Jeff Waynes Version des KRIEG DER WELTEN in Oberhausen – und wieder ging die Welt nicht unter

Ohne die Show aus den 70er Jah­ren gekannt zu haben (ich bin Jahr­gang ’75), habe ich mir am Frei­tag­abend, den 4. Janu­ar 2013, das Spek­ta­kel in Ober­hau­sen ange­schaut. Mit dem leicht ver­blass­ten Wis­sen des Buches und um die alte Dop­pel-CD in der deut­schen Fas­sung mit Curd Jür­gens warf ich mich ins Getüm­mel. Im 1978er Ori­gi­nal war Richard Bur­ton der Erzähler/​Journalist und gab dem Gan­zen sei­ne eige­ne Note.
Das Musi­cal ist  natür­lich inspi­riert vom gleich­na­mi­gen Buch des Bri­ten H.G. Wells. Im Jah­re 1898 geschrie­ben, hat es nichts von sei­ner Span­nung ein­ge­büßt. Die bekann­ten Hol­ly­wood-Strei­fen bzw. Seri­en wie MARS ATTACKS!, INDEPENDENCE DAY, V und vie­le ande­re sind letzt­end­lich Klo­ne die­ser alten Geschich­te.
Kurz­um han­delt es sich bei THE WAR OF THE WORLDS um eine klas­si­sche Inva­si­ons­sto­ry bzw. einen inter­pla­ne­ta­ren Krieg. Das Span­nen­de dar­an: es spielt im vik­to­ria­ni­schen Eng­land. Erwäh­nens­wert ist sicher­lich noch Orson Wel­les´ Radio­dra­ma von 1938, damals kam es fast zu einer Mas­sen­pa­nik. Über wei­te­re Inter­pre­ta­tio­nen des Stof­fes infor­miert aus­führ­lich die Wiki­pe­dia.


Für die SF-Inter­es­sier­ten noch der Hin­weis, dass H. G. Wells – im Gegen­satz zu Jules Ver­ne – eher ein Zukunfts-Pes­si­mist war und der KRIEG DER WELTEN eine kla­re Anspie­lung auf das üble Ver­hal­ten sei­ner Lands­leu­te im 19. Jahr­hun­dert ist. Auch sein Buch DIE ZEITMASCHINE deu­tet auf die­se kri­ti­sche Ein­stel­lung hin. Die Bri­ten haben selbst­re­dend in Afri­ka das glei­che ver­an­stal­tet wie die lie­ben Mar­sia­ner mit den Eng­län­dern im KRIEG DER WELTEN.

Was ist also am Frei­tag­abend pas­siert? Eine Stun­de vor Beginn der Show war die Are­na noch leer und man konn­te in See­len­ru­he die ein­drucks­vol­le Büh­ne bewun­dern. Eine sehr schö­ne Har­fe stach aus allen Instru­men­ten her­aus und wirk­te wie ein Ana­chro­nis­mus in der Fül­le der moder­nen Gitar­ren – die pop­pi­ge und rocki­ge Sei­te des Musi­cals. In der Warm­mach­pha­se hall­ten diver­se Geräu­sche durch die lei­der nur halb gefüll­te Are­na, die an kla­cken­de Zahn­rä­der erin­ner­ten und sehr stim­mungs­voll auf das Musi­cal vor­be­rei­te­ten.
Um 20 Uhr ging es rela­tiv pünkt­lich los. Jeff Way­ne kam die gebo­ge­ne Gang­way (aus dem Büh­nen­in­nen­raum) zuerst hoch und dann her­un­ter und nahm nach einer kur­zen Begrü­ßung durch das Publi­kum Platz an sei­nem Diri­gen­ten­kom­man­do­platz. Er stand auf einer Art Pod und konn­te dank eines umlau­fen­den Gelän­ders nicht umfal­len (eine Art Krab­bel­kä­fig für Diri­gen­ten). Wegen sei­ner sehr dyna­mi­schen Art und Wei­se zu diri­gie­ren kei­ne schlech­te Idee. Viel­leicht hat­te er oder sei­ne Ver­si­che­rung auch Angst vor einem erneu­ten Unfall. Ein sol­cher hat­te sich im Jahr 2010 ereig­net, Grund genug damals eine Ver­an­stal­tung in Ham­burg aus­fal­len zu las­sen.
Es waren nun Orches­ter, Gitar­ris­ten, Schein­wer­fer und die Har­fe in Stel­lung gebracht. Das Spek­ta­kel konn­te begin­nen.

