THE ARTIST blamiert amerikanische Studios

Anmer­kung des Her­aus­ge­bers: Nein, THE ARTIST ist kei­ne Phan­tas­tik, auch nicht im wei­tes­ten Sin­ne. Ich habe mich aber den­noch ent­schie­den, Ban­dits Bespre­chung des Films auch hier auf Phan­ta­News zu ver­öf­fent­li­chen. War­um? Der ers­te Grund steht schon auf der Sei­te Mis­si­on: der Fokus ist hier unscharf, es wird auch über inter­es­san­te Pro­jek­te am Ran­de oder abseits der Phan­tas­tik berich­tet. Der zwei­te Grund: ich fin­de es per­sön­lich ganz groß­ar­tig, dass sich in der heu­ti­gen Zeit mit ihrem Spe­cial-Effects-Over­kill in Mul­ti­mil­lio­nen-Dol­lar-Block­bus­ter-Pro­duk­tio­nen jemand traut, in einem schwarz (!) – wei­ßen (!) Stumm­film (!!), des­sen Pro­duk­ti­ons­kos­ten gera­de mal knapp im zwei­stel­li­gen Bereich lie­gen, ganz ein­fach nur eine Geschich­te zu erzäh­len. Man könn­te sogar sagen: ich fin­de es phan­tas­tisch!

Die Begeis­te­rung für THE ARTIST kennt kei­ne Gren­zen. Kei­ne Preis­ver­lei­hung, die ohne die­ses strah­len­de Juwel in schwarz-weiß aus­kom­men könn­te. Ein Film, der auf­hor­chen lässt, der bewegt, der die Mög­lich­kei­ten des moder­nen Kinos aus­zu­rei­zen ver­steht, um die Ver­gan­gen­heit begreif­bar zu machen. Und wer THE ARTIST gese­hen hat, ver­fällt sei­nem Charme, ist hin­ge­ris­sen von sei­ner Kon­se­quenz und zeigt sich begeis­tert vom Spiel mit den Tech­ni­ken der fil­mi­schen Erzähl­kunst. Doch wenn­gleich THE ARTIST auch kei­ne Mogel­pa­ckung ist, soll­te er auch nicht als das Meis­ter­werk miss­ver­stan­den wer­den, wel­ches man ihm als Attri­but anhef­ten möch­te.

Begin­nend im Jah­re 1927, als der Stumm­film noch gran­dio­se Urstän­de fei­er­te, und endend 1932, als der Ton­film sich als all­be­herr­schend eta­bliert hat­te, zeich­net Michel Haz­ana­vici­us mit sei­nem Film die Wer­te der Film­kunst als sol­che nach. Er ver­deut­licht aber nicht die Not­wen­dig­keit des immer­wäh­ren­den Pro­zes­ses der Ver­än­de­rung, obwohl dies offen­sicht­lich in sei­ner Absicht lag. Die Klam­mer des Films ist jeweils eine Step-Num­mer, anfangs ohne die ver­trau­ten Klän­ge, am Ende in bes­ter THAT´S ENTER­TAIN­MENT-Manier. Wäh­rend das Für und Wider des Ton­films auf der Hand zu lie­gen scheint, sind bei­de Sze­nen ein­fach zu per­fekt als Hom­mage an die jewei­li­ge nur weni­ge Mona­te aus­ein­an­der­lie­gen­de Zeit ange­passt, dass jede in ihrem eige­nen Charme gerecht­fer­tigt bleibt. Eine greif­ba­re Dif­fe­ren­zie­rung war viel­leicht erdacht, fin­det aber doch nicht statt.

