Garantiert spoilerfrei
Der uninformierte Kinogänger hätte möglicherweise angenommen, dass AVENGERS: ENDGAME der letzte Film der Phase III des Marvel Cinematic Universe sei. Denn immerhin schloss der einen Handlungsbogen ab, der über mehr als zehn Jahre gewachsen war, etwas, das es in dieser Form im Kino noch nie gegeben hatte. Doch das mit dem Abschluss stimmt nicht, denn tatsächlich beendet erst SPIDER-MAN: FAR FROM HOME die Phase III des MCU.
Und der ist vielleicht nicht das, was die Fans von einem solchen Abschluss erwartet hätten. Aber exakt das haben die Mächtigen bei Marvel und die Macher dieses Films genau richtig gemacht.
Es war ein ausgesprochen schlauer Plan, vor einigen Jahren Sony mit ins MCU-Boot zu holen, damit man Zugriff auf Spider-Man bekam, denn die Rechte an diesem Helden lagen eben bei Sony/Columbia und nicht im eigenen Haus. Man kann sich auch leicht vorstellen, dass die sich gern auf einen Deal eingelassen haben, denn damit kann man vom lukrativen MCU-Kuchen etwas abbekommen – genauer gesagt: Kinoeinnahmen, denn Marvel-Filme sind nun mal fast garantierte Blockbuster. Allerdings hat man bei Sony im Gegenzug dafür natürlich die Kontrolle über die Inhalte und Figuren aufgegeben, denn was in einem Film gezeigt wird, muss ins MCU passen. Und auf der anderen Seite hat Sony eben keine Rechte an haufenweise anderen Helden, das merkt man auch deutlich an deren Abwesenheit, auch wenn sie erwähnt werden. Und dann sind da noch Nick Fury und Agent Hill …
Nach AVENGERS: ENDGAME hat man gar nicht erst versucht, einen Film auf die Leinwand zu bringen, der den Vorgänger in Sachen Epik und Dramatik übertrifft. Und das war auch ein ziemlich schlauer Plan, denn wer gleich nach diesem bombastischen Abschluss versucht, ihn zu übertreffen, der muss zwangsläufig scheitern.
Und so stellt sich FAR FROM HOME ein wenig anders dar, als man vielleicht erwartet hätte: Man hat bisweilen den Eindruck, in einer Teenagerkomödie zu sitzen, in der zufällig auch Superhelden vorkommen. Doch dabei wird dem Zuschauer der typische Marvel-Humor serviert, der die Pointen auf den Punkt gezielt setzt, und sogar Schenkelklopfer liefern kann, ohne dabei in billigen Klamauk oder Slapstick abzurutschen. FAR FROM HOME ist fraglos neben den beiden ANT-MAN-Varianten und THOR: RAGNARÖK einer der witzigsten Marvel-Filme bisher, was allerdings nicht bedeutet, dass man keine Dramatik zu sehen bekommt.
Einen wichtigen Anteil am Humor hat ganz klar wieder mal Tom Holland, der den Teenager spielt, der eben zufällig ein Superheld wurde, dass es eine reine Freude ist. Und erneut zeigt sich eine Stärke, die Marvel-Filme ohnehin auszeichnet: Man bleibt nah an den Charakteren, zeigt das ganz normale Leben neben den überbordenden, bombastischen Heldentaten. Die Faszination an der Figur Spider-Man lebte bereits in den Comics schwerpunktmäßig davon, dass es nicht ganz einfach ist, eine Geheimidentität beizubehalten und gleichzeitig ein … hust … normales Leben zu führen. Und: neben dem Superheldentum lässt man im Film Peter einfach auch »nur« Teenager sein, dem halt möglicherweise andere Dinge wichtiger sein könnten, als die Welt zu retten.
