SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE – Deutschlandstart 01. Juni 2023
SPIDER-MAN: INTO THE SPIDER-VERSE war eine der ganz großen Überraschungen des Jahres 2018. Viel erwartet hatte man eigentlich nicht, nur einen simplen Animationsfilm um den freundlichen Netzschwinger aus der Nachbarschaft in der Variante Miles Morales. Umso überraschter waren wir dann vermutlich alle, als dieser Film ein Meisterwerk war, insbesondere was die völlig abgefahrene und innovative Art der Animation anging. Aber auch inhaltlich konnte SPIDER-VERSE überzeugen – und das nicht nur obwohl, sondern gerade weil er mit den Versatzstücken um den Spinnenmann – um ganz viele Spinnenmann-Varianten – spielte.
Ich fragte mich, ob man da überhaupt noch einen draufsetzen kann – und ob Teil zwei dem um den ersten entstandenen Hype würde standhalten können.
Spoiler: Mein lieber Herr Spinnenverein!
Das Autorenteam setzte sich anders zusammen als beim ersten Mal und auch das Regieteam ist ein komplett anderes, als im Vorgänger, so dass man sich ein wenig wundern muss, dass das die Geschichte dermaßen stringent weiter führt (was aber offensichtlich daran liegt, dass Phil Lord und Christopher Miller in beiden Fällen produzierten und für das gesamte Projekt federführend waren).
Das Ganze beginnt nicht mit Miles Morales, man lässt sich gleich zu Beginn viel Zeit, in die neue Geschichte einzuführen, und tut das mit Gwen Stacy alias Spider-Woman (alias Spider-Gwen). Erst einige Zeit später wechselt die Handlung zum eigentlichen Helden. Und an der Art der Inszenierung merkt man auch schnell, dass man es hier offensichtlich erneut mit viel mehr zu tun hat, als einfach nur einem Animationsfilm aus dem Marvel-Kontext und ein bis (sehr) viele Spinnenpersonen.
Dabei kommt ACROSS THE SPIDER-VERSE in Akten daher, die sich deutlich voneinander abheben. Anfang ist die Handlung noch ziemlich happy-go-lucky, und strotzt von wirklich gelungenen Gags. Später wandelt sich der Ton und wird deutlich düsterer. Dabei haben Drehbuch und Regie es aber geschafft, das nicht heterogen und zerstückelt wirken zu lassen, tatsächlich kam zumindest mir SPIDER-VERSE 2 trotzdem wie aus einem Guss vor.
Der Film strotzt nur so von Ostereiern und man wird ihn sich nicht zweimal, sondern ganz sicher noch sehr viel öfter ansehen müssen, um möglichst viele davon mitzubekommen. Ich gehe davon aus, dass die einschlägigen Protagonisten im Web wochenlang damit zu tun haben werden, auszuwerten, was es alles zu sehen gab. Und ich meine damit nicht die offensichtlichen Referenzen an Jahrzehnte Spidey in den Comics und den Multiversums-Sperenzchen, die die Macher daraus für dieses Werk abgeleitet haben, sondern auch die zahllosen kleinen und kleinsten Dinge, die sich am Rande abspielen, wie beispielsweise wenn Miles Freund in dessen Zimmer auf der Konsole Sonys Spider-Man-Game zockt.
Und der Animationsstil ruht sich durchaus nicht auf dem ersten Teil aus, sondern setzt nochmal einen drauf, sowohl was subtile Dinge angeht, wie Tiefenunschärfen, die nicht einfach Bokeh-blurry sind, sondern eher in einer Anmutung daher kommen, als wolle man einen Effekt simulieren, der auftritt, wenn man 3D-File ohne Brille schaut. Das ist sicher kein Zufall. Dazu mischt man wild Animations- und Comicstile – und auch noch Stile aus anderen Medien. Zweck Spoilervermeidung sage ich an dieser Stelle nicht mehr. Ums verblüffender war es für mich, dass trotz dieses visuellen Overkills und dass man mit visuellen Effekten und Stilen nur so um sich wirf, trotzdem keine Brüche entstehen. Das ist dermaßen kongenial inszeniert und miteinander verwoben, dass ich nur meine Hochachtung vor so viel kackendreister Kreativität zollen kann, die erneut haufenweise Konventionen einfach über Bord werfen. Und daraus erneut Innovation entstehen lassen ohne die Besucherin zu überfordern.
Diese oft stakkatoartige Tour durch das Spiderversum macht es natürlich noch schwerer, sich auf die oben genannten Ostereier zu konzentrieren. Wegen all dem Vorgenannten ist es geradezu Pflicht, sich diesen Film mehr als einmal anzusehen. Er ist es aber ohnehin wert.
