Gestern erschien auf Telepolis ein Artikel unter dem Titel SCIENCE FICTION AM ENDE? von Michael Szameit, in dem er sich – nur leicht vereinfacht ausgedrückt – darüber auslässt, dass so ziemlich alles, was heute im Bereich SF auf den Markt kommt doch letztendlich nur US-Military-Mist ist und der aktuellen Science Fiction die Visionen fehlen. Bereits gestern bemängelte ich an anderer Stelle, dass der Rant leider weder inhaltlich begründet daher kommt, noch sonderlich fachlichen Hintergrund aufweisen kann. Denn: der Autor kennt offensichtlich zahllose Veröffentlichungen der letzten Jahre in gedruckter und gedrehter Form nicht, sonst würde er nicht zu seinem Fazit kommen – er könnte es gar nicht. Nach nochmaligem Lesen erscheint es mir auch deutlich so, als solle hier um des Meckerns Willen gemeckert werden und mir fallen spontan zwei Sätze zum Artikel ein: »früher war alles besser!« und »ich habe eine Meinung, komm´ mir nicht mit Fakten!«.
Nachfolgend nur mal eine Auswahl – völlig subjektiv und ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit – von SF-Büchern, die in diesem Jahr in Großbritannien und den Vereinigten Staaten erscheinen werden.
Wenn Szameit dabei seine »neuen Ideen« und »Gedankenexperimente« nicht findet, ist ihm möglicherweise nicht mehr zu helfen … ;o)
Ich liste hier die Beschreibungs- bzw. Klappentexte (soweit vorhanden) und übersetze sie .
Bereits im Januar erschien als erster Band der LUNAR CHRONICLES Marissa Meyers CINDER:A forbidden romance. A deadly plague. Earth’s fate hinges on one girl … CINDER, a gifted mechanic in New Beijing, is also a cyborg. She’s reviled by her stepmother and blamed for her stepsister’s sudden illness. But when her life becomes entwined with the handsome Prince Kai’s, she finds herself at the centre of a violent struggle between the desires of an evil queen – and a dangerous temptation. Cinder is caught between duty and freedom, loyalty and betrayal. Now she must uncover secrets about her mysterious past in order to protect Earth’s future. This is not the fairytale you remember. But it’s one you won’t forget.
Eine verbotene Romanze. Eine tödliche Epidemie. Das Schicksal der Erde hängt an einem Mädchen … CINDER ist eine talentierte Mechanikerin in New Beijing – und ein Cyborg. Ihre Stiefmutter schmäht sie und gibt ihr die Verantwortung für die plötzliche Krankheit ihrer Stiefschwester. Doch als ihr Leben mit dem von Prinz Kai verbunden wird, findet sie sich im Zentrum eines gewalttätigen Machtkampfes zwischen dem Willen einer bösen Königin – un einer gefährlichen Versuchung. Cinder wird gefangen zwischen Pflicht und Freiheit, Loyalität und Betrug. Sie muss nun die Geheimnisse ihrer im Dunkeln liegenden Vergangenheit entschlüsseln, um die Zukunft der Erde zu schützen. Das hier ist nicht das Märchen, an das Du Dich erinnerst. Aber es ist eins, das Du nicht vergessen wirst.
Anmerkung: Cinderella als Cyborg in einer SF-Geschichte? Wie geil ist das denn?
Februar:
Walter John Williams: THE FOURTH WALL
Um THE FOURTH WALL zu betrachten sollten wir zuerst einen Blick auf den ersten Band DEEP STATE (Januar 2011) werfen:Dagmar Shaw is one of the world’s hottest designers of alternate reality games. She is the Puppetmaster and thousands of gamers are dancing on her strings. But when the campaign she is running in Turkey comes into conflict with the new, brutal régime, she realises that games can have very real consequences. When an old friend approaches Dagmar with a project so insane, so ambitious, she can’t possibly say no, she is plunged into a world of spies and soldiers. A nation hangs in the balance and in a world of intrigue and betrayal, the master player must face the possibility that she has, herself, been played. Dagmar is the Puppetmaster, but when the bullets are real and her ‘puppets’ start dying, is any cause worth it?