Weitere Gags werden daraus gewonnen, dass man sich bei Marvel über sich selbst, über das MCU und über das Genre lustig machen kann. Stichwort (an das ihr euch im Kino erinnern werdet):
»Ich liebe Led Zeppelin!«
Was für ein Unterschied zu den DC-Filmen, die selbst wenn sie dann neben dem nervigen Grimdark tatsächlich mal witzige Szenen haben, noch den Eindruck machen, sie hätten einen Stock im Hintern. Die Leichtigkeit der Inszenierung und der Humor sind und bleiben das Salz in der Suppe, das Marvel-Filme immer wieder erfolgreich machen kann. Und natürlich die Tatsache, dass man bei Marvel nach all den Jahren MCU immer noch in der Lage ist, wieder einen Film abzuliefern, der anders ist, als die vorhergehenden.
Bei aller Freude über die naiv-sympathische Darstellung Hollands möchte ich an dieser Stelle allerdings auf keinen Fall darüber hinweggehen, dass sich die restliche Teenager-Besetzung keinesfalls verstecken muss. Und das finde ich bemerkenswert, angesichts der Tatsache, dass sie gegen Schwergewichte wie Samuel L. Jackson oder Jake Gyllenhaal anspielen müssen. Hervorheben möchte ich insbesondere Zendaya als MJ und Jacob Batalon als Peters Kumpel Ned, aber auch die restlichen Teens, die zwar mehr oder weniger Stichwortgeber sind, bekommen dennoch ihre Szenen und es ist eine Freude, dem jungen Ensemble beim Spielen und Interagieren zuzusehen.
Ebenfalls loben muss man die gezeigten Trailer, die zwar andeuten, was man in FAR FROM HOME zu sehen bekommt, aber letztendlich gar nichts spoilern, weil eben am Ende alles ganz anders ist, als man es angenommen hätte. Auch das eine Fähigkeit, die Marvel von anderen im Filmgeschäft positiv abhebt.
Und wenn man dann noch die Auflösung für vermeintliche Logiklöcher ganz am Ende des Abspanns serviert bekommt, ist der Marvel-Fan glücklich.
Wer jetzt ob meiner Besprechung den Eindruck bekommen hat, dass es keine superheldenhaften Szenen in diesem SPIDER-MAN gibt, der liegt übrigens falsch. Es wäre kein Marvel-Film, wenn es die nicht geben würde (und auch mit Popcornkino-Schauwerten), aber mal abgesehen vom Showdown stehen die nicht unbedingt im Mittelpunkt, was ebenfalls äußerst erfrischend ist.
Ein überaus unterhaltsamer, witziger MCU-Film, der ganz dicht an Peter Parker bzw. Spider-Man dran ist und der mit voller Absicht in eine ganz andere Richtung geht, als AVENGERS: ENDGAME – was ihn umso besser macht und eine erfreuliche Abwechslung in der Filmreihe darstellt.
Und dann auch noch DAS Ende …
Volle Punktzahl.
Phase IV kann kommen!
SPIDER-MAN: FAR FROM HOME
Besetzung: Tom Holland, Samuel L. Jackson, Jake Gyllenhaal, Marisa Tomei, Jon Favreau, Zendaya, Jacob Batalon, Tony Revolori, Angourie Rice, Remy Hii, Martin Starr, J.B. Smoove, Jorge Lendeborg Jr., Cobie Smulders und viele andere mehr
Regie: Jon Watts
Drehbuch: Erik Sommers, basierend auf Figuren von Stan Lee und Steve Ditko
Produzenten: Kevin Feige und Amy Pascal
Ausführende Produzenten: Victoria Alonso, Avi Arad, Eric Hauserman Carroll, Louis D’Esposito, Thomas M. Hammel, Matt Tolmach und Stan Lee
Kamera: Matthew J. Lloyd
Schnitt: Leigh Folsom Boyd und Dan Lebental
Musik: Michael Giacchino
Produktionsdesign: Claude Paré
Casting: Sarah Finn
129 Minuten
USA 2019
Promofotos Copyright Columbia Pictures, Marvel Studios