Vorsicht, die Besprechung könnte nicht ganz spoilerfrei sein, andererseits … die Story ist ja nun nicht gerade überraschend.
Ich mag den Film. Ich grüble aber schon seit ich ihn sah, warum ich nicht juble. Ich bin eine Cumberbitch und liebe die Marvel Filme. Ich sollte eigentlich hin- und weggerissen sein, aber ich komm nicht drauf, warum ich das nicht bin.
Also … der erste Teil: Stephen Strange – oh, Verzeihung, Doktor Stephen Strange – wird eingeführt. Ja, er ist ein brillanter Chirurg. Das Medizinische, was wir zu sehen bekommen, lassen wir mal außen vor, das ist eine Katastrophe. Offenbar hatten die keine Lust, da auch nur etwas halbweg Glaubwürdiges oder Realistisches zu filmen. Macht ja auch nichts, jeder kapiert, dass der Doktor ein brillantes Arschloch ist. Die wichtigsten Figuren werden eingeführt. Wir lernen, dass der Doktor Single ist, und zwar offenbar aus Überzeugung. Der mögliche Love-Plot ist damit auch erst mal dahin. Find ich als Cumberbitch nicht schlimm, und mich nervte das in Thor beispielsweise ungemein. Warum sollte der Gott sich mit dieser Wissenschaftlerin einlassen? Und dann nach nur ein paar Küssen später völlig ausflippen wegen ihr?
Strange hat dann einen Unfall, danach sind seine Hände zerstört. Er sieht keine Zukunft für sich, randaliert dann ein wenig rum (vergrault die Frau, die sich immer noch um ihn kümmerte) und erfährt schließlich von einer möglichen Heilung in Nepal. Da er kaum noch Geld hat, kommt er recht abgerissen dort an. Dann …
Ja dann? Dann kommt Matrix. Ein bisschen Helden durch die Gegend werfen und mystisches Geschwurbel. Tilda Swinton mit Glatze und ein paar nett anzusehende Statisten. (Aber ich liebe die Klamotten, die Kostüme sind wunderbar.) Fazit: es gibt Magier und Magie und damit könne er sich heilen, aber er könnte natürlich auch viel Tolles damit machen.
Dann folgt mein Lieblingsteil: Strange lernt. Das ist sein Ding. Das kann er. Auch wenn erst viel später mal nebenbei erwähnt wird, dass er ein fotografisches Gedächtnis hat, ist klar, dass er die Herausforderung, diese Magie zu erlernen, meistern wird. Aber die Interaktion zwischen Strange und Wong, dem Bibliothekar, ist mein Highlight.
Der vorherige Bibliothekar hat nämlich seinen Kopf verloren … (warum eigentlich? Es gab später keinen Grund für diese Art der Tötung … das ist im Nachhinein gesehen reine Effekthascherei. Aber so wurde der Böse eingeführt) und dabei sind einige Seiten aus einem Buch gestohlen worden (warum nur ein paar Seiten? Man hätte doch einfach das ganze … genau: Effekthascherei, und man brauchte den Rest des Buches ja später noch … billiger Trick). Wong ist nun bestrebt, dass ihm das nicht passiert und er beobachtet Strange genau.
Leider wird danach verpasst, der Lernerei eine Zeit zu geben, also man hat als Zuschauer keine Ahnung, wie lange Strange lernt, bis er anfängt, Unsinn zu machen. Denn wie der Zuschauer ist auch er überhaupt nicht beeindruckt von der Ältesten, die sich immer nur zu kryptischen Aussagen über die Nützlichkeit Stranges herablässt. Scheinbar ist er besonders begabt, braucht aber einen Anschubser. Danach kann er aber alles und rasant. Er fasst dann also das Ding an, welches ganz klar nicht angefasst werden soll und spielt mit Zaubern rum, mit denen man nicht rumspielen soll. Alle sind empört, aber es stellt sich heraus, dass Strange erstens damit später natürlich die Sache rettet und zweitens etwas wichtiges über die Älteste erfährt.
Der Böse hat derweil seine gestohlenen Seiten und macht sich eifrig ans Werk, die ganze Erde mit ihrer Hilfe einer dunklen total umfassenden und nicht zu bekämpfenden Bedrohung auszuliefern. Die Spezialeffekte in der Hinsicht sind super, aber da wäre noch was gegangen. Der Grund, warum der Böse das macht … naja … er faselte was von Unsterblichkeit und so. Seufz.
Jetzt läuft Strange zu Form auf und er findet seinen Sidekick. Absoluter Höhepunkt für mich: das Cape. Ich liebe liebe liebe es. Es gibt einen Kampf und Strange wird verletzt. Eine Herzbeuteltamponade. Die verarztet seine nette Ex ihm aber fachmännisch, während er sich im Astralraum durchs Krankenhaus kloppt. Und den Rest des Films, mit weiterer rummsender und schmetternder Klopperei, übersteht er ohne einmal zu zucken, mit einer frischen Wunde und einem Loch im Herzbeutel. Halleluja für diese Leistung!