Dagmar Shaw ist eine der heißesten Designer von Alternate Reality Games der Welt. Sie ist der Puppenspieler und tausende von Gamern hängen an ihren Fäden. Doch als sie eine Kampagne in der Türkei sie in einen Konflikt mit dem brutalen neuen Régime bringt, muss sie erkennen, dass Spiele sehr reale Konsequenzen haben können. Als ein alter Freund sie mit einem derart verrückten und ambitionierten Projekt an sie heran tritt, dass sie nicht nein sagen kann, wird sie in eine Welt voller Spione und Soldaten geworfen. Eine Nation steht vor dem Abgrund und die Puppenspielerin muss erkennen, dass man mit ihr gespielt hat. Dagmar ist die Puppenspielerin, aber wenn die Kugeln echt sind und ihre »Puppen« zu sterben beginnen – kann irgendein Grund das wert sein?
Der Nachfolgeband ist THE FOURTH WALLDagmar Shaw got out of the game …and into the movies. Sean is a washed-up child actor reduced to the lowest dregs of reality television to keep himself afloat. His life was a downward spiral of alcoholism, regret, and failure – until he met Dagmar. But Sean has secrets, dark even for the Hollywood treadmill of abuse, addiction, and rehab. And Dagmar is a cipher. There are dark rumors about her past – people tend to die around her. Now, she wants Sean for something. A movie, she says, but with her history, who knows what her real game is?
Dagmar Shaw ist aus dem Spiel raus … und macht jetzt Filme. Sean ist ein heruntergekommener Kinderstar, reduziert auf die tiefsten Abgründe des Reality-Fernsehens, um sich am Leben zu erhalten. Sein Leben war eine Abwärtsspirale aus Alkoholismus, Bereuen und Versagen – bis er Dagmar trifft. Aber Sean hat Geheimnisse, die sogar für Hollywoods Tretmühle aus Missbrauch, Abhängigkeit und Entziehung äußerst düster sind. Und Dagmar ist der Schlüssel. Es gibt dunkle Gerüchte über ihre Vergangenheit, Personen um sie herum tendieren dazu, zu sterben. Jetzt will sie Sean für irgendetwas. Sie sagt: einen Film, aber bei ihrer Vergangenheit, wer weiß was ihr wahres Spiel ist?
Anmerkung: Im ersten Band werden MMOs weiter gedacht – ein brandheißes Thema, allerdings vielleicht eher nicht für Nichtspieler (oder Popkultur-Ablehner wie den Autor des Telepolis-Artikels). Beim zweiten bin ich mir anhand des Klappentextes nicht ganz sicher, wie er zum ersten passt und wo die SF ist, aber, hey, wir reden hier über Walter Jon Williams!
April:
HE NIGHT SESSIONS, Ken MacLeodUrsprünglich erschienen 2009 in Großbritannien wird im April Ken MacLeods Near-Future-Thriller THE NIGHT SESSIONS in den USA neu aufgelegt:
A priest is dead. Picking through the rubble of the demolished Edinburgh tenement, Detective Inspector Adam Ferguson discovers that the explosion wasn’t an accident. When a bishop is assassinated soon afterwards, it becomes clear that a targeted campaign of killings is underway. No one has seen anything like this since the Faith Wars. In this enlightened age there’s no religious persecution, but believers are a marginal and mistrusted minority. And now someone is killing them. But who? And – perhaps more importantly – why? The more his team learns, the more the suspicion grows that they may have stumbled upon a conspiracy way outside their remit. Nobody believes them, but if Ferguson and his people fail, there will be many more killings – and disaster on a literally biblical scale …
Ein Priester ist tot. Als er die Trümmer eines zerstörten Edinburgher Wohnhauses durchsucht, entdeckt Inspektor Adam Ferguson, dass die Explosion kein Unfall war. Als man kurz darauf einen Bischof ermordet auffindet, wird klar dass eine gezielte Tötungskampagne vorliegt. Seit den Glaubenskriegen hat niemand mehr so etwas gesehen. In diesem erleuchteten Zeitalter gibt es keine religiöse Verfolgung mehr, aber Gläubige sind eine Minderheit, der man misstraut. Und nun tötet sie jemand. Aber wer? Und – wahrscheinlich viel wichtiger – warum? Je mehr sein Team heraus findet, desto mehr wächst die Vermutung, dass man über etwas gestolpert ist, das ein paar Nummern zu groß ist. Niemand will ihnen glauben, aber sollten Ferguson und seine Leute scheitern, dann wird es viele weitere Morde geben – und eine Katastrophe wortwörtlich biblischen Ausmaßes …
Anmerkung: Wir fassen zusammen – in einer nahem Zukunft ist nach einem Glaubenskrieg Religion etwas Verachtetes. Wenn das kein gewagter Gedankengang ist, Herr Szameit, dann weiß ich es auch nicht mehr …
Mai:
RAILSEA, China MiévilleBei dem Output von Miéville muss man sich fast schon fragen, ob er inzwischen Ghostwriter hat… :o) Und man muss sich insbesondere eines Ausnahmetalents wie diesem fragen, ob Herr Szameit die SF der letzten Jahre überhaupt ansatzweise wahrgenommen hat? RAILSEA ist ein »All Age«-Roman – früher nannte man das ein Buch für Heranwachsende – aber wie wir den Autor kennen, dürften auch Erwachsene ihre Freude daran haben. Miéville interpretiert Melvilles MOBY DICK mit einem Hauch SCHATZINSEL auf ein ganz neues Meer: Das SCHIENENMEER.
