Charles Stross – THE FAMILY TRADE

Gehört hat­te ich immer wie­der mal dar­über: Char­lie Stross´ (Web­sei­te) Buch­se­rie um par­al­le­le Rea­li­tä­ten mit dem Über­ti­tel THE MERCHANT PRINCES. Dann las ich zum ers­ten neu­lich ein Inter­view mit Stross, in dem er sag­te: er woll­te eine Sto­ry schrei­ben, die als Fan­ta­sy anfängt und als Sci­ence Fic­tion auf­hört – und mit der Rei­he habe er das getan. Ich hat­te aller­dings in der Ver­gan­gen­heit ver­sucht, sei­ne LAUNDRY FILES zu lesen, und war kra­chend geschei­tert, ich kam ein­fach nicht rein, des­we­gen hat­te ich auch ande­ren Stross-Wer­ken die Fin­ger gelas­sen. Doch neu­lich auf einem Tref­fen mit eben­falls nerdi­gen Freun­den wur­de mir die Serie noch­mal sehr ans Herz gelegt. Und da das nächs­te eBook dank Inter­net und Ama­zon nur einen Klick ent­fernt ist, ließ ich mir THE FAMILY TRADE auf den eRea­der schieben.

Und bloß gut, dass ich das getan habe.

Aus­zug aus dem Werbetext:

Miri­am Beck­stein is hap­py in her life. She’s a suc­cess­ful repor­ter for a hi-tech maga­zi­ne in Bos­ton, making good money doing what she loves. When her rese­ar­cher brings her iron-clad evi­dence of a money-laun­de­ring sche­me, Miri­am thinks she’s found the sto­ry of the year. But when she takes it to her edi­tor, she’s fired on the spot and gets a death thre­at from the cri­mi­nals she has uncovered.
Befo­re the day is over, she’s recei­ved a locket left by the mother she never knew-the mother who was mur­de­red when she was an infant. Wit­hin is a knot­work pat­tern, which has a hyp­no­tic effect on her. Befo­re she knows it, she’s trans­por­ted herself to a par­al­lel Earth, a world whe­re knights on hor­se­back cha­se their prey with auto­ma­tic wea­pons, and whe­re world-skip­ping assas­sins lurk just on the other side of rea­li­ty – a world whe­re her true fami­ly runs things.
The six fami­lies of the Clan rule the king­dom of Gruin­markt from behind the sce­nes, a mix­tu­re of nobi­li­ty and cri­mi­nal con­spi­ra­tors who­se power to walk bet­ween the worlds makes them rich in both. Braids of fami­ly loyal­ty and intermar­ria­ge pro­vi­de a fra­gi­le gua­ran­tee of peace, but a recent­ly-ended civil war has left the fami­lies shaken and suspicious.

Ich bin ohne­hin ein gro­ßer Fan von par­al­le­len Rea­li­tä­ten und Sto­ries, die sich dar­um dre­hen. Des­we­gen hat­te Stross bei mir mit dem The­ma im Prin­zip eh gute Kar­ten. Die anfäng­li­che Sor­ge, ich käme wie bei LAUNDRY FILES mit sei­nem Schreib­stil nicht zurecht, bewahr­hei­te­te sich glück­li­cher­wei­se nicht.

Dafür bekommt man eine gran­dio­se Sto­ry mit einer star­ken Prot­ago­nis­tin, die sich von alt­ein­ge­ses­se­nen, Män­nern und mit­tel­al­ter­li­chen Struk­tu­ren, in die sie hin­ein­ge­wor­fen wird, nicht die But­ter vom Brot neh­men lässt. Wer jetzt Ana­lo­gien zu den Pro­ble­men heu­te ent­deckt und annimmt, dass Stross hier in den Zeit­geist geschrie­ben hat, um die Absät­ze zu erhö­hen, liegt falsch, denn der Roman wur­de bereits im Jahr 2004 ver­öf­fent­licht (des­we­gen auch der Klap­pen­text, der noch von »the hot­test new wri­ter in sci­ence fic­tion« redet).

Der Autor schreibt das nicht, um irgend­ei­ner spe­zi­el­len Kli­en­tel zu gefal­len, son­dern weil es ein­fach sto­ry­im­ma­nent ist.Mal davon abge­se­hen ist der Roman ein Page­tur­ner im bes­ten Sin­ne des Wor­tes, was unter ande­rem dar­an liegt, dass die Prot­ago­nis­tin zusam­men mit der Lese­rin nach und nach ent­deckt, was hier abgeht. Aber auch dar­an, dass Miri­am eine äußerst kom­pe­ten­te und sym­pa­thi­sche jun­ge Frau ist, die die anste­hen­den Pro­ble­me aktiv in die Hand nimmt, statt sich auf das Domi­nier­ge­ha­be und das Errin­gen von Deu­tungs­ho­heit durch Alpha­männ­chen und alt­ein­ge­ses­se­ne Clan­struk­tu­ren ein­zu­las­sen. Den­noch muss man sich an die­ser Stel­le kei­ner­lei Sor­gen um erho­be­ne Zei­ge­fin­ger oder Dog­men machen, das sind alles sehr nach­voll­zieh­ba­re Kon­se­quen­zen aus dem Set­ting, das Stross in dem Buch auf­baut. Der Autor schreibt das nicht, um irgend­ei­ner spe­zi­el­len Kli­en­tel zu gefal­len, son­dern weil es ein­fach sto­ry­im­ma­nent ist.

