Das Musical ist natürlich inspiriert vom gleichnamigen Buch des Briten H.G. Wells. Im Jahre 1898 geschrieben, hat es nichts von seiner Spannung eingebüßt. Die bekannten Hollywood-Streifen bzw. Serien wie MARS ATTACKS!, INDEPENDENCE DAY, V und viele andere sind letztendlich Klone dieser alten Geschichte.
Kurzum handelt es sich bei THE WAR OF THE WORLDS um eine klassische Invasionsstory bzw. einen interplanetaren Krieg. Das Spannende daran: es spielt im viktorianischen England. Erwähnenswert ist sicherlich noch Orson Welles´ Radiodrama von 1938, damals kam es fast zu einer Massenpanik. Über weitere Interpretationen des Stoffes informiert ausführlich die Wikipedia.
Für die SF-Interessierten noch der Hinweis, dass H. G. Wells – im Gegensatz zu Jules Verne – eher ein Zukunfts-Pessimist war und der KRIEG DER WELTEN eine klare Anspielung auf das üble Verhalten seiner Landsleute im 19. Jahrhundert ist. Auch sein Buch DIE ZEITMASCHINE deutet auf diese kritische Einstellung hin. Die Briten haben selbstredend in Afrika das gleiche veranstaltet wie die lieben Marsianer mit den Engländern im KRIEG DER WELTEN.
Was ist also am Freitagabend passiert? Eine Stunde vor Beginn der Show war die Arena noch leer und man konnte in Seelenruhe die eindrucksvolle Bühne bewundern. Eine sehr schöne Harfe stach aus allen Instrumenten heraus und wirkte wie ein Anachronismus in der Fülle der modernen Gitarren – die poppige und rockige Seite des Musicals. In der Warmmachphase hallten diverse Geräusche durch die leider nur halb gefüllte Arena, die an klackende Zahnräder erinnerten und sehr stimmungsvoll auf das Musical vorbereiteten.
Um 20 Uhr ging es relativ pünktlich los. Jeff Wayne kam die gebogene Gangway (aus dem Bühneninnenraum) zuerst hoch und dann herunter und nahm nach einer kurzen Begrüßung durch das Publikum Platz an seinem Dirigentenkommandoplatz. Er stand auf einer Art Pod und konnte dank eines umlaufenden Geländers nicht umfallen (eine Art Krabbelkäfig für Dirigenten). Wegen seiner sehr dynamischen Art und Weise zu dirigieren keine schlechte Idee. Vielleicht hatte er oder seine Versicherung auch Angst vor einem erneuten Unfall. Ein solcher hatte sich im Jahr 2010 ereignet, Grund genug damals eine Veranstaltung in Hamburg ausfallen zu lassen.
Es waren nun Orchester, Gitarristen, Scheinwerfer und die Harfe in Stellung gebracht. Das Spektakel konnte beginnen.
Die Geschichte beginnt wie ein moderner Hollywoodstreifen. Bilder vom Mars zeigen die überlegene Technologie der Marsianer und ihre Verzweiflung, da sie aufgrund Ressourcenmangels keine andere Wahl haben, als die Erde anzugreifen. Ein Mangel an Moral und Logik kommt dabei ebenfalls zutage; aber dazu später. Die marsianischen Monster sind sackig, unförmig, ein wenig schleimig, also absolut außerirdisch, und haben letzten Endes ihren Job audiovisuell ackbar, sorry, achtbar erledigt. Sie sollten wohl einfach nur abstoßend wirken. Jim Henson hätte seine Freude daran gehabt…
Spätestens bei der berühmten Musik von EVE OF THE WAR bekamen alle Fans Gänsehaut. Oder eben auch die, die das Lied schon seit 30 Jahren kennen. Sehr schön, jedoch mit jeder Menge … na sagen wir mal »zeitgemäßem Sounddesign« unterlegt. Dem ein oder anderen vielleicht etwas zu viel. Meine Ohren kamen damit klar.
Liam Neeson als der Journalist, der als Erzähler und Hauptdarsteller die Geschichte vom Anfang bis Ende begleitet, war sicherlich eine gute Wahl. Seine »singenden Gedanken« wurden mit starker Stimme und viel Charisma von Marti Pellow vorgetragen. Über die Qualität der Interpreten gibt es nur Positives zu sagen. Das sieht vielleicht ein Musical-Experte oder Dieter Bohlen anders, sie trafen am Freitag aber definitiv den Geschmack des Publikums.