On board the moletrain Medes, Sham Yes ap Soorap watches in awe as he witnesses his first moldywarpe hunt: the giant mole bursting from the earth, the harpoonists targeting their prey, the battle resulting in one’s death and the other’s glory. But no matter how spectacular it is, Sham can’t shake the sense that there is more to life than traveling the endless rails of the railsea—even if his captain can think only of the hunt for the ivory-colored mole she’s been chasing since it took her arm all those years ago. When they come across a wrecked train, at first it’s a welcome distraction. But what Sham finds in the derelict—a kind of treasure map indicating a mythical place untouched by iron rails—leads to considerably more than he’d bargained for. Soon he’s hunted on all sides, by pirates, trainsfolk, monsters, and salvage-scrabblers. And it might not be just Sham’s life that’s about to change. It could be the whole of the railsea.
An Bord des Maulwurfszuges Medes verfolgt Sham Yes ap Soorap voller Ehrfurcht seine erste Jagd auf einen Moldywarpe: einen der gigantischen Maulwürfe die aus der Erde brechen, die Harpunisten wie sie auf ihre Beute zielen, der folgende Kampf, der im Tod des Einen und im Ruhm eines anderen resultiert. Aber egal wie spektakulär das Ganze ist, Sham kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass es mehr geben muss, als nur die endlosen Schienen der Schienensee zu bereisen – auch wenn sein Kapitänin an nichts anderes denken kann, als an die Jadg auf den elfenbeinfarbenen Maulwurf, der ihr vor all diesen Jahren den Arm nahm. Als sie einen wracken Zug entdecken ist das zuerst eine willkommene Abwechslung. Doch was Sham in dem Wrack findet – eine Art Schatzkarte die auf einen mystischen Ort unberührt von eisernen Schienen hinweist – führt zu mehr Problemen als er sich vorgestellt hatte. Bald wird er von allen Seiten gejagd: von Piraten, Zugbewohnern, Monstren und Bergungswühlern. Und möglicherweise wird sich nicht nur Shams Leben ändern, sondern das der gesamten Schienensee.
Anmerkung: Wie geil ist das denn? Hallo Herr Szameit: als Weltentwurf kreativ genug?
THE DROWNED CITIES von Paolo BacigalupiIn THE DROWNED CITIES kehrt der Autor auf die Welt aus dem mehrfach ausgezeichneten Roman SHIP BREAKER zurück:
Paolo Bacigalupi captures a dark future America that has devolved into unending civil wars, driven by demagogues who recruit children to become soulless killing machines. Two refugees of these wars, Mahlia and Mouse, are known as »war maggots«: survivors who have barely managed to escape the unspeakable violence plaguing the war-torn lands of the Drowned Cities. But their fragile safety is threatened when they discover a wounded half-man–a bioengineered war beast named Tool, who is hunted by a vengeful band of soldiers. When tragedy strikes, Mahlia is faced with an impossible decision: risk everything to save the boy who once saved her, or flee to her own safety.
