Zweifellos ist DREDD ein durchweg aufregendes Abenteuer. Wenn man den Werbestrategen und Fans der Comic-Reihe Glauben schenken darf, ist Pete Travis’ Verfilmung nach Alex Garlands Drehbuch endlich die filmische Umsetzung, auf die man seit Sylvester Stallones vergeblichen Versuch von 1995 lange zu warten hatte.
Man mag die zynische Dystopie wegen ihrer unreflektierten Gewalt für fragwürdig halten. Allerdings verlassen sich Autor Garland in der Geschichte und Travis mit seiner Inszenierung ganz auf die Mechanismen des aktuellen Action-Kinos. Es muss nicht alles Sinn machen, solange es Spaß macht. Und man muss sich schon lange nicht mehr der politischen Korrektheit unterwerfen. Losgelöst von allen heute funktionierenden gesellschaftspolitischen Konventionen, kann der JUDGE in seiner Zukunft das Unrecht in den Straßen und Wohnghettos von Mega-City‑1 bekämpfen. Sehr erfolgversprechend ist seine Arbeit dabei nicht, wie der titelgebende Richter, Geschworene und gegebenenfalls auch Henker in Personalunion lakonisch zugeben muss.
In einer Stadt wie Mega-City‑1, die sich von Boston bis nach Philadelphia erstreckt, braucht es starke und flinke Hände, die durchgreifen. Denn eine Stadt mit 800 Millionen Einwohnern, was ungefähr der aktuellen Einwohnerzahl des gesamten Amerika entspricht, ist Kriminalität kaum noch zu kontrollieren. Und so patroulieren die Judges direkt auf der Straße, jagen schwere Jungs und harte Burschen und führen sie direkt ihrer gerechten Strafe zu. Das erspart sehr viel Zeit und noch mehr behördlichen Aufwand. Da der titelgebende Judge Dredd, akribisch nach der Vorlage, in keiner Szene seinen markanten Helm abnimmt und seine Augen dadurch nie zu sehen sind, braucht es eine Identifikationsfigur für den Zuschauer. Das sind ebenfalls Regeln des Kinos, auch im Aktuellen, so erscheint diese Figur in Form von Anderson, einer Anfängerin, die weniger wegen ihrer harten Art zu einem Judge ausgebildet werden soll, sondern wegen ihrer Fähigkeit die Gedanken anderer Menschen lesen zu können. Das hilft bei der Urteilsfindung auf freiem Feld ungemein, ist effektiv und führt zu weniger Fehlurteilen.
Unterwirft sich der Film sonst seinem Anspruch pausenlos Waffen aller Art sprechen zu lassen und das Publikum mit Blutexzessen zu unterhalten, kristallisiert sich aus den beiden Kollegen eine interessante Beziehung heraus. Der stoisch handelnde und manchmal zynisch reagierende Dredd entwickelt zu seiner zurückhaltenden und hinterfragenden Partnerin eine symbiotische Beziehung. Er nimmt sich mehr und mehr dabei zurück, vorschnell ein Urteil zu fällen, um die Exekution folgen zu lassen. Nach und nach vertraut er zunehmend ihrer Fähigkeit des Gedankenlesens. Aber umgekehrt nimmt auch Anderson langsam die lebensnotwendige Weisheit an, dass der schnellere Finger am Abzug gesünder sein kann. DREDD ist aber keiner dieser abgedroschenen Buddy-Movies von zwei sich zusammenraufenden Charakteren, die sich am Anfang noch nicht ausstehen können. Mit so viel psychologischen Ballast kann und will sich der Film gar nicht erst aufhalten. Umso absurder klinkt es, das ausgerechnet durch diese Umstände, die Beziehung der Hauptfiguren sogar viel ehrlicher und realistischer wird.