Nach der Landung, das weiß der Kenner der Geschichte, kommt der Hitzestrahl und spätestens hier musste den meisten Nichteingeweihten klar sein, dass es sich nicht um den ZAUBERER VON OZ, sondern um die Beschreibung eines Genozid handelt. Krieg, Massaker, Vernichtung, Hitzestrahl. Alles in allem sehr schön durch die Musik und eine bühnenbreite Hintergrundleinwand in Szene gesetzt. Der Journalist wurde wahlweise auf einer Leinwand auf der Bühne, sowie links davon präsentiert. Dort wurde auch die jeweilige Übersetzung angezeigt. Nichts für Menschen, die unter Kurzsichtigkeit leiden. Das gesprochene Englisch war aufgrund der vielen Geräusche sehr schlecht zu verstehen. Die Übersetzung half sicherlich vielen, um überhaupt der Story folgen zu können. Das gesungene Englisch war dagegen ein Genuss.
Nachdem man singend und sprechend und mit viel audiovisuellem Beistand erfährt, dass es für den Journalisten wohl einen ewigen Herbst geben wird (FOREVER AUTUMN) – seine geliebte Carrie ist von ihm getrennt und unerreichbar in London – und er langsam aber sicher Klarheit darüber gewinnt, dass die Aliens nicht nur eine kleine Grafschaft in England okkupieren, sondern auch mit Big Ben Golf spielen möchten, geht es per pedes weiter nach London. Zusammen mit seinem Begleiter, einem Artilleristen, der einen Großangriff der Aliens knapp überlebt hat. Schön abgedreht gespielt von Ricky Wilson.
Die Verlobtes des Journalisten hat Glück. Carrie entkommt – mal wieder – knapp mit einem kleinen Passagier-Dampfer. Ihr Verlobter bleibt natürlich da und erlebt die Schicksalsschlacht der THUNDER CHILD, meiner Meinung nach einer der Höhepunkte der Geschichte. Ein Panzerschiff – eben die Thunder Child – versucht verzweifelt, den Kampf gegen die marsianischen Kampfläufer aufzunehmen. Zum Scheitern verurteilt, darum sehr dramatisch und letztendlich die perfekte Ablenkung, damit der kleine Passagier-Dampfer das Weite suchen kann. Das Lied der kämpfenden Thunder Child wurde von Will Stapleton eindrucksvoll vorgetragen.
Damit ist die Sachlage klar. Die Außerirdischen haben gewonnen. Die letzte Hoffnung ist erloschen, jetzt machen sich die Aliens breit. London wird marodiert. Auf dem Land verbreitet sich der rote Polyp, ein von den Marsianern importiertes Lebewesen, das in Pflanzen- und Schleimform den Boden und alles andere bedeckt. Die Welt erscheint in einer neuen Farbe: rot.
Inmitten dieser veränderten Welt wandert der Journalist weiter. Auf der Flucht vor den Dreibeinern (John Christopher lässt grüßen). Fakt ist, dass hier die dominierenden Kampfmaschinen Dreibeiner sind. Es haben allerdings nicht alle Fahrzeuge der Aliens diese Form – die Flugmaschinen sowieso nicht. Die Beine der sackig-klumpigen Aliens werden nicht gezeigt (für einen erfahrenen Sesamstraßen-Gucker nichts Neues).
Pause. Oder CD 2 einlegen … Der rote Polyp breitet sich aus, die Welt versinkt im Marsschleim. Der Journalist wandert weiter und erreicht irgendwann ein zerstörtes Haus. Er trifft Pater Nathaniel (Jason Donovan – ja wirklich!) und seine Frau Beth (Kerry Ellis). Nathaniel hat über die Invasion der Aliens seinen Glauben verloren, vor allem den an die Menschheit. Seine Frau – so wie sie immer sind – ist anderer Meinung. Das Lied beider ist meiner Ansicht ein weiterer Höhepunkt des Musicals. Bestraft uns Gott mit Marsianern? Vielleicht, aber vermutlich nicht vor der nächsten Bundestagswahl.
Beth wird bei einem Angriff getötet. Pater Nathaniel und der Journalist igeln sich in einem Keller ein. Bis schließlich auch der Pater erwischt wird. Wie bereits erwähnt, muss die Geschichte weitererzählt werden. Also muss der Journalist überleben. Offenbar nicht nur Journalist, sondern auch Preisboxerqualitäten besitzend, hat der Journalist überzeugend seinen rechten Haken präsentiert, der beim ausrastenden Nathaniel eindrucksvoll einschlägt. Das erste Mal, dass eine 2D-Person auf einer Leinwand eine echte Person auf der Bühne ausknockt.
