Bandit bespricht: M. Night Shyamalans OLD

OLD – Bun­des­start 29.07.2021

Der Oze­an ist all­ge­gen­wär­tig. Die Ton­spur der schla­gen­den Wel­len über­tönt an man­chen Stel­len sogar die Musik von Tre­vor Gureckis. Doch wer genau­er hin­hört, dem fällt auch auf, dass sich bei­de ergän­zen. Die Ton­ebe­ne ist M. Night Shy­a­mal­ans Vor­bo­te für das, was in der groß­zü­gi­gen Bucht an Unheil über die Prot­ago­nis­ten kom­men wird. Dies wie­der­um ver­deut­licht, dass sich auch OLD als Stan­dard die­ses Fil­me­ma­chers prä­sen­tiert. Wobei man bei Shy­a­mal­an den Begriff »Stan­dard« nicht als begrenz­te, oder fest­ge­fah­re­ne, Grö­ße ver­ste­hen darf. Aber was Inhalt, Figu­ren­zeich­nung und Span­nungs­mo­men­te betrifft, ver­sucht er erst gar nicht geheim­nis­voll oder rät­sel­haft zu sein. Shy­a­mal­ans Spiel mit dem Zuschau­er ergibt sich gera­de aus Vor­kennt­nis und Wis­sen um die Erzählung.

Womit das Mar­ke­ting lockt, sind Men­schen die an einem mys­te­riö­sen Strand unglaub­lich rapi­de altern. Und von Anfang an führt der Film all sei­ne Hand­lungs­ele­men­te unprä­ten­ti­ös ein, behan­delt die­se zudem ohne Anspruch auf Über­ra­schung, oder raf­fi­nier­te Wen­dung. Auch wenn dies fes­tes Ele­ment im Kon­zept ist, wie man vom Regis­seur weiß. Die Bil­der von Mike Giou­la­kis sind nicht die ers­ten für einen M. Night-Trip und sind weit weg vom ein­fa­chen opti­schen Werk­zeug. Als ver­dreh­tes Spiel mit Täu­schung und Erwar­tung wirkt die Sze­ne mit den vor Schreck erstarr­ten Eltern, wenn die Kame­ra ein­fach nicht die Gesich­ter der betrof­fe­nen Kin­der zei­gen will. Als soll­te ein Über­ra­schungs­mo­ment erzeugt wer­den, auch wenn wir wis­sen, was mit ihnen gesche­hen ist.

Dass sie sicht­lich um Jah­re geal­tert sind, ist dabei nicht die Über­ra­schung, son­dern wie weit sie sich ver­än­dert haben. Die Geschich­te gewinnt an Dyna­mik, wenn die Ereig­nis­se zuneh­men, die Men­schen aber die Zeit nur ganz nor­mal wahr­neh­men. Wie mit der plötz­li­chen Schwan­ger­schaft, oder einem bös­ar­ti­gen Tumor, wo der Zuschau­er immer wie­der gefor­dert ist, durch den extrem geraff­ten Zeit­ab­lauf jedes neue Ereig­nis zu ana­ly­sie­ren und ganz neu einzuordnen.

Auf­nah­men der Land­schaft und Kame­ra­schwenks wie­der­ho­len sich in ihrer Ein­stel­lung. Sie wer­den auf Optik basie­ren­de Rät­sel, was es für die Figu­ren und den wei­te­ren Ver­lauf bedeu­te könn­te. Das ent­wi­ckelt einen ganz beson­de­ren Reiz, den eigent­lich im Main­stream-Kino nur M. Night Shy­a­mal­an so selbst­si­cher aus sei­ner ganz eige­nen Gedan­ken­welt her­aus insze­nie­ren kann. Unge­bro­chen ver­wehrt er sich stets vor­an­ge­gan­ge­nen Kri­ti­ken. Das übt eine durch­weg uner­klär­li­che Fas­zi­na­ti­on aus. Bis­wei­len will auch OLD nur schwer zugäng­lich für sein Publi­kum sein, was fan­tas­tisch funk­tio­niert. In posi­ti­ve wie in nega­ti­ve Richtung.

