Meine Güte. Dass mit dem Marvel Cinematic Universe etwas nicht in Ordnung ist, wissen wir jetzt schon länger, aber was in DEADPOOL & WOLVERINE angeliefert wird, ist wirklich unter aller Kanone. Der Film besteht im Prinzip zu 100 Prozent aus Fanservice und kann keinerlei eigene oder auch nur halbwegs originelle Inhalte aufweisen. Dazu kommt eine unüberschaubare Menge an flachen oder obszönen Dad-Jokes zwischen den beiden offensichtlich gelangweilten Protagonisten, bei denen jegliches Timing fehlt.
Mir ist völlig schleierhaft, wie so ein Mist es auf eine Kinoleinwand …
FRZZT!
Achtung!
Dies ist eine Durchsage der TVA: Der vorstehende Text stammt aus einem Universum ohne Ankerwesen, das nicht Teil der heiligen Zeitlinie ist. Wir haben diese Zeitlinie neutralisiert und den Verfasser in Die Leere versetzt. Es geht nun in einer autorisierten Zeitlinie weiter und wir übergeben an das dortige Ankerwesen. Wir danken für Ihr Verständnis!
DEADPOOL & WOLVERINE: Du wirst das machen bis du 90 bist!
Hier haben wir wieder einmal einen Film, bei dem es überaus knifflig ist, ihn zu besprechen, wenn man nicht will, dass man aufgrund von Spoilern in die Leere versetzt wird. Das ist der eine Punkt, der die Besprechung schwierig macht. Doch auch von eventuellen Spoilern abgesehen ist das, was einem auf der Leinwand vorgesetzt wird, dermaßen aberwitzig, dass es sich einer Besprechung entziehen möchte. Und dabei haben wir von der expliziten Sprache und den teil drastischen Darstellungen noch gar nicht geredet.
Und damit kommen wir auch sofort zum Hulk im Raum: Ja, sowohl was die Sprüche, und auch gewisse Gewaltdarstellungen angeht, hat man es hier definitiv nicht mit einem Disney-Film zu tun (worüber sich der in gewohnter Weise ständig die vierte Wand durchbrechende Deadpool auch ausführlich lustig macht). DEADPOOL & WOLVERINE ist nichts für Zartbesaitete und die Freigabe ab 16 hat definitiv ihre Berechtigung, denn das Blut spritzt stellenweise recht freigiebig und in dieser Hinsicht toppt der dritte Teil auch die beiden ersten Filme um den vorlauten Söldner. Und ebenfalls wie in den beiden Vorgängern, ist das alles dermaßen drüber inszeniert, dass man es eigentlich nicht ernst nehmen kann. Trotzdem: Ich würde dringend davon abraten, dass Eltern mit ihren jüngeren Sprösslingen in einen Superheldenfilm gehen, nur weil die ja vermeintlich für Kinder sind. Der hier ist es definitiv nicht.
Ansonsten bekommen insbesondere Marvel-Fans, die sich nicht nur in allen Ausprägungen des MCU auskennen, sondern auch in den vorangegangenen Iterationen bei Centfox, ordentlich etwas geboten – alle anderen bekommen einen kurzweiligen Film, werden aber nicht alles goutieren können. Selbst ich, der ich nun wirklich alles gesehen habe, gehe davon aus, dass ich nur einen Bruchteil der Myriaden von Ostereiern überhaupt zur Kenntnis genommen habe. Dabei macht man sich in einer Tour selbstreferenzierend nicht nur über das MCU, den desolaten Zustand der Multiversums-Handlung und jede Menge vergangenen Marvel-Filme und Serien lustig, sondern verknüpft das alles auch noch in geradezu brillianter Art und Weise miteinander. Hier werden nicht nur für die Fox-Marvel-Filme gleich diverse Abschlüsse präsentiert, es finden sich zudem auch Referenzen auf Projekte, die lange in der Produktionshölle waren und durch den Fox-Kauf durch Disney endgültig in der Versenkung verschwanden. Das wird abgerundet durch haufenweise Cameos – und darunter eben auch welche, mit denen man im Leben nicht gerechnet hätte und die selbst den hartgesottenen Fan kalt erwischen oder erfreuen – und manchmal eben auch damit spielen, dass gewisse Schauspieler bei Fox und im MCU unterschiedliche Rollen darstellten. Aber in einem Multiversum, das alle denkbaren Realitäten abdeckt, ist eben vieles, wenn nicht alles, möglich.