Der nächste »Akt«, die BRAVE NEW WORLD, ist sicherlich ein weiterer der Höhepunkte der Show. Ich fand es auf CD immer etwas nervig. Anders auf der Bühne. Ja, die Bühnenshow … Abgesehen von einem monströsen Dreibeiner, der ab und zu auf die Bühne heruntergelassen wurde und dabei Hitzestrahlen spuckte (der örtliche Feuerwehrbeauftragte schwitzte sicherlich Blut und Wasser) und dabei Teile des Podiums kontrolliert brannten, wurde bei BRAVE NEW WORLD eine große, brückenartige Treppe aufgebaut. Hier singt der idealistische, aber wenig praktisch begabte Artillerist von seiner schönen neuen Welt. Sehr eindrucksvoll und mit einer gehörigen Portion Schauspielkunst machte er dem Publikum klar, dass die Menschheit nur UNTER der Erde überleben könne, und der Kampf gegen die Aliens aussichtslos sei. Nach etwas Wein und einem Kartenspiel wird dem Journalisten jedoch klar, dass es sich hier um einen Träumer handelt. Er geht wieder zurück nach London.
Dort angekommen wird ihm klar, dass wirklich alles zerstört ist. Er hat überlebt, aber warum? Ein Heulen aus der Ferne bringt ihn schließlich an den Ort an dem die Marsianer in Massen sterben. Getötet von den Bakterien der Erde. Den kleinsten Organismen. Das Ende der Geschichte und leider auch der Logik bzw. der Sinnhaftigkeit der Invasion. Aber ist dies auch das Ende der Geschichte? Wer weiß …
Eine Geschichte über Marsianer die die Welt angreifen ist nichts Neues, zumindest nicht mehr im Jahre 2013. Dies wurde in Büchern und Filmen bereits in epischer Breite dokumentiert. Aber mit dem Wissen, dass diese Geschichte im Jahre 1898 geschrieben wurde und auch spielt, wird einem schnell klar, dass sie etwas Besonderes ist. Jeff Wayne schafft es, aus diesem Besonderen noch etwas anderes zu machen: einen audiovisuellen Leckerbissen. Hier und dort etwas einfach und laut und vielleicht sogar schnarrig, jedoch mit Qualität bei den Darstellern sowie beim Personal und mit viel Liebe zum Detail.
Fans der Story und des Genres (hier meine ich die Science Fiction) kommen definitiv auf ihre Kosten. Es gab sicherlich auch einige Besucher, die weder das Buch kannten, noch den Film sahen und trotzdem ihren Spaß hatten.
Der Krieg der Welten ist dieser Tage eine sehr ambivalente Geschichte. Einerseits sind wir alle noch Maya-isiert – die Apokalypse ist ja nicht eingetreten – anderseits stecken wir seit Jahren in einer sogenannten Krise. Solche Krisen sind meistens nicht der optimale Nährboden für eine Begeisterung des Publikums für Weltuntergangsgeschichten. Das schlug sich dann leider auch in den Besucherzahlen nieder. So war die KöPi-Arena nur im unteren Bereich voll besetzt und in den oberen Rängen eher spärlich.
Unterm Strich ein sehr zu empfehlendes Weltuntergangs-Spektakel, aber leider aufgrund des Wanderzirkus-Charakters nur spontan buchbar. Den Eintritt – ca. 75 Euro im mittleren Preisbereich – ist die Show aber sicherlich wert.
Markus Kirchner
07.01.2013
Artikel und Bilder © Markus Kirchner
CD-Cover WAR OF THE WORLDS – NEW GENERATION Copyright Smc Sku (Sony Music)
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Montag Abend in Nürnberg.
Tolle Bässe, Musik und Gesang waren aber nicht so gut aufeinander abgestimmt, so dass der gesungene Text schwer verständlich war. Prima Effekte, man konnte die Hitze der »Heat Rays« zumindest in der siebten Reihe noch spüren.
(Die Kampfmaschine hatte allerdings im rechten Fuß etwas Ladehemmung und konnte diesen erst nach dem Besuch eines [menschlichen!] Technikers in der zweiten Hälfte auf den Boden aufsetzen. Aber sie kann ja jetzt ins Depot, nachdem die Tour gestern im Frankenland zu Ende ging.)
Alles in allem ein gelungener Abend ich freue mich, dass es nach zwei Jahren des Wartens doch noch geklappt hat.
Jeff Wayne mit seinen fast 70 Jahren auch sehr mobil am Dirigentenpult. Das hätte er sich vor 35 Jahren wohl auch nicht gedacht, dass er damit mal auf Tour geht.