Wenn man von ganz gro­ßem Kino spricht, dann spricht man meis­tens auch von ganz gro­ßem Auf­wand, der sich in Aus­stat­tung und Design auch auf der visu­el­len Ebe­ne mani­fes­tiert. Und was THE ARTIST auf die Lein­wand ablässt, ist ganz gro­ßes Kino. Mit nur umge­rech­net 15 Mil­lio­nen Dol­lar ist das Zeit­ko­lo­rit nahe­zu per­fekt. Dass die Fas­sa­den der gezeig­ten Pre­mie­ren­ki­nos, wie zum Bei­spiel der des heu­te noch exis­tie­ren­den La Rei­na Thea­ters, nicht dem his­to­ri­schen Ori­gi­nal ent­spre­chen, inter­es­siert nur klein­ka­rier­te Frei­geis­ter wie den Autor die­ser Zei­len. Doch ob Kos­tüm­or­gi­en in voll besetz­ten Kinos, gan­ze inner­städ­ti­sche Stra­ßen­zü­ge mit zeit­ge­nös­si­schen Auto­mo­bi­len oder schwel­ge­ri­scher Popanz mit zeit­lich kor­rek­ten Innen­de­kors – man darf es schon wagen, von einer opti­schen Orgie zu spre­chen, was Aus­stat­tung, Desi­gner und Kos­tüm­bild­ner geleis­tet haben. Von Beschei­den­heit kann da nicht die Rede sein, son­dern eher von Qua­li­tät und Quan­ti­tät eines opu­len­ten Kos­tüm­schin­kens. Die welt­be­stim­men­den Stu­di­os soll­ten bei den Fran­zo­sen in die Schu­le gehen, was mit 15 Mil­lio­nen Dol­lar nicht nur mach­bar ist, son­dern auch nach sehr, sehr viel mehr aus­sieht.

Mit Jean Dujar­din hat Haz­ana­vici­us einen gran­dio­sen Cha­rak­ter­kopf an die Spit­ze gestellt, der mit sei­ner opti­schen Mischung von Fair­banks und Gab­le den per­fek­ten Stumm­film-Star gibt. Auch Béré­nice Bejo als auf­stei­gen­der Ton­film-Star Pep­py Mil­ler ver­steht es, den not­wen­di­gen Charme, die­ses kecke Selbst­be­wusst­sein und die ver­schmitz­te Frech­heit zu zei­gen, die Stars die­ser Ära von sich gaben. Ihre offen­sicht­lich süd­ame­ri­ka­ni­schen Gesichts­zü­ge ver­weh­ren dem Zuschau­er die­ses wei­che und zart anmu­ten­de Etwas, wel­ches Mary Pick­ford nach oben brach­te und Hol­ly­wood die Gar­bo nach Ame­ri­ka holen ließ.

Was THE ARTIST nicht ist, ist ein zele­brier­tes Weh­kla­gen über die gute, alte Zeit. Es ist ein Spiel mit den Mit­teln, mit den For­ma­ten, aber auch mit der Geschich­te. Wenn auch in schwarz-weiß und ohne hör­ba­ren Dia­log, arbei­tet er ganz raf­fi­niert mit den Ton­ebe­nen. Der Film spielt nicht in sei­ner in sich geschlos­se­nen Welt, son­dern ver­lässt immer wie­der sei­nen Über­bau, wenn er zum Bei­spiel sei­ne Haupt­fi­gur ledig­lich in einem Alp­traum Töne hören lässt. Die Figu­ren agie­ren nicht nur in einem Stumm­film, ihre Welt ist es tat­säch­lich, bis sie den Wan­del der Zeit begrei­fen und die­sen akzep­tie­ren. Nur der größ­te Stumm­film-Star aller Zei­ten nicht. Indem sich Geor­ge Valen­tin als Haupt­dar­stel­ler des wirk­li­chen Films dem Fort­schritt ver­wei­gert, blei­ben dem Zuschau­er von THE ARTIST auch die Dia­lo­ge ver­wehrt. Bis die Din­ge knapp in einer Kata­stro­phe enden. Der Ton­film war eben nicht auf­zu­hal­ten. Nur die deut­sche Syn­chro­ni­sa­ti­on hat es tat­säch­lich wie­der ein­mal in ihrer dumm­dreis­ten Arro­ganz geschafft, die alles erklä­ren­de Iro­nie in der Geschich­te aus dem abschlie­ßen­den Satz des Films weg­zu­syn­chro­ni­sie­ren.