Der Abschluss der Fox-Zeit wird zudem auch nochmal im Abspann thematisiert durch Szenen und Blooper aus diversen Fox-Produktionen, die neben dem Credits-Scroller zu sehen sind.
Und das wird alles mit einer bemerkenswerten Chuzpe präsentiert und vor allem in einem Tempo, das kaum Zeit zum Atmen lässt, denn die Inszenierung ist trotz der Länge von über zwei Stunden bei einem erstaunlich kurzen Abspann deutlich stringent, lässt zwar auch Zeit für reflektierende Momente, aber alles in allem ist das Tempo hoch.
Deutlich bemerkt man, welchen schieren Spaß die beiden Buddies Ryan Reynolds und Hugh Jackman dabei hatten, dieses Gespann endlich auf eine Leinwand zu bringen – und das auch noch außerhalb der eigentlich strengen Disney-Konventionen und völlig »over the top« zu tun. Dass es bei einem solchen Superhelden-Spektakel nicht um Method Acting geht, sollte klar sein, und Reynolds trägt ohnehin die meiste Zeit eine Maske, aber er und Jackman bekommen tatsächlich auch Momente der Selbstreflektion (über vierte Wand und Gags hinaus). Aber ganz ohne Frage ist die Dynamik zwischen diesen beiden, wie sie sich zusammenraufen und wie perfekt sie ihre Gags timen, einfach eine große Freude. Man stellt sich aber immer wieder unwillkürlich die Frage, warum das so lange gedauert hat, bis es zu dieser Paarung auf der großen Leinwand gekommen ist.
Auch die Frage, welche Deadpool-Iterationen aus den verschiedenen Universen zu sehen sein werden, wurde im Vorfeld auf den einschlägigen Internetseiten ausgiebig diskutiert – und die Antwort darauf ist einfacher, als man denken mag.
Ausgesprochen gut gefallen hat mir Emma Corrin als [zensiert], welche die wohl wichtigste Antagonistin des Films mit hoher Intensivität und sichtbarer Spielfreude darstellt. Man nimmt they die Psychopathin mit Superfähigkeiten problemlos ab und they verfügt fraglos über das Charisma, um diese Figur glaubwürdig zu verkörpern. Ich bin gespannt, was man they nach diesem Brett in Zukunft für Rollen anbieten wird (Anmerkung: Emma Corrin sieht sich als nonbinär und die deutsche Sprache tut sich mit entsprechenden Pronomen sehr schwer, deswegen eine zugegebenermaßen nicht ganz elegante Lösung, bis irgendwann eine im Duden stehen wird*).
Ansonsten lasse ich mich immer wieder mal über nicht gelungene Synchronisationen aus, glücklicherweise hatte ich bei DEADPOOL & WOLVERINE nichts zu meckern. Im Vergleich zu anderen Produktionen scheint hier eine andere Übersetzung-Dialogregie am Werk gewesen zu sein, dann im Großen und Ganzen hatte selbst ich nichts zu meckern. Und was hätte bei einem solchen Film, der vom Dialogtiming und dessen Inhalten lebt, alles daneben gehen können. Klar, an ein paar Stellen hats auch hier wieder geholpert oder man fragt sich, warum nicht anders – besser – übersetzt wurde, aber im Vergleich zu manch anderer Synchro-Katastrophe war die Übersetzung hier im Großen und Ganzen okay. Und das sollte dann auch mal hervorgehoben werden.