Paolo Bacigalupi beschreibt ein düsteres zukünftiges Amerika das sich in eine scheinbar unendliche Folge von Bürgerkriegen zurück entwickelt hat, geführt von Demagogen, die Kinder rekrutieren, um sie zu seelenlosen Tötungsmaschinen zu machen. Zwei Flüchtlinge dieses Kriegs, Mahlia und Mouse, gehören zu den »Kriegsmaden«: Überlebende, die es gerade eben geschafft haben, der unaussprechlichen Gewalt in den vopm Krieg zerrissenen Ländern der »Versunkenen Städte« zu entkommen. Doch ihre zerbrechliche Sicherheit gerät in Gefahr, als sie einen verwundeten Halbmenschen finden – ein durch Bioingenieure erschaffenes Kriegswesen namens Tool, das von einer rachsüchtigen Bande Soldaten verfolgt wird. Als es zu einer Tragödie kommt, sieht Mahlia sich vor eine schwere Entscheidung gestellt: soll sie alles riskieren, um um den Jungen zu retten, der einst sie rettete oder soll sie fliehen und sich selbst in Sicherheit bringen.
Anmerkung: die dystopischen Welten des Paolo Bacigalupi sollten auch dem kritischeren SF-Freund ansprechende Lesestunden bescheren.
2312 von Kim Stanley RobinsonThe year is 2312. Scientific and technological advances have opened gateways to an extraordinary future. Earth is no longer humanity’s only home; new habitats have been created throughout the solar system on moons, planets, and in between. But in this year, 2312, a sequence of events will force humanity to confront its past, its present, and its future.
The first event takes place on Mercury, on the city of Terminator, itself a miracle of engineering on an unprecedented scale. It is an unexpected death, but one that might have been foreseen. For Swan Er Hong, it is an event that will change her life. Swan was once a woman who designed worlds. Now she will be led into a plot to destroy them.
Wir schreiben das Jahr 2312. Wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt haben eine außergewöhnliche Zukunft ermöglicht. Die Erde ist nicht mehr die einzige Heimat der Menschheit; durch das gesamte Sonnensystem wurden neue Habitate auf Monden, Planeten und an Orten dazwischen erschaffen. Doch im Jahr 2312 wird die Menschheit durch eine Abfolge von Geschehnissen gezwungen, sich mit ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinander zu setzen.
Das erste Ereignis geschieht auf dem Merkur: in der Stadt Terminator, selbst ein unermessliches Wunderwerk der Ingenieurskunst. Es kommt zu einem unerwarteten Tod, den man jedoch hätte voraussehen müssen. Für Swan Er Hong ist es ein Ereignis, das ihr Leben verändern wird. Swan war einmal eine Frau, die Welten erschuf. Jetzt wird sie in Geschenisse verwickelt, die dazu führen, dass sie Welten zerstören wird.
Anmerkung: Kim Stanley Robinson, einer derjenigen Autoren, die die wohl durchdachtesten zukünftigen Welten ersonnen haben, ist zurück. Es würde mich doch sehr wundern, wenn wir es hier mit Szameits tumber Action zu tun hätten.
So weit an dieser Stelle erst einmal, geschätzte Leser. In Kürze werde ich im zweiten Teil des Artikels weitere SF-Neuerscheinungen 2012 vorstellen. Diese dann möglicherweise etwas kürzer, denn je weiter man im Jahr fortschreitet, desto spärlicher werden die Informationen zu den neuen Büchern. Wie bereits im Intro erwähnt: Es handelt sich hierbei um einen mikroskopischen Ausschnitt aus dem englischsprachigen Markt. Wenn Herr Szameit auch nur oberflächlich sucht, wird er zahllose weitere ungewöhnliche, lesenswerte und visionäre SF-Romane finden. Man muss allerdings mit den Suchen zumindest einmal anfangen.
Bildnachweise: Cover CINDER Copyright Puffin, Cover DEEP STATE Copyright Orbit, Cover THE FOURTH WALL Copyright Orbit, THE NIGHT SESSIONS Copyright Prometheus Books, Cover RAILSEA Copyright DelRey, Cover THE DROWNED CITIES Copyright Brilliance Corporation, Cover 2312 Copyright Orbit
Grafik »SF am Ende« von mir
Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Es gibt schon einen allgemeinen Trend hin zum Trash und weg vom Geist, der gerade in einem »brainy« Genre wie SciFi weh tut. Ich finde aber, es gibt durchaus Perlen: John Varleys Bücher, die von Robert Charles Wilson, Mievielle (wie erwähnt) und Jasper Fforde (wobei der eher Weird als SciFi ist).