Nicht nur, dass die Erzähl­struk­tur mit der für Fil­me her­kömm­li­chen Wei­se bricht, auch Kame­ra­mann Guil­laume Schiff­man tat sehr gut dar­an, sich nicht strikt an die opti­sche Bild­ge­stal­tung und den sze­ni­schen Auf­bau der dama­li­gen Tage zu hal­ten. Er arbei­te­te kon­form zum moder­nen Kino genau­so mit Unschär­fen, Nah­ein­stel­lun­gen, Hand­ka­me­ra oder lan­gen Fahr­ten. Nur ver­steht er es dabei eben­so wie der eigent­li­che Auf­bau des Films selbst, die Mus­ter und Tech­ni­ken von damals erst aus­zu­rei­zen, um sie schließ­lich kom­plett auf­zu­bre­chen. Denn die Ent­wick­lung des Kinos war und ist nach wie vor ein flie­ßen­der Pro­zess, der sich nicht nur ein­fach von stumm auf Ton oder von Schwarz-weiß auf Far­be fest machen lässt.

Genau das zele­briert Michel Haz­ana­vici­us mit THE ARTIST. Es ist nicht der Hang zum Alten, son­dern dass auch krea­ti­ve Pro­zes­se mit einer fort­schritt­li­chen Ent­wick­lung ein­her­ge­hen. Er for­dert auf, das Neue nicht ein­fach nur zu akzep­tie­ren, son­dern sich damit aus­ein­an­der­zu­set­zen. Wer immer THE ARTIST mit dem Attri­but Meis­ter­werk schmü­cken möch­te, kann dies ruhig tun. Er ist wit­zig, char­mant, dra­ma­tisch und auch span­nend. Er ist ein Film, der einen akzep­tie­ren lässt, was man aus dem moder­nen Kino nicht mehr gewohnt ist. Und dies nicht nur für Cine­as­ten oder Film­his­to­ri­ker. Aber das Meis­ter­werk ist letzt­end­lich nur ein Expe­ri­ment. Ein Expe­ri­ment, das funk­tio­niert hat.

Es ist ganz gro­ßes Kino, wel­ches funk­tio­niert, weil alle künst­le­ri­schen und tech­ni­schen Kom­po­nen­ten sehr genau kal­ku­liert auf­ein­an­der abge­stimmt sind. Weil alle künst­le­ri­schen und tech­ni­schen Arbei­ter sich ihrer Lie­be zum Kino durch­aus bewusst waren. Kino ist kein Pony­hof. Und jeder, der an THE ARTIST mit­ge­ar­bei­tet hat, fand ganz offen­sicht­lich genau dar­an sei­ne Freu­de. Es ist ein Spiel mit Kon­ven­tio­nen und dem Bre­chen die­ser Kon­ven­tio­nen. Das macht aus THE ARTIST die­sen ganz beson­de­ren Film, der so nicht noch ein­mal mög­lich wäre. Meis­ter­werk hin oder her.

THE ARTIST
Dar­stel­ler: Jean Dujar­din, Bere­nice Bejo, Uggie, Dash, Dude, John Good­man, James Crom­well, Pene­lo­pe Ann Mil­ler, Mis­si Pyle u.v.a.
Regie & Dreh­buch: Michel Haz­ana­vici­us
Kame­ra: Guil­laume Schiff­man
Bild­schnitt: Anne-Sophie Bion, Michel Haz­ana­vici­us
Musik: Ludo­vic Bour­ce
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Lau­rence Ben­nett
Set-Ent­wurf: Adam Mull
Aus­stat­tung: Aus­tin Buch­in­sky, Robert Gould
Kos­tü­me: Mark Bridges
zir­ka 100 Minu­ten
Frank­reich 2011

 

Bild­quel­le: Del­phi Film­ver­leih Pro­duk­ti­on

1 Kommentar zu „THE ARTIST blamiert amerikanische Studios“

  1. »An­mer­kung des Her­aus­ge­bers: Nein, THE AR­TIST ist kei­ne Phan­tas­tik, auch nicht im wei­tes­ten Sin­ne. «

    Dem könn­te man even­tu­ell sogar wider­spre­chen, denn der Film durch­bricht schon immer wie­der die Gren­zen sei­ner eige­nen Welt, gibt sich bewußt über sei­ne Zuschau­er, und mischt mun­ter den Gebrauch der Ton­ebe­nen. So ganz ohne ist er also nicht, sonst hät­te er auch nicht funk­tio­niert.

    Aber beim zwei­ten Grund dei­ner Anmer­kun­gen, stim­me ich mal ohne zu meckern voll und ganz zu.

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