Das Gan­ze ist wirk­lich außer­ge­wöhn­lich unter­halt­sam zu lesen, wäh­rend man mit Miri­am nicht nur eine neue Welt ent­deckt, die doch deut­lich von unse­rer abweicht, son­dern auch, wel­che Kon­se­quen­zen die Machen­schaf­ten des Clans auf unse­re Welt haben. Und auch weil Mit­glie­der der Fami­lie zwar unter uns in unse­rer Rea­li­tät leben und mit Schuss­waf­fen oder Com­pu­tern zwar zurecht kom­men, aller­dings nicht in dem Maße wie eine Per­son, die hier ihr gan­zes Leben ver­bracht hat – und des­we­gen ganz ande­re Din­ge damit tun kann, als jemand der das erst ler­nen muss­te. Auch hier kann man Ana­lo­gien zu aktu­el­len The­men sehen, wenn man denn ger­ne möch­te – und auch hier soll­te man nicht aus den Augen ver­lie­ren, wann der Roman ver­fasst wurde.

Zwi­schen­durch hat­te ich beim Lesen klei­ne­re Durch­hän­ger, wenn Intri­gen am Hofe und Clan­ge­tue etwas zu aus­führ­lich beschrie­ben wur­den, aber das sind am Umfang des Buch gemes­sen Ein­zel­fäl­le und schmä­ler­ten den Spaß am Werk eigent­lich nicht wirklich.

Alles in allem bin ich schwer begeis­tert, wie Stross hier ein über­aus kom­ple­xes Sze­na­rio samt World­buil­ding vor der Lese­rin auf­baut und das in einer extrem unter­halt­sa­men Form so strin­gent und gelun­gen auf­be­rei­tet, dass kei­ne Lan­ge­wei­le auf­kommt – und man als Teil­ha­be­rin an den Aben­teu­ern der Hel­din im Prin­zip zusam­men mit der Prot­ago­nis­tin in das Set­ting hineinwächst.

Am rela­tiv abrup­ten Ende des Buches hat man ein wenig den Ein­druck, dass der Ver­lag ein län­ge­res Werk in zwei Tei­le geteilt hat, denn es fehlt ein Höhe­punkt. Das Hin­ein­le­sen in Band zwei (den ich natür­lich sofort nach­schie­ben muss­te) bestä­tigt mir die­sen Eindruck.

Man muss übri­gens kei­ne Angst haben, dass man sich hier an eine ellen­lan­ge Roman­se­rie bin­detMan muss übri­gens kei­ne Angst haben, dass man sich hier an eine ellen­lan­ge Roman­se­rie bin­det, die nie ein Ende fin­den wird, oder bei der man wie bei GRRM jah­re­lang auf Fol­ge­bän­de war­ten muss. Die Seri­en­län­ge ist mit sechs Bän­den finit und abgeschlossen.

Gro­ßer Vor­teil, denn ich kann die Rei­he jetzt qua­si »bin­ge­wat­chen«, ohne ewig auf wei­te­re Bücher war­ten zu müssen.

Am Ende möch­te ich allen, die das wie ich noch nicht gele­sen haben soll­ten, eine unbe­ding­te Emp­feh­lung aus­spre­chen, ins­be­son­de­re auch nach den ers­ten Sei­ten des Fol­ge­werks. Auch wenn der Tor Books das fehl­de­kla­riert hat: Es han­delt sich nicht um Fan­ta­sy, son­dern um rein­ras­si­ge Sci­ence Fiction.

Aller­dings muss man wie ich das eng­li­sche Ori­gi­nal lesen, denn soweit ich das sehen kann, liegt die Serie nicht in deut­scher Spra­che vor. Dar­an, dass die­ses bril­lan­te Werk von kei­nem gro­ßen deut­schen Publi­kums­ver­lag ange­fasst wur­de, kann man mal wie­der erken­nen, dass die coo­les Zeug noch nicht mal erken­nen wür­den, wenn es ihnen in die Wade beißt.

THE FAMILY TRADE
Band eins der Rei­he THE MERCHANT PRINCES
Charles Stross
Sci­ence Fiction
2004
312 Seiten
Tor Books
Gebun­den:
ISBN: 978–0765309297, ca. 19 Euro
eBook:
ASIN B004DNWBZ2, ca. 7 Euro

Cover­ab­bil­dung Copy­right Tor Books

AutorIn: Stefan Holzhauer

Meist harm­lo­ser Nerd mit natür­li­cher Affi­ni­tät zu Pixeln, Bytes, Buch­sta­ben und Zahn­rä­dern. Kon­su­miert zuviel SF und Fan­ta­sy und schreibt seit 1999 online darüber.

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