JUNGLE CRUISE – Deutschlandstart 29.07.2021
Ich bin schon lange ein Fan der Genres Pulp und Cliffhanger. Der Begriff Pulp rührt von amerikanischen Groschenheften her, die aus einem billigen Papiermaterial hergestellt wurden, nämlich eben dem »Pulp«. Cliffhanger nannte man inoffiziell wöchentliche Serials im Kino, bevor es den Heimpornographen gab, bei denen der Held am Ende als Plot Device in eine äußerst brenzlige Situation gebracht wurde (beispielsweise an einer Klippe hängend), um die Spannung so zu erhöhen, dass die Zuschauer in der Nächsten Woche wieder kamen. Um zu erfahren, wie es dem Protagonisten ergehen würde.
Zweifelsohne war Harrison Fords INDIANA JONES (1981) derjenige, der das Genre im Kino populär gemacht hat, nennen muss man aber ganz sicher auch THE MUMMY aus dem Jahr 1999 mit Rachel Weisz und Brendan Fraser. Und viele andere.
Wir hatten aber auch im Pen & Paper-Rollenspiel über die Jahrzehnte immer wieder viel Freude mit dem Genre, sei es mit GURPS CLIFFHANGERS, dem Nile Empire aus TORG oder dem INDIANA JONES-Rollenspiel von West End Games.
Leider ist das Genre im Kino äußerst selten geworden und deswegen musste ich sehr lange auf einen Film wie JUNGLE CRUISE warten. Das Warten hat sich gelohnt.
Wie schon bei PIRATES OF THE CARIBBEAN (2003, überaus erfolgreich) oder TOMORROWLAND (2015, aus unerfindlichen Gründen ein Flop) setzt man beim Maus-Haus auf ein Disneyland-Fahrgeschäft als Basis für einen opulent umgesetzten Film. Da wurden natürlich im Vorfeld gleich die üblichen Partypooper laut und behaupteten wider besseren Wissens durch PIRATES, das könne ja nichts werden.
Doch wie weit gefehlt. JUNGLE CRUISE ist sich nicht nur dessen bewusst, was seine Grundlage ist, es kokettiert immer wieder damit, insbesondere gleich am Anfang, wenn Frank alias Dwayne »The Rock« Johnson Touristen auf seinem angegammelten Boot über einen Seitenarm des Amazonas fährt und sie mit allerlei selbstgebauten »Gefahren« konfrontiert. Das ist dermaßen meta, selbstreflektierend und macht sich sofort über sich selbst lustig, dass man dem Film ab diesem Moment eigentlich schon nichts mehr krumm nehmen kann.
Aber tatsächlich muss man ihm auch nichts krumm nehmen, denn die Macher haben es nicht nur geschafft, das Genre angemessen zu inszenieren und sich seiner Versatzstücke und Klischees zu bedienen, sondern sind zudem in der Lage, die an genau den richtigen Stellen aufzubrechen und zu konterkarieren, um JUNGLE CRUISE eine erfreuliche Frische zu verleihen.
Im Mittelpunk Emily Blunt als unkonventionelle, quirlige englische Forscherin (eins der Tropes des Genres: die kompetente Femme Fatale in einer Männerwelt) und dagegen Dwayne Johnson vermeintlich in der Rolle des testosteronösen Pulp-Helden. Mit erkennbar viel Vergnügen geben sich die beiden zahllose Wortgefecht, die auch wirklich witzig sind, unter anderem eben, weil die Chemie zwischen den beiden deutlich stimmt – und weil beide das Genre Comedy beherrschen.
Erfreulich an dieser Stelle, dass der komische Sidekick, hier Frau Doktors Bruder MacGregor (Vorname) dargestellt durch einen brillianten Jack Whitehall, zwar Anfangs für solche eine Figur klassisch als dummer August inszeniert wird, man der Figur aber erfreulicherweise während der Handlung eine durchgehende positive Entwicklung spendiert.
Die einen mögen sagen, JUNGLE CRUISE verneigt sich als Hommage an zahllosen Stellen in Richtung seiner Vorbilder, andere werden vielleicht von Plagiaten reden. Der gesetzteren Filmfreundin fallen sicherlich sofort Parallelen zu AFRICAN QUEEN (1951) mit Katharine Hepburn und Humphrey Bogart auf, insbesondere Franks Outfit und sein Boot haben sich hier inspirieren lassen. Trotzdem: Der Film spielt – wie es sich gehört – mit allen Klischees des Genres, schafft es aber trotzdem, ihm neue Facetten abzugewinnen und auch mit eben diesen Klischees zu brechen, dass ein Werk entsteht, in dem man sich als Genre-Fan wohlfühlt, das aber dennoch immer wieder mit Überraschungen aufwarten kann.