Die Geschich­te beginnt wie ein moder­ner Hol­ly­wood­strei­fen. Bil­der vom Mars zei­gen die über­le­ge­ne Tech­no­lo­gie der Mar­sia­ner und ihre Ver­zweif­lung, da sie auf­grund Res­sour­cen­man­gels kei­ne ande­re Wahl haben, als die Erde anzu­grei­fen. Ein Man­gel an Moral und Logik kommt dabei eben­falls zuta­ge; aber dazu spä­ter. Die mar­sia­ni­schen Mons­ter sind sackig, unför­mig, ein wenig schlei­mig, also abso­lut außer­ir­disch, und haben letz­ten Endes ihren Job audio­vi­su­ell ack­bar, sor­ry, acht­bar erle­digt. Sie soll­ten wohl ein­fach nur absto­ßend wir­ken. Jim Hen­son hät­te sei­ne Freu­de dar­an gehabt…

Spä­tes­tens bei der berühm­ten Musik von EVE OF THE WAR beka­men alle Fans Gän­se­haut. Oder eben auch die, die das Lied schon seit 30 Jah­ren ken­nen. Sehr schön, jedoch mit jeder Men­ge … na sagen wir mal »zeit­ge­mä­ßem Sound­de­sign« unter­legt. Dem ein oder ande­ren viel­leicht etwas zu viel. Mei­ne Ohren kamen damit klar.
Liam Nee­son als der Jour­na­list, der als Erzäh­ler und Haupt­dar­stel­ler die Geschich­te vom Anfang bis Ende beglei­tet, war sicher­lich eine gute Wahl. Sei­ne »sin­gen­den Gedan­ken« wur­den mit star­ker Stim­me und viel Cha­ris­ma von Mar­ti Pel­low vor­ge­tra­gen. Über die Qua­li­tät der Inter­pre­ten gibt es nur Posi­ti­ves zu sagen. Das sieht viel­leicht ein Musi­cal-Exper­te oder Die­ter Boh­len anders, sie tra­fen am Frei­tag aber defi­ni­tiv den Geschmack des Publi­kums.

Nach der Lan­dung, das weiß der Ken­ner der Geschich­te, kommt der Hit­ze­strahl und spä­tes­tens hier muss­te den meis­ten Nicht­ein­ge­weih­ten klar sein, dass es sich nicht um den ZAUBERER VON OZ, son­dern um die Beschrei­bung eines Geno­zid han­delt. Krieg, Mas­sa­ker, Ver­nich­tung, Hit­ze­strahl. Alles in allem sehr schön durch die Musik und eine büh­nen­brei­te Hin­ter­grund­lein­wand in Sze­ne gesetzt. Der Jour­na­list wur­de wahl­wei­se auf einer Lein­wand auf der Büh­ne, sowie links davon prä­sen­tiert. Dort wur­de auch die jewei­li­ge Über­set­zung ange­zeigt. Nichts für Men­schen, die unter Kurz­sich­tig­keit lei­den. Das gespro­che­ne Eng­lisch war auf­grund der vie­len Geräu­sche sehr schlecht zu ver­ste­hen. Die Über­set­zung half sicher­lich vie­len, um über­haupt der Sto­ry fol­gen zu kön­nen. Das gesun­ge­ne Eng­lisch war dage­gen ein Genuss.
Nach­dem man sin­gend und spre­chend und mit viel audio­vi­su­el­lem Bei­stand erfährt, dass es für den Jour­na­lis­ten wohl einen ewi­gen Herbst geben wird (FOREVER AUTUMN) – sei­ne gelieb­te Car­rie ist von ihm getrennt und uner­reich­bar in Lon­don – und er lang­sam aber sicher Klar­heit dar­über gewinnt, dass die Ali­ens nicht nur eine klei­ne Graf­schaft in Eng­land okku­pie­ren, son­dern auch mit Big Ben Golf spie­len möch­ten, geht es per pedes wei­ter nach Lon­don.  Zusam­men mit sei­nem Beglei­ter, einem Artil­le­ris­ten, der einen Groß­an­griff der Ali­ens knapp über­lebt hat. Schön abge­dreht gespielt von Ricky Wil­son.