Erfreulich stellt der im Alter bereits fortgeschrittene Spider-Fan zudem fest, dass man durchaus nicht nur eine jugendliche Klientel bedient, sondern sich ganz offensichtlich darüber im Klaren ist, dass es nicht nur Spider-man schon sehr lange gibt, sondern deswegen auch ältere Semester (wie der Autor dieser Besprechung) im Publikum sitzen können. Und ich zumindest stellte erfreut fest, dass man in Sachen Handlung und Dramaturgie durchaus keine Kompromisse einging. Für einen Film, der rein auf Jugendliche gezielt ist, ist ACROSS THE SPIDER-VERSE viel zu komplex, man hat Wert darauf gelegt, auch eine gesetztere Zielgruppe nicht zu unterfordern.
Nebenbei gewann ich den Eindruck, dass man auch Marvel ein klein wenig einen einschenken wollte, denn abgesehen vom Spruch in Richtung NO WAY HOME bedient man sich massiv und äußerst tief an den Spider-Man-Rechten, die eben vollumfänglich und samt Ablegern bei Sony liegen und nicht bei Marvel selbst (was zu den bekannten Verwerfungen mit Spider-Man Tom Holland im Marvel Cinematic Universe führte). Ich halte die Tatsache, wie sehr man sich hier in epischer Tiefe am Protagonisten bediente für einen Wink in Richtung Marvel: »Seht mal, was wir damit alles machen können! Ärgert ihr euch auch schön, dass ihr die Rechte nicht habt?« Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein …
Äußerst meta kommt auch die Handlung daher, über die ich mich aus naheliegenden Gründen nicht auslassen möchte, aber es sei der Hinweis erlaubt, dass es unter anderem darum geht, was Canon ist. Und wenn einer der Charaktere sich zum Canon-Wächter aufschwingt, also quasi eine Reinkarnation von Hardcore-Fan-Trollen ist, die meinen bestimmen zu können, was Canon ist und was nicht, dann nimmt das schon Dimensionen von Metaness an, die ich beeindruckend, bemerkenswert und ganz schön mutig finde. Zumal auch hier weitere Messages durchschimmern, gleich mehrere, aber eine davon ist, dass du du sein kannst und insbesondere auch abseits davon, was andere meinen, wie du zu sein oder was du zu tun hast – oder was angeblich dein »Canon« ist. Scheiß drauf und mach dein Ding!
Nimmt man noch dazu, dass SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE eine für einen Animationsfilm beachtliche Länge hat und dass sie sich am … Ende auch noch einen fast schon frechen Stunt erlauben, dann kann ich nur zu dem abschließenden Ergebnis kommen, dass es sich hier um ein echtes Meisterwerk handelt, das dem ersten Teil nicht nur das Wasser reichen kann, sondern ihn eindeutig noch übertrifft.
Die Krönung, das i‑Tüpfelchen ist für mich aber dann auch noch die diesmal wirklich gute deutsche Synchronisation (ich habe trotz einiger Suche nicht herausfinden können, wer Gwen Stacy gesprochen hat, aber diese Sprecherin möchte ich aufgrund ihrer phänomenalen Leistung besonders hervorheben). Das ich sowas nochmal erleben darf … (dennoch freue ich mich ob der Originalbesetzung auf die englischsprachige Fassung, Oscar Isaac als Miguel …)
Wahnsinn. Ich hätte damit gerechnet, dass sie da noch einen drauf setzen, aber nicht in diesen epischen Ausmaßen. Und trotzdem bin ich ihnen für das Ende ein wenig böse. Wenn ihr ihn seht, werdet ihr verstehen, warum und auch, warum ich mir gleichzeitig ein Loch ins Universum gefreut habe.
SPIDER-MAN: ACROSS THE SPIDER-VERSE
Besetzung:
Regie: Joaquim Dos Santos, Kemp Powers, Justin K. Thompson
Drehbuch: Phil Lord, Christopher Miller, Dave Callaham, basierend auf Figuren von Stan Lee
Produzenten: Avi Arad, Phil Lord, Christopher Miller, Amy Pascal, Christina Steinberg
Ausführende Produzenten: Brian Michael Bendis, Bob Persichetti, Peter Ramsey, Rodney Rothman, Aditya Sood, Rebecca Karch Tomlinson
Schnitt: Mike Andrews
Musik: Daniel Pemberton
Produktionsdesign: Patrick O’Keefe
Art Direction: Dean Gordon, Araiz Khalid
Casting: Mary Hidalgo
140 Minuten
USA 2023
Promofotos Copyright Sony Pictures