Ich widerspreche dem: es gibt keinen Trend zum »Trash«, es wurde und wird immer »Trash« veröffentlicht. Der Vorwurf es werde immer mehr Trash veröffentlicht kommt seit Jahrzehnten immer und immer wieder von denselben Nasen, wenn sie den »Niedergang der SF« zu belegen versuchen.
Es wird derzeit im Bereich SF nicht mehr »Trash« veröffentlicht als zu früheren Zeiten, wer anderer Meinung ist, möge diese nachvollziehbar belegen. Überhaupt halte ich den Begriff für höchst problematisch. Wer legt denn bitte fest, was »Trash« ist? Professionelle Kritiker? Nein danke. Hardcore-SF-Fans? Aus noch tieferem Herzen: nein danke! Kulturchauvinisten? Schon gar nicht.
Ich verweise immer wieder gern darauf, dass heutige (sogenannte) Klassiker (ich beziehe das nicht unbedingt auf die SF) zur Zeit ihres Erscheinens von »Kritikern« als »Trash« (minderwertig, trivial) disqualifiziert wurden. Man sollte mit solchen Abqualifizierungen äußerst vorsichtig sein. Ebenso ist es nicht zielführend, wenn SF-Anspruchsfanatiker aus ihren Elfgenbeintürmen herablassend auf Popkultur-SF herab blicken und deren Trivialität von da oben unters Volk schreien. Denn: die sitzen ziemlich allein zwischen unerträglich langweiligem Anspruchszeug in ihren Elfenbeintürmen, während an deren Füßen das Leben tobt. :o)
Wer sich allerdings auf den deutschsprachigen Markt beschränkt, der wird einen deutlichen Rückgang an SF-Veröffentlichungen feststellen. Allerdings sollte man keinen Niedergang der Science Fiction beschwören, wenn man nur das kennt, was die deutschen Publikumsverlage freundlicherweise im deutschsprachigen Raum veröffentlichen – es erscheint international (mit einem deutlichen Schwerpunkt auf den englischsprachigen Raum) großartiges Zeug, das der deutsche Leser nie zu sehen bekommt.
Und was – um Himmels Willen – ist denn »der Geist der SF«? Bei einem derart breitbandigen Genre dürfte es mehr als schwerfallen, einen allgemeingültigen »Geist« zu definieren. Drei SF-Fans werden hier mit Sicherheit fünf unterschiedliche Meinungen haben – mindestens.
Zustimmung, Stefan! Vom (wieder einmal) traurigen Zustand der SF bei deutschen Großverlagen auf *DIE* SF (international – ja, und eine kreative Szene abseits des Mainstream gibt es schließlich auch bei uns) schließen zu wollen, verrät schon einen gewissen Tunnelblick.
Hinzu kommt noch ein Faktor, den Szameit seltsamerweise übersieht: literarische Moden. Es sind gerade Vampire Mode – na und? Das geht vorbei.
Es gab – sogar in Deutschland – Zeiten, in denen (negative) Utopien unheimlich »in« waren – dann wieder eher Science Fantasy, dann Cyberpunkt, dann auch Mal »harte SF« – ja, und immer wieder mal Flauten, in denen SF nicht geht.
Ich vermute einfach, dass Szameit sich seinen persönlichen Frust von der Seele geschrieben hat – den ich auch gut verstehen kann. Wer in Deutschland SF veröffentlichen wollte, hatte es nie leicht, und dank der Sortimentspolitik deutscher Großverlage hat man es z. Z. sicher schwerer als, sagen wir mal vor 20 Jahren.
(Es ist ja kein Zufall, dass Deutschlands erfolgreichste SF-Autoren der Gegenwart, Andreas Eschbach und Frank Schätzing, meistens nicht in den speziellen SF-Reihen publizieren – und auf ihren Romanen oft nicht einmal Science Fiction draufsteht, obwohl SF drin ist.)
Also, eine gewisse Nostalgie nach der »guten alten Zeit«, als es nicht ganz so schwer war, deutsche SF unterzubringen, kann ich nachvollziehen. In dem einen oder anderen Punkt gebe ich ihm sogar recht, z. B. was SF im Fernsehen (von einige Ausnahmen abgesehen – die es ja auch nach wie vor gibt) angeht.
Die verallgemeinernden Schlüsse, die Szameit aus einer in Teilbereichen der SF (deutsche Großverlage, Fernsehserien) bestehenden Misere zieht, halte ich jedoch für grotesk falsch.
