­schen Phy­sik bei schwar­zen Löchern und der Rela­ti­vi­täts­theo­rie dann doch eine Spur zu kurz kom­men, und immer nur ange­ris­sen wer­den. Es gibt eine Sze­ne in der Ste­phen Haw­king nicht mehr in der Lage ist, sich selbst­stän­dig einen Pull­over über den Kopf zu zie­hen und fest­hängt. Doch durch die Fasern kann er das Kamin­feu­er sehen, wor­auf­hin ihn die Inspi­ra­ti­on für eine Theo­rie über­fällt. Es hät­te durch­aus mehr sol­cher Sze­nen ver­tra­gen, die auch tie­fer in die Gedan­ken­welt des bril­lan­ten Geis­tes bli­cken lassen.

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Hin­ge­gen gibt es in der eigent­li­chen Bezie­hung von Jane und Ste­phen kei­ne Unstim­mig­kei­ten. Die Che­mie zwi­schen Feli­ci­ty Jones und Eddie Red­may­ne ent­wi­ckelt gera­de in den schwe­rer wer­den­den Pha­sen im Ver­lauf sei­nes Gesund­heits­zu­stan­des eine unglaub­li­che Span­nung. Regis­seur James Marsh lässt dabei sei­ne Akteu­re kaum reden. Er insze­niert das Wesent­li­che einer Sze­ne über Bild und Spiel. Des öfte­ren kann man Jones, sprich Jane dabei beob­ach­ten, wie nahe sie der Ver­zweif­lung ist. Nach locke­ren, unge­trüb­ten fünf­und­vier­zig Minu­ten hat der All­tag die Fami­lie Haw­king ein­ge­holt – soweit man in die­ser Situa­ti­on von einem All­tag spre­chen kann. Aber so weit mög­lich ver­zich­tet der Film auf dra­ma­tur­gi­sche Stan­dards. Para­de­bei­spiel ist die, als Jane ihren Mann wort­los mit einem Roll­stuhl kon­fron­tiert. Eigent­lich idea­ler Aus­gangs­punkt für alle mög­li­chen Kon­flik­te, doch auch hier nutzt Marsh die Situa­ti­on über­ra­schend anders. In die­ser Sze­ne wird deut­lich, wie Ste­phen für sich mit sei­ner Krank­heit umgeht, indem er sie ein­fach akzep­tiert, aller­dings ohne sich ihr zu ergeben.

Eddie Red­may­ne ist dabei ein fast schon erschre­cken­des Abbild des berühm­tes­ten Phy­si­kers unse­rer Zeit gelun­gen. Nach eige­nen Aus­sa­gen ver­brach­te er Mona­te mit eine Tanz­leh­rer, um sei­nen Kör­per bes­ser zu kon­trol­lie­ren, und stand unzähl­ba­re Stun­den vor einem Spie­gel, um sei­ne dem Krank­heits­ver­lauf ange­mes­se­ne Kör­per­hal­tung zu trai­nie­ren. Und das Ergeb­nis ist über­wäl­ti­gend. Doch viel impo­nie­ren­der ist Red­may­nes Spiel vor den kör­per­li­chen Ein­schrän­kun­gen durch ALS. Der Zuschau­er bekommt tat­säch­lich einen lau­fen­den, sprin­gen­den, lachen­den Mann zu sehen, den man eigent­lich nur in einem Roll­stuhl kennt, wo er fast bewe­gungs­los ver­har­ren muss. Aber Red­may­ne macht nicht ein­fach nur den Ein­druck eines jun­gen Ste­phen Haw­king, son­dern er wird zu die­ser rea­len Figur.

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Doch neben dem beein­dru­cken­den Spiel und der sen­si­blen Regie, muss ein tech­nisch-künst­le­ri­scher Bereich beson­ders her­vor­ge­ho­ben wer­den, und das ist die Make­up-Abtei­lung um Ani­ta Bur­ger, Kris­tyan Mal­lett, oder Jan Sewell. Sel­ten hat ein Film mit altern­den Cha­rak­te­re über­zeu­gen­der und rea­lis­ti­scher aus­ge­se­hen. Nicht allein Red­may­nes lang­sam defor­mie­ren­de Gesichts­zü­ge, die mit pro­sthe­ti­schen Mit­teln unter­stützt wur­den, son­dern beson­ders der Alte­rungs­pro­zess der über meh­re­re Jahr­zehn­te erzähl­ten Geschich­te. Es ist ein beein­dru­cken­der Anblick, wie man die drei­ßig­jäh­ri­ge Feli­ci­ty Jones von einer jugend­lich Zwan­zig­jäh­ri­gen, so glaub­haft zu einer über fünf­zig­jäh­ri­gen Frau altern ließ. Die­se Abtei­lung hat an allen Dar­stel­lern gezeigt was für eine hohe Kunst Make­up wirk­lich sein kann.