Irgend­wo in der Nähe eines tro­pi­schen Urlaubs­re­sort kom­men zehn Men­schen unter­schied­li­chen Alters und gesell­schaft­li­chen Sta­tus an einem idyl­lisch anmu­ten­den Strand zusam­men. Dass sie dort in jeder Stun­de um ein Jahr altern, bemer­ken sie als ers­tes an den Klein­kin­dern, die mit einem Schlag gewach­sen sind und das puber­tie­ren­de Alter errei­chen. Oder die rüs­ti­ge Groß­mutter, die unver­mit­telt an Alters­schwä­che stirbt. Ver­su­che die Bucht zu ver­las­sen enden in Bewusst­lo­sig­keit und einem Wie­der­erwa­chen am Strand. Dass es sich um ein über­na­tür­li­ches Phä­no­men han­deln muss, scheint logisch. Oder ein per­fi­des von Men­schen ver­an­stal­te­tes Spiel? Und irgend etwas ist dort oben auf den unüber­wind­ba­ren Klippen.

 

Es ist die bes­te, weil kon­zen­trier­tes­te For­mel eines Horror‑, oder in die­sem Fall bes­ser beti­telt, Mys­te­ry­films. Es ist eben jener Stan­dard, den M. Night Shy­a­mal­an für sich ent­deckt und ent­wi­ckelt hat. Und mit dem er sei­nen Ruf begrün­de­te und auch dar­an fest­hält. Abso­lut unbe­ein­druckt von jed­we­der Form von Kri­tik. Das bedeu­tet auch, dass die­ses mini­ma­li­sier­te Set­ting viel mehr sein muss, als ober­fläch­li­cher Hor­ror. Selbst wenn der Fil­me­ma­cher dies genau so in der Insze­nie­rung anklin­gen las­sen will. Dia­lo­ge in OLD sind teil­wei­se so gro­tesk naiv, dass man eine ernst­haf­te Absicht nur anzwei­feln möch­te. Da gibt es zu Erklä­rungs­ver­su­chen ger­ne ein­mal den auf­fal­lend über­flüs­si­gen Zusatz, »ich habe da ein­mal ein Semi­nar besucht«, oder »das weiß ich von mei­ner Schwes­ter, die ist Neurologin«.

Wer Shy­a­mal­an kennt weiß, dass er sich auf ihn ein­las­sen muss. So weiß man dann auch, dass nur sel­ten etwas aus Zufall pas­siert, oder sich unkon­trol­liert ergibt. Ob der Zuschau­er das für gut heißt, es als belang­los abtut, oder voll­kom­men irri­tiert zurück bleibt, sei dahin gestellt und wäre ein Pro­blem des Ein­zel­nen. Aber nichts bleibt ohne Bedeu­tung. Hor­ror vor dem Unbe­kann­ten, vor der Bedro­hung, vor dem Grau­en ist es nicht. Es wird eigent­lich psy­cho­lo­gi­sches Mys­te­ri­um um das Leben an sich, bei dem am Ende der Tod steht.

Kind­heit, Jugend, ers­te Lie­be, alles was von da an kommt, bringt auch Ängs­te mit, aber auch die Schön­heit die­ser Erfah­run­gen. In der Behä­big­keit des wah­ren Lebens ver­säumt man es oft­mals, dies bewusst wahr­zu­neh­men. Der Strand nimmt sei­nen zehn Besu­chern die­se Zeit und beraubt sie ihrer vie­len Erfah­rungs­mög­lich­kei­ten. Und an das Ende setzt sich der Shy­a­mal­an-Effekt, wel­cher für den Fil­me­ma­cher Fluch und Segen zugleich gewor­den ist, seit er sei­nen ers­ten Film mach­te. Die Auf­lö­sung ist tat­säch­lich wie­der eine sehr ori­gi­nel­le Mischung aus klas­si­schem Hor­ror­sze­na­rio und einem über­ra­schen­den Ele­ment, wel­ches zeit­geis­tig gesell­schafts­po­li­ti­sche Pro­ble­me auf­greift. Es ist in die­ser raf­fi­nier­ten Zusam­men­set­zung wirk­lich nicht vor­her­seh­bar. Auch wenn es selbst­ge­rech­te Stim­men hin­ter­her ein­fach behaup­ten wer­den, wie immer.

OLD
Dar­stel­ler: Gael Gar­cía Ber­nal, Vicky Krieps, Rufus Sewell, Tho­ma­sin McKen­zie, Nik­ki Amu­ka-Bird, Ken Leung, Eli­za Scan­lan, Alex Wolff, Aaron Pierre, Embeth Davidtz, Emun Elliott u.a.
Regie & Dreh­buch: M. Night Shyamalan
nach Moti­ven der Gra­phic-Novel von
Pierre-Oscar Lévy & Fre­de­rick Peeters
Kame­ra: Mike Gioulakis
Bild­schnitt: Brett M. Reed
Musik: Tre­vor Gureckis
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Naa­man Marshall
108 Minuten
USA 2021

Bild­rech­te: UNIVERSAL STUDIOS

AutorIn: Bandit

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