@Stefan Wie, Du weißt nicht, was »Geist« ist? Oh weh! Spaß Beiseite: ich schreib nicht vom Geist der SciFi, sondern von Geist in der SciFi.
Den Trend zum Trash konstatiere ich nicht in der SciFi allein, sondern medienübergreifend. Beispielhaft hier ein Artikel, der das US-Fernsehen betrachtet, und Zahlen zur Zahl neu gestarteter Serien und deren Laufzeit vergleicht (wobei letzteres nur eine gute Näherung für Qualität ist, aber immerhin…): Beginnend 1980, verstärkt 2000 zeigt sich eine sehr deutliche Entwicklung hin zum Schrotflintenprinzip: Viel, aber schlecht gezielt. Trash eben.
http://www.wired.com/wiredscience/2012/01/how-to-search-for-the-golden-age-of-television/
Natürlich gab es zu allen Zeiten Nostalgiker, die den Niederdergang von X beklagten. Das bedeutet nicht, dass es keine Qualitätsschwankungen gibt, und die Kassandras nicht auch mal Recht haben.
Zuletzt: dass die hochwertigen englischsprachigen Sachen in D nicht veröffentlicht werden, ist ja Teil der Grundaussage: Trash rules, Quality doesn’t pay. Zumindest für Deutschland hast Du das mit diesem Argument also bestätigt.
@Martin:
Vampire sind keine SF :o)
Auch bei den Fernsehserien schwafelt er nur. Earth Final Conflict. Kann sich daran noch wer erinnern (ich kann, so schlecht war die nicht, stellte zumindest ein paar interessante Fragen was sein könnte, wenn ALiens landen). Wenn er NEW BSG als militaristischen BS abtun möchte, dann frage ich mich allerdings, ob er dieselbe Serie gesehen hat wie ich, oder ob er der Ansicht ist, nach dem Betrachten von ein paar Episoden eine Serie mit übergreifendem Handlungsbogen beurteilen zu können. Eine Serie, der sogar kritische Stimmen honoriert haben, dass sie ethische und philosophische Fragen stellt, gesellschaftskritisch ist und auch das Thema Religion kritisch beleuchtet (von Caprica mal ganz abgesehen, die war ebenfalls großartig, aber leider für US-Amerikaner zum einen offenbar viel zu schlau und zum anderen wohl viel zu Christentums-kritisch). Naja und Stargate war zwar »planlos im Weltall« aber zumindest wenigstens unterhaltsam.
Wenn ich mir ansehe, was in Sachen SF in Film und Fernsehen in den letzten Jahrzehnten aus Deutschland gekommen ist, lautet die Antwort: nichts! Rein! gar! nichts! (ich lasse Ijon Tichy als Special Interest-Comedy ebenso außen vor wie »Traumschiff Surprise«, ebenso in den USA produzierte Filme und Serien mit deutscher Beteiligung). Angesichts der gähnenden Leere in der Hinsicht mit dem Anspruchsfinger auf die USA zu zeigen, sollte Szameit vielleicht lieber beklagen, das die SF in der selbstproduzierten deutschen TV- und Filmlandschaft überhaupt nicht stattfindet.
Woher er als ehemaliger DDR-Autor offenbar eigentlich kommt, sieht man schon an seinem Satz (im Artikel):
Aha. Früher und im Osten war alles besser und friedlicher. Ich lach mich schlapp. :o)
Danke für »grotesk falsch«. Made my day. :o)
@Michael
Als Betrachter zahlreicher US-Phantastik-Serien (im Original) und als Beobachter dieses Marktes (wie man ja allein aus den zahlreichen Artikeln zu diesem Thema hier auf PhantaNews sehen kann), bezweifle ich nachdrücklich, dass die Dauer der Laufzeit von Serien (also wie schnell sie wieder abgesetzt werden) eine Aussage über deren Qualität zulässt. Es gab diverse großartige Serien in den USA, die keine Zuschauer finden konnten – weil sie für das dortige Publikum zu intelligent waren. Den Sendern ist völlig egal, ob etwas qualitativ hochwertig oder »Trash« ist, für die zählen einzig und allein die Einschaltquoten. Ansonsten gilt das von mir weiter oben gesagte zur Definition von »Trash«. Des einen »Trash« ist des anderen Kleinod.