Die Ver­lob­tes des Jour­na­lis­ten hat Glück. Car­rie ent­kommt – mal wie­der – knapp mit einem klei­nen Pas­sa­gier-Damp­fer. Ihr Ver­lob­ter bleibt natür­lich da und erlebt die Schick­sals­schlacht der THUNDER CHILD, mei­ner Mei­nung nach einer der Höhe­punk­te der Geschich­te. Ein Pan­zer­schiff – eben die  Thun­der Child – ver­sucht ver­zwei­felt, den Kampf gegen die mar­sia­ni­schen Kampf­läu­fer auf­zu­neh­men. Zum Schei­tern ver­ur­teilt, dar­um sehr dra­ma­tisch und letzt­end­lich die per­fek­te Ablen­kung, damit der klei­ne Pas­sa­gier-Damp­fer das Wei­te suchen kann. Das Lied der kämp­fen­den Thun­der Child wur­de von Will Stap­le­ton ein­drucks­voll vor­ge­tra­gen.
Damit ist die Sach­la­ge klar. Die Außer­ir­di­schen haben gewon­nen. Die letz­te Hoff­nung ist erlo­schen, jetzt  machen sich die Ali­ens breit. Lon­don wird maro­diert. Auf dem Land ver­brei­tet sich der rote Polyp, ein von den Mar­sia­nern impor­tier­tes Lebe­we­sen, das in Pflan­zen- und Schleim­form den Boden und alles ande­re bedeckt. Die Welt erscheint in einer neu­en Far­be: rot.

Inmit­ten die­ser ver­än­der­ten Welt wan­dert der Jour­na­list wei­ter. Auf der Flucht vor den Drei­bei­nern (John Chris­to­pher lässt grü­ßen). Fakt ist, dass hier die domi­nie­ren­den Kampf­ma­schi­nen Drei­bei­ner sind. Es haben aller­dings nicht alle Fahr­zeu­ge der Ali­ens die­se Form – die Flug­ma­schi­nen sowie­so nicht. Die Bei­ne der sackig-klum­pi­gen Ali­ens wer­den nicht gezeigt (für einen erfah­re­nen Sesam­stra­ßen-Gucker nichts Neu­es).

Pau­se. Oder CD 2 ein­le­gen … Der rote Polyp brei­tet sich aus, die Welt ver­sinkt im Mars­schleim. Der Jour­na­list wan­dert wei­ter und erreicht irgend­wann ein zer­stör­tes Haus. Er trifft Pater Natha­ni­el (Jason Dono­van – ja wirk­lich!) und sei­ne Frau Beth (Ker­ry Ellis). Natha­ni­el hat über die Inva­si­on der Ali­ens sei­nen Glau­ben ver­lo­ren, vor allem den an die Mensch­heit. Sei­ne Frau – so wie sie immer sind – ist ande­rer Mei­nung. Das Lied bei­der ist mei­ner Ansicht ein wei­te­rer Höhe­punkt des Musi­cals. Bestraft uns Gott mit Mar­sia­nern? Viel­leicht, aber ver­mut­lich nicht vor der nächs­ten Bun­des­tags­wahl.
Beth wird bei einem Angriff getö­tet. Pater Natha­ni­el und der Jour­na­list igeln sich in einem Kel­ler ein. Bis schließ­lich auch der Pater erwischt wird. Wie bereits erwähnt, muss die Geschich­te wei­ter­erzählt wer­den. Also muss der Jour­na­list über­le­ben. Offen­bar nicht nur Jour­na­list, son­dern auch Preis­bo­xer­qua­li­tä­ten besit­zend, hat der Jour­na­list über­zeu­gend sei­nen rech­ten Haken prä­sen­tiert, der beim aus­ras­ten­den Natha­ni­el ein­drucks­voll ein­schlägt. Das ers­te Mal, dass eine 2D-Per­son auf einer Lein­wand eine ech­te Per­son auf der Büh­ne aus­knockt.

Der nächs­te »Akt«, die BRAVE NEW WORLD, ist sicher­lich ein wei­te­rer der Höhe­punk­te der Show. Ich fand es auf CD immer etwas ner­vig. Anders auf der Büh­ne. Ja, die Büh­nen­show … Abge­se­hen von einem mons­trö­sen Drei­bei­ner, der ab und zu auf die Büh­ne her­un­ter­ge­las­sen wur­de und dabei Hit­ze­strah­len spuck­te (der ört­li­che Feu­er­wehr­be­auf­trag­te schwitz­te sicher­lich Blut und Was­ser) und dabei Tei­le des Podi­ums kon­trol­liert brann­ten, wur­de bei BRAVE NEW WORLD eine gro­ße, brü­cken­ar­ti­ge Trep­pe auf­ge­baut. Hier singt der idea­lis­ti­sche, aber wenig prak­tisch begab­te Artil­le­rist von sei­ner schö­nen neu­en Welt. Sehr ein­drucks­voll und mit einer gehö­ri­gen Por­ti­on Schau­spiel­kunst mach­te er dem Publi­kum klar, dass die Mensch­heit nur UNTER der Erde über­le­ben kön­ne, und der Kampf gegen die Ali­ens aus­sichts­los sei. Nach etwas Wein und einem Kar­ten­spiel wird dem Jour­na­lis­ten jedoch klar, dass es sich hier um einen Träu­mer han­delt. Er geht wie­der zurück nach Lon­don.