Dass man sich bei den verfluchten Conquistadores unweigerlich an die verfluchten Piraten aus PIRATES OF THE CARIBBEAN erinnert fühlt: Geschenkt.
Dass manche Spezialeffekte unfassbar grandios sind, beispielsweise die verfluchten Conquistadores oder Landschaften und Szenerien, andere im Vergleich fast schlicht anmuten: Erstens geschenkt, weil es den Spaß nicht mindert. Zweitens könnte man auch den Eindruck gewinnen, dass das gezielt eingesetzt wurde, eben wieder als Selbstpersiflage wegen des Vorbilds eines Disney-Fahrgeschäftes. Wer weiß …
Ärgerlich allerdings wieder einmal die Übersetzung. Nach meinem Kinobesuch habe ich ihn mir gleich nochmal im Originalton angesehen und was ich bereits ahnte sollte sich bestätigen. Die Synchronisation grenzt wieder einmal an eine Unverschämtheit. Es ist natürlich schwierig, Wortspiele zu übersetzen, wenn einer der Hauptcharaktere den Quirk (Gruß an GURPS-Spieler) hat, schlechte Witze zu reißen. Trotzdem kann an sich der Aufgabe meiner Ansicht nach weniger peinlich annehmen und es muss auch nicht sein, Begriffe künstlich vermeintlich überwitzig ins Deutsche zu übertragen. Franks flapsige Anrede »Hose« hätte völlig gereicht, statt das in Umgangssprachliche zu übertragen.
Selbstverständlich sollte man sich bei einem Popcorn-Abenteuerfilm dieses Genres als Zuschauer darüber im Klaren sein, was einen erwartet. Und gleich mal Ansprüche an Realismus und Logik in den Hintergrund stellen, denn um die geht es in einem Film mit alten Flüchen, magischen Blumen und unmöglichen Bauten südamerikanischer Ureinwohner überhaupt nicht. Stattdessen sollte man sich zurücklehnen und einen durchweg grandios inszenierten Abenteuerfilm erleben, mit opulenten Szenarien, unzähligen kleinen und großen Details, Zeit für Action und für Besinnung, sowie einem Ensemble bei dem es eine reine Freude ist, ihm beim Spielen und dem Spaß daran zuzusehen.
Dazu ein passender Soundtrack von James Newton Howard, der sich auch die musikalischen Vorbilder sehr genau angehört hat. Vielleicht an manchen Stellen auch ein bisschen zu genau, denn bei der anfänglichen Jagd durch die Siedlung kann man deutliche Parallelen zum Venedig-Thema aus INDIANA JONES UND DER LETZTE KREUZZUG erkennen. Für die Neuinterpretation von NOTHING ELSE MATTERS gehören Newton und Metallica allerdings Orden verliehen.
Wenn JUNGLE CRUISE es auch noch schafft mit echten Überraschungen aufzuwarten, dann bleibt mir nur das Fazit, dass es sich hier um einen der gelungensten Popcorn-Filme seit Langem handelt. Und ich danke den Machern, dass meine lange Durststrecke mit Pulp- und Cliffhanger-Filmen endlich beendet ist.
Insbesondere für Genrefans eine unbedingte Sehempfehlung, aber auch andere Kinobesucher werden ihren Spaß haben. Über eine Fortführung wäre ich nicht böse.
p.s.: Ich würde mich übrigens nicht von der eher mittelmäßigen Bewertung auf IMDb verwirren lassen: Starke Frauen in Hauptrollen und ein entspannter, positiver Umgang mit Homosexuellen rufen eben eine gewisse Klientel auf den Plan, die kann konzertiert abwerten.
JUNGLE CRUISE
Besetzung: Dwayne Johnson, Emily Blunt, Edgar Ramírez, Jack Whitehall, Jesse Plemons, Paul Giamatti, Veronica Falcón, Dani Rovira, Quim Gutiérrez, Dan Dargan Carter, Andy Nyman u.v.a.m.
Regie: Jaume Collet-Serra
Drehbuch: Michael Green, Glenn Ficarra, John Requa
Produzenten: John Davis, Beau Flynn, John Fox, Dany Garcia, Hiram Garcia, Douglas C. Merrifield und Dwayne Johnson
Ausführende Produzenten: Douglas C. Merrifield, Scott Sheldon
Kamera: Flavio Martínez Labiano
Schnitt: Joel Negron
Musik: James Newton Howard
Produktionsdesign: Jean-Vincent Puzos
127 Minuten
USA 2021
Bildrechte Walt Disney Pictures