Doch genug des Inhalts. Die Kameraführung ist bei DOCTOR STRANGE nichts Besonderes. Im Gegenteil ist sie mir oft zu lahm und zu eintönig. Das 3D ist ebenfalls nichts Besonderes … ja, dieses Inception-mäßige Drehen und Falten und Rollen … da wird einem schlecht. Nach dem ersten Mal reicht es, aber man muss es noch ein paar Mal durchstehen und denkt dann irgendwann: wozu? Was soll das?
Die Zauber, das goldene Gefunkel: super. Aber … es ist da, zack, zack, nichts wird erklärt. Es ist wenig liebevoll. Erst im Abspann sieht man Dinge bei denen man denkt: ahhh, warum hat man das nicht vorher …? Kostüme hab ich schon erwähnt, sehr schick. Kulissen … naja. Nicht gerade innovativ.
So langsam taste ich mich ran, was ich das eigentliche Manko an dem Film finde. Es ist die Lieblosigkeit. Es fehlt das Auge für Details. Ja, es wird gezeigt, dass Strange Uhren liebt und das teure Exemplar, welches er am Ende noch übrig hat wird sein Anker … Ja, wir sehen seine Hände wieder und wieder … aber wir binden uns nicht daran. Der Film lässt uns keine Zeit. Er ist zu kurz. Mir kommt es vor, als wäre er unter Zeitdruck gedreht und geschnitten. Er ist atemlos und oberflächlich.
Ich meine: die haben die Swinton … eine eigentlich extrem charismatische Schauspielerin und sie agiert so leblos wie eine Wachspuppe. Einzig in ein paar Szenen erahnt man die Kraft der Figur, die möglich gewesen wäre.
Und dann eben Cumberbatch. Himmel, einen Kerl, der als Sherlock derart brilliert und als Khan alle an die Wand gespielt hat. Dessen Blick reicht, um Knie erzittern zu lassen. Einen Schauspieler, den ich auch in anderen Rollen gesehen habe, wo man ihn kaum wiedererkennt, weil er während der gesamten Zeit den Unterkiefer vorschiebt und dadurch grenzdebil aussieht. Einen Schauspieler von Weltklasse. Und man lässt ihn rumrennen wie Harry Potter zu seinen atemlosesten Zeiten, dabei wie Ron rumwitzeln. Nichts gegen die Witze, die sind gut, aber … da wäre mehr gegangen.
Mein Dr. Strange wäre kraftvoller gewesen. Strange ist ein Arsch, er ist arrogant, talentiert, respektlos, aber er hat Werte. Er hat einen Kodex und er ist leidenschaftlich. Er kämpft und hört nicht auf. Er klopft fünf Stunden an die Tür des Sanktuariums. Fünf! Aber meist darf er agieren, als sei er ein 15-jähriger Student. Dabei ist er ein erwachsener Mann! Aber so … nein, ich will nicht nur meckern. Ich mag es sehr, dass er seinen Titel DOKTOR sehr ernst nimmt und sichtbar (wenn auch nur für 30 Sekunden, mehr Zeit wird ihm nicht gegönnt) leidet, weil er jemanden umgebracht hat. Ich mag es, wie er sich später entscheidet und ich mag seine Lösung des Problems. Ich mag die Figur an sich, aber den Film … der hätte besser sein können.
Fazit: DOCTOR STRANGE ist nette Unterhaltung, keine Überraschungen, dafür viel verschenkt. Ich freue mich trotzdem auf die Figur in den nächsten Filmen. Da geht noch was.
DOCTOR STRANGE
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Chiwetel Ejiofor, Rachel McAdams, Benedict Wong, Mads Mikkelsen, Tilda Swinton, Michael Stuhlbarg, Benjamin Bratt, Scott Adkins, u.v.a.m.
Regisseur: Scott Derrickson
Drehbuch: Scott Derrickson, Jon Spaihts, C. Robert Cargill
Kamera: Ben Davis
Schnitt: Sabrina Plisco, Wyatt Smith
Musik: Michael Giacchino
Produktionsdesign: Charles Wood
Kostüme: Alexandra Byrne
Produzent: Kevin Feige
Ausführende Produzenten: Louis D’Esposito, Stephen Broussard, Victoria Alonso, Stan Lee, Charles Newirth
115 Minuten
USA 2016
Marvel & Walt Disney Pictures
Promofotos Copyright Marvel und Walt Disney
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Ich hätte den Film nicht besser besprechen können.
Ich bin kein Freund von Cummerbund, aber das Fiasko
des Films geht auf die Inszenierung. Eine sehr treffende
Beobachtungskraft, und sehr feinfühlige Beurteilung.
Danke.
Leider besteht dieser Film größtenteils nur aus oberflächlicher Effekthascherei. Die Marvel-Filme enttäuschen mich recht häufig. Civil War war auch schon eine gewaltige Pleite (sogar noch wesentlich mehr als Doctor Strange). Eine Actionszene nach der anderen und soviele Cameos wie möglich hineinpacken, wieso und weshalb wer für wen kämpft ist dabei scheinbar vollkommen Wurst. Aber ja nicht zuviel Tiefgang, dass könnte die Zuschauer überfordern. Ich weiß, in zwei oder drei Stunden (Doctor Strange ging glaub ich nicht einmal zwei Stunden) kann man nicht zusehr ins Detail gehen aber ein bisschen mehr Anspruch wäre manchmal schon drin gewesen.
Die Boxoffice-Erfolge der Filme sprechen eine andere Sprache.