Ich höre an dieser Stelle mal auf, bevor ich mich doch noch zu Spoilern hinreißen lasse, denn die sind eigentlich bei der Besprechung dieses Fanservice-Fests unausweichlich, wenn man zu tief analysiert. Deswegen lasse ich das, weise aber darauf hin, dass es hier neben Splatter und einer schier endlosen Reihe an Schenkelklopfern, Referenzen und Cameos auch noch eine Story gibt und der Inhalt nicht ausschließlich dem Spektakel untergeordnet wird, wie das sonst leider oft der Fall ist.
Und vielleicht liegt man auch mit der Einschätzung, dass das jetzt das Ende für die Fox-X-Men war völlig falsch, denn streng genommen hat Deadpool hier nicht alle Türen verschlossen, sondern durch das Ende des Films (und ich meine nicht die Post-Credits-Szene, also sitzen bleiben) sogar im Gegenteil eine ganze Menge möglich gemacht – gerade in Hinsicht auf das, wo diese ganze Multiversums-Nummer hinführen könnte, wenn man sich an den Comics orientiert. Und dann ergäbe Deadpools Spruch in Richtung Wolverine »Disney wird dich zwingen, das zu tun, bis du 90 bist!« einen erweiterten und nochmal ganz anderen Sinn …
Hinweis: Wer die Besetzungliste liest, ist selber schuld.
DEADPOOL & WOLVERINE
Besetzung: Ryan Reynolds, Hugh Jackman, Emma Corrin, Matthew Macfadyen, Dafne Keen, Jon Favreau, Morena Baccarin, Rob Delaney, Leslie Uggams, Jennifer Garner, Wesley Snipes, Channing Tatum, Chris Evans, Henry Cavill, Wunmi Mosaku, Aaron Stanford, Tyler Mane, Karan Soni, Brianna Hildebrand, Shioli Kutsuna, Stefan Kapicic u.v.a.m.
Regie: Shawn Levy
Drehbuch: Ryan Reynolds, Rhett Reese, Paul Wernick, Zeb Wells, Shawn Levy
Produzent°Innen: Kevin Feige, Shawn Levy, Lauren Shuler Donner, Ryan Reynolds
Ausführende Produzent°Innen: Louis D’Esposito, George Dewey, Wendy Jacobson, Simon Kinberg, Jonathon Komack Martin, Josh McLaglen, Mary McLaglen, Rhett Reese, Paul Wernick
Kamera: George Richmond
Schnitt: Shane Reid, Dean Zimmerman
Musik: Rob Simonsen
Produktionsdesign: Ray Chan
Casting: Sarah Finn
128 Minuten
USA 2024
Promofotos Copyright 20th CENTURY STUDIOS / MARVEL
Fußnote zur inkludierenden Sprache für Nonbinäre:
* 2018 stellte der Rat für deutsche Rechtschreibung (RdR) in einem Bericht zur „geschlechtergerechten Schreibung“ fest, „dass der gesellschaftliche Diskurs über die Frage, wie neben männlich und weiblich ein drittes Geschlecht oder weitere Geschlechter angemessen bezeichnet werden können, sehr kontrovers verläuft. Dennoch ist das Recht der Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, auf angemessene sprachliche Bezeichnung ein Anliegen, das sich auch in der geschriebenen Sprache abbilden soll.“ Link
Hatte ihm am Mittwoch hier in Tokyo gesehen.
Der Knaller! 100%iger Fanservice. Eine Freundin von mir war ebenfalls mit dabei – die kannte Deadpool nur flüchtig war aber auch sehr angetan. Allein der OST! Ganz großes Kino.
Ganz kurz: Wenn man nicht spoilern möchte, sollte man vielleicht auch nicht die Cast mit aufführen – sonst könnte manch einer hier gewisse Parallelen ziehen ;) That being said: The Cameos waren der Knaller und das ganze Kino hat gefeiert! Hut ab, well done!
Ja, mir war das schon klar, aber die Besetzung aufzuzählen gehört zur Filmbesprechung. Ich gehe ja immer davon aus, dass Personen, die nicht gespoilert werden möchten, so clever sind, das dann einfach nicht zu lesen.