Wäh­rend James Marshs Insze­nie­rung und Timing wirk­lich stim­mig sind, hät­te die Hand­lung mehr Rei­bungs­punk­te ver­tra­gen. Auch wenn nach der Pre­miè­re Ste­phen Haw­king Trä­nen in den Augen gehabt haben soll, weil alles so war, wie es die Lein­wand gezeigt hat­te, merkt man Zuge­ständ­nis­se an die rea­len noch leben­den Per­so­nen. Jane und Ste­phen Haw­king haben selbst die Dreh­ar­bei­ten unter­stützt, und so lag es offen­sicht­lich sehr nahe, dass man denn Umstän­den der Geschich­te ent­spre­chend, immer wie­der auf­kom­men­des Kon­flikt­po­ten­ti­al zuguns­ten der jewei­li­gen Figur abmil­der­te. Selbst­ver­ständ­lich muss aus dra­ma­tur­gi­schen Grün­den, eine Film-Adap­ti­on gewis­se Abläu­fe ver­än­dern, oder sogar ein­mal in einen ande­ren Kon­text set­zen. So ver­lie­fen man­che Streit­ge­sprä­che in Wirk­lich­keit weni­ger har­mo­nisch. Oder die Figur des Bri­an zum Bei­spiel ist eine Zusam­men­fas­sung ver­schie­de­ner Cha­rak­te­re. Das muss alles legi­tim blei­ben, und wer sich noch immer dar­über beschwert, ist ein Narr. DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT ist und bleibt ein sehr beein­dru­cken­der, und vor allem berüh­ren­der Film, der vor allem dadurch zu Her­zen geht, weil er sich ehr­lich zeigt, ohne abge­nutz­te Sen­ti­men­ta­li­tä­ten zu bemü­hen. Auch wenn an Ecken und Kan­ten eini­ges ganz offen­sicht­lich abge­run­det wur­de. Es bleibt ein stim­mi­ges, greif­ba­res Por­trait zwei­er beein­dru­cken­der Men­schen, die ihren Weg der Lie­be wegen gegan­gen sind.

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DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT – THE THEORY OF EVERYTHING
Dar­stel­ler: Eddie Red­may­ne, Feli­ci­ty Jones, Har­ry Lloyd, Ali­ce Orr-Ewing, David Thwe­lis, Emi­ly Wat­son, Maxi­ne Pea­ke, Char­lie Cox, Simon McCur­ney u.a.
Regie: James Marsh
Dreh­buch: Antho­ny McCar­ten, nach Jane Haw­kings Buch
Kame­ra: Benoît Delhomme
Bild­schnitt: Jinx Godfrey
Musik: Jóhann Jóhannsson
Pro­duk­ti­ons­de­sign: John Paul Kelly
123 Minuten
Groß­bri­tan­ni­en – Frank­reich 2014

Pro­mo­fo­tos Copy­right Uni­ver­sal Pic­tures International

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11 Kommentare zu „DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT“

  1. Sehr geehr­te Anette,
    ich gebe dir inso­fern Recht, dass in dem von dir bemän­gel­ten Satz ein ‘viel­leicht’ bes­ser gewe­sen wäre. Ich weiß von einem Freund, der Jane Haw­kings Bio­gra­fie gele­sen hat, dass die­ser Starr­sinn wirk­lich sehr aus­ge­prägt war, oder noch ist.
    Vor einem schnel­len Tod hat ihn das sicher­lich nicht geret­tet, und erst spä­ter kam man zu der Über­zeu­gung, das der Mann unter einer juve­ni­len ALS lei­det. Also weit weni­ger aggressiv.
    Gewagt fin­de ich die Aus­sa­ge eigent­lich nicht, weil ich schon von vie­len Krank­heits­fäl­len hör­te, die wirk­lich durch Wil­lens­kraft besiegt wur­den. Bei Ron Wood­ruf wur­de 1986 HIV+ fest­ge­stellt, mit einer Lebens­er­war­tung von 30 Tagen. Fan­tas­tisch gespielt von Matthew McCo­n­aug­hey in DALLAS BUYERS CLUB. Auch Wood­ruf woll­te das ein­fach nicht akzep­tie­ren, und leb­te noch vie­le Jah­re. Und gera­de ein bril­lan­ter Geist wie Ste­phen Haw­king, Genie und Wahn­sinn leben ja immer sehr eng zusam­men, wäre durch­aus vor­stell­bar, dass dies einen Ein­fluss neh­men kann. Kann! Ich möch­te nicht behaup­ten, dass es wirk­lich so ist.
    Und ich wie­der­ho­le mich: Fünf­zig Jah­re hat die­ser Mann bereits sei­nem pro­gnos­ti­zier­ten Tod abge­run­gen. Das fin­de ich extrem beeindruckend.

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  4. Ich fin­de den Film auch klas­se. Habe bis jetzt lei­der erst zwei mal gese­hen, aber wer­de ihn mir bestimmt bald mal wie­der anschau­en. Ich fin­de den Film toll für Zwei­sam­keit am Abend auf dem Sofa. :-)

    Gruß,
    Tilli

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