Achso, den Trend zum Trash besprichst Du medienübergreifend … Und ich dachte, wir reden hier über SF..? ;o)
Deine Schlussfolgerung zum deutschen Markt beweist übrigens nur, dass die deustchen Verlage nur veröffentlichen, was sich schnell drehen lässt, aber nicht dass es immer mehr »Trash« gibt. Und da sehe ich hierzulande eins der Kernprobleme. Solange die Publikumsverlage auf Nummer sicher gehen und nur noch Harry-Potter- und Twilight-Epigonen veröffentlichen, und die Übersetzungen von US-Romanen so mies bleiben, wie sie sind, werde ich sie weiterhin meiden. Auch das ist aber ein Problem der Branche und der Leser, nicht des Genres.
Klar, die Vampir-Geschichten sind, bis auf seltenen Ausnahmen, keine SF, aber nun mal von
Szameit als »Literatur, die bei deutschen Großverlagen geht« genannt – »Fantasy« ist ein soooo weites Feld, dass es als Beispiel eines Trends oder auch nur einer literarischen Mode nicht taugt. :-)
Der gewisse »Antiamerikanismus« in Szameits Kritik stößt auch mir unangenehm auf, ebenso, dass er ein, wie ich finde, sehr idyllisches Bild von der »Ost-SF« (vor 1989, vermute ich mal) zeichnet. Es gab z. B. in Polen einen Lem, in Russland die Gebrüder Strugatski, in der DDR einen Rainer Fuhrmann usw. – aber: die »Wissenschaftliche Phantastik« (DDR-deutsch) tblocks hat auch zahllose heute zurecht vergessene allzu politisch »linientreue« Werke (und ziemlich öder) Werke gegeben.
Harry Potter (ja, auch keine SF ;-) ) ist übrigens ein schönes Beispiel für das (nicht auf Deutschland) beschränkte Phänomen »sichere Schnelldreher« produzieren zu wollen. Denn Frau Rowling hatte ursprünglich bekanntlich gewaltige Schwierigkeiten gehabt, ihre Bücher an den Verlag zu bringen – »man« wusste genau, dass die »Kids von heute« keine dicken Wälzer mehr lesen, dass Internats-Romane »out« sind usw. usw.. Aber in dem Moment, in dem der Erfolg da war, waren Romane nach diesem Strickmuster auf einmal »das Größte«.
Auch das Fehlen deutscher SF-Film und ‑Fernsehproduktionen beruht meines Erachtens auf dieser Kombination aus Besserwisserei (»Wir wissen genau, was der Zuschauer / Leser mag – und zwar besser als er selbst«) und dem (meist vergeblichen) Versuch, Erfolge zu imitieren.
Schöne Betrachtungen, unterschreibe ich! Danke für den Kommentar! :)
Es ist wenig, aber das, was rauskommt sollte doch nicht vergessen werden: z.B. Transfer.
Das hat er nicht gesagt! Eher schon, dass die Schriftsteller des sozialistischen Ostens (nicht zuletzt wegen der grauen Welt, in der sie sich befanden) einen größeren »sense of wonder« zelebriert haben. Und da hat Szameit recht: den gibt’s derzeit in der SF praktisch nicht. In der obigen Liste sehe ich ihn vielleicht noch bei 2312.
Das ist subjektive Wahrnehmung und objektiv sicher nicht belegbar. (siehe auch die Anmerkung oben zu »linientreu« und »öde«)
Und keine Diskussion über den dubiosen und immer wieder gern als Totschlagargument heran gezogenen »sense of wonder«. Jeder hat einen anderen, es handelt sich um einen nicht definierbaren Begriff und er taugt überhaupt nicht als Begründung. Schon gar nicht als Begründung für angeblich schlechte SF oder deren Niedergang. Das ist eine Floskel, eine pure Worthülse, die seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, von denjenigen verwendet wird, die die jeweils aktuelle SF mies machen wollen.
Nicht? »Forscher … Neugier und Wissbegierde … mit einem Ölzweig im Schnabel«.
Übrigens: »Früher … waren die Raumfahrer vor allem Entdecker und Forscher auf der Suche nach ›Brüdern im All und im Geiste‹, von Neugier und Wissbegierde bis an den Rand des Universums getrieben, gewissermaßen mit einem Ölzweig im Schnabel« klingt für mich wie eine ziemlich exakte Beschreibung. Von Star Trek.