Dort ange­kom­men wird ihm klar, dass wirk­lich alles zer­stört ist. Er hat über­lebt, aber war­um? Ein Heu­len aus der Fer­ne bringt ihn schließ­lich an den Ort an dem die Mar­sia­ner in Mas­sen ster­ben. Getö­tet von den Bak­te­ri­en der Erde. Den kleins­ten Orga­nis­men. Das Ende der Geschich­te und lei­der auch der Logik bzw. der Sinn­haf­tig­keit der Inva­si­on. Aber ist dies auch das Ende der Geschich­te? Wer weiß …

Eine Geschich­te über Mar­sia­ner die die Welt angrei­fen ist nichts Neu­es, zumin­dest nicht mehr im Jah­re 2013. Dies wur­de in Büchern und Fil­men bereits in epi­scher Brei­te doku­men­tiert. Aber mit dem Wis­sen, dass die­se Geschich­te im Jah­re 1898 geschrie­ben wur­de und auch spielt, wird einem schnell klar, dass sie etwas Beson­de­res ist. Jeff Way­ne schafft es, aus die­sem Beson­de­ren noch etwas ande­res zu machen: einen audio­vi­su­el­len Lecker­bis­sen. Hier und dort etwas ein­fach und laut und viel­leicht sogar schnar­rig, jedoch mit Qua­li­tät bei den Dar­stel­lern sowie beim Per­so­nal und mit viel Lie­be zum Detail.
Fans der Sto­ry und des Gen­res (hier mei­ne ich die Sci­ence Fic­tion) kom­men defi­ni­tiv auf ihre Kos­ten. Es gab sicher­lich auch eini­ge Besu­cher, die weder das Buch kann­ten, noch den Film sahen und trotz­dem ihren Spaß hat­ten.

Der Krieg der Wel­ten ist die­ser Tage eine sehr ambi­va­len­te Geschich­te. Einer­seits sind wir alle  noch Maya-isiert – die Apo­ka­lyp­se ist ja nicht ein­ge­tre­ten – ander­seits ste­cken wir seit Jah­ren in einer soge­nann­ten Kri­se. Sol­che Kri­sen sind meis­tens nicht der opti­ma­le Nähr­bo­den für eine Begeis­te­rung des Publi­kums für Welt­un­ter­gangs­ge­schich­ten. Das schlug sich dann lei­der auch in den Besu­cher­zah­len nie­der. So war die KöPi-Are­na nur im unte­ren Bereich voll besetzt und in den obe­ren Rän­gen eher spär­lich.

Unterm Strich ein sehr zu emp­feh­len­des Welt­un­ter­gangs-Spek­ta­kel, aber lei­der auf­grund des Wan­der­zir­kus-Cha­rak­ters nur spon­tan buch­bar. Den Ein­tritt – ca. 75 Euro im mitt­le­ren Preis­be­reich – ist die Show aber sicher­lich wert.

Mar­kus Kirch­ner
07.01.2013

Arti­kel und Bil­der © Mar­kus Kirch­ner
CD-Cover WAR OF THE WORLDS – NEW GENERATION Copy­right Smc Sku (Sony Music)

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1 Kommentar zu „Jeff Waynes Version des KRIEG DER WELTEN in Oberhausen – und wieder ging die Welt nicht unter“

  1. Klaus "Kor" Mielke

    Mon­tag Abend in Nürn­berg.
    Tol­le Bäs­se, Musik und Gesang waren aber nicht so gut auf­ein­an­der abge­stimmt, so dass der gesun­ge­ne Text schwer ver­ständ­lich war. Pri­ma Effek­te, man konn­te die Hit­ze der »Heat Rays« zumin­dest in der sieb­ten Rei­he noch spü­ren.
    (Die Kampf­ma­schi­ne hat­te aller­dings im rech­ten Fuß etwas Lade­hem­mung und konn­te die­sen erst nach dem Besuch eines [mensch­li­chen!] Tech­ni­kers in der zwei­ten Hälf­te auf den Boden auf­set­zen. Aber sie kann ja jetzt ins Depot, nach­dem die Tour ges­tern im Fran­ken­land zu Ende ging.)
    Alles in allem ein gelun­ge­ner Abend ich freue mich, dass es nach zwei Jah­ren des War­tens doch noch geklappt hat.
    Jeff Way­ne mit sei­nen fast 70 Jah­ren auch sehr mobil am Diri­gen­ten­pult. Das hät­te er sich vor 35 Jah­ren wohl auch nicht gedacht, dass er damit mal auf Tour geht.

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