Man muss Karl Urban ein großes Lob aussprechen, dass er sich als halbwegs etablierter Mainstream-Darsteller der Rolle soweit unterwirft, über die gesamte Laufzeit sein Gesicht nicht zeigen zu dürfen. Wenigstens kann man ihm nach seinen physischen Attributen zugestehen, ein großartiger Judge Dredd zu sein, nicht zu vergessen seine tiefkehligen, perfekt geraunzten Einzeiler. Mit ihrem Rehblick und der fransigen Friseur erscheint Olivia Thirlby nur Anfangs wie das falsche Pferd im Stall, kann dann aber mit ihrem Spiel und der ersten Actionsequenz zeigen, dass sie hier richtig aufgehoben ist. Großes Schauspiel wird bei diesem Film auch nicht die erste Agenda gewesen sein. So ist Lena Headeys Figur der bösen Ma-Ma eher dem Fundus für Klischee-Gangster entsprungen, den größten Eindruck hinterlässt ihre exzellent geschminkte Gesichtsnarbe. Aber auch hier muss man zugestehen, dass der Film bestimmt nicht die Absicht hatte, das Genre neu zu erfinden. Ma-Ma ist als oberster Fiesling in einem Film in diesen Breitengraden genau angemessen.
Anthony Dod Mantle erlaubt sich mit der Kamera effektive 3D-Effekt, leider aber auch allzu oft viel zu unübersichtliche Bilder. Da es im Action-Kino unverzeihlich schlimmere Verfehlungen durch Schulterkamera und Stakkato-Schnitt gibt, ist das visuelle Vergnügen keineswegs getrübt, es folgt eben einem Trend. Nur die Kameraeffekte, welche die Wirkung der Modedroge Slo-Mo visualisieren sollen, wirken wie eine aufgesetzte Spielerei, die eher ablenken. Das ansonsten wirkungsvolle Tempo des Films wird durch Paul Leonrad-Morgans elektronischen Score effektiv unterstützt, hat aber für sich allein stehend kaum Hörpotential.
Ist DREDD mit Action, Darstellern und technischer Umsetzung zweifelsfrei effizient zu Gunsten des Zuschauers umgesetzt, hakt es leider an mangelnder Innovation was die Gestaltung aber auch den Hintergrund von Mega-City angeht. Straßen, Verkehrsführung und selbst die Automobile sind viel zu offensichtlich noch in unserer realen Welt verwurzelt. Das könnte durchaus für einen realistischeren Bezug beabsichtigt gewesen sein, und zum Glück erspart man dem Zuschauer fliegende Autos, kunstvoll ineinander verschachtelte Wolkenkratzer und gigantische Häuserfassaden mit Leuchtreklame. Dennoch wirken die Außenszenen trotz ihrer temporeichen Action nicht so ganz am Puls der eigentlichen Filmprämisse. Dafür verlagert sich die Handlung sehr schnell in eines der 200 Stockwerke hohen Ghettos, wo das Set-Design auch nicht gerade mit innovativen Eingebungen gesegnet ist. Aber zumindest sind die Bauten einer unheilvollen Zukunft hier noch nachvollziehbar und optisch wirksam. Originalität sieht wirklich anders aus, aber was will man als Zukunftsvision schon verkaufen, was man nicht schon anderswo gesehen hat. Daher ist die visionäre Bodenständigkeit bei DREDD eigentlich zu bewundern, wirkt aber gerade in den Außeneinstellungen irgendwie falsch und manchmal billig produziert.
Ganz großes Kino ist auch DREDD nicht geworden. Aber es ist ein solides Spektakel, das, wenngleich etwas zu unoriginell geradlinig erzählt, das zumindest nicht enttäuscht. Die unreflektierte Gewalt wird durch die Handlung nicht hinterfragt, was bei unzähligen Streifen des Actionkinos ebenso sein mag. Bei DREDD wäre es aber vielleicht ein interessanter Ansatz gewesen und hätte ihn von vergleichbaren Filmen abgehoben. So vergnügt man sich über 90 Minuten mit einem wunderbaren Feuerwerk an ununterbrochenen Schauwerten, das sinnbefreit bleibt, aber bei dem man nichts bereuen muss.
DREDD 3D
Darsteller: Karl Urban, Olivia Thirlby, Lena Headey, Wood Harris, Langley Kirkwood, Junior Singo, Luke Tyler, Jason Cope, Domnhall Gleeson u.v.a.
Regie: Pete Travis
Drehbuch: Alex Garland nach den Comics von JohnWagner, Carlos Ezquerra
Kamera: Anthony Dod Mantle
Bildschnitt: Mark Eckersley
Musik: Paul Leonard-Morgan
Produktionsdesigner: Mark Digby
USA / 2012
zirka 96 Minuten
Promofotos Copyright Lionsgate / Universum Film